powered by Motorsport.com
  • 22.07.2012 21:46

  • von Armin Gastl

Wurz: "Du darfst dich natürlich zurückrunden"

Der gelernte FIA-Rennkommissar Alexander Wurz erklärt, warum die Strafe gegen Sebastian Vettel völlig korrekt ist, und spricht Lewis Hamilton von jeder Schuld frei

(Motorsport-Total.com) - Als ehemaliger Grand-Prix-Pilot, Fahrermentor des Williams-Teams, TV-Experte an der Seite von Kollege Ernst Hausleitner vom 'ORF' und vor allem gelernter FIA-Rennkommissar ist Alexander Wurz bestens geschult, um die strittigen Szenen des heutigen Grand Prix von Deutschland zu beurteilen. Und in seinen Augen steht fest: Die Strafe gegen Sebastian Vettel geht völlig in Ordnung, Lewis Hamilton hat nichts falsch gemacht, als er sich zurückrundete - und Fernando Alonso ist als erster Dreifach-Sieger der Saison nun auch Favorit auf den Gewinn der Weltmeisterschaft.

Titel-Bild zur News: Alexander Wurz

Alexander Wurz hat einen glasklaren Blick auf strittige Situationen in Hockenheim

Frage: "Alexander, wurde Sebastian Vettel in deinen Augen zurecht bestraft?"
Alexander Wurz: "Ich kenne die Beweislast gegen Sebastian nicht, aber die Stewards haben sich sicherlich die Daten angeschaut. Man hat Zugriff auf GPS-Daten, auch auf die Daten des Autos. Wenn es einen Vorteil gegeben hat, dann ist die Strafe gerechtfertigt. Davon gehen wird aus."

Frage: "Du hast gleich im Live-TV-Kommentar gesagt, dass er mit allen vier Rädern neben der Streckenbegrenzung war und dadurch einen Vorteil hatte, dass das nicht gutgehen kann..."
Wurz: "Naja, es kann gutgehen, wenn du dir keinen Vorteil verschafft hast. Das Reglement ist ganz spezifisch: Verlassen der Strecke mit vier Rädern, also über die weiße Linie drüberfahren, ist okay, wenn du keinen Vorteil hast. Wenn du einen Vorteil hast, ist es nicht okay. Dann müsstest du dich zurückfallen lassen, auf deinen Vorteil verzichten. Das hat er nicht gemacht, und deswegen muss man mit der Strafe rechnen."

Frage: "Das ist natürlich nicht alleine seine Entscheidung. Der Mann sitzt da im Cockpit und hat alle Hände und Füße voll zu tun, aber hätte man ihn unter Umständen von der Boxenmauer steuern können? Hätten die ihm sagen können: 'Das war nicht ordnungsgemäß, lass dich lieber wieder um einen Platz zurückfallen, denn dann bist du zumindest Dritter statt Fünfter!'"
Wurz: "Ja, aber deine Frage hat schon 30 Sekunden gedauert. In 30 Sekunden ist das Auto schon bei Start und Ziel vorbei. Die Entscheidung geht so schnell leider nicht vonstatten. Wenn man hoch pokert, muss man auch mit dem Verlust rechnen. Sebastian hat's probiert, aber jetzt wurde er bestraft. Das ist so. Dem muss man sich fügen, das muss man akzeptieren."

Frage: "Eine zweite Szene möchte ich noch ansprechen, nämlich Sebastian Vettel wild gestikulierend gegen Lewis Hamilton, der sich zurückgerundet hat - gegen Vettel, aber nicht gegen Fernando Alonso. Da hat es keine Anzeige gegeben."
Wurz: "Nein, nur ein paar Handzeichen. Aber das ist im Reglement verankert: Du darfst dich natürlich zurückrunden. Es heißt ja nicht, dass man, wenn man einmal überrundet ist, zum Rennfahren aufhören muss. Es war natürlich ein bisschen spannend, dass er sich nur bei Vettel zurückgerundet hat, aber dann sind ihm die Reifen ausgegangen. Das ist der Grund, warum er Alonso nicht schlucken konnte."

Frage: "Sebastian Vettel hat jetzt bei WM-Halbzeit 44 Punkte Rückstand auf Fernando Alonso. Das ist gegen den Spanier in Überform schwierig, oder?"
Wurz: "Schwierige Geschichte, nicht unmöglich. Wir haben gesehen: Die Formel 1 dreht sich um. Aber was spricht für Ferrari? Sie haben mit dem Auto aufgeholt, haben eine gute Stimmung, haben Alonso, der im Augenblick in Überform ist - und vor allem gibt es weniger Überraschungseffekt. Das heißt, das Punkte wegnehmen an einem schlechten Tag für Ferrari fällt nicht mehr so stark aus wie noch zu Saisonbeginn. Insofern ist der Punktevorsprung, den Alonso jetzt hat, sicherlich sehr viel wert - und eine kleine Vorentscheidung in der WM."


Fotos: Großer Preis von Deutschland, Sonntag