• 11.03.2010 15:24

Interview: Glock und sein "geiles Projekt"

Timo Glock im Interview über seinen harten Testwinter, die neue Herausforderung und die Aufbauarbeit mit Virgin: "Habe viel, viel Spaß daran"

(Motorsport-Total.com/SID) - Vom Formel-1-Krösus zum kleinen Privatteam - diesen Schritt hat Timo Glock in diesem Winter gewagt. Nach dem Ausstieg von Toyota will der 27-Jährige helfen, Neueinsteiger Virgin zu einem respektierten Team zu machen, auch wenn der Auftakt bei den Testfahrten sehr mühsam war. Glock setzt sich und seinem Team zum Beginn der neuen Saison erst einmal bescheidene Ziele, wie der Odenwälder im Interview verrät.

Titel-Bild zur News: Timo Glock

Nach zwei Jahren mit Toyota geht Timo Glock nun für Virgin an den Start

Frage: "Timo, Formel-1-Fahrer bei Virgin - ist das kurz vor Saisonstart eher Lust oder nach den Testfahrten eher Frust?"
Timo Glock: "Frust ist überhaupt keiner da. Ich weiß ja, auf was ich mich eingelassen habe. Mir war klar, dass es am Anfang hart wird. Dass wir keine 200 Runden am Tag fahren, sondern Schwierigkeiten haben, die wir aussortieren müssen. Was normal ist, wenn ein Team bei Null anfängt, mit einem weißen Blatt Papier. Man hat nur zwölf Testtage, das macht es natürlich sehr, sehr schwer. Wenn man mit einem neuen Team gegen die Etablierten zum Testen antritt, sind die zwölf Tage erstmal zum Aussortieren da."#w1#

"Es wäre schön, wenn wir nochmal weitere zwölf hätten. Die haben wir aber nicht, und deswegen müssen wir einfach sehen, dass wir die ersten Rennen weiterhin nutzen. Aber ich habe überhaupt keinen Frust. Im Gegenteil. Ich habe viel, viel Spaß daran, weil es eine komplett neue Herausforderung für mich ist, ein Team von Null an mitaufzubauen. Ich glaube, das Potenzial ist da, dass wir übers Jahr kleine Schritte nach vorne machen können. Ob wir Richtung Mittelfeld kommen oder in einem Chaos-Rennen mal einen Punkt abstauben können, das wäre ein Traum. Da müssen wir abwarten und hart arbeiten."

Ein harter Kern auf der Suche

Frage: "Wo liegen die Unterschiede zwischen einem großen Werksteam wie Toyota und einem komplett neu entstandenen Team?"
Glock: "Das ist ganz offensichtlich. Toyota mit damals 650 Mitarbeitern hatte ganz andere Möglichkeiten, auf Probleme zu reagieren, als wir sie jetzt haben. Bei uns dauert es vielleicht den einen oder anderen Tag länger, bis wir etwas aussortiert haben. Der positive Punkt, den ich sehe, ist, dass wir eine kleine Truppe sind. Da sitzt abends ein harter Kern zusammen, der über Lösungen diskutiert. Die Probleme werden dann angepackt und sehr schnell behoben. Auf der materiellen Seite ist es natürlich schwieriger, weil wir nicht die Ressourcen haben, die Toyota hatte. Aber wir sind sehr, sehr flexibel und zielorientiert. Das ist das, was wir brauchen."

Frage: "Wo liegen die größten Probleme?"
Glock: "Was uns die ganze Zeit aufgehalten hat, war die Hydraulik. Das hat quasi alle Tests kontrolliert, wir konnten nicht viel am Auto machen, was die Performance angeht. Ich glaube, wir haben an zwölf Testtagen zwei Setup-Änderungen gemacht. Der Rest war, das Auto am Fahren zu halten. Leider müssen wir bis Bahrain warten, bis wir ein Hydraulik-Update haben."

Timo Glock

Der Virgin-Cosworth VR-01 lief in der Vorbereitung nur selten richtig rund Zoom

Frage: "Der Ansatz des Teams ist ganz anders als bei allen anderen Rennställen. Man hat keinen Windkanal und entwickelt alles nur per Computer. Funktioniert das so, wie gedacht, oder gibt es irgendwo Punkte, an denen es hakt?"
Glock: "Nein, gar nicht. Es hat mich überrascht, dass die Zahlen, die wir auf der Strecke bekommen, eins zu eins zu dem passen, was der Computer ausgespuckt hat. Das war genauso bei den kleinen Aerodynamik-Updates, die wir schon hatten. Die funktionierten zu hundert Prozent so, wie es der Computer vorausgesagt hatte. Das ist positiv. Jetzt müssen wir nur abwarten, wie es bei einem großen Update ist, wie wir es für Bahrain bekommen, ob es dann auch entsprechend funktioniert. Wenn das der Fall ist, dann sehe das Ganze weiterhin sehr positiv."

Schumacher als Wohltat für die Formel 1

Frage: "Teambesitzer Richard Branson ist eine schillernde Figur. Färbt das auch aufs Team ab?"
Glock: "Bis jetzt war noch nicht die Möglichkeit da, dass er sich extrem ins Team einbringen kann. Aber die eher etwas lockere Art und Weise merkt man schon bei den Tests und den Dingen, die wir bis jetzt gemacht haben. Einfacher und unkomplizierter. Aber wir wollen nicht als Spaß-Team rüberkommen, das nur Halli-Galli im Fahrerlager macht, sondern wir wollen schon ernst genommen werden. Genügend Spaß-Faktor wird es über Virgin sicher geben, der sollte aber nicht aufs Sportliche abfärben."

Frage: "Michael Schumacher lenkt mit seinem Comeback viel Interesse auf die Formel 1. Ist das gut?"
Glock: "Ich glaube schon. Nach dem ganzen politischen Trubel, den wir in den letzten Jahren hatten, ist das sicher ein positiver Aspekt und wertet die Formel 1 auf."

Frage: "Ist er in der Lage, wieder ganz vorne mitzufahren?"
Glock: "Ich glaube nicht, dass er der Dominator sein wird, der er in früheren Jahren war. Dafür gibt es viel zu viele Teams, die im Moment sehr eng zusammenliegen. Zu seiner Zeit waren es eigentlich nur zwei, drei Teams, die konstant vorne mitgefahren sind. Aber wenn man jetzt die Testfahrten sieht, liegt alles so eng zusammen. Die Dominator-Rolle wird Schumacher nicht haben, aber ich glaube auch kein anderer Fahrer. Es sei denn irgendein Team hat seine Karten komplett noch nicht aufgedeckt."

¿pbvin|512|2515||0|1pb¿Frage: "Wen haben Sie auf Ihrer Weltmeister-Liste ganz oben?"
Glock: "Da gibt es viele, die im Moment für mich ganz vorne mitfahren werden. Da sind beide Ferrari, beide McLaren, beide Red Bull, beide Mercedes, die die Sache unter sich ausmachen werden."

Frage: "Haben Sie schon einen internen Zeitplan aufgestellt, wie Sie mit Virgin in den nächsten Jahren nach vorne kommen wollen?"
Glock: "Ich glaube, da muss man erstmal ein paar Rennen ins Land gehen lassen und abwarten, wie in den ersten Monaten unsere weitere Entwicklung ist. Erst dann kann man eine Prognose abgeben."

Frage: "Aber das Ziel lautet: bester Neuling, oder?"
Glock: "Ja. Das Ziel ist, bester Neuling zu sein."

Der zweite Hesse als Weltmeister?

Frage: "Da gibt es ja eine Wette der Fluglinien-Besitzer Richard Branson und Tony Fernandes von Lotus, dass der Verlierer auf einem Flug des anderen als Steward arbeiten muss..."
Glock: "Das müssen die beiden untereinander ausmachen. Schauen wir mal, wie das ausgeht. Ich hoffe, ich bin auf dem Flug dabei."

Frage: "Hat es im Winter mal einen Punkt gegeben, an dem sie Zweifel hatten, ob es 2010 mit der Formel 1 klappt?"
Glock: "Nein, den gab es zu keinem Zeitpunkt, weil das Interesse groß war. Ich stand mit vier Teams in engem Kontakt, da gab es sogar noch ein fünftes, aber das war nicht so, dass ich gesagt hätte, da wäre eine wirkliche Chance gewesen. Ich hatte eigentlich relativ wenig Bedenken."

Frage: "War es dann eine bewusste Entscheidung, den Weg zum Neuling zu gehen?"
Glock: "Nach meinem Unfall in Japan, als ich ein wenig mehr Zeit hatte, hatte ich mir das Team angeschaut. Dann war das für mich eine ernst zu nehmende Chance und eine Herausforderung. Ein geiles Projekt. Klar hatten wir zu Renault guten Kontakt, auch zu Peter Sauber. Aber das war alles noch vage. Keiner wusste so wirklich, wie es mit Peter Sauber weitergeht, was mit Renault wird, ob sie sich komplett zurückziehen oder nicht. Irgendwann habe ich dann für mich die Entscheidung getroffen, auch für die Zukunft: Okay, machen wir mal was ganz neues."

Frage: "Wann würden Sie am Ende der Saison sagen, es war eine erfolgreiche Saison?"
Glock: "Wenn wir das beste der neuen Teams sind und uns über das Jahr hinweg in allen Bereichen signifikant gesteigert haben. Wenn es überall einen Schritt nach vorne geht, sehe ich es als Erfolg an."


Fotos: Timo Glock, Testfahrten in Barcelona


Frage: "Und die hessische Meisterschaft mit Sebastian Vettel wird erstmal bis auf weiteres ausgesetzt..."
Glock: "Die hat er jetzt eigentlich schon gewonnen. Da muss man ganz realistisch sein. Die müssen wir verlegen."

Frage: "Ist Vettel in der Lage, Weltmeister zu werden?"
Glock: "Ich glaube schon. Das hat letztes Jahr schon gezeigt. Red Bull hat eine gute Basis. Sie sahen bei den Testfahrten sehr gut aus, deswegen muss man Sebastian mit oben auf der Rechnung haben, auch seinen Teamkollegen."