• 14.01.2008 16:13

Kubica: Reifen für die Insel

Robert Kubica im Porträt: Wie er als Junge Krakau und seine Familie hinter sich ließ, um die Formel 1 zu erobern und den Montréal-Crash zu überleben

(Motorsport-Total.com) - Menschen sagen eine Menge über sich, wenn man sie fragt, welche drei Dinge sie auf eine einsame Insel mitnehmen würden. Robert Kubicas Antwort "Auto, Reifen, Benzin" lässt keinen Zweifel daran, dass Motorsport - zumindest gegenwärtig - sein Leben ist.

Titel-Bild zur News: Robert Kubica

Robert Kubica geht 2008 in seine zweite volle Saison in der Formel 1

Als er 2006 als Test- und Ersatzfahrer des BMW Sauber F1 Teams ins Fahrerlager kam, scharten sich sofort Journalisten um ihn. Er wirkte wie eine frische Brise. Seine Antworten waren ehrlich und auf den Punkt. Auf schwierige Fragen kam nie Gefasel. Wollte er eine private Frage nicht beantworten, gab es ein klares Nein. War es eine provozierende Frage, nahm er sich Zeit zum Nachdenken und zauberte mit seiner Antwort in der Regel ein Lächeln in das Gesicht seines Gegenübers.#w1#

Testvertrag ohne vorherige Probefahrt

Als Mario Theissen ihm den Job als Test- und Ersatzfahrer anbot, hatte der Pole noch nie im Auto des Teams gesessen. Dass der Vertrag ohne Test gemacht wurde, unterstreicht Kubicas Ruf und Theissens Gespür. Mancher fragte sich, ob dieses Risiko zu hoch war, aber schon bald hatte Polen einen neuen Superstar. Allerdings einen, der das Rampenlicht scheut.

Kubicas Weg war einerseits typisch - Kartsport, kleinere Formelklassen - andererseits ungewöhnlich. Ab seinem 13. Lebensjahr lebte er allein in Italien, ohne seine Familie und ohne seine Freunde aus Krakau. Der italienische Karthersteller CRG hatte sein Talent erkannt und ihm die Chance gegeben, sich in seinem Sport zu entwickeln. Das Alleinsein in einem fremden Land, in dem er die Sprache lernen und die Kultur verstehen musste, hätte manchen Teenager entmutigt. Aber nicht diesen. Er adoptierte Italien, und Italien adoptierte ihn. Wenn er sich aufregt, erkennt man den Italiener in ihm: Dann überlässt er seinen Händen das Reden.

Sein Manager begleitet ihn zu allen Rennen, und man spürt, dass die Beziehung persönlich und geschäftlich ist. Abgesehen von Daniele Morelli, der Kubicas Talent früh erkannte, bringt der Fahrer kaum Gefolge mit. Das heißt nicht, dass er allein sein will. Wer in das Motorhome des Teams kommt, wird ihn als einen der ersten entdecken - bereit für einen Plausch oder einen Spaß. Oft muss man gar nicht hineingehen, um ihm Hallo zu sagen oder eine Frage loszuwerden: Er liebt es, im Fahrerlager zu ratschen. Seit er Motorsport betreibt, hat er eine Schar von Freunden und Bekannten angesammelt. Die, die irgendwo anders im Fahrerlager arbeiten, leisten ihm gern Gesellschaft.

Kubica kommt aus keiner Rennfamilie, aber sein Vater Artur mochte den Sport und kaufte seinem vierjährigen Sohn ein kleines Auto. "Das war Weihnachts- und Geburtstagsgeschenk in einem. Es hatte einen Viertaktmotor, kaum Leistung, aber fuhr irgendwie 40 km/h. Ich habe den halben Tag darin verbracht und wollte nie aussteigen und nach Hause gehen", erinnert sich der Junior.

Stichtag: 7. Dezember 1994

Bis zu seinem ersten Rennen musste er sich gedulden: "Ich bin mit diesem Auto auf Parkplätzen gefahren, zweieinhalb Jahre später bekam ich ein Kart. Ich habe Stunde um Stunde trainiert und musste warten, bis ich zehn war, um die Rennlizenz zu bekommen. Ab dem 7. Dezember 1994 konnte mich dann nichts mehr aufhalten."

Nach drei Jahren Kartsport in Polen war er seiner Konkurrenz entwachsen. Wenn er weiterkommen wollte, musste er seine Heimat verlassen. Sein Vater fuhr mit ihm nach Italien. Vom Start weg lief alles glatt. Kubica: "Ich hatte Glück, weil wir mit einem der besten polnischen Mechaniker arbeiteten und so war ich sogar in Italien beim ersten Rennen auf Pole und im Ziel Zweiter." Alsbald packte er seine Sachen, zog in das fremde Land und traf dort die Menschen, die für seine Karriere so wichtig wurden.

Seine Antwort auf die Frage, ob er seine Familie vermisst habe, sagt viel über seine Charakterstärke: "Ich würde gerne Nein sagen, aber ich weiß, dass man im Leben nie alles haben kann. Für meine Familie war es unmöglich, nach Italien zu kommen und dort zu leben, also war alles immer ein Kompromiss. Ich tat, was ich wirklich genoss und habe nicht viel über anderes gegrübelt."

Das Opfer zahlte sich aus, als er eine Reihe von italienischen Karttiteln zu den sechs hinzufügte, die er in Polen gewonnen hatte. Als er 2001 bereit war für den Schritt in den Formelsport, hatte er schon die Unterstützung von Morelli. Mit ihm ging es rasch voran über die Formel Renault 2.000, Formel-3-Euroserie und dann in die Renault-World-Series. Dort gewann er nicht nur den Titel, sondern auch einen Formel-1-Test.

Robert Kubica

Beim Grand Prix von Italien 2006 fuhr Robert Kubica auf das Podium Zoom

Im Dezember 2005 bekam Kubica sein zweites Weihnachts- und Geburtstagsgeschenk in einem - einen Vertrag mit dem BMW Sauber F1 Team. "Ich habe den Formel-1-Test mit Renault in dem Glauben absolviert, dass dies wahrscheinlich meine einzige Gelegenheit sein würde, ein Formel-1-Auto zu fahren, also nahm ich es als Abenteuer. Dann rief Mario Theissen bei Daniele an, und wir haben uns getroffen. Wir haben den Vertrag vor Weihnachten unterschrieben - das war wirklich ein sensationelles Geschenk. In den Jahren zuvor war der Dezember kein leichter Monat gewesen. Ich hing am Telefon und sprach mit Daniele über Geld, wir warteten auf Entscheidungen von Teams. Jenes Jahr war sehr anders."

Renndebüt bereits im Jahr 2006

Kubica stürzte sich 2006 in die neue Herausforderung, und das Team übergab seinem Rookietester nur zu gern wichtige Aufgaben. Am Ende der Saison hatte er über 25.000 Testkilometer abgespult und Jacques Villeneuve bei den letzten sechs Rennen ersetzt; ein Podestsplatz in Monza wurde das Highlight.

In der 27. Runde des Großen Preises von Kanada 2007 wurde Kubica in einen der spektakulärsten Unfälle der jüngeren Formel-1-Geschichte verwickelt. Jeder im Fahrerlager und Millionen von Fernsehzuschauern weltweit hielten den Atem an. Kubica hatte sich an Jarno Trullis Toyota den Frontflügel abgerissen, sein Auto stieg auf, krachte unkontrollierbar in eine Mauer, prallte ab, überschlug sich mehrfach, verteilte Einzelteile über die Strecke in Montréal und schlug nochmals an eine Wand. Es schien unmöglich, dass ein Mensch diesem Wrack ohne schwere Verletzungen entkommen könnte.

Doch Kubica hatte einen Schutzengel. Und die immer strengeren Crashtests der FIA haben über Jahre dafür gesorgt, dass Formel-1-Fahrzeuge massive g-Kräfte kompensieren und aushalten können. Das HANS-System verhinderte erfolgreich die Überstreckung des Nackens. Bis auf einen verstauchten Knöchel war der Fahrer unverletzt. Der Mann wurde binnen Sekunden vom einzigen Polen in der Formel 1 zu einem der berühmtesten Fahrer dieses Sports.

Er ist hart gegen sich und enttäuscht von der Saison 2007. Auch, weil ihn technische Unbilden Punkte gekostet haben. Aber er hadert nicht mit der Vergangenheit. Als er das Fahrerlager von São Paulo nach dem Saisonfinale, in dem er Fünfter geworden war, verließ, waren seine Gedanken schon im Jahr 2008. Er konnte es kaum erwarten, wieder ins Auto zu steigen und die neue Saison anzugehen, die für ihn just in diesem Moment begonnen hatte.