Indien: Was man nicht im TV sieht

Missliche Bedingungen für die Arbeiter, chaotische Organisation, Mängel rund um die Strecke: Nicht alles am Indien-Grand-Prix ist rosig...

(Motorsport-Total.com) - Bei allem Lob für die anspruchsvolle Streckenführung des Buddh-International-Circuit, die bei den meisten Fahrern gut ankommt, gibt es auch eine (bisher weniger medienpräsente) Schattenseite des Grand Prix von Indien. Denn der im bevölkerungsreichsten Land der Welt extreme Kontrast zwischen Arm und Reich macht auch vor der Formel 1 nicht Halt.

Titel-Bild zur News: Elektroinstallationen in Indien

Licht aus: Die Stromversorgung ist in Noida noch ein großes Problem

Das wurde von der 'Bild'-Zeitung noch recht unterhaltsam aufbereitet, als diese berichtete, dass aus der Williams-Box erst einmal eine dort eingezogene Großfamilie zwangsverwiesen werden musste, bevor das britische Team seinen Arbeitsplatz beziehen konnte. Doch gar nicht mehr unterhaltsam ist jene 'Guardian'-Story, in der die britische Tageszeitung auf erschütternde Art und Weise aufzeigt, unter welchen Bedingungen manche Arbeiter die Strecke aufbauen mussten.

Missliche Bedingungen für Arbeiter

Demnach behaupten rund 50 Arbeiter, dass sie monatelang bei bis zu 45 Grad Steine geschleppt haben, ohne dass man ihnen Behausung oder sanitäre Anlagen zur Verfügung gestellt hätte. Der Artikel erwähnt einen 13-jährigen Arbeiter, der sich mit seiner Familie aus übrig gebliebenen Plastikfolien eine Unterkunft gebaut hat, oder auch die Tatsache, dass Mittagspause beim Bau des Buddh-International-Circuit ein Fremdwort war.

Versprochen wurde den Arbeitern laut 'Guardian' ein Tagessatz von 120 Rupien (umgerechnet 1,72 Euro) - doch ausbezahlt wurde der Lohn in vielen Fällen nicht. "Wie sollen wir unsere Kinder zur Schule schicken?", klagt ein Familienvater und ärgert sich: "Wann immer wir nach dem Geld fragen, werden wir auf ein neues Datum vertröstet." Auch die Bauern, die für die Rennstrecke Grundstücke verkauft haben, soll die Regierung über den Tisch gezogen haben.

Während es den meisten Motorsportmedien unmöglich ist, alle sozialpolitischen Aspekte seriös zu beleuchten, so steht außer Frage, dass die Anlage in Noida am Medientag sowie beim heutigen Trainingsauftakt einige Mängel gezeigt hat. Bereits zum Running Gag geworden ist das Tierleben im Medienzentrum: Erst sorgte eine Fledermaus für Aufregung, dann eine riesige Motte, heute schließlich ein streunender Hund auf der Rennstrecke.


Fotos: Impressionen: Leben in Delhi


Letzteres fand Bruno Senna überhaupt nicht witzig, denn der Renault-Pilot ist 2008 beim GP2-Rennen in Istanbul schon einmal mit einem Hund kollidiert und hatte dabei Riesenglück, dass ihm nichts weiter passiert ist. "Ich werde sicherstellen, dass dieser Punkt in der Fahrerbesprechung ein Thema sein wird", zeigt er sich besorgt und fordert: "Hoffentlich achtet man ab sofort etwas besser auf solche unwillkommenen Gäste an der Rennstrecke."

Senna kritisiert Veranstalter

Einfach nur Pech war der heutige "Hundebesuch" auf der Strecke nämlich nicht: "Als wir heute Morgen an die Strecke kamen, sah ich genau diesen Hund am Rande des Fahrerlagers herumlaufen", erinnert sich Senna. "Es war auf jeden Fall genau dieser Hund. Das zeigt, dass ihm niemand wirklich Aufmerksamkeit geschenkt hat." Unbestätigten Gerüchten zufolge soll das Tier nach der fünfminütigen Unterbrechung des ersten Freien Trainings eingeschläfert worden sein.

Zumindest hat die Fahrbahn ihre erste Bewährungsprobe relativ reibungslos überstanden, was für viele überraschend kam, schließlich standen noch am Donnerstag zahlreiche Baumaschinen und Gabelstapler herum. Ein Gabelstapler blieb sogar vor der Renault-Box stecken - im eben erst frisch aufgetragenen Asphalt. Andernorts wurde Journalisten der direkte Weg ins Medienzentrum versperrt, weil der Boden frisch gestrichen war.

Arbeitende Frau in Indien

Viele Menschen in Indien arbeiten extrem hart, verdienen aber sehr wenig Zoom

Darüber, dass die Kabinen für die TV-Kommentatoren über keine Fenster verfügen und die TV-Kollegen somit auf ihre Monitore angewiesen sind, wundern sich auch viele - keine gute Voraussetzung bei einem Stromausfall, wie er am Donnerstag eingetreten ist, ausgerechnet während der FIA-Pressekonferenz. Und dass so manche TV-Kabine von den Arbeitern als Toilette missbraucht wurde, weil die neu errichteten Toiletten für sie gesperrt waren, hat man auch schon gehört...

Russisches Roulette auf den Toiletten

Apropos Toiletten, apropos keine Fenster: Was für die TV-Kabinen gilt, gilt auch für die WCs - ohne künstliches Licht aus der Steckdose gibt es gar kein Licht. Das veranlasste einen unserer britischen Kollegen zu einer höchst amüsanten Twitter-Mitteilung: "Keine Fenster in den Paddock-Toiletten. Bei den Stromausfällen ist es also wie Russisches Roulette, hier pissen zu gehen. Manchmal läuft dein Glück einfach aus..."

Wer schon mal am Bau gearbeitet hat, der erkennt auch auf den ersten Blick, dass zum Beispiel die Tribünen keine Monumente für die Ewigkeit sein werden, sondern eher schon in ein paar Jahren nach einer teuren Sanierung schreien könnten. Und dass der Smog über dem Großraum Delhi heute Morgen teilweise so stark war, dass die Autos mit den ansonsten nur im Regen verwendeten Rückleuchten unterwegs waren, trug auch nicht zu einem positiven Gesamteindruck bei.

¿pbvin|512|4207||0|1pb¿Spätestens seit den skandalbehafteten Commonwealth-Games in Indien weiß man um die schlechten sanitären Verhältnisse vor Ort. Also haben einige Teams extra zusätzliche Mechaniker einfliegen lassen, um auf der sicheren Seite zu sein, falls es zu ernährungsbedingten Erkrankungen kommen sollte. Die Ersatzleute müssen aber außerhalb der Strecke auf einen etwaigen Einsatz warten, denn im Paddock sind nicht mehr als 47 pro Team zugelassen.

Das Williams-Team ging sogar so weit, dass schon vor dem Einzug des Rennteams ins gemietete Hotel Mitarbeiter geschickt wurden, um die Bedingungen vor Ort in der Praxis zu testen. Als keiner von den "Hoteltestern" krank wurde, gab die Logistikabteilung auch für das Rennteam grünes Licht. Dabei ist das indische Essen aus Sicht vieler Paddock-Protagonisten bisher einer der Lichtblicke des indischen Formel-1-Abenteuers.

Security relativ unkoordiniert

Das kann man von Wegbeschilderung und Koordinierung des Security-Personals an der und rund um die Strecke nicht behaupten - hier weiß die linke Hand nicht, was die rechte gerade macht. Ein Grund dafür ist, dass verschiedene Firmen angeheuert wurden, die untereinander offenbar kaum organisiert sind. So haben viele Journalisten am Donnerstag stundenlang gebraucht, um jene Stelle zu finden, wo sie sich ihre Akkreditierung abholen können.

Mangelndes Engagement kann man Veranstalter Jaypee Sports International (JPSI) allerdings nicht vorwerfen, denn wenn man sich in Delhi bewegt, sieht man überall Formel-1-Plakate und sonstige Werbemittel. So war der Besuch am ersten Trainingstag dann auch trotz der für indische Verhältnisse gesalzenen Eintrittspreise recht anständig. Die meisten Inder können sich die teuren Formel-1-Tickets allerdings nicht leisten.

Streunender Hund

Vor den Hund gekommen: Dieser Streuner stürmte heute die Strecke Zoom

Ansonsten gab es auch viel Lob, unter anderem von Weltmeister Sebastian Vettel. Der wäre jedoch an der Boxenausfahrt beinahe mit Adrian Sutil kollidiert: "Für die nächsten Jahre sollte man schauen, ob man da eine andere Lösung findet", sagt er und schlägt eine Anpassung vor: "Ich weiß nicht, ob Platz ist, aber man könnte den Teich ein bisschen auffüllen und die Boxenausfahrt innen herum auf die Strecke leiten, ähnlich wie in Silverstone."