powered by Motorsport.com
  • 16.10.2008 16:13

  • von Dieter Rencken

Massa: "Michael war mein Professor!"

Felipe Massa im ausführlichen Interview: Was er alles von Michael Schumacher gelernt hat und was ihn mit seinem WM-Rivalen Robert Kubica verbindet

(Motorsport-Total.com) - Es ist ein Unterschied wie Tag und Nacht: Als Felipe Massa 2002 auf Sauber in die Formel 1 kam, war er ein Rohdiamant, aber vor allem war er ungeschliffen. Schnell, wild, verbissen, brasilianisch - so konnte man ihn damals am ehesten beschreiben. Der Felipe Massa von 2008 ist ganz anders - und ist zwei Rennen vor Schluss immer noch mittendrin im WM-Rennen.

Titel-Bild zur News: Michael Schumacher und Felipe Massa

Der Lehrer und sein bester Schüler: Michael Schumacher mit Felipe Massa

Irgendwann dazwischen war er ein Jahr lang Testfahrer bei Ferrari, was viele schon wieder vergessen haben. Und dann war da natürlich auch das Jahr 2006, die erste Grand-Prix-Saison im Zeichen des Cavallino Rampante, in der er drei Siege einfahren konnte. Massas Teamkollege damals: ein gewisser Michael Schumacher. Über den siebenfachen Weltmeister und über vieles mehr sprach der WM-Anwärter heute in Shanghai in entspannter Atmosphäre am Tisch mit 'Motorsport-Total.com'.#w1#

Gleiche Einstellung wie vor Fuji

Frage: "Felipe, wie siehst du das Rennen in Japan im Nachhinein?"
Felipe Massa: "Wir liegen in der Weltmeisterschaft immer noch hinten. Am Gefühl hat sich nichts geändert: Wir müssen den Rückstand wettmachen!"

Frage: "Bei fünf Punkten Rückstand musst du in zwei Rennen durchschnittlich 2,5 Punkte aufholen. Vor Fuji war dieser Durchschnitt noch günstiger für dich. Hast du das Gefühl, dass du jetzt schlechter dran bist als vor Fuji?"
Massa: "Schwer zu sagen. Der Rückstand war schon einmal viel größer, dann war er ganz weg, dann waren es sieben Punkte. Das kann sich schnell ändern. Ob der Durchschnitt, den ich aufholen muss, jetzt bei 2,5 liegt oder darunter, das spielt meiner Meinung nach keine Rolle. Wichtig ist, dass wir aufholen. Nach dem Rennen in Interlagos muss ich vorne liegen, nur darauf kommt es an. Ich werde jetzt nicht meine Herangehensweise ändern, nur weil der Durchschnitt, den ich aufholen muss, größer geworden ist."

"Nach dem Rennen in Interlagos muss ich vorne liegen, nur darauf kommt es an." Felipe Massa

Frage: "Ich habe gehört, dass du deinen WM-Rivalen Robert Kubica schon sehr lange kennst..."
Massa: "Das stimmt. Ich habe vor vielen Jahren das Formel-3-Auto des Prema-Teams getestet, während Robert den Prema-Formel-Renault testen durfte. Wir waren vier Formel-3- und vier Formel-Renault-Fahrer. Robert war am langsamsten - um 1,5 Sekunden! Also haben sie ihn nicht für die Toyota-Formel-1-Förderung genommen, sondern Ryan Briscoe und Franck Perera, und mich auch nicht, weil mein Manager wollte, dass ich in die Formel 3000 gehe. Im Nachhinein betrachtet haben die sich wohl ziemlich in den Arsch gebissen, denn heute fahren Robert und ich um den Titel!"

Frage: "Als du in die Formel 1 gekommen bist, hattest du eine Reputation als sehr wilder Fahrer. Jetzt hast du zwei Rennen vor Schluss noch WM-Chancen - du bist offensichtlich konstanter geworden. Was hat sich geändert?"
Massa: "Diesen Ruf hatte ich wegen meines ersten Jahres in der Formel 1. Da war ich ein bisschen wild, das stimmt, aber der Sauber war auch sehr schwierig zu fahren und ich war noch sehr jung - vielleicht zu jung, um gleich ins kalte Wasser geschmissen zu werden."

Jahr eins nach Räikkönen

"Außerdem waren die Voraussetzungen schwierig. Sauber hatte 2001 mit Kimi (Räikkönen) und Nick (Heidfeld; Anm. d. Red.) sein bestes Jahr erlebt. Die Erwartungen waren hoch - alle wollten, dass ich die gleichen Resultate erreiche wie Kimi. Das Auto war aber nicht mehr so gut wie im Jahr davor. Dann habe ich es sicherlich manchmal übertrieben, weil ich zu viel wollte. Ich fuhr einige gute und auch einige schlechte Rennen, aber es waren gute Resultate und ziemlich viele Punkte dabei. Aber für mein Image war die Saison nicht gut. Ich habe lange gebraucht, um den Ruf als wilder Fahrer loszuwerden. Zum Glück ist es mir gelungen."

Frage: "Wie wichtig war dein Jahr als Ferrari-Testfahrer?"
Massa: "Das war der Beginn dieser Entwicklung. Da habe ich die Formel 1 von Grund auf gelernt. Von da an wurde es einfacher."

"Da habe ich die Formel 1 von Grund auf gelernt." Felipe Massa

Frage: "Du hast einmal gesagt, dieses Jahr war wie ein Universitätslehrgang für dich..."
Massa: "Ja, das stimmt. So war es auch."

Frage: "Weil dein erstes Jahr in der Formel 1 nicht so toll war, sehen dich die Leute heute weniger als Supertalent als zum Beispiel Lewis Hamilton oder Robert Kubica. Tut das weh?"
Massa: "Nein, im Gegenteil: Wenn du den Leuten etwas beweisen kannst, was sie nicht glauben wollen, dann ist die Befriedigung noch größer! Ich bin mir sicher, dass mich die Leute heute mit anderen Augen sehen würden, wenn ich als Ferrari-Testfahrer und nicht bei Sauber in die Formel 1 eingestiegen wäre. Dieses schlechte erste Jahr hängt mir immer noch nach."

Frage: "Du hattest und hast ein sehr gutes Verhältnis zu Michael Schumacher, schon seit ihr gemeinsam für Ferrari gefahren seid. Wie viel hast du von ihm gelernt?"
Massa: "Michael war für mich wie der Professor an der Uni, um dieses Beispiel noch einmal zu strapazieren. Ich habe eine Menge von ihm gelernt - über die Arbeit mit dem Team, darüber, wie man eine Führungsfigur wird. Das ist ungemein wichtig."

No more Mr. Nice Guy

"Die Mechaniker arbeiten gerne für einen netten Kerl, aber am besten sind sie, wenn sie für jemanden arbeiten, der Eier hat und ihnen sagt, wo es lang geht. Du musst ihnen genau sagen, was du willst, und du musst sie in allen Bereichen pushen. So kann man sich Respekt erarbeiten - und da hat mir Michael sehr geholfen. Ich habe 2006 nicht versucht, mehr als Michael zu sein, sondern ich habe versucht, so viel wie möglich von ihm zu lernen. Heute profitiere ich davon."

Frage: "Hilft er dir auch heute noch?"
Massa: "Klar. Manchmal geht es nicht, weil er nicht zu allen Rennen kommt. Er ist nicht derjenige, der mir sagt, dass ich meinen Stoßdämpfer weicher einstellen soll - das spüre ich auch selbst. Aber wenn es um die Strategie oder um ähnliche Dinge geht, dann ist es schön, wenn man mit einem erfahrenen Piloten wie ihm sprechen kann."

Felipe Massa

Felipe Massa hat zwei Rennen vor Schluss noch Chancen auf den WM-Titel Zoom

Frage: "Du bist in deiner gesamten Karriere bisher nur Ferrari-Motoren gefahren. Woher kommt diese spezielle Verbindung?"
Massa: "Ich war schon Teil der Ferrari-Familie, bevor ich in die Formel 1 gekommen bin. Ferrari hat mir auch zum Test bei Sauber verholfen. Nach dem Gewinn der Formel Renault habe ich mich mit Jean Todt getroffen. Das hat ein Freund für mich eingefädelt. Jean hat dann gesagt: 'Ich habe noch nichts von dir gehört, aber wenn du die Formel-3000-Meisterschaft gewinnst, treffen wir uns wieder!' Ich wurde Meister, traf mich wieder mit ihm - und da haben wir dann einen langfristigen Vertrag von 2002 bis 2008 gemacht. Natürlich sind die Konditionen heute aber ganz anders als die, die wir damals ausgehandelt haben (lacht; Anm. d. Red.)!"

Frage: "Es ist - deinen eigenen Sieg 2006 einmal ausgenommen - ewig her, dass ein Brasilianer seinen Heim-Grand-Prix gewonnen hat..."
Massa: "Das wäre natürlich eine große Sache! Es ist aber auch eine große Sache, dass ich um den WM-Titel fahre. Allerdings müssen wir jetzt erst einmal hier in Shanghai gut abschneiden, dann kann ich an Interlagos denken. Aber ein Finalrennen vor eigenem Publikum, das wäre schon klasse."

Ein Teamplayer wie aus dem Bilderbuch

Frage: "Wie war es für dich, als du im Vorjahr dein Heimrennen wegen der Weltmeisterschaft von Kimi Räikkönen nicht gewinnen durftest?"
Massa: "Gar nicht so schlimm. Ich hatte ja 2006 schon gewonnen, daher konnte ich mich damit abfinden. Außerdem hatte ich keine Chance auf den Titel. Und die Möglichkeit, das Rennen zu gewinnen, bestand ja, denn vor dem Wochenende hatte Kimi kaum noch eine Chance! Das entwickelte sich erst im Rennen. Es war einfach klasse, als Team einen so guten Job zu machen und mit Ferrari beide Weltmeisterschaften zu gewinnen. Bei meinem Verhältnis zu Ferrari erschien es mir ganz natürlich, auf diese Weise zu helfen."

Frage: "Hast du dich verändert, seit du in die Formel 1 gekommen bist?"
Massa: "Ich glaube nicht. Ich interessiere mich für die gleichen Dinge wie vorher und ich habe die gleichen Freunde. Vielleicht habe ich mich höchstens ein bisschen geändert, denn wenn du als ganz bodenständiger und einfach gestrickter Typ in die Formel 1 kommst, dann wirst du hier zerfleischt. Die Formel-1-Welt ist so knallhart, da musst du auf alles vorbereitet sein - vor allem abseits der Strecke. Ein bisschen muss man sich also verändern, einen Schutzmechanismus aufbauen, aber das ist alles."

"Wenn du als ganz einfach gestrickter Typ in die Formel 1 kommst, wirst du zerfleischt." Felipe Massa

Frage: "Du wirkst noch entspannter, seit Rob Smedley dein Renningenieur ist..."
Massa: "Das stimmt. Wir haben einen sehr guten Draht. Die Geschichte dazu ist auch nett: Anfangs war Gabriele Delli Colli, der davor mit Rubens (Barrichello; Anm. d. Red.) gearbeitet hat, mein Renningenieur. Das hat nicht funktioniert, denn Gabriele war ein sehr guter Ingenieur, aber ein sehr emotioneller Typ. Ich fühlte mich mit ihm einfach nicht wohl. Vielleicht lag es daran, dass ich Latino bin und er auch. Jedenfalls hat es mit Rob vom ersten Moment an funktioniert. Er ist sehr offen, gar nicht englisch, sondern fast ein bisschen wie ein Latino, aber gleichzeitig sehr organisiert. Wir haben den perfekten Draht."

Ferraris heilige Kühe: Der Fahrer und das Essen

Frage: "Man hat das Gefühl, dass sich Ferrari besonders um seine Fahrer kümmert. Empfindest du das auch so?"
Massa: "Ja. Es gibt kein anderes Team, bei dem das Auto und der Fahrer - vielleicht noch das Essen (grinst; Anm. d. Red.) - am wichtigsten sind. Natürlich müssen wir auch unsere PR-Termine machen, aber das ist alles sehr gut durchorganisiert. Dadurch wird es nicht zur Belastung. Wenn du neu zu Ferrari kommst, spürst du sofort, dass sich die Leute um dich mehr als um alle anderen kümmern. Dann fühlst du dich noch wohler, um deinen Job so gut wie möglich zu machen. Du musst dich im Team wohl fühlen, um Höchstleistungen bringen zu können. Das ist nicht bei allen Teams selbstverständlich."

Frage: "Stimmt es, dass du früher als Pizzajunge die Teams in Interlagos beliefert hast?"
Massa: "Es ist schon witzig: Diese Geschichte habe ich einmal erzählt - und jedes Mal, wenn ich sie wieder höre, ist sie ganz anders! Also: Mein früherer Manager hatte in São Paulo ein Restaurant. Er machte 1999 das Catering für Benetton. Ich wollte natürlich unbedingt einen Fahrerlagerpass haben. Da hat er gesagt, das geht okay, aber nur wenn ich das Essen zu Benetton bringe. Also habe ich das getan. Ich war damals 17 Jahre alt."

"Diese Geschichte habe ich einmal erzählt - und jedes Mal, wenn ich sie wieder höre, ist sie ganz anders!" Felipe Massa

"Das Witzige ist: Unser Ferrari-Koch Felice war damals bei Benetton. Ich habe zu ihm gesagt: 'Eines Tages sehen wir uns in der Formel 1 wieder!' Und so ist es tatsächlich gekommen. Ich habe ihn irgendwann darauf angesprochen, aber er konnte sich nicht daran erinnern. Wir wurden aufgrund dieser Geschichte schon zu meiner Sauber-Zeit Freunde - und heute sind wir gemeinsam bei Ferrari."