• 11.06.2011 05:27

  • von Christian Nimmervoll & Dieter Rencken

Neue Fabrik: Marussia-Virgin unter Zeitdruck

Teamchef John Booth spricht über die Trennung von CFD-Guru Nick Wirth und gibt zu, dass Marussia-Virgin bald ein Design-Hauptquartier braucht

(Motorsport-Total.com) - Mit der Trennung von Technikchef Nick Wirth und dessen Firma Wirth Research stand Marussia-Virgin praktisch von einem Tag auf den anderen ohne eigenes Designteam da. Zwar hat man mit Pat Symonds einen kompetenten technischen Berater an Bord, doch der ehemalige Renault-Chefingenieur hat bisher noch kein Quartier gefunden, wo die künftigen Marussia-Virgin-Boliden entwickelt werden können.

Titel-Bild zur News: John Booth

John Booth ist derzeit auf der Suche nach einer Basis für das Designteam

'Motorsport-Total.com' hat aus zuverlässiger Quelle erfahren, dass Symonds kürzlich die ehemalige Arrows- und Super-Aguri-Fabrik in Leafield besichtigt hat, doch dort ist neben den Motorsportfirmen Menard und Formtech offenbar kein Platz für ein Formel-1-Team. Marussia-Virgin-Teamchef John Booth verrät daher nur, dass seine Designcrew künftig "in England" stationiert sein wird und "nicht in Leafield. Aber wo genau, das steht noch nicht fest."

Arbeit am neuen Auto drängt

"Wir müssen das im nächsten Monat aufbauen", weiß der Brite, schließlich kann man die Saison 2011 schon abschreiben, doch spätestens im Juni/Juli muss mit der Arbeit am neuen Auto begonnen werden. Marussia-Virgin wünscht sich im Idealfall ein Designteam mit Basis in der Nähe des Rennteams, das im nördlich gelegenen Dinnington untergebracht ist, aber wegen der Kürze der Zeit ist auch der Formel-1-Cluster um Silverstone "eine Möglichkeit", so Booth.

Die Trennung von Wirth, der auch Anteile an Marussia-Virgin besitzt, soll "so freundschaftlich wie möglich" vollzogen werden. Dies sei - abgesehen von einigen Formalitäten - so gut wie erledigt. Woran das Projekt gescheitert ist, glaubt Booth nun zu wissen: "Wir hatten eine Kunden/Zulieferer-Partnerschaft, aber unterschiedliche Firmen haben unterschiedliche Interessen. Das ist in der Handhabung schwierig. Daher würden wir uns wünschen, ein einheitliches Team zu sein."

"Wir haben diese Entscheidung getroffen, weil das, was wir jetzt haben, nicht funktioniert. Wir hatten damit gerechnet, dieses Jahr konkurrenzfähiger zu sein, aber das ist nicht der Fall - wir sind genauso gut oder schlecht wie vergangenes Jahr, wenn nicht sogar ein bisschen schlechter", gibt er zu und betont: "Jetzt ist die Zeit des Jahres, in der wir beginnen müssen, am 2012er-Auto zu arbeiten. Wir sahen keinen Sinn mehr darin, das Gleiche noch einmal zu probieren."


Fotos: Marussia-Virgin, Großer Preis von Kanada, Freitag


Derzeit steht Marussia-Virgin ohne Technischen Direktor und ohne Designfabrik da. Die von Wirth entwickelten Updates kommen noch "bis Silverstone" durch - "danach noch Kleinigkeiten, nichts Großes mehr", räumt Booth ein. Fest steht aber, dass das Team künftig nicht mehr nur mit CFD, sondern auch im Windkanal arbeiten wird. Wirth hatte sich rein auf seine CFD-Computer verlassen und ist damit kläglich gescheitert.

Warum man auf CFD gesetzt hat

Bei Marussia-Virgin ist man jedoch nach wie vor davon überzeugt, dass der Ansatz, auf den Windkanal zu verzichten, nicht grundsätzlich falsch war: "Soweit ich weiß, ist CFD das Werkzeug, das den Windkanal füttert. Es stimmt aber, dass die Topteams beides gemeinsam verwenden", erklärt Booth. "Eines Tages wird es nur noch CFD geben, aber vielleicht liegt dieser Punkt weiter in der Zukunft, als wir zuerst angenommen hatten."

Vor dem Formel-1-Einstieg habe man Wirths Ansatz interessant gefunden, weil dieser wesentlich billiger war als ein konventionelles Designteam. Gerade angesichts der ursprünglich geplanten Budgetobergrenze ab 2010 machte die Idee also Sinn. "Ein Windkanal ist sehr teuer", sagt Booth. "Das war der Hauptfaktor, es anders zu probieren." Doch bekanntlich wurde die Budgetobergrenze auf massiven Druck der etablierten Teams hin gekippt.

Nick Wirth

Das CFD-Projekt von Nick Wirth ist in der Formel 1 kläglich gescheitert Zoom

Druck von den Geldgebern spürt Booth trotz der anhaltenden Erfolglosigkeit nicht: "Unsere Hauptinvestoren sind mit der Situation zufrieden. Sie sehen es als langfristiges Projekt und sehen ein, dass wir in recht kurzer Zeit ein Team aufbauen müssen. Sie sehen das langfristig", versichert er. "Aber die Sponsoren sehen es ein bisschen anders als die Investoren - die sind natürlich nicht überglücklich. Sie stehen aber auch zu uns."

Sowohl Sponsor wie auch Investor ist Richard Branson mit seiner Marke Virgin. Branson wird heute in Montreal erwartet, steht nach wie vor hinter dem Team. Pannen wie der Anfang 2010 zu klein geratene Benzintank seien aber "peinlich" für ihn gewesen, gibt Booth zu, "denn er wurde auf jeder Titelseite damit in Verbindung gebracht". An Bransons grundsätzlich positiver Haltung zum Formel-1-Projekt habe das trotzdem nichts geändert.