Michelin: Breite Brust aber schmale Pneus für Monza
Mit neuen schmaleren Reifen, die offenbar besser sind als die alten Pneus, reist Michelin zuversichtlich nach Monza
(Motorsport-Total.com) - Es wird Zeit, wieder Rennen zu fahren: Nachdem die offenbar von einem Wettbewerber angestoßene Diskussion um die Messmethode der Reifenbreite die zweite Sommerpause der Formel 1 dominierte, steht nun endlich wieder ein Grand Prix auf dem Plan. Und was für einer: Der Große Preis von Italien in Monza gilt nicht nur als eines der geschichtsträchtigsten Rennen, auch die Gegenwart ist an Dramatik kaum zu überbieten.

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Michelin hat viel Vertrauen in die neuen, schmaleren Reifen
Nur um jeweils einen Zähler getrennt gehen Ferrari-Pilot Michael Schumacher und die Michelin-Titelanwärter Juan-Pablo Montoya und Kimi Räikkönen in den drittletzten Saisonlauf. Der französische Reifenhersteller ist überzeugt, im spannendsten WM-Finale seit fast 20 Jahren mindestens einen Titel zu gewinnen. Nach den erfolgreichen viertägigen Tests auf der norditalienischen Hochgeschwindigkeitsstrecke äußerten mehrere Technikchefs die Ansicht, dass die neuen Reifen-Konstruktionen von Michelin mit schmalerer Lauffläche erneut einen Fortschritt darstellen.
Monza ist der ideale Ort, um sich wieder auf das zu besinnen, worum es in der Formel 1 eigentlich geht: Der letzte verbliebene Highspeed-Kurs im Formel 1-Kalender steht selbst in der modernen Formel 1 für Windschattenduelle und Ausbremsmanöver, für Technik an der Grenze der Physik und für Piloten, die ihre Rennwagen im Low-Downforce-Setup mal von einer ganz anderen Seite kennen lernen.
Vor allem aber steht Monza für Rennsportgeschichte: Mit 52 Großen Preisen fanden hier die meisten Formel 1-Rennen seit 1950 statt. Das Layout der Strecke hat sich über Jahrzehnte kaum verändert und die Steilwände des zwischen 1955 und 1961 mitbenutzten Ovals durchschneiden wie Monumente einer anderen Zeitrechnung die uralten Baumbestände des Königlichen Parks.
Auch die Begeisterung der italienischen Fans ist immer wieder monumental. Zu Hunderttausenden strömen sie Jahr für Jahr nach Monza und verbreiten auch in punkto Lärmkulisse eine Atmosphäre, die jener im "San Siro"-Fußballtempel der 18 Kilometer nordöstlich gelegenen Metropole Mailand in nichts nachsteht.
Dabei gilt Monza unter den Piloten nicht als besonders anspruchsvoll: Die langen Geraden ? zu denen auch die voll genommene "Curva Grande" zählt ? werden von teils engen, teils flüssigen Schikanen unterbrochen. Dennoch stellt eine ideale Runde auf der 5,793 Kilometer langen Strecke mehr dar als eine bloße Abfolge von brutalem Bremsen und vollem Beschleunigen: Die größte Herausforderung besteht darin, bei den extrem geringen Abtriebswerten die Brems- und Einlenkpunkte exakt zu treffen. Die ideale Positionierung der Boliden in den schnellen Kurven wie Lesmo 1 und 2 oder der Parabolica bestimmt maßgeblich die Top-Speeds auf den nachfolgenden Geraden.
Die größte Faszination geht zweifellos von der schieren Geschwindigkeit aus: In Monza fand das schnellste Rennen der Geschichte statt, hier fielen immer wieder die Top-Speed-Rekorde jenseits der 360 km/h. Im Vorjahres-Qualifying markierte BMW-Williams-Pilot Juan-Pablo Montoya mit 259,827 km/h den höchsten je in der Formel 1 gefahrenen Rundenschnitt. Selbst vor dem ersten Rennen etablierte sich der Kurs im Schatten der Alpen als der schnellste: Er wurde 1922 in nur 110 Tagen erbaut.
Da die Grand Prix-Teams in Monza mit sehr geringen Abtriebswerten fahren, um eine möglichst hohe Endgeschwindigkeit zu erzielen, übernehmen die Reifen in den Kurven einen noch höheren Anteil am Grip als üblich. Dabei stehen auch die Piloten vor einer ganz eigenen Aufgabenstellung, die sie so nur noch dort antreffen: "In Budapest, mit der maximalen Downforce, konnten wir die Kurven noch richtig attackieren", erklärt zum Beispiel Renault-Testfahrer Allan McNish, "hier dagegen musst du förmlich mit den Fingerspitzen einlenken und sehr präzise fahren. Es ist ein bisschen so wie bei Regen."
Vor allem stellt der bevorstehende Große Preis von Italien die Nagelprobe für die neue Reifenkonstruktion dar, die die Michelin-Partner bei den viertägigen Monza-Tests in der Vorwoche erprobten. Der Wechsel auf Pneus mit schmalerer Lauffläche war nötig geworden, nachdem die FIA auf Betreiben eines Wettbewerbers angekündigt hatte, die Breite des Profils nach statt vor dem Rennen zu messen. Bei dieser noch undefinierten Messmethode ist allerdings nicht einmal der Begriff "Lauffläche" eindeutig festgelegt. Michelin will deswegen durch die schmaleren Reifen ausschließen, dass die bislang laut Michelin schon reglementskonformen Pneus ? etwa durch Beanspruchungen während des Rennens ? Grund für Proteste liefern.
Absolut essenziell ist in Monza die Fähigkeit, die Kerbs aggressiv zu überfahren. Dafür sind Reifen mit einem guten Federungs- und Dämpfungsverhalten ? mithin eher weichen Flanken ? vorteilhaft. Für die Stabilität beim Herunterbremsen aus bis zu 360 km/h dagegen ist eine eher steife Konstruktion erforderlich. "Ein guter Reifen ist immer ein Kompromiss", betont Michelin Motorsport-Direktor Pierre Dupasuier, "und in Monza gilt dies ganz besonders." Repräsentierte der Monza-Grand-Prix bislang ein klassisches Einstopp-Rennen, so dürfte diese Option wegen der dazu notwendigen Spritladung im Qualifying in diesem Jahr die Ausnahme bleiben.
Bei BMW-Williams überstrahlte die Genesung von Ralf Schumacher nach seinem mehrfachen Überschlag in der Lesmo-Kurve die Testergebnisse. Erstmals seit 17 Monaten reist der Michelin-Partner wieder als Führender der Konstrukteurs-WM an. Für BMW Motorsportdirektor Dr. Mario Theissen lautet damit die Maßgabe eindeutig: "Wir wollen unsere Position auf dem Powerkurs von Monza festigen."
Die positive Überraschung des Testwoche lieferte Michelin-Partner McLaren-Mercedes: An den ersten beiden Testtagen legte David Coulthard jeweils die Bestzeit vor. Erst am dritten und vierten Tag, als die Michelin-Teams Longruns fuhren, mussten sich die Silbernen knapp geschlagen geben. Für den Grand Prix strotzt das Team um den WM-Kandidaten Kimi Räikkönen nun vor Selbstvertrauen.
Das Renault-Team spulte in Monza mehr als 1.000 Testkilometer ab. "Gemeinsam mit Michelin, die nach den anhaltenden Diskussionen grandiose Arbeit verrichteten, liefen auch unsere Reifentests absolut nach Plan", resümiert der Technischer Direktor Mike Gascoyne. "Wir verwenden nun einen schmaleren Vorderreifen, mit dem wir sogar noch bessere Ergebnisse erzielen konnten als mit dem bisherigen Pneu. Zwar erwartet keiner im Team eine Wiederholung von Budapest ? doch auf Kursen, die uns auf dem Papier nicht liegen, sahen wir schon oft besser aus als erwartet."
Regelmäßig ließ Jaguar in den vergangenen Jahren in Monza aufhorchen. An Motorleistung fehlt es den Cosworth-befeuerten Raubkatzen jedenfalls nicht. Die aufstrebende Form des Teams aus Milton Keynes will Teamchef Tony Purnell auch in Italien fortsetzen.
Zwar griffen die drei Piloten von Toyota nicht in den Kampf um die schnellsten Testzeiten ein, Technikchef Gustav Brunner zeigte sich dennoch zufrieden: "Allein die neuen Reifen von Michelin bringen uns einen Vorteil von zwei bis drei Zehntelsekunden", erklärt der Österreicher, für den die rot-weißen Renner beim GP Italien fest auf Punkteränge gebucht sind.

