Im Angesicht der Zukunft
David Coulthard, der nach neun Jahren das McLaren-Team verlässt, ist nicht verbittert - naja, nur ein wenig
(Motorsport-Total.com) - Wenige Fahrer haben ein derart ausdrucksstarkes Gesicht wie David Coulthard. Beim Lachen sieht er aus, als würde die gesamte Haut nach hinten gezogen werden. Ist er wütend, bauen sich seine Augenbrauen zu Blitzen auf. Heute lächelt er freundlich, als er ins Kommunikationszentrum von McLaren schlendert und begrüßt mich mit einem kräftigen Handschlag. Wenn es stimmt, dass sich das Gesicht dem Leben anpasst, ist Davids Gesicht ein perfektes Spiegelbild einer turbulenten Karriere zwischen Höhen und Tiefen.

© West
David Coulthard muss nach neun Jahren das McLaren-Team verlassen
Mehr als alles andere ist Davids Gesicht ein ehrliches - passend zu seinem Charakter. Beim Sprechen fesselt er die Zuhörer. Er formuliert keine Standardphrasen wie so viele in dieser Branche, genauso wenig scheut er kritische Themen. Natürlich gibt es Dinge, über die er nicht sprechen mag und dies lässt er auch durchblicken, doch gibt er dafür auch stets eine Begründung.#w1#
Ein Beispiel: Bei der Vorbereitung dieses Interviews ließ die Pressestelle von McLaren wissen, dass sich DC ungern Fragen zu seiner Zukunft stellen lassen würde. Darauf angesprochen entgegnet er: "Was ich sagte, ist, dass ich keine Lust habe, den ganzen Sommer bei Interviews auf Spekulationen, welches Auto ich im kommenden Jahr fahren werde, zu reagieren."
Er fährt fort: "Ich nenne natürlich keine Namen von Rennställen, jedoch sage ich, dass ich zurzeit keinen Vertrag irgendwo unterzeichnet habe. Das heißt nicht, dass ich mir keine Angebote anhöre, doch bevor eine Unterschrift geleistet worden ist, wäre es unprofessionell zu spekulieren und zu kommentieren."
David Coulthards Sternstunden...
Coulthard legt Wert darauf, dass ihm zugehört wird, und fixiert seine Gesprächspartner mit seinen ungewöhnlich grünen Augen. Auch heute noch, beinahe zehn Jahre nach seinem Debüt in der Formel 1 beim GP von Spanien 1994, leuchten sie noch vor Begeisterung, wenn er über seinen Job redet. Erst recht, wenn er nach seinem Lieblingsereignis in der Formel 1 gefragt wird. "Ich bin nicht allzu spontan und einfallsreich, wenn ich meinen Lieblingsfilm oder -buch nennen muss...", bekennt er, doch dann kommt es ihm urplötzlich in den Sinn: "Die Pole 2001 in Monaco war fantastisch, die Mechaniker strahlten und das ganze Team war begeistert." David schwelgt in Erinnerungen, wirkt nahezu abwesend, als er die Runde noch einmal in seinen Gedanken fährt. Er erinnert sich, wie gut es sich anfühlte, Mika Häkkinen an diesem Tag zu besiegen, jeden zu besiegen. David wirkt voller Energie und Enthusiasmus. Was schöne Erinnerungen doch bewirken können!
"Warum sollte ich auch nicht enthusiastisch sein", fragt er, "es gibt doch keinen Grund, sich ausgebrannt zu fühlen, nicht wahr? Sicher gab es Situationen, in denen ich mich weniger wohl fühlte, schließlich ist die Formel 1 ein Geschäft mit immensem Druck. Doch zugleich ist es auch eine Lebensaufgabe. Manche behaupten, wir würden einfach eine Menge Geld verdienen, um ein Auto im Kreis zu fahren, doch der ganze Ruhm und das Glück und das Drumherum sind nichts mehr wert, wenn die Motivation sinkt. Als Mika aufgehört hat, hatte er so viel getestet und dies und jenes gemacht, dass er müde wurde. Er hatte eine Familie und die Prioritäten haben sich verschoben. Für mich hat sich jedoch nichts verschoben, selbst in den schwierigsten Zeiten nicht."
Das schwierige Jahr 2003
Keine Zeit war bei McLaren für David schwieriger als 2003, als er im internen Qualifying-Duell Kimi Räikkönen mit 6-10 unterlag und 40 Rennpunkte weniger holte. Das Ganze war für den Schotten umso bitterer, da die Saison so gut angefangen hatte: Sieg in Australien, starke Rennen in Malaysia und Brasilien. "Keine Frage, dass es eine meiner schwierigsten Zeitspannen in der Formel 1 war. Ich fiel durch das Ein-Runden-Qualifying in ein Loch, aus dem ich mir heraushelfen musste. Es sind solche Phasen, in denen man auf Menschen trifft, die dir dabei helfen wollen, doch genauso gibt es jene, die noch mehr Dreck auf dich werfen." Erneut eine direkte, ehrliche Antwort, die viel über die persönlichen Nöte aus dem letzten Jahr aussagt, ohne dabei die Interessen und das Image McLarens zu beschädigen.
Der MP4-17D vom vergangenen Jahr war nie "ein wirklich schnelles Auto", wie er zugesteht. Es fehlten dort Stärken, wo sie DC am nötigsten gehabt hätte. Wie etwa in den Kurven. "Wenn du ein Spät-Bremser bist, bist du es eben", sagt Coulthard, "du kannst nicht einfach deinen Stil ändern." DC arbeitete an seinem Qualifying und im letzten Grand Prix des Jahres, in Suzuka, verhalf ihm seine verbesserte Technik dazu, Kimi im Reserveauto zu übertrumpfen. Nach den ersten elf Qualifikationsrunden 2004 stand es 6-5 für Räikkönen.
Coulthard hat keine Probleme damit, ein Fahrer zu sein, der kontinuierlich an seiner Technik gefeilt und seinen Fahrstil optimiert hat. "Man muss immer weiter machen, sich immer besser anpassen und entwickeln. Ich tue das seitdem ich Rennen fahre. Zur Halbzeit meiner Karriere wechselte ich beim Bremsen vom rechten zum linken Fuß. Das ist so, als würde man vom Rechts- zum Linkshänder werden. Es braucht seine Zeit, du kannst es nicht einfach so machen."
Bindung zu McLaren wird auch künftig bestehen
Weit vor dem Ende der letzten Saison entschieden sich Ron Dennis und McLaren, ihrem dienstältesten Piloten die Tür zu zeigen. 2004 sollte Davids letzte Saison im Silberpfeil sein. Juan-Pablo Montoya wird ihn ersetzen. Die Nachricht schlug bei ihrer Veröffentlichung im Juli 2003 nicht gerade wie eine Bombe ein. Montoyas Dissonanzen mit Williams waren bekannt, während Dennis alles unternehmen wollte, um Kimi und Montoya mit langfristigen Verträgen zu binden - damit sie ja nicht zu Ferrari gingen. Das Timing hat jedoch die meisten Experten und Insider überrascht. David wurden eineinhalb Jahre bei einem Team zugemutet, bei dem er keine Zukunft mehr besaß.
Seine Reaktion zu einer derart rauen Personalpolitik nimmt philosophische Züge an: "Für ein Team zu fahren ist wie Heiraten und am gleichen Tag die Scheidungspapiere gereicht zu bekommen. Es ist keine Frage, ob die Scheidung tatsächlich eingereicht wird, sondern nur wann. Damit habe ich schon meine gesamte Laufbahn zu tun."
Also kein böses Blut? "Nicht wirklich. Ich habe einen Job zu erledigen und gebe weiterhin alles für das Team. McLaren schenkte mir reinen Wein ein und sagte mir, wer demnächst fahren wird. In einer derartigen Situation muss man das Persönliche vom Dienstlichen trennen. Ich werde weiterhin viele Freunde hier haben, unabhängig davon ob ich weiter hier beschäftigt bin. Es geht um private Bindungen, nicht um einen Vertrag bei McLaren."
In diesen friedlich gestimmten Zeilen stecken nur Spurenelemente, nur kleine Hinweise von Bitterkeit. Hinter seinem immer professionellen, smarten Auftreten mag sich ein anderer David verbergen, der richtig wütend, richtig enttäuscht über den Jobverlust bei McLaren ist. "Ich habe nicht 'Ihr Schweine!' gedacht, als das Team Montoya verpflichtet hat. Kein bisschen. Ich hatte ein Gespräch mit Ron und dann folgte ein weiteres mit Martin Whitmarsh, der etwas sagte wie 'Ich kann mir vorstellen, wie du dich fühlst.' Aber es war nicht so."
David Coulthards bitterste Stunden
In Momenten wie diesen, in denen DC höflich und rational bleibt, kommt die Frage auf, woher er überhaupt das Feuer und die Leidenschaft nimmt, um erfolgreich Rennen zu bestreiten. Dann erinnert man sich an 13 Grand-Prix-Siege ("Ich hoffe, ich könnte diese Zahl loswerden!"), den harten Kampf mit Schumacher beim Frankreich-Grand-Prix 2000, den ersten Sieg überhaupt (Portugal 1995), der nach 21 Rennen kam... Dann hört man damit auf, sich über seine Bodenständigkeit zu wundern und denkt daran, dass es mit ein wenig Glück auch weit mehr Siege hätten sein können.
In diesem Denkprozess kommen die bittersten Stunden in der Karriere des David Coulthard wieder zum Vorschein: die beiden Siege - Jerez 1997 und Melbourne 1998 -, die er Mika Häkkinen schenken musste. Auch sechs Jahre danach sind dies nicht nur die dunkelsten Kapitel in seiner McLaren-, sondern in seiner gesamten F1-Laufbahn. "Nun", sagt er, "ich trage das nicht immer mit mir herum, ich habe keine schlaflosen Nächte deswegen, doch wenn ich konkret danach gefragt würde, würde ich nun einmal so antworten. Ich bedauere es, in Jerez und Melbourne zurückgesteckt zu haben. Grand-Prix-Siege sind schwer zu erreichen. Ich führte in beiden Rennen und danach nur als Zweiter ins Ziel zu kommen, ist alles andere als schön."
Kein Nachtreten, keine Galligkeit. Nur eine ehrliche Antwort geradeaus. Beide Male kam die Entscheidung, David zurückzupfeifen, von oberster Stelle, von Ron Dennis. Davids näheres Umfeld erinnert sich noch gut an seinen Zorn, den er aber einzig im privaten Kreis freien Lauf gelassen hat. Es war der Tiefpunkt einer Chef-Fahrer-Beziehung, die niemals einfach war. Coulthard ist vorsichtig, wenn er über den Mann spricht, der seine Karriere in der Hand hielt und sich letzten Endes dafür entschied, ihn vom Team wegzuschicken. Es ist ein sensibles Thema, doch DC ist viel zu tapfer, um Fragen nach Dennis mit einem feigen "kein Kommentar" abzuschmettern.
Der Respekt vor McLaren-Chef Ron Dennis
"Wir sind während meines Engagements bei McLaren gemeinsam durch ein Wechselbad der Emotionen gegangen", sagt er. "Ron ist das Rückgrat des Teams, doch er ist ein Individuum, das auf den Fahrer setzen und hoffen muss, sobald das Auto auf der Strecke ist. Sobald die Dinge schlecht laufen, es sei denn aus dem Wagen steigt Rauch auf, konzentriert sich seine Unzufriedenheit auf den Piloten. Gleichermaßen ist ein Fahrer, der von seinem Auto im Stich gelassen wird, sauer auf sein Team. Es ist nicht immer leicht, eine konkrete schuldige Einzelperson zu identifizieren, also wendet man sich meistens an die Spitze." Und dann fügt er noch entschlossen hinzu: "Keiner von uns beiden ist jemand, der Kritik oder Druck fürchtet." Es müssen das eine oder andere Mal Funken gesprüht haben.
Nach einer kurzen Denkpause merkt DC wohl, dass er für seine Verhältnisse ungemein emotional gesprochen hat und begibt sich wieder in ruhigere Gefilde: "Während der ganzen Zeit hier war Ron abseits der Strecke stets eine Unterstützung und ein Freund für mich. An der Strecke hatten wir einige Meinungsverschiedenheiten und es ist immer frustrierend, wenn du dich selbst verteidigen musst. Jedoch habe ich riesigen Respekt vor Ron Dennis und den Werten, denen er sich unterwirft und die er vertritt. Ich meine das ehrlich."
Sein Gesicht ist dieses Mal schwer zu deuten, doch der Klang des Abschieds in seinen Sätzen zeigt, dass er sich dessen bewusst ist, dass eine Ära zu Ende geht. Man mag es nicht aussprechen, doch dieser GP von England, bei dem wir David trafen, mag sein letzter überhaupt sein - für McLaren sowieso. Er hat immer noch Freunde und Bewunderer in den Führungsetagen von Williams, die aber auf Webber und Button setzen, während mit Jaguar eine lose Übereinkunft für ein 2005er Engagement gefunden wurde. Hierfür müsste aber Jaguar DC überzeugen, dass Ford weiterhin die Motoren liefert.
Was also, wenn DC außen vor bleibt? "Ich habe keine konkreten Pläne für mein Leben nach der Formel 1. Aber natürlich wird es eins geben. Ich hatte eine tolle Zeit vor der Formel 1, bin mit Teams gewachsen, habe mitgeholfen wo es nur ging, bin mit den Mechanikern ausgegangen. Manche der jungen Fahrer von heute machen das gar nicht mehr durch, ich jedoch bin sehr froh, das erlebt zu haben. Ich liebe diesen Sport immer noch, ich mag den Druck und die Verantwortung. Es formt dein Leben. Nicht mehr in einer solchen Position zu sein... wäre schwierig."

