• 23.05.2012 22:55

In der Haarnadel wittert die Elektronik den Motoren-Tod

Die geringen Geschwindigkeiten sind für die V8-Motoren der Formel 1 die größte Schwierigkeit im Leitplanken-Dschungel von Monaco

(Motorsport-Total.com) - Ebenso einzigartig wie unberechenbar: Der Grand Prix von Monaco zählt zu den Highlights einer jeden Formel 1-Saison. Das Rennen durch die Straßen des glamourösen, normalerweise eher beschaulichen Fürstentums ist nach wie vor einzigartig auf der Welt. Der Stadtkurs selbst hat sich dabei im Laufe der Jahre kaum verändert.

Titel-Bild zur News: Nico Rosberg

In Monaco gehen die Uhren anders: Auch für die V8-Motoren der Formel-1-Autos

Die einzigartige Streckencharakteristik stellt die Ingenieure von Renault vor ganz besondere Herausforderungen, denn die Motoren müssenkomplexe Ansprüche erfüllen. "In Monaco lenken die Piloten ihre Boliden nicht nur mit dem Lenkrad, sondern auch mithilfe des Motors", erklärt Remi Taffin, Leiter des Grand-Prix-Teams. "Der Fahrer benötigt deswegen ein Triebwerk, das gleichmäßig und direkt auf Gaspedalbefehle anspricht."

Nur so entwickele er das nötige Vertrauen, um jederzeit voll attackieren zu können. Die größte Herausforderung in Monte Carlo liege in den geringen Geschwindigkeiten, sagt Taffin. "Daher verwenden wir hier ein ganz spezielles Motor-Management, das auf keiner anderen Rennstrecke zum Einsatz kommt. Die Triebwerke sind auf Drehzahlen von bis zu 18.000 Umdrehungen pro Minute ausgelegt. Im Fürstentum müssen sie aber in den langsamen Kurven auch bei nur 5.000 Touren noch perfekt funktionieren", so Taffin.

Der Renault Ingenieur betont die spezielle Herangehensweise der Franzosen: "Um uns auf dieses Wochenende perfekt vorzubereiten, testen wir im Vorfeld besonders ausgiebig auf unseren Motorenprüfständen. So stellen wir sicher, dass alles einwandfrei funktioniert. Dabei stimmen wir denV8 für unsere vier Partnerteams auch so ab, dass er bereits im Tourenkeller ein bissiges Ansprechverhalten an den Tag legt."

Eine der anspruchsvollsten Aufgaben besteht darin, die Triebwerke so anzupassen, dass sie sehr agil am Gas hängen und direkt das nötige Drehmoment zur Verfügung stellen. Der Pilot muss darauf vertrauen können, dass der Motor sofort reagiert, wenn er ihn braucht - ganz gleich, welches Pedal-Einstellung er fährt oder in welcher Stellung sich das Gaspedal gerade befindet.

Auch David Lamb unterstreicht die große Bedeutung einer perfekten Abstimmung für die Achtzylinder. "Monaco ist in jeder Beziehung einzigartig, so ein Rennen gibt es in der Formel 1 kein zweites Mal", so der Brite, der vor zwei Wochen als verantwortlicher Motoren-Ingenieur von Pastor Maldonado beim Grand Prix von Spanien gemeinsam mit Williams den ersten Sieg des wiedergewonnen Partners in dieser Saison feiern durfte.

"Da wir auf diesem Kurs kaum auf die maximale Höchstgeschwindigkeit kommen, wirken sich ein paar Extra-Pferdestärken so gut wie gar nicht auf die Rundenzeit aus", meint Lamb. "Die Schlüsselfrage ist, wie wir die Power auf die Straße bringen - denn genau das macht den Unterschied aus und sorgt auf der Strecke für einen echten Zeitvorteil", geht er auf die feinen Differenzen ein.

Der Williams-Techniker verdeutlicht die Besonderheiten eines Stadtkurses: "Aber auch darüber hinaus erwarten uns in Monaco einige Besonderheiten, die wir so von keiner anderen Rennstrecke kennen. Kurve sechs zum Beispiel, die enge Haarnadelkurve: Sie besitzt den engsten Radius der gesamten Saison. Hier bremsen die Piloten ihr Auto so stark zusammen." Ohne das korrekte Motor-Mapping kann dies dazu führen, dass ungewollt Schub einsetzt, weil die Elektronik ein Absterben des Aggregats unterbinden will.

Als eine von wenigen Rennstrecken verändert sich der Kurs von Monaco von einem Jahr auf das nächste kaum - immerhin handelt es sich um einen temporären Stadtkurs und nicht um eine permanente Strecke. Deswegen verfügen alle Teams über einen reichhaltigen Erfahrungsschatz und umfangreiches Datenmaterial, um ein passendes Basis-Setup zu generieren. Nichtsdestotrotz erwartet Renault in jeder Saison Neuerungen.

"Dieses Mal gehen wir die Sache sowieso etwas anders an", verrät Lamb. "Um die Kraft des Motors sicher auf die Straße zu bringen, schalten die Fahrer teilweise etwas früher als notwendig in den nächsthöheren Gang - wir nennen das 'Short-Shifting'. Darauf müssen wir auch das Mapping des Gaspdals angleichen, um unerwünschte Nebeneffekte auszuschließen. Bei einem 'normalen' Rennen kommt es niemals in einer gezeiteten Trainings- oder Qualifying-Runde, sondern ausschließlich in der In- und Out-Lap zum Einsatz."

Die Unebenheiten im Asphalt führen dazu, dass die Reifen kurzzeitig den Kontakt zur Straße verlieren. Darunter leidet einerseits die Traktion, andererseits bedeuten die plötzlich hochschnellenden Drehzahlen eine enorme Zusatzbelastung für die mechanisch beweglichen Teile im Motor. "Ein klassisches Beispiel für eine solche Stelle ist die Bodenwelle zwischen dem Casino und der Mirabeau-Kurve", weiß Lamb.