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  • 29.04.2008 10:47

  • von Roman Wittemeier

Nach Kovalainen-Crash: Diskussion über Reifenstapel

Nach dem heftigen Unfall von Heikki Kovalainen in Barcelona wird über die Vor- und Nachteile der Reifenstapel diskutiert

(Motorsport-Total.com) - Ein Schutzengel hat die Formel 1 am Wochenende wohl wieder vor schlimmeren Folgen bewahrt. Der heftige Unfall von Heikki Kovalainen trieb vielen Zuschauern das Entsetzen ins Gesicht, auch die Formel-1-Piloten hatten Angst um ihren finnischen Kollegen, der hilflos unter den Reifenstapeln in Barcelona gefangen war. 2001 ging ein solcher Crash von Luciano Burti in Spa-Francorchamps gut, im vergangenen Jahr schlug Lewis Hamilton ähnlich ein und kam glimpflich davon und auch beim Unfall seines McLaren-Mercedes-Teamkollegen gab es keine argen Verletzungen.

Titel-Bild zur News: Heikki Kovalainen

Aufarbeitung: McLaren-Mercedes muss das Kovalainen-Wrack untersuchen

Die Reifenstapel waren in diesem Fall Fluch und Segen zugleich, meinen viele Formel-1-Experten. Zwar könnten die Gummibarrieren viel Energie absorbieren, wenn aber ein Auto - wie bei Heikki Kovalainen in Barcelona - unter die Reifenstapel rutscht, dann drohe Gefahr für den Helm und somit den Kopf des Fahrers. "Zuerst müssen wir uns dort an der Stelle auch die Auslaufzone einmal genauer ansehen", beschrieb Red-Bull-Pilot Mark Webber in seiner Kolumne bei der 'BBC'.#w1#

Schlimmer Anblick auch für die Piloten

"Zwei Sekunden später und Heikki hätte das Auto voraussichtlich kontrollieren können und nichts wäre gewesen. Das ganze ist aber wahrscheinlich an der schlimmsten Stelle der gesamten Strecke passiert. Ich bin am Donnerstag extra noch einmal mit dem Motorroller um den Kurs gefahren und habe mir die Stelle angesehen, weil dort in der Woche zuvor nicht einmal fünf Meter daneben mein Toro-Rosso-Kollege Sébastien Bourdais abgeflogen war."

"Das Problem bei Heikki war der Einschlagswinkel. Das Gurtsystem, das die Reifenstapel zusammenhält funktioniert sehr gut, wenn man in einem schrägen Winkel dort auftrifft. Sie verformen sich nur kurz, absorbieren die Energie und bleiben dabei komplett unbeschädigt. Nur unsere Formel-1-Autos sind wie Bleistifte und bohren sich bei einem stumpfen Winkel einfach da hinein. Das Problem ist, dass dann der Kopf die heftigste Angriffsfläche bietet", beschrieb der Australier weiter.

"Das ganze ist an der schlimmsten Stelle der gesamten Strecke passiert." Mark Webber

"Diese Reifenstapel sind gefährlich", stimmte Williams-Fahrer Nico Rosberg im 'Express' zu. Er mahnte: "Das darf nicht passieren, dass man unter die Reifenstapel rutscht. Die sollten doch versenkt werden nach dem Burti-Unfall in Spa." Der 22-Jährige Deutsche erinnerte sich an die Szenen, die sich nach dem Kovalainen-Unfall in Barcelona abspielten: "Beim Vorbeifahren sah man seinen Kopf gar nicht mehr, das schaute schlimm aus."

Reifenstapel ausreichend fixiert?

Auch BMW Motorsportdirektor Mario Theissen sieht in den Reifenbarrieren eine Gefahr. Er sagte: "Das Problem war, dass die oberen Reifenlagen nicht auch zurückwichen und auf seinen Kopf drückten." Die Stapel waren mit Gurten in der Waagerechten verbunden, aber in der Senkrechten gab es womöglich zu wenig Halt. "Die müssten in sich stärker verzahnt werden", forderte Theissen.

"Ich dachte in dem Moment nur, falls etwas passiert ist, dann soll es bitte schnell vorüber gewesen sein, ohne große Schmerzen", malte Webber ein pechschwarzes Szenario vom ersten Anblick der Kovalainen-Szene. "Als Fahrer siehst du das Medical Car überhaupt nicht gern und erst recht nicht, wenn sie dann die Unfallstelle auch noch mit Tüchern abschotten. Ich habe dann zuerst mein Team gefragt, ob es sich um Heikki oder Lewis handelt und dann musste ich weiter meine Runden drehen."

"Es darf nicht passieren, dass man unter die Reifenstapel rutscht." Nico Rosberg

"Das Beste war, dass uns einige Umläufe später ein FIA-Mitarbeiter den Daumen nach oben zeigte. Das war wirklich klasse von ihm. Es tat richtig gut zu wissen, dass es unseren Freund und Kollegen offensichtlich nicht so schlimm erwischt hatte", beschrieb Webber den erlösenden Moment hinter dem Saftey Car. Wenig später sahen auch alle Fernsehzuschauer, dass Kovalainen zwar auf der Trage abtransportiert wurde, aber per Handzeichen signalisierte, dass er nicht schlimmer verletzt wurde. Aufatmen.

Webber mit bösen Erinnerungen

Webber selbst hat in seiner Karriere einige heftige Abflüge erlebt, die schlimmsten davon im Sportwagen in Le Mans. 1999 hob der Australier im damaligen Mercedes CLR-GT1 gleich zwei Mal an der selben Stelle ab und landete unsanft auf und neben der Piste. "Für Zuschauer geht das alles ganz schnell, aber es ist erstaunlich, wie sich die Zeit für einen Fahrer in solchen Momenten zieht. Man realisiert, dass etwas mit dem Auto nicht stimmt und bereitet sich auf den Einschlag vor."

"Solche Flugeinlagen möchte ich nie wieder erleben. Man fühlt sich völlig ausgeliefert, in Gottes Händen. Man hält inne und die Zeit verlangsamt sich. Es ist ein ewiges Warten. Beim ersten der beiden Crashs habe ich an meine Schwester gedacht, die gerade ein Baby bekommen hatte. Und ich dachte, wenn ich in den Bäumen lande, dann werde ich es nicht überleben. Beim zweiten Abflug dachte ich, dass ich bestimmt nicht zwei Mal ein solches Glück haben würde."

Mark Webber

Mark Webber stimmt der Kovalainen-Unfall sehr nachdenklich Zoom

Trotz der wirklichen Horrorunfälle und aller Ängste konnte Webber bereits kurze Zeit später wieder ein Rennauto am Limit bewegen. Der Instinkt eines Piloten sorge dafür, dass man sich unverletzlich vorkomme. "Das einzige, was nach den Le-Mans-Unfällen blieb war, dass ich Zweifel an den Autos bekam, aber niemals an mir selbst. Sechs Monate lang hab ich alle Maschinen skeptisch betrachtet. Solange du weißt, was ganz genau passiert ist, kannst du als Fahrer einfach wieder einsteigen und Gas geben."