Illien: 2,4-Liter-V8-Motoren "nicht das richtige Konzept"

Mercedes-Motorenchef Mario Illien im Interview mit 'F1Total.com' über die Probleme 2004, den neuen Motor und Martin Whitmarsh

(Motorsport-Total.com) - Zu Saisonende 2004 haben es die "Silberpfeile" geschafft, die miserablen Ergebnisse am Jahresbeginn vergessen zu machen, die zahlreichen Motorschäden sind aber in Erinnerung geblieben. Mercedes-Motorenchef Mario Illien arbeitet daher für kommende Saison - entsprechend dem neuen Reglement - an einem Triebwerk, welches wesentlich zuverlässiger sein soll als in der vergangenen Saison.

Titel-Bild zur News: Mario Illien

Mario Illien baut mit seiner Firma Ilmor in England die Mercedes-Motoren

Im Gespräch mit 'F1Total.com' nimmt der 55-Jährige unter anderem Stellung zur Thematik, dass die Motoren 2005 zwei Rennwochenenden überstehen müssen. Er erklärt, warum er gegen die für 2006 vorgesehene Einführung von 2,4-Liter-V8-Aggregaten ist, und macht klar, dass ihm die Formel 1 auch nach mehr als 20 Jahren noch Spaß macht. Unkommentiert lässt er hingegen Gerüchte, wonach der Sitz von McLaren-Geschäftsführer Martin Whitmarsh wackelt.#w1#

Motorschäden gingen großteils von der Peripherie aus

Frage: "Herr Illien, zu Saisonbeginn 2004 sind viele für Mercedes fast peinliche Motorschäden aufgetreten. Wird jetzt mit Bedacht darauf und auf das neue Motorenreglement mehr Wert auf Zuverlässigkeit gelegt?"
Mario Illien: "Das Reglement schreibt vor, dass wir mit einem Motor zwei Renndistanzen fahren müssen. Das bedeutet für uns grundsätzlich eine Verdoppelung der Kilometerleistung der Motoren. Zuverlässigkeit ist entsprechend mehr gefragt. Es besteht kein Zweifel daran, dass wir in diese Richtung arbeiten müssen. Ich möchte aber auch betonen, dass 2004 viele Motorschäden nicht vom Motor selbst ausgegangen sind, sondern vom Umfeld. Der Motor ist durch diese Umfeldprobleme dann oft zu Schaden gekommen."

Frage: "Ich wollte darauf hinaus, ob Sie aufgrund dieser Motorschäden in der Entwicklung des neuen Motors eine konservativere Philosophie anwenden."
Illien: "Das ist sicher die These, die man verfolgt. Man muss natürlich immer versuchen, zuverlässig zu sein. Man kann keine Meisterschaft gewinnen, wenn man die Zuverlässigkeit nicht hat. Das gilt für den Motor genauso wie für das Fahrzeug und das ganze System. Diese Bedeutung wird jetzt noch größer, weil wir zwei Rennen mit demselben Motor bestreiten müssen. Der Schwerpunkt liegt sicher auf der Zuverlässigkeit. Eine Verdoppelung der Kilometerleistung ist klarerweise kein kleines Problem. Daran muss man intensiv arbeiten. Es gibt wesentliche Änderungen vom Gesamten her. Alle Hersteller haben sehr wenig Zeit, das umzusetzen. Da sind wir immer noch dran."

Frage: "Läuft der neue Motor schon bei den Testfahrten beziehungsweise wann wird er erstmals zum Einsatz kommen?"
Illien: "Der Motor fährt noch nicht. Der wird erst fahren, wenn das ganze Auto fertig ist. Das wird im Laufe des Januars sein. Auf dem Prüfstand läuft er natürlich schon, mehr aber noch nicht."

Leistung bleibt trotz neuer Regeln weitgehend unverändert

Frage: "Können Sie schon abschätzen, wie sehr sich das neue Reglement auf die Leistung des Motors auswirken wird?"
Illien: "Ich würde sagen, zu Beginn wird es sicher einen kleinen Negativeinfluss haben. Vielleicht müssen wir die Leistung am Anfang ein bisschen zurücknehmen, aber ich gehe davon aus, dass wir im Laufe der Saison wieder denselben Leistungsstand wie bisher erreichen."

Frage: "Das neue Motorenreglement ist etwas schwammig an die Öffentlichkeit kommuniziert worden. Was passiert mit den Motoren zwischen den Rennen? Wie überprüft die FIA, dass niemand an den Motoren arbeitet?"
Illien: "Die Motoren werden plombiert. Sie bleiben nicht bei der FIA, sondern kommen zum Team zurück, sind aber eben plombiert, damit sie nicht zerlegt werden können."

Frage: "Mercedes-Vorstandsmitglied Jürgen Hubbert hat kürzlich die Operation verlassen und wurde durch Eckhard Cordes ersetzt. Befürchten Sie, dass darunter das Formel-1-Projekt leiden könnte?"
Illien: "Nein, keinesfalls. Cordes hat ganz klar zugestimmt, gesagt, 'Wir gehen voran'. Er unterstützt die Formel 1 weiterhin. Wir sind voll im Programm dabei."

Illien hat keine Zweifel an der Performance seines Motors

Frage: "Ex-Toyota-Motorenbauer Norbert Kreyer hat kürzlich BMW, Ferrari, Honda und Toyota als die stärksten Formel-1-Motoren benannt, Mercedes dabei aber nicht berücksichtigt. Möchten Sie ihn an dieser Stelle korrigieren?"
Illien: "Man muss sich doch nur das letzte Rennen in Brasilien anschauen. Das Resultat und der Unterschied zwischen Kimi und Montoya geben da sicher Aufschluss, wo wir stehen."

Frage: "Renault hat bis vor kurzem auf eine 110-Grad-Öffnung der Zylinderbank gesetzt. Ist das grundsätzlich ein Konzept, das lohnend sein kann, und werden Sie an der derzeitigen 90-Grad-Architektur festhalten?"
Illien: "In Zukunft können wir vom derzeitigen Stand nicht mehr abweichen, weil der V-Winkel ja vom Reglement vorgeschrieben wird."

Frage: "Das heiß, ab 2006 ist auch der Zylinderwinkel von 90 Grad im Reglement festgelegt?"
Illien: "Ja."

Frage: "Wie intensiv beschäftigen Sie sich schon mit dem 2,4-Liter-V8-Motor und wie sicher ist überhaupt, dass dieses Format auch kommen wird?"
Illien: "Wir befinden uns in der Konstruktionsphase. Wir machen bereits Studien, wir machen Simulationen und so weiter. Es wird intensiv daran gearbeitet. Wir müssen zurzeit annehmen, dass der 2,4-Liter-V8 für 2006 kommt. Wenn sich das ändert, müssen wir uns entsprechend darauf einstellen, aber zurzeit ist die Annahme die, dass es so kommen wird."

2,4-Liter-V8-Motor: "Ich bin grundsätzlich auch dagegen"

Frage: "Mercedes als Konzern hat ja klar gemacht, dieses neue Format nicht zu wollen, aber wie stehen Sie als Motorenkonstrukteur dazu?"
Illien: "Ich bin grundsätzlich auch dagegen. Ich finde, das ist für die Formel 1 sicher nicht das richtige Konzept. Es ist eine sehr teure Variante, die Leistung zu reduzieren. Wenn es darum geht, die Leistung zu senken, Kosten zu sparen und die Sicherheit zu erhöhen, ist das sicher nicht der richtige Weg."

Frage: "Macht die Formel 1 mit all ihren Beschränkungen für einen Mann wie Sie heute weniger Spaß als vor 15 Jahren?"
Illien: "Das würde ich nicht sagen. Ganz egal, wie das Reglement ist, es ist immer eine Herausforderung. Man muss aus dem, was gegeben ist, das Beste machen. Das ist für einen Ingenieur immer wieder eine Herausforderung. Die Herausforderung ist genauso vorhanden - ganz egal, ob wir jetzt einen V12 bauen oder was auch immer. Es ist anders, klar, aber prinzipiell bin ich voll dabei."

Frage: "McLaren und Mercedes haben angekündigt, das Dubai-Team unterstützen zu wollen. Wird Ilmor den Motor für dieses Team bauen? Wie schätzen Sie die Glaubwürdigkeit dieses Projekts ein?"
Illien: "Ich kann das leider nicht einschätzen, weil ich in diese Sache überhaupt nicht involviert war. Die Informationen, die ich habe, kommen auch nur aus der Presse, daher kann ich keinen Kommentar abgeben."

Kein Kommentar über McLaren-Geschäftsführer Whitmarsh

Frage: "Man hört, dass ihr Verhältnis zu Martin Whitmarsh (McLaren-Geschäftsführer; Anm. d. Red.) sehr abgekühlt sein soll. Wie würden Sie dieses Verhältnis beschreiben?"
Illien: "Hm. Ich glaube, es ist momentan am besten, wenn ich darüber keinen Kommentar abgebe."

Frage: "Stimmt es, dass Martin Whitmarsh bei Ilmor in Brixworth nicht mehr erwünscht ist?"
Illien: (zögert lange) "Wir arbeiten weiterhin mit McLaren zusammen, McLaren ist unser Partner. Sie werden das Auto einsetzen. McLaren ist sicherlich ein gutes Team und die Zusammenarbeit läuft weiter."

Frage: "Glauben Sie, dass 2005 die Ferrari-Dominanz enden kann, und wenn ja, warum?"
Illien: "Die kann durchaus gebrochen werden, aber das vorauszusagen, wäre nicht richtig. Ferrari hat ein sehr stabiles Team, ein sehr stabiles Programm. Ich kann mir sehr gut vorstellen, dass sie auch nächstes Jahr ein sehr gutes und zuverlässiges Auto haben werden. Es muss natürlich passieren, dass ein anderes Team einen ebenso großen Schritt macht wie Ferrari, damit sie unter Druck gesetzt werden. Dann kann es dazu kommen."