Kolles spricht Klartext: Die Jordan/Midland-Situation

Im offenen Interview mit 'F1Total.com' erörtert Teamchef Colin Kolles die Lage seines Rennstalls und die Friedensbemühungen in der Formel 1

(Motorsport-Total.com) - Neuer dritter Fahrer, verschobenes Debüt des EJ15, bevorstehende Bekanntgaben des Motoren- und auch des Reifenherstellers für 2006 - über das Jordan/Midland-Projekt gibt es derzeit viel zu berichten. 'F1Total.com' nahm dies zum Anlass, um die derzeitige Situation des Rennstalls aus Silverstone mit Teamchef Colin Kolles persönlich zu besprechen.

Titel-Bild zur News: Colin Kolles

Gibt kurze, aber recht offene Antworten: Jordan/Midland-Teamchef Colin Kolles

Der in Rumänien geborene Deutsche, der in unserer Redaktion inzwischen als Freund von knappen Antworten bekannt ist, aber für Formel-1-Verhältnisse erfreulicherweise einen ungewohnt offenen Umgang mit den Medien pflegt, nahm in dem am Mittwoch aufgezeichneten Gespräch unter anderem zur Neubesetzung des dritten Cockpits Stellung, zur Weichenstellung für die Zukunft und zum hinter den Kulissen tobenden Formel-1-Machtkampf, in dem er endlich Frieden am Horizont zu erkennen glaubt...#w1#

Kiesa sitzt in Hockenheim im dritten Jordan-Toyota

Frage: "Herr Kolles, Sie haben seit gestern keinen dritten Fahrer mehr. Wer wird diesen Posten nun einnehmen?"
Colin Kolles: "Nicoles Kiesa, zumindest in Hockenheim."

Frage: "Wird er auch für den Rest der Saison im Cockpit bleiben?"
Kolles: "Das weiß ich nicht. Wir probieren jetzt eben den Nicolas Kiesa."


Frage: "Es hat geheißen, dass Patrick Friesacher den Job auch wollte. Hat es von seiner Seite eine Kontaktaufnahme gegeben?"
Kolles: "Ja. Wir haben uns noch nicht entschieden. Im Moment fährt eben Nicolas Kiesa - genauso, wie auch Franck Montagny gefahren ist."

Frage: "Das heißt, Sie machen aus der Not eine Tugend und testen jetzt viele verschiedene Fahrer bis zum Saisonende?"
Kolles: "Ich würde nicht sagen, dass wir aus der Not eine Tugend machen. Die Situation ist für uns keine Not. Robert Doornbos hat bezahlen müssen und ist jetzt von uns freigegeben worden. So einfach ist das."

Frage: "Das Management von Robert Doornbos behauptet, dass ein Angebot von Midland für 2006 auf dem Tisch liegt. Was ist da der Stand der Dinge? Ist er ein Wunschkandidat?"
Kolles: "Das mag stimmen, aber das ist jetzt nicht das Thema. Wir sprechen auch mit Robert Doornbos in Bezug auf nächstes Jahr, natürlich. Ich bezeichne niemanden als Wunschkandidaten, aber es stimmt, dass wir mit Robert Doornbos sprechen."

"Wollen eine gewisse Kontinuität im Team haben"

Frage: "In unserem letzten Gespräch haben Sie betont, dass Sie gerne möglichst viel Kontinuität beibehalten möchten. Heißt das, dass wir einen der beiden aktuellen Fahrer - also Tiago Monteiro oder Narain Karthikeyan - auch nächstes Jahr im Cockpit sehen werden?"
Kolles: "Das könnte sein. Natürlich schauen wir uns mehrere Fahrer für nächstes Jahr an, natürlich wollen wir eine gewisse Kontinuität im Team haben. Mehr möchte ich dazu aber nicht sagen."

Frage: "Zu Saisonbeginn war Narain Karthikeyan der stärkere der beiden Fahrer, jetzt hat eher Tiago Monteiro Vorteile. Wie beurteilen Sie die Leistungen Ihrer Schützlinge?"
Kolles: "Ich denke, dass beide keinen schlechten Job gemacht haben. Einige Leute im Fahrerlager denken inzwischen ein bisschen anders über unsere Rookies als am Anfang der Saison. Tiago Monteiro ist der erfolgreichste Rookie in Bezug auf die Zielankünfte. Er ist sogar auf das Podest gefahren. Okay, es war ein merkwürdiges Rennen in Indianapolis, aber wie gesagt: Wir hatten halt das Glück, mit den richtigen Reifen zu fahren. Narain hatte ein kleines Loch, ist jetzt aber wieder stark geworden. In Silverstone war er bis zu seinem Ausfall mit einem Elektronikproblem gut unterwegs. Die zehn Runden, die er gefahren ist, waren wirklich beeindruckend - und das, obwohl die Red-Bull-Autos leichter als wir waren."

EJ15B kommt erst, wenn die Zuverlässigkeit stimmt

Frage: "In Silverstone ist es überhaupt besser als erwartet gelaufen. Ist das auch ein Grund dafür, dass das neue EJ15B-Chassis jetzt erst später kommen soll?"
Kolles: "Das neue Auto wird kommen, aber es muss hundertprozentig zuverlässig sein. Es bringt uns ja nichts, wenn das Auto nicht zuverlässig ist. Von der Aerodynamik her ist das neue Auto viel besser, aber es wurde sehr viel verändert. Daher brauchen wir mehr Testkilometer. Wir waren in Barcelona testen, in Paul Ricard, wir haben das Auto auch an den Freitagen eingesetzt - aber jetzt kommt leider ein Rennen nach dem anderen. Dann ist die Sommertestpause. Das ist problematisch für uns in dieser Phase."

Frage: "Ich habe etwas von Kühlungsproblemen gehört..."
Kolles: "Ja, das Auto ist ein bisschen zu heiß! Es ist sehr aerodynamisch, sehr eng gebaut - und die Kühleranordnung ist anders als davor, sehr extrem. Diesbezüglich gab es einige Kinderkrankheiten. Wir sehen aber, dass das Auto von der Aerodynamik her und auch beim Bremsen viel besser ist. Uns ist ganz einfach wichtig, dass wir erst die hundertprozentige Zuverlässigkeit so gut wie möglich garantieren können."

Frage: "2005 war von vornherein als Übergangsjahr gedacht. Wäre es unter diesem Gesichtspunkt nicht sinnvoll, das neue Auto ungeachtet aller Risiken auch im Rennen einzusetzen, um Erfahrungen zu sammeln?"
Kolles: "In erster Linie wollen wir Rennen fahren und mehr Punkte sammeln. Um Punkte zu bekommen, muss man aber erst einmal ins Ziel kommen. Es nützt einem das schnellste Auto nichts, wenn man nach 20 Runden stehen bleibt."

Kolles liebäugelt damit, Sauber-Petronas noch einzuholen

Frage: "Aber es gibt nach hinten in der Konstrukteurs-WM eigentlich gegen Minardi-Cosworth nichts mehr zu verlieren, also hätte man doch Spielraum, nicht wahr?"
Kolles: "Ich schaue da gar nicht nach hinten, muss ich ehrlich sagen, sondern nach vorne. Ich wünsche mir, noch irgendwie zwei Punkte zu ergattern und vielleicht Sauber noch einzuholen. Wer sagt, dass Sauber noch punkten wird diese Saison?"

Frage: "Wird es nächstes Jahr dann wieder ein komplett neues Auto geben oder eine Evolution, die auf den EJ15B aufsetzt?"
Kolles: "Es gibt im Moment bei uns drei Autos: Es gibt ein Dallara-Auto, das nichts mit dem 15B zu tun hat, es gibt den 15B und es gibt ein Dallara-Auto, das gewisse Sachen vom 15B hat."

Frage: "Wann sind die ersten Tests mit dem Auto, das jetzt noch im Dallara-Windkanal steht, geplant?"
Kolles: "Für Januar."

Frage: "Wissen Sie auch schon, welcher Motor dann im Heck sein wird?"
Kolles: "Ich weiß es schon, ja."

Toyota wird demnächst offiziell als Motorenpartner bestätigt

Frage: "Eigentlich hätte es in Indianapolis eine Bekanntgabe des Motorenpartners geben sollen. John Howett von Toyota hat da ja auch schon sehr deutliche Andeutungen gemacht. Warum ist es dazu nicht gekommen?"
Kolles: "In Indianapolis gab es andere Probleme. Das war der Grund, weshalb man das verschoben hat."

Frage: "Werden Sie einen V8 einsetzen oder einen schaumgebremsten V10?"
Kolles: "Einen V8."

Frage: "Wann bekommen Sie den ersten Motor zum Testen?"
Kolles: "Ich hoffe bald, kann aber noch keinen genauen Termin nennen. Wir haben diesbezüglich am kommenden Wochenende in Hockenheim ein Meeting."

Frage: "Michelin hat bekannt gegeben, dass ein achtes Team von ihnen beliefert werden möchte. Handelt es sich dabei um Midland?"
Kolles: "Nicht dass ich wüsste."

Pitchforth kein Thema für Jordan/Midland

Frage: "Ex-Jaguar-Teammanager David Pitchforth ist auch seit einigen Tagen wieder auf dem Markt. Ist das ein Mann, mit dem Sie Gespräche aufnehmen werden?"
Kolles: "Warum sollte ich? Nein, da wird es keine Gespräche geben."

Frage: "Sind Sie mit der Struktur, die Sie jetzt aufgebaut haben, zufrieden? Werden Sie mit diesem Personalstand ins neue Jahr gehen?"
Kolles: "Es werden bei uns dauernd neue Leute eingestellt. Das ist Tatsache."

Frage: "Gibt es auch konkreten Ersatz für Trevor Carlin und Christian Geistdörfer?"
Kolles: "Es ist nichts geplant, um mich diplomatisch auszudrücken."

Frage: "Midland hat als drittes Team auch die Absichtserklärung für das neue Concorde Agreement unterschrieben. Wie sehen Sie die jüngsten Entwicklungen hinter den Kulissen? Die FIA geht ja jetzt auch vermehrt auf die Hersteller zu..."
Kolles: "Das war immer der Fall, dass die FIA auf die Hersteller zugegangen ist. Die FIA hat immer gesagt, dass sie sich mit den Herstellern an einen Tisch setzen möchte, aber die Hersteller haben das abgelehnt. Sie haben gesagt, sie bräuchten mehr Zeit, und jetzt haben sie anscheinend die Zeit gefunden, sich Gedanken zu machen. Jetzt wollen sie sich mit der FIA zusammensetzen."

Kolles plädiert für die Schlagworte "Einigung" und "Kompromiss"

Frage: "Es wird schon in Hockenheim eine Präsentation der Vorschläge der Hersteller geben. Was versprechen Sie sich davon?"
Kolles: "Ich verspreche mir davon, dass man einen gemeinsamen Weg finden kann. Ich habe immer gesagt, dass es eigentlich nur einen Weg gibt, nämlich den der Einigung, des Kompromisses."

Frage: "Sie waren bislang immer bei den Meetings der Hersteller dabei. Wird das so bleiben, obwohl Sie diese Absichtserklärung unterschrieben haben?"
Kolles: "Das weiß ich nicht. Das hängt davon ab, ob man uns weiterhin einladen wird. Die Bereitschaft dazu ist da. Es geht ja um die Formel 1. Wir müssen gemeinsam einen Kompromiss finden."

Frage: "Viele scheinen sich dessen aber nicht bewusst zu sein..."
Kolles: "Ich glaube, dass es hauptsächlich zwei Teamchefs gibt, die sich stur stellen - oder eigentlich nur einen."

Frage: "Ferrari stand bislang relativ isoliert da, auch in Bezug auf das Testlimit..."
Kolles: "Ja, aber für all diese Dinge lässt sich bestimmt ein Kompromiss finden. Es ist ja nicht so, dass die Fronten unaufweichbar verhärtet wären. Es war sogar so, dass in Indianapolis erstmals auch Jean Todt (Ferrari-Teamchef; Anm. d. Red.) wieder an einem Treffen teilgenommen hat. Das war noch vor dem Beginn dieser leidigen Michelin-Diskussion. Ich glaube nicht, dass die Fronten derart verhärtet sind. Es sind schließlich Leute beteiligt, die wissen, worum es geht."

"Ein Gentlemen's Agreement ist nur ein Gentlemen's Agreement"

Frage: "Das freiwillige 30-Tage-Testlimit wurde zuletzt von einigen Teams, vor allem von BAR-Honda und Toyota, sehr konsequent genutzt, sodass die angestrebte Kosteneinsparung eigentlich nicht mehr gegeben ist. Diese Teams brachten entgegen des Geistes der Abmachung drei und mehr Autos an die Teststrecke. Wie stehen die anderen Teams dazu?"
Kolles: "Was soll ich dazu sagen? Das Problem ist: Wenn sich einer nicht daran hält, warum sollen sich die anderen noch daran halten? Es gibt natürlich Hersteller, die kein Budget - also Geld ohne Ende - haben. Die wollen natürlich die Weltmeisterschaft gewinnen, Rennen gewinnen. Man kann ihnen das nicht verbieten. Es ist halt so. Man müsste klare Definitionen machen und klare Regeln, an die sich jeder halten muss. Ein Gentlemen's Agreement ist eben nur ein Gentlemen's Agreement."

Frage: "Gibt es dieses Testabkommen auch in Schriftform?"
Kolles: "Wie gesagt: Es ist ein Gentlemen's Agreement..."

Frage: "Einige Teams nähern sich bereits den 30 Tagen. Befürchten Sie, dass das Gentlemen's Agreement am Ende gebrochen werden könnte?"
Kolles: "Ich weiß es nicht. Darauf kann ich keine Antwort geben."

"Denke, dass die Zukunft bei Alonso und Räikkönen liegt"

Frage: "Kommen wir kurz noch zur aktuellen WM-Situation. Kimi Räikkönen hat im Moment im schnellsten Auto einen relativ großen Punkterückstand. Ist das für ihn noch aufholbar?"
Kolles: "Das kann sich ganz schnell ändern. Wir haben noch genug Rennen. Wenn Alonso zwei schwache Rennen hat oder zweimal ausfällt, kann sich alles ganz schnell umdrehen."

Frage: "Wen schätzen Sie von den beiden WM-Favoriten stärker ein? Und wie sehen Sie die beiden im Vergleich zu Michael Schumacher?"
Kolles: "Ich habe am Anfang der Saison gesagt, dass Alonso Favorit ist - noch vor dem ersten Qualifying in Australien. Ich denke aber auch, dass die Zukunft bei Alonso und Räikkönen liegt. Das sind sehr starke Fahrer, das ist die Zukunft. Sie sind die neue Generation der Formel 1."