• 26.06.2010 21:43

  • von Dieter Rencken

Liuzzi: "Die Reifen sind überaus empfindlich"

Force-India-Fahrer Vitantonio Liuzzi über die Qualifikation von Valencia und das überraschend bescheidene Abschneiden seines Formel-1-Teams

(Motorsport-Total.com) - Eigentlich war Vitantonio Liuzzi vor dem Zeittraining von Valencia bester Dinge, denn der Italiener hatte sich gute Chancen ausgerechnet, seinen VJM03-Boliden einmal mehr in die Top 10 zu stellen. Vom dritten Freien Training bis zur Qualifikation hatten sich allerdings die Bedingungen verändert, sodass Force India auf einmal nicht mehr vorne mitmischen konnte. Im Interview gesteht Liuzzi, wie sehr in dieser Umstand überrascht hat und was er sich nun für das Formel-1-Rennen ausrechnet.

Titel-Bild zur News: Vitantonio Liuzzi

Vitantonio Liuzzi möchte von Platz 14 noch in die Top 10 von Valencia vorfahren

Frage: "Vitantonio, wie lautet dein Fazit zur Qualifikation von Valencia?"
Vitantonio Liuzzi: "Es war klar, dass es eng werden würde. Gleichwohl war es auch sehr seltsam, denn nach den Freien Trainings hatten wir geglaubt, dass wir die nötige Geschwindigkeit haben und konkurrenzfähig sein würden - sowohl auf dem Longrun als auch bei wenig Sprit. Wir sind daher recht zuversichtlich in die Qualifikation gegangen."#w1#

"Am Samstag wurden wir allerdings eiskalt von den ansteigenden Temperaturen überrascht. Von der Session am Morgen bis hin zum Zeittraining gab es doch einen recht großen Unterschied. Wir haben wahrscheinlich etwas mehr darunter gelitten als andere Teams. Das betraf vor allem das Handling unseres Autos. Auf den harten Reifen schienen wir in Q1 durchaus bei der Musik zu sein."

"Es fehlte an Grip, wir hatten Untersteuern und plötzlich viel weniger Grip." Vitantonio Liuzzi

"Wir konnten gute Rundenzeiten hinlegen und hielten uns im Bereich der Top 10 auf. Als wir dann aber die weichen Pneus aufzogen, hatten wir auf einmal sehr viele Probleme. Es fehlte an Grip, wir hatten Untersteuern und plötzlich viel weniger Grip. Das war sehr seltsam, zumal auch die Strecke anders war als noch am Morgen."


Fotos: Vitantonio Liuzzi, Großer Preis von Europa


"Wenn die Temperatur ansteigt, ist es aber vollkommen normal, dass du etwas Grip verlierst. An der Fronachse war aber überhaupt nichts zu wollen und damit hatte sich das Thema für uns erledigt. Wir fanden keine Balance, konnten keinen Druck machen und brachten keine ordentliche Runde zustande. Das hat uns beide überrascht, denn jeder von uns hatte diese Probleme."

Die Reifen geben Rätsel auf...

Frage: "Es scheint sehr schwierig zu sein, Fahrzeug und Reifen in Einklang zu bringen. Was denkst du darüber?"
Liuzzi: "In diesem Jahr ist es ungeheuer knifflig, immer das richtige Fenster zu erwischen. Man liegt nur allzu leicht daneben. Die Reifen sind nämlich überaus empfindlich, was die Temperatur anbelangt. Da spürst du schon kleinste Veränderungen am Abtrieb."

"Es ist sehr schwierig, immer alles richtig zu machen. So etwas hatten wir aber auf keinen Fall erwartet, denn am Freitag waren wir ziemlich gut dabei und auch im dritten Freien Training waren wir flott unterwegs. Die weiche Mischung hat in der Qualifikation einfach nicht zu unserem Auto gepasst. Dieses Problem war bei uns größer als bei anderen Teams."

"Wir überlegen gerade, was die beste Option ist." Vitantonio Liuzzi

Frage: "Heißt das, ihr werdet im Rennen versuchen, die weichen Reifen möglichst früh wieder vom Auto zu nehmen?"
Liuzzi: "Das wäre definitiv ein Ansatz. Wir überlegen gerade, was die beste Option ist. Wir könnten die weiche Mischung unmittelbar nach dem Start gegen die härtere Variante austauschen oder zum Beispiel nach einer frühen Safety-Car-Phase. Vielleicht sollte man damit aber auch warten, bis das Auto weniger Benzin an Bord hat, damit die Reifen weniger hart rangenommen werden."

"Dann könnte man die weiche Mischung auch erst im letzten Rennabschnitt und für nur etwa zehn bis 15 Runden zum Einsatz bringen. Das ist in gewisser Weise eine Fahrt ins Blaue. Überhaupt sind die Reifen in dieser Saison ein großes Fragezeichen. Abgesehen von Montréal - was in meinen Augen das bislang beste Rennen des Jahres war -, hatten wir 2010 fast nur Rennen, in denen eine Einstoppstrategie angewendet wurde."

"Wären die Reifen insgesamt weicher, würden wir viel öfters solche Rennen sehen. Hier könnte es ähnlich sein, denn die Strecke hat sich seit Freitag ungeheuer stark entwickelt. Ich bin jedenfalls davon überzeugt: Alle werden probieren, sich des weichen Reifens möglichst früh zu entledigen."¿pbvin|512|2856|valencia|0|1pb¿

Force India ist noch immer auf Punkte aus

Frage: "Was kannst du im Rennen ausrichten? Überholen ist in Valencia nicht gerade sehr einfach zu bewerkstelligen?"
Liuzzi: "Wenn man unsere Geschwindigkeit vom Freien Training bedenkt, als wir mit viel Sprit unterwegs waren, dann sollten wir im Rennen recht konkurrenzfähig sein."

"Wenn du an einem anderen vorbei willst, musst du Risiken eingehen." Vitantonio Liuzzi

"Auf dieser Strecke könnte sich der Grand Prix aber ähnlich langweilig gestalten wie der Große Preis von Bahrain. Es gibt keine wirklich langen Geraden und man hat Schwierigkeiten, sich eine geeignete Überholstelle zu suchen. Wenn du an einem anderen vorbei willst, musst du also womöglich einige Risiken eingehen."

"In der Vergangenheit haben wir hier aber schon richtig langweilige Rennen gesehen. Nichtsdestotrotz werden wir reichlich Druck machen. Wir sollten gut dabei sein und eine Chance auf Punkt haben - auch wenn wir nicht aus den Top 10 ins Rennen gehen. Das kann man aus den Ergebnissen vom Freitag herauslesen, denke ich."

Frage: "Was glaubst du: Wie wird dein Auto beim kommenden Rennen in Silverstone funktionieren? Dort werden ganz andere Anforderungen an das Fahrzeug gestellt..."
Liuzzi: "Wir arbeiten sehr hart daran, um in Silverstone einige Verbesserungen an den Start zu bringen. Es gibt eine Tendenz, dass wir immer schneller werden, je weniger Flügel wir fahren und je weniger aerodynamischen Abtrieb das Auto hat. Insgesamt ist das aber ein großes Fragezeichen."

"Ich halte dieses Rennen für einen Sonderfall." Vitantonio Liuzzi

"Wie die meisten anderen Teams, so arbeiten auch wir an einer Ausbaustufe des Doppeldiffusors. Noch wissen wir aber nicht, ob wir dieses eil schon in Silverstone dabei haben werden. Ohnehin darf man gespannt sein auf das Rennen. Red Bull war dort im vergangenen Jahr unheimlich stark. Das war beeindruckend. Ich halte dieses Rennen aber für einen Sonderfall, denn der Kurs tanzt etwas aus der Reihe - wie Barcelona."

"Es kommt sehr auf die Aerodynamik an. Das neue Layout scheint uns aber etwas mehr in die Karten zu spielen. Silverstone ist nun vermutlich deutlich schneller. Im Vergleich zu den vergangenen Jahren ist also nicht mehr gar so viel Abtrieb gefragt. Das könnte unserem Auto liegen. Noch ist dieser Kurs aber ein großes Fragezeichen für alle Beteiligten."

Liuzzi steht den Neuerungen positiv gegenüber

Frage: "Im kommenden Jahr gibt es einen neuen Reifenlieferanten, die Doppeldiffusoren werden verboten und weitere Veränderungen. Wird das sich das positiv auswirken? Was denkst du über diese Maßnahmen?"
Liuzzi: "Im Laufe der Jahre verbessert sich die Show meiner Meinung nach durchaus. Wenn man die Saison bis zum jetzigen Zeitpunkt in Betracht zieht, dann hatten wir doch großartigen Sport - sieht man einmal von Bahrain ab. Über eben dieses Rennen kann man sich beschweren, doch die anderen Grands Prix waren allesamt sehr spektakulär."

"Ich denke, ein Verbot des F-Schachts ist so schlecht nicht." Vitantonio Liuzzi

"Ich denke, ein Verbot des F-Schachts ist so schlecht nicht, denn diese Geschichte kann auch gefährlich sein. Wir Fahrer sind ohnehin schon sehr mit dem Lenkrad beschäftigt. Wir müssen ständig die Bremsbalance verändern und das alles ist ziemlich knifflig - speziell auf Kursen wie diesem hier, wo du die Kurven manchmal einhändig meistern musst. Diese Veränderung würde ich also begrüßen."

"Die Wiedereinführung von KERS halte ich für eine positive Sache für die Hersteller. Ich kann verstehen, weshalb sie darauf drängen. Ich hoffe, dass Pirelli weiche Reifen an den Start bringt und in diesem Jahr einige Lektionen lernt. Je weicher die Reifen, umso besser die Show. Jetzt muss man sich sehr viele Gedanken um die Balance und die Pneus machen."

"Das ist eine ganz andere Herangehensweise. Das ist in meinen Augen die richtige Entwicklung. Der Verlust des Doppeldiffusors wird nicht so große Auswirkungen haben. Man wird immer etwas Neues finden. Selbst in diesem Jahr gab es schon einige Updates wie den F-Schacht. Die Formel 1 findet stets einen Weg, noch schneller zu sein. Wir bewegen uns da sicherlich in die richtige Richtung."