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  • 18.03.2016 16:42

  • von Dieter Rencken

Interview: FIA-Mann Charlie Whiting erklärt das Funkverbot

Wie wird kontrolliert, was darf auf die Boxentafeln, wie werden verschlüsselte Botschaften ermittelt - Rennleiter Charlie Whiting geht ins Funkverbots-Detail

(Motorsport-Total.com) - Mit dem Auftakt der Formel-1-Saison 2016 in Australien kommen an diesem Wochenende auch signifikante Regeländerungen auf die Königsklasse zu. Das betrifft auch den Funkaustausch zwischen den Teams in der Boxengasse und den Fahrern auf der Strecke. Ab sofort herrschen strikte Einschränkungen in der Art der Mitteilungen, die den Piloten dabei helfen könnten, ihre Leistung zu verbessern. FIA-Rennleiter Charlie Whiting stellt sich zu diesem Anlass noch einmal den Journalisten, um Unklarheiten zu bereinigen.

Titel-Bild zur News: Charlie Whiting

Charlie Whiting ist von dem Eingriff in den Funkverkehr überzeugt Zoom

Frage: "Herr Whiting, können Sie Erklärung was die Intention hinter den neuen Richtlinien war? Was wollen Sie damit erreichen?"
Charlie Whiting: "Ich denke, es ist nachvollziehbar, dass wir das tun, um sicherzustellen, dass der Fahrer das Auto selbst fährt und ihm nicht gesagt wird, wie er es zu fahren hat. So einfach ist das."

Frage: "Die technische Richtlinie 8.3.16 fasst zusammen, was die Teams sagen dürfen und was nicht. Hat es daran noch einmal Änderungen gegeben, werden noch welche dazu kommen oder ist das eine endgültige Liste?"
Whiting: "Nach dem Treffen der Teamchefs wurden sie noch einmal ergänzt. Es gibt jetzt ein paar Dinge mehr, die die Teams sagen dürfen. Hauptsächlich dazugekommen ist, dass die Teams jetzt den Fahrer kontaktieren dürfen, wenn er nicht an die Box kommen soll. Es wird ihnen auch erlaubt, mit den Fahrern in der Startaufstellung zu kommunizieren. Wir haben festgelegt, dass sie nur nicht mit den Fahrern sprechen dürfen, wenn der Motor läuft. Wenn der Motor in der Startaufstellung abgestellt wird, dürfen sie mit dem Fahrern sprechen."

"Sie können den Fahrern auch sagen, wann sie nach einer Safety-Car-Phase die Delta-Zeiten abschalten dürfen, nachdem sie die Safety-Car-Linie zweimal überfahren haben. Und die Nachrichten, die die Trainingsroutinen betreffen, sind jetzt auf das erste und zweite Training beschränkt. Das sind die hauptsächlichen Änderungen, die dazu gekommen sind."

Christian Horner, Toto Wolff, Maurizio Arrivabene, Cyril Abiteboul, Eric Boullier

Die Teamchefs haben sich mit den Einschränkungen einverstanden erklärt Zoom

Frage: "Mit was für einer Art von Strafe können wir rechnen, wenn gegen die Regeln verstoßen wird?"
Whiting: "Das kommt auf die Schwere des Verstoßes an. Wenn es nur ein leichter Verstoß ist, dann werden wir es dabei belassen, dass nur anzumerken - zumindest zum jetzigen Zeitpunkt. Wenn es etwas Schwerwiegenderes ist, würden die Stewarts eine Verwarnung in Betracht ziehen. Wenn es sich aber um etwas handelt, dass dem Fahrer dabei hilft, etwas zu tun, was er allein tun sollte, dann wird meiner Meinung nach eine Zeitstrafe angebracht sein."

Frage: "Wie wird im Falle einer verschlüsselten Mitteilung reagiert, wenn das Team abstreitet, dass es eine gewesen ist?
Whiting: "Ich kann noch nicht sagen, wie eine verschlüsselte Botschaft aussehen würde. Es kommt darauf an, wie die Mitteilung lautet und welche Erklärung es dafür gibt. Es wurde genau festgelegt, was gesagt werden kann. Was darüber hinausgeht, sollte klar sein. Ich habe bereits ein paar seltsame Fragen zu Sachen wie 'Die Vögel fliegen heute hoch' beantworten müssen. So etwas steht natürlich nicht auf der Liste. Es wird wahrscheinlich Wege geben, um Mitteilungen zu machen, die nicht erlaubt sind. Das müssen wir aber von Fall zu Fall beurteilen."

Frage: "Einige Fahrer gehen davon aus, dass sie nicht in der Lage sein werden, jede Botschaft einzufangen. Stimmt das, oder wären Sie enttäuscht, wenn ihnen etwas entgehen würde?"
Whiting: "Wir hören jede einzelne Nachricht, da bin ich absolut sicher! Was verschlüsselte Botschaften angeht, sind wir auch in der Lage, in die Daten des Autos zu sehen wenn uns etwas seltsam vorkommt, um festzustellen, ob auf die Botschaft reagiert wurde. Dann können wir zum Beispiel beim nächsten Rennen, wenn wir eine ähnliche Nachricht hören nach einer ähnlichen Veränderung in den Daten schauen. Wir werden da Erfahrungen sammeln."


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Frage: "Das klingt nach einer Menge Arbeit. Mussten dafür mehr Mitarbeiter eingestellt werden? Gehen Sie davon aus, dass Sie das noch Stunden nach dem Rennen beschäftigen wird?"
Whiting: "Wir hören ja in Echtzeit mit. Wir haben in der Rennleitung vier Leute, die je drei Fahrer abhören und noch vier oder fünf Software-Ingenieure, die nochmal zwei oder drei übernehmen. Das ist schon eine Menge für den Anfang. Soviel wird ehrlich gesagt auch gar nicht gesprochen."

Frage: "Haben Sie keine Angst davor, dass durch diese Maßnahme eine klaustrophobische Atmosphäre entsteht? Dass jede normale Unterhaltung zwischen Team und Fahrer angreifbar wird und Gegenstand einer Untersuchung werden könnte?"
Whiting: "Es wird nur eine Untersuchung geben, wenn es eine Botschaft war, die nicht auf der Liste der erlaubten Botschaften steht. Ich sehe da keine Veränderung. Die Teams werden während des Rennens viel weniger mit den Fahrern sprechen. Im Training wird viel über Abstände gesprochen, da gibt es Testsequenzen und so weiter. Aber wenn wir einmal im Rennen sind, wird es nicht mehr viel von Wert geben, was sie sagen dürfen."

Paddy Lowe

An der Boxenmauer muss zukünftig sorgfältig überlegt werden, was gefunkt wird Zoom

Frage: "Sind Sie oder die Teams besorgt, dass es in den ersten Rennen mehr Ausfälle geben könnte, weil nur noch Botschaften über potenziell sehr kritische technische Probleme übermittelt werden dürfen?"
Whiting: "Das glaube ich nicht. Das würde mich überraschen. Seitens der Teams habe ich keine solchen Sorgen vernommen. Ich glaube, dass die das ganz gut im Griff haben."

Frage: "Die Boxenfunk-Einschränkungen kommen gleichzeitig mit neuen Reifenregeln. Glauben Sie, dass das die Teams in ihren strategischen Möglichkeiten einschränken könnte? Dass sie zum Beispiel den Fahrern nicht mehr sagen können, in welcher Runde sie reinkommen sollen?"
Whiting: "Ich bin kein Stratege, aber die Teams werden diese Dinge genauso schon vor den Rennen zu Tode besprechen, wie das bisher der Fall war. Sie werden genau wissen, was sie zu tun haben, und sie dürfen ja einen Fahrer jederzeit reinholen, solange er nur in der gleichen Runde reinkommt, wie er darüber über Funk informiert wurde."

"Sie dürfen dem Fahrer nicht sagen, welche Reifen er bekommt, aber sie könnten sie ihm theoretisch zeigen." Charlie Whiting

"Wollen sie also die Strategie ändern, müssen sie nur 'Box this lap!' funken. Sie dürfen dem Fahrer nicht sagen, welche Reifen er bekommt, aber sie könnten sie ihm theoretisch zeigen. Der einzige Unterschied ist, dass sie eine Änderung der Strategie nicht mehr ausführlich mit dem Fahrer am Funk besprechen können."

Frage: "Wird es erlaubt sein, die Displays am Lenkrad für Mitteilungen zu nutzen?"
Whiting: "Nein, nicht für Botschaften. Es gibt sehr strenge Regeln darüber, was dem Fahrer über das Display angezeigt werden darf. Das ist natürlich ein sehr komplexes und machtvolles Equipment, mit dem man alle möglichen Sachen machen kann. Wir haben im Winter sehr viel Zeit damit verbracht, mit den Teams durchzugehen, was sie darauf anzeigen können und was nicht. Um es einfach zu halten: Wir werden nur Echtzeit-Informationen zulassen und nichts Vorausschauendes. Man darf zum Beispiel nicht anzeigen wie man die Bremsen zu benutzen hat, damit sie ein ganzes Rennen halten. Man muss aber Warnungen für kritische Probleme zulassen."

Frage: "Sie sagten, es ist nichts Vorausschauendes erlaubt - ist Benzinverbrauch etwas Vorausschauendes? Darf nur der momentane Verbrauch angezeigt werden oder sind Mitteilunge wie 'Ziel +/- 1' erlaubt?"
Whiting: "Man wird sehen können, wie viel Benzin verbraucht wurde und wie viele Runden gefahren sind. Aber man darf dem Fahrer nicht mitteilen, was in Sachen Verbrauch zu tun ist. Er muss sich das anschauen und selbst entscheiden."


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Frage: "Wird am Display ein Menü erlaubt sein? Dass zum Beispiel der Fahrer sieht, welchen Knopf er für einen Boxenstopp drücken muss..."
Whiting: "Nein, das geht nicht. Man kann sich Bremstemperaturen anzeigen lassen, Reifentemperaturen, Reifendruck - solche Dinge."

Frage: "Wie werden Sie die Boxentafeln kontrollieren, um das Übermitteln von Botschaften auf diesem Weg zu verhindern?"
Whiting: "Sie dürfen mit den Tafeln die gleichen Botschaften übermitteln wie über Funk, mehr nicht. Es hat zum Beispiel den Hinweis gegeben, dass die Rundenzahlen unterschiedliche Bedeutungen haben könnten: Wenn die Schrift rot ist bedeutet es dies, wenn die Schrift gelb ist, bedeutet es jenes. Wir haben eine Kamera, die alle Boxentafeln aufnimmt. Wenn uns etwas Ungewöhnliches auffällt, werden wir nachfragen. Sie werden ihr Bestes tun, so viele Informationen wie möglich an die Fahrer zu übermitteln. Ich hoffe nur, sie werden es auf legale Weise tun."

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Frage: "In der Vergangenheit war der Boxenfunk ein integraler Bestandteil der TV-Übertragungen. Haben Sie das Gefühl, dass die neue Regel das TV-Erlebnis für den Zuschauer zu Hause verwässern könnte?"
Whiting: "Nicht wirklich. Zunächst einmal haben wir viele, viele Beschwerden von Zuschauern erhalten, die verärgert darüber sind, wie viel Unterstützung den Fahrern seitens der Ingenieure zuteil wird. Genau das wollen wir unterbinden. Die Fahrer dürfen weiterhin alles sagen, was sie wollen - da gibt es keinerlei Einschränkung. Es geht nur darum, was das Team sagen darf. Auf diese Weise wird es weiterhin den knackigen Inhalt geben: Wenn jemand auf der Strecke etwas Dummes tut, kann ihn der andere Fahrer immer noch einen Idioten schimpfen. Ich glaube, dass es diese Dinge sind, die die Zuschauer hören wollen."

Frage: "Die erste Runde eines Rennens oder die ersten Minuten eines Qualifyings werden ziemlich hektisch werden. Wie sieht es mit möglichen Blockaden aus? Welche Art von Richtlinien gibt es da?"
Whiting: "Die Richtlinien haben sich, was das angeht, nicht geändert. Ich denke, die Fahrer sind sich der Regeln, was das Blockieren angeht, bewusst. Sie müssen natürlich vorsichtiger sein. Die Teams dürfen die Fahrer dabei aber informieren wie zuvor. Es stimmt, bevor die sieben Minuten in Q1 ablaufen, werden wahrscheinlich alle Autos auf der Strecke sein und es wird schwieriger werden, freie Fahrt zu bekommen. Aber so lange kein Fahrer etwas Dummes tut, dürfte es keine Probleme geben."

Frage: "Punkt 14 bezieht sich auf Instruktionen beim Positionstausch mit einem anderen Fahrer. Bedeutet das, dass ein Team..."
Whiting: "Damit meinen wir den Fall, wenn ein Fahrer eine Schikane abgekürzt hat oder neben der Strecke war und dadurch eine Position gewonnen hat. Manchmal fragt uns das Team: 'War das okay?' Und wir sagen dann: 'Nein, er muss den Platz zurückgeben.' In Mexiko vergangenes Jahr ist das glaube ich mit 'Checo' (Sergio Perez; Anm. d. Red.) und... Ich erinnere mich nicht mehr an den anderen Fahrer. Wir wollen sagen können, dass die Position dem anderen Fahrer zurückgegeben werden muss, darum geht's bei diesem Punkt."

Frage: "Als die ersten Boxenfunk-Einschränkungen bekannt gegeben wurden, haben Sie gesagt, dass sich die FIA auch die Übertragung von Telemetriedaten genau anschauen würde, um auch deren Übertragung eventuell zu beschneiden. Wie weit ist diese Untersuchung gegangen und ist das Thema für die Zukunft noch auf dem Tisch?"
Whiting: "Nein, ist es im Moment nicht. Wir haben darüber diskutiert. Die Autos sind dieses Jahr mit einem Standard-Telemetriesystem ausgestattet. Wenn das Team Informationen aus der Telemetrie nicht mehr an den Fahrer weitergeben darf - es sei denn, das Auto befindet sich in einem kritischen Zustand - dann sagt mir mein Gefühl, dass es wenig bringen würde, die Telemetrie zu reduzieren. Und solange die Daten nur vom Auto zum Team übertragen werden und nicht umgekehrt, ist das in Ordnung."


Fotos: Großer Preis von Australien