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  • 19.08.2016 15:58

Mercedes' Datentrick: WLAN im Rückwärtsgang

Verzicht auf Verkabelung bringt Qualifying-Sekunden: Schon während der Silberpfeil zurück an die Box geschoben wird, funkt er die Telemetrie an die Ingenieure

(Motorsport-Total.com) - Daten tragen einen riesigen Teil zur Entwicklung und dem Einsatz von modernen Formel 1-Autos bei - doch die Technik hinter dem Zahlensalat hat eine raketenartige Entwicklung erlebt. Noch vor 30 Jahren steckte die Datenerfassung in den Kinderschuhen: Der erste Rekorder hatte acht Kanäle und konnte nur eine einzige Runde aufzeichnen. Ein Transfer der Daten war nur wenige Sekunden möglich. Deshalb versuchten Teams, bei jeder Vorbeifahrt an der Boxenmauer so viel wie möglich zu sammeln.

Titel-Bild zur News: Nico Rosberg

Hier gibt es WLAN: Mercedes funkt mit spezieller Technik im Bereich der Box Zoom

Heutzutage befinden sich hunderte von Sensoren an dem Antriebsstrang, Getriebe, der Aufhängung und der Karosserie. Sie senden auf tausenden von Kanälen und zeichnen eine komplette Runde auf nahezu allen Strecken im Rennkalender auf. Die Informationen, welche das Team vom Auto erhält, haben sich vertausendfacht. Zum Vergleich: Die Datenrate, die das Team heute alleine von Sensoren am Unterbodens empfängt, ist zehnmal größer als bei den Apollo-Weltraummissionen von 1967 bis 1972.

Hinzu kommt: In der Vergangenheit haben die Teams zwischen den Rennen zwei oder drei Testtage absolviert. Aktuell sind nur acht vor dem Saisonstart und vier während der Saison erlaubt. Das zwingt die Teams, die Rennwochenenden für ihre Entwicklungsprogramme zu nutzen. Die Zeit auf der Rennstrecke wird jetzt nicht mehr nur dazu genutzt, um bei dem jeweiligen Rennen das Beste aus dem Auto herauszuholen. Stattdessen gilt die Aufmerksamkeit in den Freien Trainings auch der Entwicklung.

Daten für Kalibrierung der Simulationen wichtig

Ein Großteil davon wird durch Simulationen vorangetrieben. Die Teams modellieren das Auto in der virtuellen Welt und erstellen danach physische Teile oder Systeme. Um effektiv zu sein, müssen diese Werkzeuge so nah wie möglich an der Realität dran sein. Der einzige Weg, diese Modelle exakt zu kalibrieren, sind Daten von der Rennstrecke. Das Team muss also in einer begrenzten Zeit Daten für zwei verschiedene Verwendungszwecke sammeln. Wie sieht dabei die Herangehensweise aus?

Einige Daten werden mittels eines Hochfrequenz-Telemetrie-Systems in Echtzeit gesendet. Dieses System übermittelt die Daten aus dem fahrenden Auto an die Box. Es sind aber viel mehr Daten vorhanden, als über diesen Weg übermittelt werden können. Die restlichen werden ganz klassisch per Kabel heruntergeladen, sobald das Auto zurück an die Box gefahren ist. Aber selbst diese Vorgehensweise ist problematisch, da Zeit auf der Strecke verloren geht, während das Team auf den Download wartet.


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Mercedes bringt seinen Technischer Partner Qualcomm ins Spiel. Er hat dem Team geholfen, die Streckenzeit zu optimieren. Den Ingenieuren steht eine leistungsstarke kabellose Verbindung zur Verfügung. Mit ihr können sie die Daten, die sehr umfangreich ausfallen können, in der Zeit herunterladen, in der das Auto vor der Box anhält und zurück in die Garage geschoben wird. Der größte spürbare Vorteil ist das Verstehen der Reifen durch ein Infrarot-Kamera-System am neuen Silberpfeil.

Weniger Kabelsalat bedeutet mehr Zeit für die Piloten

Genau genommen ist es die Geschwindigkeit, mit welcher diese Informationen verarbeitet werden können. Früher sah es so aus: Sobald das Auto an die Box kam, musste das Team die Kameras anschließen und binnen weniger Sekunden so viele Daten wie möglich herunterladen. Dann ging das Auto wieder auf die Strecke. Es war einfach nicht genügend Zeit, um den kompletten Datensatz während einer Session zu transferieren. So verlor das Team den Vorteil einer Echtzeitübermittlung der Daten.

Die Funk-Technologie erlaubt es, diese Informationen viel schneller auszulesen. So lange das Auto rückwärts in die Box geschoben wird, empfangen die Ingenieure alles kabellos. Der Prozessor an Bord des Autos ermöglicht nicht nur schnellere Datentransferraten an der Box. Ebenso ist es möglich, Informationen mittels des Telemetrie-Systems live an die Box zu streamen. So können die Ingenieure sehen, was der Fahrer in einer Kurve macht, bevor er die nächste überhaupt erreicht hat.

Nico Rosberg

Mehr Konzentration auf das Wesentliche: Schneller Datentransfer bringt Leistung Zoom

Dank dieser Informationen befindet sich das Team in einer besseren Position, um das Fahrzeugsetup zu optimieren. Auch kann es den Fahrer zu Beginn jedes Versuchs mit mehr Informationen versorgen. "Wenn ich daran denke, dass uns zwischen den Versuchen im Qualifying weniger als eineinhalb Minuten bleiben, und es 20 Sekunden dauert, das Auto in die Box zu schieben und zu verkabeln: Da bleibt ein Viertel mehr Zeit", erklärt Mercedes-Pilot Nico Rosberg. Dadurch muss der Pilot die Fahrzeugbalance während einer Runde weniger häufig verstellen. So kann er sich mehr darauf konzentrieren, alles aus dem Auto herauszuholen.