Nick Heidfeld: Schüchtern? Langweilig? Von wegen!
Nick Heidfeld im Porträt: Warum der BMW Sauber F1 Team Pilot aufregender ist, als die meisten glauben, und wie er sich in der Formel 1 etabliert hat
(Motorsport-Total.com) - Nick Heidfeld ist ein Aha-Erlebnis. Nur ein braver Junge? Schüchtern? Gar langweilig? Von wegen! Der Mönchengladbacher wird leicht unterschätzt. Nachdem er 2005 mit zwei zweiten Plätzen und einer Pole Position ins Rampenlicht gerückt war, galt er als Überraschung der Saison. Dass er auch ein Partylöwe sein kann, im flippigen Outfit über Tanzflächen rockt, sich für moderne Kunst begeistert und Ingenieure an ihre Kapazitätsgrenzen treibt, bleibt dennoch den meisten Beobachtern verborgen - und das ist ganz in Heidfelds Sinn. Er will in der Formel 1 an seinen Leistungen gemessen werden. Die Stoppuhr schätzt er als ehrlichen Kritiker.

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Das BMW Sauber F1 Team stellt eine große Chance für Nick Heidfeld dar
Er ist selbstbewusst. Er weiß, was er kann. Das wochenlange Wetttesten mit Antonio Pizzonia um das Cockpit im BMW WilliamsF1 Team 2005 hat er souverän gemeistert und gewonnen. Aber Interviews in der Startaufstellung mag er nicht. "Vor dem Start bin ich immer noch nervös", gesteht er - trotz zwei Jahrzehnten Rennerfahrung. Am 10. Mai 2006 wird er 29 Jahre alt.#w1#
Heidfeld begann zunächst als Motocrossfahrer
Als Steppke von noch nicht einmal fünf Jahren fuhr er schon Motocross, gemeinsam mit seinem jüngeren und seinem älteren Bruder. Kleine Maschinen mit 50-ccm-Motoren boten viel Freude am Fahren: "Bis ich bei einem Unfall mit dem Bein zwischen Rad und Schutzblech stecken blieb, wobei das Gas leider auch auf voll hängen blieb", erinnert sich Heidfeld an den schmerzhaften Verlust seines Wadenmuskels.
Als Erstklässler wäre er schon gerne Kart gefahren: "Ich war aber zu klein. An den Leihkartbahnen gab es immer solche Stangen: Wer darunter durchlaufen konnte, durfte nicht fahren." Bei einem der ungezählten Familienausflüge zum Nürburgring war es dann endlich soweit: Mit zwei Reifen und einer Decke im Rücken durfte er auf der brandneuen Kartbahn fahren. Indem er dort seinen Vater Wolfgang überholte und abhängte, qualifizierte sich "Quick Nick" für sein erstes eigenes Kart. Er bekam es als Achtjähriger. Clubmeisterschaften in Kerpen-Mannheim, Rennen auf nationaler Ebene, Teilnahmen an EM- und WM-Läufen - er lernte sein Handwerk gründlich und sammelte Trophäen wie andere Kinder bunte Bildchen.
Mit 17 Lenzen dominierte Heidfeld die Deutsche Formel-Ford-1600-Meisterschaft mit acht Siegen in neun Rennen. Ein Jahr später holte er sich den Titel in der Formel Ford 1800. 1996 war er als 19-Jähriger der Jüngste im Feld der Deutschen Formel 3 und fasste auch dort sofort Fuß: drei Siege und Rang drei im Gesamtklassement, außerdem Pole Position und Laufsieg beim Formel-3-Weltfinale auf dem abenteuerlichen Stadtkurs von Macao sowie Platz drei beim europäischen Kräftemessen der Formel 3 in Zandvoort.
Heidfeld wurde 1997 schon vor Saisonbeginn als kommender Formel-3-Meister gehandelt, zumal auch Mercedes bereits an dem Rohdiamanten schliff. Die ersten Formel-1-Testfahrten brachten Medieninteresse. Der Formel-1-Boom in Deutschland war gerade in voller Beschleunigung, eine Folge der ersten beiden WM-Titel Michael Schumachers. Heidfeld ließ sich durch nichts beirren. Er hatte das Talent, die Meisterschaft zu gewinnen, im Opel-Team von Bertram Schäfer auch das Material dazu - und er setzte seine Möglichkeiten um. Mit fünf Siegen machte er sein Meisterstück im deutschen Championat. Mit seinem Triumph beim Formel-3-Grand-Prix in Monaco kam sein Name auch international ins Gespräch.
Große Erfolge in der Formel-3000-Meisterschaft
1998 und 1999 wurden noch lernintensivere Jahre. Er trat in der Internationalen Formel-3000-Meisterschaft an - drei Siege und Zweiter der Meisterschaft im ersten Jahr, im zweiten Jahr reichten vier Siege zum Titel. "Mein Teamchef David Brown war ein sehr guter Ingenieur", sagt Heidfeld, "er hatte unter anderem schon mit Ayrton Senna und Nigel Mansell gearbeitet, und er hat mir wahnsinnig viel in Sachen Setup beigebracht."
Heidfelds Arbeitseinsatz bei der Abstimmung und sein Know-how begeistern auch in der Formel 1: "Nick kann sehr präzise arbeiten, ist der Traum eines jeden Ingenieurs", weiß BMW Motorsport Direktor Mario Theissen. "Er ist ein couragierter und schneller Pilot, aber eben auch ein analytischer und akribischer Arbeiter. Zudem kennt er beide Standorte und Belegschaften des neuen BMW Sauber F1 Teams. Er wird für uns in der schwierigen Aufbauphase sehr wertvoll sein."
Seine ersten Formel-1-Erfahrungen sammelte Heidfeld 1999 als Testfahrer für McLaren-Mercedes. Im selben Jahr gehörte er zur Mercedes-Fahrerriege für das 24-Stunden-Rennen von Le Mans, aus dem die Fahrzeuge allerdings zurückgezogen werden mussten. 2000 fand er bei Prost einen Platz als Formel-1-Stammfahrer. "Die Hoffnungen waren groß", erinnert er sich, "das Team hatte gute Leute und gute Sponsoren. Aber letztlich haben wir keinen einzigen Punkt erzielt. Viele Rennen habe ich gar nicht beenden können."
Es folgten drei Jahre bei Sauber, und 2001 erzielte er in Brasilien seinen ersten Podiumsplatz: "Eine schöne Zeit", sagt Heidfeld. "Ich habe mich bei Sauber sehr wohl gefühlt und immer freundschaftliche Kontakte gepflegt, die ich jetzt wieder intensivieren kann. Darauf freue ich mich." In dieser Zeit schlug er mit seiner langjährigen Freundin Patricia auch privat seine Zelte in der Schweiz auf: "Monaco war immer für ein paar Tage witzig, aber nicht das, was ich mir langfristig gewünscht habe."
Mittlerweile hat er sich im schweizerischen Stäfa ein Haus zugelegt: "Erbaut Mitte des 19. Jahrhunderts", erzählt er. Ein Fitnessstudio, moderne Einzelstücke beim Interieur und moderne Kunst bilden Kontraste zum traditionsbewussten Wohnen. "Zum Rad fahren ist die Gegend ideal." Zu Heidfelds Fitness¬repertoire gehören auch Tennis, Golf "und eine Menge anderer Sportarten. Mir macht das alles Spaß. Es gibt keine Einzelsportart, der ich mich besonders verschrieben habe." Abwechslung ist wichtig. Trotz wachsender Naturverbundenheit möchte Heidfeld auf die Lichter der Großstadt nicht verzichten. Bis nach Zürich sind es nur 15 Fahrminuten.
Töchterchen Juni ist für Heidfeld das Größte überhaupt
Seit dem 3. Juli 2005 ist das Haus in Stäfa um eine Bewohnerin reicher: Töchterchen Juni ist ein Sonntagskind, was den werdenden Vater in Magny-Cours unter Stress setzte. Bereits vor dem Start wusste er, dass sich die Geburt anbahnte. Technische Probleme warfen ihn im Rennen aussichtslos zurück. Doch aufgrund des geltenden Qualifyingformats gab es immer noch die Chance, durch Ausfälle von Konkurrenten noch einen besseren Startplatz für das Einzelzeitfahren beim nächsten Grand Prix zu ergattern. Heidfeld fuhr dem Feld bis ins Ziel hinterher, eilte zum Flughafen - und schaffte es gerade noch, die Geburt seiner Tochter mitzuerleben: "Egal, wie man sich das auch vorstellt und ausmalt: Es ist eine unbeschreibliche Erfahrung und ein großes Glück für Patricia und für mich."

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Die Saison 2004 bei Jordan war für Heidfeld alles andere als einfach Zoom
Glück hatte er nicht immer. Ende 2003 wurde sein Vertrag bei Sauber nach drei Jahren nicht verlängert. Es folgte ein harter Winter: "Ich war froh, als ich die Möglichkeit bei Jordan bekam, obwohl ich wusste, dass die Saison sehr schwierig werden würde. Ab Mitte der Saison war einfach kein Geld mehr für die Entwicklung da." Heidfeld klagt nicht. Er stellt das fest. Der nächste Winter wurde auf eine andere Art hart. Er musste sich in einem Ausscheidungsfahren gegen Pizzonia beweisen. Es ging um die Frage: Wer wird zweiter Stammfahrer im BMW WilliamsF1 Team und wer Testpilot? Erst unmittelbar vor der Präsentation Ende Januar teilte Frank Williams Heidfeld mit: "Die Wahl ist auf Dich gefallen!" Für Heidfeld war das eine verdiente Ernte und die Chance, 2005 zu zeigen, was in ihm steckt. Er beeindruckte auf der Strecke mit Speed und sensationellen Überhol¬manövern und im Hintergrund mit fundiertem Know-how.
Ein Testunfall wegen einer gebrochenen Radaufhängung in Monza im August läutete das vorzeitige Saisonende für ihn ein. Nach dem Freien Training am darauf folgenden Wochenende in Monza war klar, dass eine Gehirn¬erschütterung und Rückenbeschwerden keinen Renneinsatz zulassen.
Auch das Rennen in Spa eine Woche später fiel für ihn flach. An jenem Wochenende kam es für Heidfeld noch dicker: Um herauszufinden, ob ihm eine höhere Pulsbelastung noch Kopfschmerzen bereite, hatte er sich in Stäfa auf sein Rennrad geschwungen. Der folgende Unfall ging auf seine Kappe: "Ich habe an einer Kreuzung ein Motorrad übersehen", ärgerte er sich und heilte in den Wochen bis zum Saisonende einen Riss im Schulterblatt aus.
Dennoch hatte er bereits einen derart starken Eindruck hinterlassen, dass BMW ihn zügig für die Saison 2006 verpflichtete: "Das ist meine nächste Chance", weiß der Deutsche. "Ich will Rennen gewinnen und Weltmeister werden. Aber ich bin auch Realist: So ein Neuanfang ist nicht einfach. Wir werden viel arbeiten und Geduld brauchen."

