• 13.02.2023 08:35

  • von Luke Smith, Übersetzung: Kevin Hermann

Momentum verloren? Warum man McLaren nicht unterschätzen sollte

McLaren geht geschwächt in die Formel-1-Saison 2023, doch trotz des Führungswechsels sollte man das Team aus Woking nicht unterschätzen

(Motorsport-Total.com) - Zum 60-jährigen Jubiläum der Gründung des McLaren-Teams durch Bruce McLaren hat sich das Team dazu entschieden, sein Formel-1-Auto für 2023 MCL60 zu nennen. Eigentlich gab das Team schon bekannt, dass der neue McLaren MCL37 heißen wird, doch man hat sich noch einmal umentschieden.

Titel-Bild zur News: McLaren MCL36 in der Eau Rouge

McLaren MCL36 in der Eau Rouge Zoom

Die Änderung der Namensgebung ist ein netter Zug eines Teams, das sich schon immer sehr mit seiner Geschichte beschäftigt hat. Auch wenn die vergangenen Jahre alles andere als eine Blütezeit waren - immerhin ist der Korridor neben der Kantine in Woking mit Trophäen gefüllt, die absichtlich so gestaltet sind, dass die Mitarbeiter jeden Tag daran vorbeilaufen -, war das Team fest auf dem Weg der Besserung.

Zumindest schien es so. Der CEO von McLaren Racing, Zak Brown, gab 2021 zu, dass die Entwicklung des Teams vom neunten über den sechsten und vierten bis zum dritten Platz in der Konstrukteursmeisterschaft nicht bedeutete, dass das Team dann den zweiten Platz erreichen würde.

Stattdessen rutschte das Team 2021 auf den vierten Platz ab - was angesichts von Ferraris Aufholjagd zur Etablierung der "großen Drei" vielleicht zu erwarten war. Im vergangenen Jahr wurde man jedoch nur Fünfter, wobei man die "Best-of-the-Rest"-Krone an Alpine verlor.

McLaren muss Lando Norris überzeugen

McLaren kann aus dem Jahr 2022 auf jeden Fall einige positive Aspekte mitnehmen. Man war das einzige Team, das außerhalb der Topteam, das auf dem Podium stand, dank Lando Norris in Imola. Norris war wieder einmal der Star der Saison, obwohl er zugab, dass das MCL36-Auto "nicht zu seinem Fahrstil passte".

Das Team schaffte es auch, sich von den Problemen gut zu erholen - insbesondere vom Saisonauftakt in Bahrain, der einen ziemlich düsteren Ausblick auf die Saison hinterließ - auch wenn es am Ende nicht ausreichte, um mit Alpines "wenig, aber oft"-Ansatz für Updates im Kampf um P4 mitzuhalten.

Norris' Leistungen rechtfertigten nur noch mehr den langfristigen Vertrag, den McLaren mit ihm vor der Saison 2022 abgeschlossen hat und der ihn bis Ende 2025 bindet. "Es ist offensichtlich, dass er alles hat, was er braucht, um ein absoluter Topfahrer in diesem Fahrerlager zu werden", sagte der damalige McLaren-Teamchef Andreas Seidl in Abu Dhabi. "Aber um das zu beweisen und zu zeigen, braucht er natürlich auch das Team und das Auto, und das ist unsere Aufgabe, ihm in Zukunft zu geben."

Oscar Piastri der nächste Charles Leclerc?

Während sich Norris an die Eigenheiten des MCL36 gewöhnen konnte, war dies bei seinem Teamkollegen nicht der Fall. Die Kämpfe von Daniel Ricciardo, die letztlich den Weg für seinen Ausstieg aus dem Team ebneten, ein Jahr vor Ablauf seines Vertrags, waren die wichtigste Geschichte der Saison.

Der achtfache Grand-Prix-Sieger und Verantwortliche für den einzigen Rennsieg von McLaren in den letzten zehn Jahren konnte mit dem MCL36 nicht zurechtkommen. Es war eine traurige Geschichte für alle Beteiligten.

Die Entlassung von Ricciardo mag teuer gewesen sein, aber McLaren war der Meinung, dass es langfristig das Beste sei - vor allem, wenn man ein Talent wie Oscar Piastri als seinen Ersatz gewinnen konnte. Nur Charles Leclerc kann Piastris Junior-Karriere das Wasser reichen.


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Der Australier gewann nacheinander Titel im Formel Renault Eurocup, in der Formel 3 und in der Formel 2, bevor er im vergangenen Jahr bei Alpine die Rolle als Reservefahrer einnahm. Die Vertragssaga, die seine Zukunft in Frage stellte, tat der Begeisterung um ihn keinen Abbruch, auch wenn es Angriffe auf seinen Charakter und Vorwürfe mangelnder Loyalität gab.

Aber die Geschichte, die über den üblichen Rahmen der Formel 1 hinauszugehen schien, bedeutet auch, dass er einer der am meisten unter die Lupe genommenen Neulinge sein wird, die die Formel 1 seit langem kennt.

Seidl war jedoch der Meinung, dass es "keinen Grund gibt, warum Oscar bei McLaren nicht eine recht schnelle Entwicklung" durchlaufen und "recht früh" Ergebnisse erzielen kann, und verwies auf das, was Norris erreicht hat. "Wir haben 2019 zum Beispiel mit Lando gesehen, wie schnell es gehen kann", sagte er.

Seidl-Abgang schmerzt McLaren, aber ...

Ricciardos Abgang mag von McLaren als notwendig erachtet worden sein, aber das Gleiche kann man nicht von Seidl sagen, dessen Abgang eher ein Schock war, als er im Dezember bekannt gegeben wurde. Der ehemalige Porsche-LMP1-Chef hatte sich seit seiner Rückkehr in die Formel 1 prächtig entwickelt und dazu beigetragen, McLaren auf den richtigen Weg für die Zukunft zu bringen - doch nun ist er weg.

Ein langfristiger Plan, zu Sauber zu wechseln und Porsche mit der VW-Schwestermarke Audi zu verbinden, wurde vorverlegt, als Ferrari Frederic Vasseur abwarb, sodass Seidl den Schritt in die Rolle des Konzernchefs machen konnte.

Das war zwar ein großer Verlust, aber einer, mit dem McLaren rechnete und für den man bereits Pläne hatte. Brown hatte bereits mit Andrea Stella, McLarens Rennleiter, darüber gesprochen, ob er eines Tages den Chefposten übernehmen könnte, was bedeutet, dass der Italiener die Nachfolge von Seidl antreten könnte, sobald sein Ausscheiden bekannt gegeben wurde.


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Brown sagte im Dezember, er sei froh über diesen Schritt, da er "jeden für die absehbare Zukunft an seinem festen Platz unterbringt". McLaren kann sich nun auf die nächsten Schritte seines Wiederaufbaus konzentrieren, ein Prozess, der schon seit einigen Jahren andauert. Es werden Investitionen getätigt, um einen neuen Windkanal zu bauen und die Infrastruktur in Woking auf den Stand der führenden Formel-1-Teams zu bringen.

Wie 2019 ein erfolgreicher Neuanfang?

Der Wechsel eines Fahrers und eines Teamchefs in der Nebensaison ist für McLaren immer noch eine große Umstellung - aber das ist kein neues Phänomen für das Team. Ein ähnlicher Wechsel fand 2019 statt, dem Jahr, in dem Norris, Seidl und Carlos Sainz neu dazukamen, und es stellte sich als eine äußerst erfolgreiche Saison heraus.

Sie trug dazu bei, McLaren zu erfrischen und einige der letzten Spinnweben der Ära Ron Dennis zu beseitigen, und auch hier war alles darauf ausgerichtet, für die Zukunft zu planen. Stella kennt das Team und verfügt über große Erfahrung in der Formel 1, während Piastris Talent unbestreitbar ist. Das Team sollte in guter Form bleiben.

Aber den Status quo beizubehalten, wäre keine erfolgreiche Saison für McLaren, vor allem wenn Norris' Aktien weiter steigen. Der Kampf im Mittelfeld wird nur noch härter werden, vor allem wenn man bedenkt, wie viel Aston Martin in das Team investiert hat und welchen Aufschwung das britische Team in der zweiten Hälfte des vergangenen Jahres zeigte.

Norris mahnt: Müssen 2023 Fortschritte machen

McLaren muss zeigen, dass man in der Lage ist, die Lücke zum Führungstrio zu schließen, ohne darauf zu warten, dass Elemente wie der Windkanal ihre Wirkung entfalten; es gibt keine Zeit zu verlieren.

"Wir müssen einen besseren Job machen, und das Team muss einen besseren Job machen, ein besseres Auto zu bauen, denn der Job, den wir dieses Jahr mit dem Auto gemacht haben, das wir dieses Jahr hatten, war nicht gut genug", sagte Norris in Abu Dhabi 2022.

"Ich denke, das ist sehr, sehr deutlich gemacht worden. Ich denke also nicht, dass wir warten müssen. Ich denke, dass wir schon nächstes Jahr Fortschritte machen müssen. Und ich habe großes Vertrauen, dass wir gute Fortschritte machen können."

Lando Norris

Lando Norris auf dem Podium in Imola 2022 Zoom

Norris: Habe Zeit, aber will nicht ewig warten

Er machte auch deutlich, dass die Zeit, die er auf seiner Seite hat, nicht Teil seiner Überlegungen ist. "Mein Vertrag läuft noch bis Ende 2025, ich habe also noch viel Zeit", so Norris. "Ich kann es mir leisten zu warten, aber ich will nicht warten. Die Mannschaft weiß, dass sie bessere Arbeit leisten muss."

Dies wird ein wichtiges Jahr für McLaren. Das Team muss die Talfahrt in der Konstrukteurswertung stoppen, ein Auto liefern, das mehr ein Allrounder ist, und Norris wirklich zeigen, dass er langfristig am richtigen Platz ist.

Norris selbst wird zum ersten Mal in seiner Karriere die Rolle des Teamleaders übernehmen, was eine interessante Dynamik an der Seite eines so aufregenden Kandidaten wie Piastri schafft. Der MCL60 ist eine Reminiszenz an McLarens trophäenreiche Vergangenheit. Aber er könnte auch ein entscheidendes Auto dafür sein, welche Art von Ruhm es in Zukunft erlangen kann.