McLaren greift an, aber Alonso zieht davon

Einige Experten glauben, dass Fernando Alonso kaum noch einzuholen ist, aber McLaren ist dank der Updates optimistisch und Sebastian Vettel gibt sowieso nie auf

(Motorsport-Total.com) - Halbzeit in der Formel-1-Weltmeisterschaft 2012 - und wer hätte noch vor vier Monaten gedacht, dass Fernando Alonso zu diesem Zeitpunkt mit mehr als einem Sieg (genauer gesagt mit 34 Punkten) Vorsprung führen würde? Am wenigsten wohl das Ferrari-Team selbst, denn in Maranello bereitete Luca di Montezemolo schon das große Köpferollen vor, bis wie aus dem Nichts Sepang passierte.

Titel-Bild zur News: Fernando Alonso vor Jenson Button

Für Jenson Button reichte es gestern nicht, um Fernando Alonso anzugreifen

Dort gewann Alonso mit einem unterlegenen Auto unter Mithilfe des Wettergotts, führte plötzlich die WM an - und witterte, dass er die Saison vielleicht doch noch nicht abschreiben muss. Während sich die Konkurrenten mit besserem Material gegenseitig Punkte wegnahmen und Fehler machten, gab sich der Spanier mit der Rolle des Punkte-Eichhörnchens zufrieden, holte fast immer das Maximum raus (das noch dazu immer punkteträchtiger wurde) und begann beim emotionalen Heimspiel in Valencia auf einmal aus eigener Kraft zu siegen.

Jetzt fragt niemand mehr, wie lange die Glückswelle von Ferrari noch andauert, sondern vielen dämmert schon: Wer soll Alonso in seiner derzeitigen Überform schlagen? Sogar der 30-Jährige selbst wirkt inzwischen optimistisch: "Wir haben jetzt Saison-Halbzeit, und ich denke, wir haben uns ganz gut gefangen, wenn man bedenkt, wo wir beim ersten Test in Jerez standen, als wir zwei Sekunden hinter der Spitze waren. In Australien waren es 1,6 Sekunden in Q2, daher sind wir sehr zufrieden mit den Punkten, die wir in der ersten Saisonhälfte erreicht haben."

Alonso: Nur keine Ausfälle

"Aber das bedeutet noch gar nichts. Es folgen noch zehn Rennen und wir müssen unser Auto weiter verbessern. Wir müssen konstant sein und alle Rennen beenden. Es gibt immer zwei oder drei Fahrer, die wegen technischer Probleme oder Unfällen ausscheiden. Diese Probleme müssen wir vermeiden", weiß Alonso, der sein Credo aus der vom Verlauf her durchaus ähnlichen Saison 2010 wieder ausgepackt hat: immer ins Ziel kommen, so oft es geht auf das Podium fahren - und wenn möglich dann und wann gewinnen.

Seine ersten Verfolger sind momentan Mark Webber (34 Punkte Rückstand) und Sebastian Vettel (44). Kimi Räikkönen (56) müsste langsam zu gewinnen anfangen, um noch realistische Titelchancen zu haben, aber der Geheimfavorit ist nach Hockenheim für viele Lewis Hamilton. Derzeitiger Rückstand: 62 Zähler. Das sind umgerechnet immerhin zwei ganze Siege und ein vierter Platz, aber das Hockenheim-Update von McLaren hat voll eingeschlagen, auch wenn das aufgrund des wechselhaften Wochenend-Wetters nur bedingt aufgezeigt werden konnte.

Aufgegeben hat McLaren jedenfalls noch nicht. Ganz im Gegenteil: Sam Michael kündigt schon die nächsten großen Schritte an. "Wir werden sowohl in Ungarn als auch in Spa weitere neue Teile dabei haben", verrät der von Williams verpflichtete Sportdirektor. "Für Monza haben wir ein eigenes Teilepaket vorgesehen, das wir nur dort einsetzen werden. Für Singapur im Anschluss haben wir ein weiteres Upgrade vorgesehen. Wir werden also bei den kommenden Rennen jeweils mit neuen Teilen antreten."


Fotos: Großer Preis von Deutschland, Sonntag


"Für uns geht es jetzt darum, in Budapest beide Autos in die erste Reihe zu stellen und den Grand Prix zu gewinnen. Unser Ziel ist nach wie vor der Gewinn der Weltmeisterschaft", stellt Michael klar. "Gegenwärtig liegen wir etwas zurück, aber wir werden sehr schnell aufholen. Alonso wird aber ganz sicher ein harter Gegner sein." Auch Teamchef Martin Whitmarsh hat die Hoffnung noch nicht aufgegeben: "Die Hälfte der Saison ist um und uns stehen noch eine Menge Rennen bevor. Sowohl Lewis als auch Jenson haben noch alle Chancen."

Whitmarsh rechnet mit WM-Showdown

"Ich bin überzeugt, dass wir in diesem Jahr bis zu den letzten Runden in Brasilien gebannt vor dem Fernseher sitzen werden. Ich hoffe, dass ich in diesen letzten Runden Höllenqualen leiden werde, denn das würde bedeuten, dass wir eine Chance auf den Gewinn der Weltmeisterschaft haben", lächelt er. Das Auto sei "im Moment" gut genug, um ernsthaft im Titelkampf mitzumischen, aber Whitmarsh weiß genau: "Der aktuelle Stand der Entwicklung wird nicht ausreichen, um in Brasilien ein Wörtchen mitzureden. Wir müssen die Entwicklung weiter vorantreiben."

Als Indiz dafür, wie stark McLaren nun wieder ist, wertet Experte Marc Surer die gestern vorexerzierte Wiederauferstehung von Auftaktsieger Jenson Button: "Er hatte in den vorherigen Rennen Probleme, hat die Reifen nicht auf Temperatur gebracht, hat über blockierende Vorderräder gejammert - und plötzlich geht das Auto wieder. Es sind vor allem neue Seitenteile, die sie eingebaut haben, die wohl mehr Anpressdruck erzeugen. Und das ist das Entscheidende."

Lewis Hamilton

McLarens Fazit nach Hockenheim: Punkte verloren, aber Speed gefunden Zoom

Denn: "Wenn ein Auto besser auf den Boden gepresst wird, werden die Reifen warm, das Auto hat mehr Haftung in der Kurve und alles geht plötzlich viel einfacher", erläutert der 82-fache Grand-Prix-Teilnehmer, der fest davon überzeugt ist, dass Button gestern den Speed hatte, um das Rennen zu gewinnen: "Ich glaube, er hat das Rennen gegen Alonso nur verloren, weil er sich den Bremsplatten eingefahren hat. Der hat sicher vibriert, dadurch hat er ein bisschen Haftung auf dem rechten Vorderrad verloren."

Wurz glaubt schon an Vorentscheidung

Daher glaubt Whitmarsh: "Ferrari und Fernando leisten derzeit großartige Arbeit. Für uns ist aber noch alles drin. Wir sind Kämpfer und gehen die Sache Rennen für Rennen an. Wir wollen das Blatt noch zu unseren Gunsten wenden", so der 54-jährige Brite, dem auch Alonsos großer Punktevorsprung kein Kopfzerbrechen bereitet: "Statistiken werden geschrieben und nicht durch die Vergangenheit bestimmt. Nach Melbourne hätte man leicht sagen können, dass wir einen Lauf haben und Ferrari Probleme hat. Ich kann ihnen nur gratulieren, dass sie das Blatt wenden konnten."

Nachsatz: "Es kann sich aber ebenso schnell wieder zu unseren Gunsten drehen." Alexander Wurz vermutet jedoch, dass es "schwierig" wird, Alonso noch vom Thron zu stürzen, es aber durchaus "möglich" sei: "Sie haben mit dem Auto aufgeholt, haben eine gute Stimmung, haben Alonso, der im Augenblick in Überform ist - und vor allem gibt es weniger Überraschungseffekt. Das heißt, das Punkte wegnehmen an einem schlechten Tag für Ferrari fällt nicht mehr so stark aus wie noch zu Saisonbeginn. Insofern ist der Punktevorsprung, den Alonso jetzt hat, sicherlich sehr viel wert - und eine kleine Vorentscheidung in der WM."

So etwas will Vettel natürlich nicht hören. Der zweimalige Weltmeister hatte bei der Zieldurchfahrt 36 Punkte Rückstand, nach der Ergebniskorrektur am Grünen Tisch 44. "Fernando hat heute ein paar Punkte mehr gesammelt als wir, aber es ist noch ein langer Weg und der Abstand ist nicht zu groß. Es ist eine lange Saison", meinte er noch vor der Entscheidung der FIA-Kommissare. "Wir müssen auf uns selbst schauen und hungrig sein, ständig angreifen. Es ist nicht so, dass wir 150 Punkte Vorsprung hätten. Wir müssen weiter Druck machen, hart arbeiten und sicherstellen, dass wir besser in Form kommen."

"Überlegt nur, wie viele Punkte es noch zu holen gibt! Zehn Rennen, das sind 250 Punkte - gerade mal zehn Prozent, die er vorne liegt", rechnet der Red-Bull-Pilot vor. "Ich weiß nicht. Ein Rennen, wo einer 25 Punkte holt und der andere ein Problem hat und leer ausgeht, dann sieht es schon wieder ganz anders aus. Es ist genau wie vor zwei Jahren, denn mit einem Sieg kann man heutzutage viele Punkte holen. Da sehen die Abstände oft ziemlich groß aus. Wir haben alles gegeben. Manchmal war es gut, manchmal weniger, da haben wir Punkte verloren. So ist das Leben."