• 22.08.2002 09:40

  • von Fabian Hust

Marc Surer: "Montoya wird überbewertet"

In Teil 1 der Exklusiv-Interviewreihe mit Surer dreht sich alles um Ferrari und die Aufholjagd von Williams und McLaren

(Motorsport-Total.com) - Marc Surer kann auf eine erfolgreiche Motorsport-Karriere zurückblicken: 1972 wurde er Kart-Schweizer-Meister in der Kategorie B. 1979 gewann er die Formel-2-Europameisterschaft, um 1980 in die Formel 1 zu wechseln. Dort fuhr er meistens für kleine Teams, unter anderem für Arrows. Seine besten Ergebnisse in 82 Rennen in der höchsten Motorsportklasse waren ein vierter Platz und schnellste Runde in Rio (1981) sowie ein ebenfalls vierter Platz in Monza (1985).

Titel-Bild zur News: Marc Surer

Marc Surer ist heute Formel-1-Experte bei Premiere

Weitere Erfolge hatte er in anderen Kategorien. So gewann er 1985 die 24h von Spa und die 1.000 Kilometer von Monza. Nach einem schweren Unfall bei der Hessen Rallye trat er 1987 vom aktiven Rennsport zurück. Heute ist der 50-Jährige hauptberuflich geschätzter Formel-1-Kommentator bei 'Premiere', Moderator der Sendung 'Motorshow' auf 'SF2' und Chef-Instruktor von Fahrsicherheitstrainings.

Im ausführlichen Fachgespräch mit F1Total.com-Chefredakteur Fabian Hust spricht der Schweizer über die Dominanz von Ferrari, die Aufholjagd von Williams und McLaren, das Duell der Reifenhersteller, junge Talente, die Schweiz und die Formel 1 sowie die wirtschaftlichen Probleme in der Königsklasse des Motorsports. Das umfangreiche Interview präsentieren wir Ihnen in vier Teilen.

"Nach dem Debütrennen des F2002 in Brasilien habe ich gedacht 'Oje!'..."

Frage: "Michael Schumacher hat in diesem Jahr zum dritten Mal in Folge den Titel gewonnen, Ferrari sogar zum vierten Mal in Folge den Konstrukteurstitel. Zu welchem Zeitpunkt der Saison hätten sie darauf gewettet, dass die Saison so ausgeht?"
Marc Surer: "Nachdem das neue Auto funktioniert hat. Nach dem Debütrennen des F2002 in Brasilien habe ich gedacht 'Oje!'?"

Frage: "Hat es sie überrascht, dass es Ferrari gelungen ist, über den Winter von dem schon beeindruckenden F2001 einen so großen Entwicklungssprung auf den F2002 zu machen?"
Surer: "Ja, denn das alte Auto war ja schon sehr gut. Doch ihr neues Konzept mit dem niedrigen und kompakten Heck und dem kleinen Getriebe klang für mich schon von Anfang an sehr logisch. Das ist die Basis für eine gute Aerodynamik und diese ist in der heutigen Formel 1 sehr wichtig. Somit musste es eigentlich funktionieren."

"Spielchen, um die Konkurrenz fertig zu machen"

Frage: "Rory Byrne meinte unlängst, dass der Schritt von der Saison 2002 auf das kommende Jahr größer sein wird als jener vom F2001 auf den aktuellen F2002. Glauben sie, dass das angesichts des komplett stabilen Reglements überhaupt möglich ist?"
Surer: "Nein, das glaube ich nicht. Meiner Meinung nach sind das diese typischen Spielchen, um die Konkurrenz fertig zu machen. Vielleicht lassen sich die Gegner so dazu hinreißen, etwas völlig Neues zu entwickeln und dabei den Boden unter den Füßen zu verlieren. Ich kann mir das nur schwer vorstellen."

Frage: "Der F2002 ist so extrem gebaut, dass in Brasilien gleich reihenweise Teamchefs und Designer sich fast ehrfürchtig das Auto aus der Nähe anschauten. Was hat sie besonders an diesem Auto beeindruckt?"
Surer: "Die Heckpartie ist eigentlich der Schlüssel zum Erfolg. Beeindruckt hat mich, dass das Auto auf jeder Strecke funktioniert."

"Nur noch kleine Schritte möglich"

Frage: "In welchen Bereichen kann Ferrari ihrer Meinung nach im Hinblick auf die kommende Saison am meisten zulegen?"
Surer: "Nur im Detail, denn die Basis stimmt. Sie haben ein leichteres Heck und damit eine bessere Gewichtsverteilung als andere Autos. Man kann jetzt zum Beispiel noch den Schwerpunkt senken, da ist man ja mit der Entwicklung des flacheren Motors bereits dran. Das sind aber nur noch kleine Schritte."

"Der F2002 ist einfach zu fahren"

Frage: "Man hat nicht den Eindruck, dass Michael Schumachers fahrerische Qualitäten nachgelassen haben, warum kann Rubens Barrichello jedoch in dieser Saison so gut mit Michael mithalten wie noch kein Fahrer zuvor?"
Surer: "Weil das Auto so gut ist, das ist im Prinzip einfach zu fahren. Man sieht das ja immer wieder, wenn das Auto gut ist, können plötzlich beide Teamkollegen schnell fahren und wenn es mal Probleme gibt, ist dann wiederum der eine Fahrer schneller als der andere, man kann das also auch bei anderen Teams beobachten. Ein besserer Fahrer kann sich immer mit einem schlechteren Auto besser in Szene setzen."

Frage: "Glauben sie, dass Barrichello mit ein wenig Glück an der Seite von Schumacher Weltmeister werden kann?"
Surer: "(lacht) Im Prinzip braucht der Michael das Pech eines Rubens Barrichellos, damit Rubens Weltmeister werden kann. Wenn er so oft ausgefallen wäre, dann würde es ganz anders aussehen."

"Williams hat das Auto zu wenig entwickelt"

Frage: "Bei BMW-Williams hat Chefaerodynamiker Geoff Willis diese Saison das Team verlassen, BMW glaubt, einen WM-tauglichen Motor zu haben und kritisiert die Arbeit von Williams, Gerhard Berger denkt an Rücktritt ? ist das nicht ein bisschen zu viel Unruhe für ein Team, das um den WM-Titel fahren möchte?"
Surer: "Man muss es vielleicht einmal so betrachten: Williams hat Anfang des Jahres auf Nummer Sicher gebaut. Mit anderen Worten, sie haben ein problemlos funktionierendes Auto gebaut. Sie wurden einfach von der Tatsache überrascht, welch gutes Auto Ferrari gebaut hat. Grundsätzlich haben sie das Richtige gemacht."

"Ich muss dazu ein wenig ausholen ? letztes Jahr hatte Williams den besten Motor und den besten Reifen. Also haben sie gesagt, wir brauchen kein kompliziertes Auto, wie es Benetton oder auch andere Teams schon gebaut haben, mit dem man sich verzettelt und das schwer abzustimmen ist, denn wir haben ja die guten Komponenten Motor und Reifen. Es hat ja auch funktioniert, denn gegenüber McLaren-Mercedes sind sie ja in dieser Beziehung deutlich besser gewesen, zumindest Anfang des Jahres. Nun sind sie durch den gut gehenden Ferrari überrascht worden, ansonsten wäre die Rechnung ja aufgegangen. Das Auto haben sie im Prinzip zu einfach gebaut, um keine Schwierigkeiten zu haben, sie haben es zu wenig entwickelt."

Frage: "Williams scheint die letzten Jahre, wie sie schon gesagt haben, konservativ entwickelt zu haben, kann dem Team in der kommenden Saison der Anschluss an Ferrari gelingen? Muss man vielleicht aggressiver entwickeln?"
Surer: "Ich bin mir sicher, dass sie schon dabei sind. Williams ist ein Team, das unter Druck funktioniert, ich denke also, dass sie den richtigen Schritt machen werden."

BMW und ein eigenes Team? "Das kann ich mir nicht vorstellen"

Frage: "BMW spricht sogar davon, in Zukunft vielleicht mit einem komplett eigenen Team an den Start zu gehen. Was halten sie davon?"
Surer: "Nicht allzu viel, denn man muss ja die Leute dazu haben, nur so kann es funktionieren. Und bis man ein solches Team auf die Beine gestellt hat, das hat man ja anhand von anderen Beispielen gesehen, muss man mit Anlaufschwierigkeiten rechnen. Andere haben es sogar gar nie geschafft. Man müsste im Prinzip wie Renault ein Team übernehmen, denn ansonsten verliert man wieder zwei Jahre, bis das Team funktioniert. Das kann ich mir nicht vorstellen."

Frage: "Williams hat mit Ralf Schumacher und Juan-Pablo Montoya zwei praktisch gleich starke Fahrer, eine Stallorder gibt das Team nicht aus ? wie will man da Ferrari schlagen, wenn sich die Fahrer regelmäßig Punkte wegnehmen?"
Surer: "Es ging ja Williams in dieser Saison nur um den zweiten Platz in der Konstrukteurswertung, das war ja von Anfang an so gesagt worden. Das war schon immer der Titel, der Williams wichtiger war. Hätte sich herausgestellt, dass Montoya Weltmeister werden kann, so hätte man bestimmt umgedacht."

"Montoya wird überbewertet"

Frage: "Montoya wird immer noch als der kommende Schumacher-Gegner schlechthin dargestellt. Wird ihrer Meinung nach der Kolumbianer überbewertet und Ralf Schumacher im Gegenzug unterschätzt?"
Surer: "Ja, das kann man so sagen. Montoya hat diesen Extra-Speed, den nur ganz wenige Fahrer haben. Er ist auch von seiner Einsatzbereitschaft her ein echter Gegner für Michael. Aber, er bringt die Leistung nicht konstant. Mir ist schon des Öfteren aufgefallen, dass sein Interesse ziemlich schnell nachlässt, wenn er nicht gewinnen kann. Er fährt dann meistens unauffällige Rennen, was ein richtiger Champion eigentlich nicht machen sollte. Michael Schumacher habe ich in seiner Karriere nur ganz wenige unauffällige Rennen fahren sehen. Vielleicht im letzten Jahr nach dem 11. September, da gab es Rennen, wo man sich gefragt hat, was mit ihm los ist."

"Ein richtiger Champion versucht immer alles, wenn er Siebter ist, dann will er Sechster werden, und so weiter. Das fehlt mir an Montoya. Er ist super drauf, wenn er merkt, dass er gewinnen kann oder wenn es um die Pole Position geht. Aber wehe, wenn er kein Ziel vor Augen hat? Abschließend gesagt: Ja, er wird überbewertet. Trotzdem ist er für mich einer der wenigen Gegner, die Michael Schumacher überhaupt hat."

"Die neue Struktur bei McLaren muss sich erst bewähren"

Frage: "Bei McLaren-Mercedes gab es zuletzt ähnliche Unruhen im Team wie bei BMW-Williams, nun hat man die technische Abteilung umgekrempelt. Wem trauen sie eher zu, in der kommenden Saison Ferrari herauszufordern ? Williams oder McLaren?"
Surer: "Die neue Struktur bei McLaren muss sich erst einmal bewähren. Wenn es um die Konstruktion des Autos ging, war es bisher ja eine reine Adrian Newey-Show. Neweys Position hat gewackelt, seit er im letzten Jahr zwei Verträge bei Jaguar und McLaren unterzeichnet hat. Das Vertrauen, das die Leute in ihn hatten, hat darunter gelitten und ich glaube, dass McLaren dadurch auch ein wenig zurückgefallen ist. Inzwischen scheinen sie wieder richtig Hand in Hand zu arbeiten und mit der Verstärkung sollte es jetzt wieder vorwärts gehen."

Frage: "Warum glauben sie hat das Team an David Coulthard festgehalten?"
Surer: "Sie wollten das Bewährte im Team behalten. Man muss ja einen Maßstab haben. Wenn man wie in diesem Jahr zu Anfang etwas neben der Rolle ist, dann weiß man, dass man mit Coulthard einen Faktor hat, den man genau einschätzen kann. Hätte man jetzt zwei junge Fahrer genommen, hätte man nicht gewusst, ob es an den Fahrern oder am Auto liegt."

Frage: "Wie schätzen sie Kimi Räikkönen nach seiner zweiten Formel-1-Saison ein?"
Surer: "Das wird auch ein Gegner für Michael Schumacher! Er ist der Andere neben Montoya, den man für die Zukunft im Auge behalten muss."

Wurz hat für seine Rente unterschrieben

Frage: "Alexander Wurz wird weiterhin Testfahrer sein, sehen sie für ihn eine Chance, dass er in die Formel 1 zurückkehren wird?"
Surer: "Wurz hat im Prinzip für seine Rente unterschrieben, nachdem er jetzt weiterhin Testfahrer bei McLaren-Mercedes ist. Somit hat er die Möglichkeit vergeben, dass sich seine Karriere weiterentwickelt. Außer, ein McLaren-Fahrer verletzt sich."

Lesen Sie am Freitag Teil 2 des großen Interviews mit Marc Surer. In diesem Gespräch dreht sich alles um den "Reifenkrieg" zwischen Bridgestone und Michelin