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  • 08.05.2008 12:00

  • von Dieter Rencken

Neues Reglement: Analyse mit Frank Dernie

Toyota-Berater Frank Dernie erläutert für die 'Motorsport-Total.com'-Leser die Auswirkungen des neuen Reglements für 2009

(Motorsport-Total.com) - Frank Dernie fällt eindeutig in die Kategorie Ingenieurs-Dinosaurier: Der Brite schnupperte 1971 erstmals Formel-1-Luft, als er von Harvey Postlethwaite den Auftrag erhielt, für March die Radaufhängung zu bauen - er wurde damals auch einem gewissen Max Mosley vorgestellt, dem "M" in March.

Titel-Bild zur News: Frank Dernie

Frank Dernie arbeitet schon seit mehr als 30 Jahren in der Formel 1

1976 nahm er bei Hesketh seinen ersten Fulltimejob in der Königsklasse an, ehe er zu Williams wechselte, wo er sich einen Namen machen konnte. Dernie entwickelte in Grove unter anderem die aktive Radaufhängung, der Schlüssel zu den Erfolgen des Teams in den frühen 1990er-Jahren. Später folgte er dem Ruf von Nelson Piquet zu Lotus, anschließend ging es weiter zu Ligier, Benetton, wieder Ligier und schließlich Arrows.#w1#

Kritiker der Overtaking-Working-Group

Dort hatte er aber andere Auffassungen als Teamchef Tom Walkinshaw, sodass er den Job kündigte und in die nordamerikanische ChampCar-Serie wechselte - von nun an nicht mehr als Festangestellter, sondern als Berater für Lola. Ebenfalls als Berater führte ihn sein Weg dann doch wieder zurück zu Williams, ehe er von Toyota angeheuert wurde. Für die Japaner arbeitet er nun als externer Berater.

Wir trafen uns in Barcelona zum gemütlichen Plausch mit Dernie, um das geplante Reglement für 2009 einmal genau unter die Lupe zu nehmen. Ausgearbeitet wurde dieses von der Overtaking-Working-Group (OWG) um Rory Byrne, Pat Symonds und Paddy Lowe. Die Ideen der OWG wurden zuletzt von den meisten Fachleuten in den Himmel gelobt, aber Dernie hat so seine Zweifel daran, ob die Formel 1 dadurch wirklich spannender wird...

Frage: "Frank, eines der Ziele des Reglements für 2009 ist es, den Anpressdruck zu halbieren. Deine Meinung dazu?"
Frank Dernie: "Für das 2009er-Reglement wurde die Overtaking-Working-Group gegründet, die sich angesehen hat, was ihrer Meinung nach Einfluss auf die Überholvorgänge hat. Es wurden Analysen durchgeführt, aber die Ansicht, dass weniger Anpressdruck und mehr Reifengrip zu mehr Überholmanövern führen könnten, gibt es schon seit 20 Jahren. Ich persönlich glaube nicht daran."

"Ich glaube, dass durch mehr Reifengrip die Bremswege reduziert werden und die Wahrscheinlichkeit für Überholmanöver zurückgeht. Ich finde auch, dass wir in den vergangenen 25 Jahren nie mehr Überholmanöver gesehen haben, wenn der Anpressdruck reduziert wurde. Vielleicht können die Autos also künftig etwas dichter hintereinander fahren, aber das ist auch schon alles. Aber das ist nicht die verbreitete Meinung, muss ich dazusagen, sondern nur mein Standpunkt."

"Ich glaube, dass durch mehr Reifengrip die Bremswege reduziert werden und die Wahrscheinlichkeit für Überholmanöver zurückgeht." Frank Dernie

"Das Ziel war, die Turbulenzen für das hinterherfahrende Auto zu verringern. Nun, der Verlust des Anpressdrucks ist proportional zur PS-Leistung. So gesehen wäre die beste Möglichkeit, dieses Problem zu lösen, die Motorleistung zu erhöhen. Das wurde bisher nie erwähnt, ist aber eine Tatsache. Die Turbulenzen, die das vorne fahrende Auto erzeugt, variiert von Design zu Design. Eine Verringerung des Anpressdrucks wird diese Turbulenzen reduzieren, aber sie werden nicht verschwinden. Das sagen die physikalischen Gesetze."

"Was man sich in der Overtaking-Working-Group sehr genau angesehen hat, ist, welche Elemente der Autos besonders viele Turbulenzen erzeugen. Das wurde sehr gründlich untersucht. Die neuen Regeln erlauben weniger Aerodynamik in manchen Bereichen und mehr in anderen. Das finde ich großartig. Es gibt immer noch aerodynamischen Spielraum, aber nicht mehr in den Bereichen, die die Autos hässlich machen. Damit meine ich diverse Zusatzflügel und so weiter. Die Regeln wurden so verändert, dass diese Dinge nicht mehr verwendet werden können, sondern dass es nur noch ein sauberes Bodywork gibt. Das ist auch für die Sponsoren interessant, die ihre Logos nicht mehr kunstvoll in sieben Teilen aufmalen müssen, sodass man sie irgendwie erkennen kann. Das ist gut."

Neues Reglement im Detail

"Der Heckflügel wird schmäler und höher sein, der Frontflügel breiter und tiefer. Der Diffusor wird stark verändert und am Bodywork wird es keine Zusatzflügel und Flaps mehr geben. Besonders genau definiert wurde der Bereich zwischen den Kühleinlässen und der Hinterradaufhängung, damit es keine Barge-Boards und so weiter mehr geben kann. Man kann das nicht so formulieren, dass alles kategorisch ausgeschlossen werden kann, aber dieser Bereich ist sehr restriktiv definiert."

Frage: "Die Autos werden als aufgeräumter aussehen, richtig?"
Dernie: "Ja."

Frage: "Werden die Autos also ein bisschen so aussehen wie in den späten 1980er-Jahren?"
Dernie: "Ich denke, sie werden sehr ähnlich wie jetzt aussehen, aber ohne all den Zusatzkram. Viele der Entwicklungen seit den 80ern wurden ja nicht verboten, daher werden die Autos nicht so kastenförmig aussehen wie damals. Heute gibt es ja CAD-Systeme und so weiter, um die optimale Form herauszufinden, während wir in den 80ern noch sehr eingeschränkte Möglichkeiten zur Verfügung hatten."

"Die Autos werden sehr ähnlich wie jetzt aussehen, aber ohne all den Zusatzkram." Frank Dernie

Frage: "Reifenseitig werden die Slicks wieder eingeführt. Wie viel wird das ausmachen?"
Dernie: "Zweieinhalb Sekunden pro Runde. Es hängt natürlich von den Gummimischungen ab. Vielleicht wird es auf manchen Strecken etwas mehr sein, aber ich glaube, das ist in etwa der Bereich."

Frage: "Die Radaufhängungsdesigns müssen sicher verändert werden, nicht wahr?"
Dernie: "Nicht allzu sehr. Ich glaube nicht, dass die Geometrie stark verändert werden muss. Die Leute werden eher mit der Gewichtsverteilung herumspielen. Durch den Verlust der Rillen werden die Hinterreifen weniger Grip gewinnen als die Vorderreifen. Im Vergleich zu den klassischen Autos der 70er und 80er sind die Hinterreifen heute sehr klein. Die Front hat daher im Vergleich zum Heck schon jetzt weitaus mehr Potenzial. Das wird durch die Einführung der Slicks noch einmal verstärkt. Ich finde, das Verhältnis zwischen Vorder- und Hinterreifen stimmt nicht - die Vorderreifen sind für ein Formel-1-Auto mit solchen Hinterreifen viel zu groß."

Frage: "Werden sich die Rennstrategien 2009 ändern?"
Dernie: "Ich glaube nicht."

Inwieweit werden sich die Strategien ändern?

Frage: "Man sagt, dass durch die anvisierten mehr Überholmanöver die Strategien abweichen werden, weil man dann auch wieder auf der Strecke überholen kann. Stimmst du dem zu?"
Dernie: "Sollte es tatsächlich mehr Überholmanöver geben - und ich glaube das bekanntlich nicht -, dann könnten die Strategien leicht abweichen, aber nicht um viel. Die Strategien sind jetzt so ausgelegt, dass man versucht, die Renndistanz möglichst schnell zu absolvieren. Es gibt nur kleine Abweichungen wie zum Beispiel die in der Regel kürzeren ersten Stints, weil man diese Benzinmenge auch im Qualifying fahren muss. Daran wird sich nichts ändern."

"Es könnte höchstens sein, dass die langen Mittelstints weniger werden, denn die legt man ein, um länger als die Konkurrenz draußen bleiben zu können, damit man keine Positionen verliert beziehungsweise welche gewinnt. Das könnte sich ändern. Aber noch einmal: Ich glaube nicht, dass sich an der Überholsituation etwas ändern wird, daher gehe ich davon auch für die Strategien aus."

Frage: "2009 werden auch energierückgewinnende Systeme eingeführt, KERS. Wird sich das auf die Aerodynamik auswirken?"
Dernie: "KERS ist eine große und schwere Einheit, denn Elektromotoren und Batterien sind nun einmal schwer. Selbst wenn jemand auf eine Schwungradlösung setzt, benötigt er ja einen elektrischen Generator. Ich als Ingenieur muss dazu sagen, dass ich mir immer viele technologische Freiheiten wünsche, aber die Richtlinien für KERS sind ziemlich streng. So gesehen macht die Sache weniger Spaß, als sie machen könnte, aber es ist immer schön für einen Ingenieur, neue Technologien einzuführen. Das hat es schon lange nicht mehr gegeben."

"Die Richtlinien für KERS sind ziemlich streng." Frank Dernie

"Viele der heutigen Ingenieure waren noch gar nicht in der Formel 1, als wir Innovationen wie das semiautomatische Getriebe oder die aktive Radaufhängung eingeführt haben, Ground-Effect und so weiter. Viele Ingenieure waren da noch gar nicht geboren, haben jedenfalls noch nicht im Motorsport gearbeitet. Das waren die letzten großen Innovationen."

Frage: "Wo werdet ihr die Batterien platzieren?"
Dernie: "Dafür gibt es einige mögliche Plätze. Diese Batterien stehen unter hohen Voltbelastungen, aber es ist trotzdem Unsinn, dass sie Feuer fangen werden, wie ich das auch schon gehört habe. Diese Technologie gibt es ja auch auf dem Automobilmarkt schon ein Weilchen."