• 28.11.2004 12:47

Haug: "Kritischer geht es gar nicht"

Der Mercedes-Motorsportchef spricht im ausführlichen Interview über die neuen Fahrer, Coulthard, Ferrari, die DTM und Häkkinen

(Motorsport-Total.com) - Die Saisonbilanz 2004 fällt für Mercedes-Motorsportchef Norbert Haug nicht gerade zufrieden stellend aus - mit einem Lichtblick: In der zweiten Jahreshälfte fanden die Silberpfeile wieder den Anschluss an die Spitze, womit auch die Perspektiven für 2005 nicht so schlecht aussehen. Im Interview analysiert der Schwabe die Probleme der Vergangenheit, den Weg aus dem Tief und nennt Erwartungen und Hoffnungen für die Zukunft.

Titel-Bild zur News: Norbert Haug

Norbert Haug redet die vergangene Saison nicht schön

Frage: "Was haben sie aus dieser - wie sie selbst oft genug gesagt haben - eigentlich nicht zufrieden stellenden Formel-1-Saison 2004 gelernt?"
Norbert Haug: "Das 'eigentlich' kann man weglassen. Sie war nicht zufrieden stellend. Die Saison hatte zwei Hälften, in dem Fall sogar zwei mathematische Hälften. Die Rennen eins bis neun, mit Resultaten, die weit weg waren von den gesetzten Zielen. Die Rennen zehn bis 18 hatten durchaus einige Höhepunkte, aber nicht genügend. Ein sicherlich sehr gutes Rennen, das uns als Muster gilt, war klarerweise Spa, denn das war ein auf der Strecke erkämpfter Sieg."#w1#

"Aber eine Marke wie Mercedes, eine Marke wie McLaren, will natürlich nicht ein Rennen im Jahr gewinnen und auch nicht eines von neun... Aber trotzdem sind wir am Ende immerhin dreimal in fünf Rennen vor dem Sieger der Saison, Sieger der letzten Jahre, Michael Schumacher, der dreizehn Mal gewonnen hat, ins Ziel gefahren. Was zeigt, dass es möglich ist, besser zu arbeiten. Und das muss unser Anspruch sein."

"Haben einen zu großen Schritt versucht"

Frage: "Heißt das, das Team meint, in der ersten Saisonhälfte nicht gut genug gearbeitet zu haben? "
Haug: "Die Arbeit war da noch viel umfangreicher als in der zweiten Saisonhälfte, aber wenn das Basispaket nicht stimmt, wenn man etwas versucht hat, was sich nicht so auszahlt, dann hat man einen technischen Level, sowohl was den Speed, sprich Rundenzeit, als auch was die Zuverlässigkeit betrifft, der es einfach nicht möglich macht, da zu fahren, wo man erwartet wird. Der Sport wird für die Öffentlichkeit, für die Zuschauer gemacht."

"Mich wundert es also nicht, dass man von Mercedes erwartet, dass vorne gefahren wird und möglichst oft gewonnen wird, was wir in der Vergangenheit ja auch geschafft haben. Wir haben einen zu großen Schritt auf einmal versucht. Das hat sich im 18er gezeigt, das hat sich im 19A fortgesetzt. Die gute Botschaft ist die, dass wir zurückgekommen sind zu dem, was wir wirklich können. In dieser kurzen Zeit etwas umzudrehen, das bedeutet, dass ein Team Substanz hat."

"Kritischer geht es gar nicht"

Frage: "Haben sie intern nie das Vertrauen in diese Substanz verloren - oder kam das doch erst richtig wieder, nachdem die Wende geschafft war?"
Haug: "Es ist vollkommen klar, dass man sich intern kritische Fragen stellt, unsere interne Berichterstattung ist - wenn es den Begriff nicht gibt, dann erfinde ich ihn jetzt mal - 'kritischst', kritischer geht es gar nicht. Niemand hat das Vertrauen in unsere Mannschaft verloren und mit den richtigen Konzepten haben wir uns klar gesteigert."

Frage: "Und die Richtung für 2005 stimmt?#b
Haug: "Das glaube ich wohl, ja, aber wir wollen und können noch einen deutlichen Schritt machen. Die Konkurrenten werden auch besser werden. Vorhersagen zu machen ist falsch, aber wir müssen in einer Position sein, wo wir nicht von Vorhersagen reden, sondern eine gute, schlüssige Antwort auf der Rennstrecke geben und die beste Antwort gibt man mit guten Resultaten."

"Die Richtung ist die richtige"

Frage: "Vielleicht muss McLaren-Mercedes gar nicht mehr einen so großen Schritt machen, denn zuletzt war das Team nicht mehr so weit weg?"
Haug: "Ganz im Gegenteil. Die Richtung ist die richtige. Aber: Wenn man erklären muss, dass die Richtung die richtige ist, dann ist was falsch. Die Betrachter müssen zu dem Schluss kommen, dass die Richtung stimmt. Es gibt Leute, die haben uns richtigerweise als Verlierer der Saison bezeichnet, aber auch als Gewinner der Saison. Erste Saisonhälfte ganz daneben, zweite Saisonhälfte guter Aufstieg... Aber dass an uns der absolut kritischste Maßstab angelegt wird, das müssen wir akzeptieren. So wie man erwartet, dass die S-Klasse das beste Auto der Welt ist, erwartet der Betrachter, dass der Mercedes-Rennwagen der beste im Feld ist."

Frage: "Was er 2004 nicht war..."
Haug: "Ja, stimmt, was aber in einem Sport, in dem so viele Einflussgrößen existieren, sehr schwer fortgesetzt zu bewerkstelligen ist. Es ist sehr gut, wenn man ein Auto hat, mit dem man das nächste Rennen gewinnt. Aber in den ersten neun Rennen konnten wir das nicht sagen. In den zweiten neun Rennen hatten wir bei einigen eine gute Möglichkeit, zu gewinnen. Es gab bei den neun Rennen sieben Startplätze in der ersten und zweiten Reihe, und tendenziell waren wir mit der Spritmenge eher immer auf der konservativen Seite. Es gab nur einen Sieg und deshalb bin ich weit weg davon, zufrieden zu sein."

"Wir können gut aussehen"

Frage: "Apropos äußere Einflüsse: 2005 gibt es ein neues Reglement, wie weit wird sich das auf die Kräfteverhältnisse auswirken?"
Haug: "Das ist vielleicht ein platter Spruch - aber das Reglement ist für alle gleich. Diejenigen, die sich am besten darauf einstellen, sollten die besten Chancen haben. Wir waren eigentlich - auch durch die Übung mit dem 19B - immer sehr schnell in der Lage umzusetzen und deshalb denke ich, dass wir gut aussehen können."

Frage: "Mit Juan-Pablo Montoya startet im nächsten Jahr ein neuer Fahrer an der Seite von Kimi Räikkönen. Was erwarten sie an neuen Impulsen?"
Haug: "Das beste Beispiel, wozu die beiden in der Lage sind, war der letzte Grand Prix in Brasilien. Kimi hat einen guten Job gemacht, Juan-Pablo hat unter größtem Druck einen sehr guten Job gemacht, sich keinen Fehler erlaubt und mit dem Williams-BMW knapp, aber verdient gewonnen. Aber ich glaube, jeder sah, dass beide mit einer Siegchance unterwegs waren, aber wenn am Ende eine Sekunde fehlt, dann ist mir das viel lieber als wenn es zwei Runden sind, was es ja auch schon gab."

"David hatte am Ende sicher seine Probleme"

Frage: "Kimi und Juan - eine stärkere Paarung als Kimi und David?"
Haug: "Das hoffen wir natürlich. David hat sehr gute Arbeit geleistet: 150 GP, das hat kein Fahrer in einem Team geschafft. 51 Podiumsplätze, das bedeutet im Ziel mathematisch bei jedem dritten Rennen auf dem Podium, das ist ein ordentliches Ergebnis. Am Ende hatte David sicher seine Probleme und sich vielleicht selbst sehr unter Druck gesetzt, um die eine Runde so hinzubekommen, dass man dann eben, wenn möglich, vom dritten, zweiten oder ersten Startplatz losfährt und nicht vom fünften, sechsten oder zwölften. Derjenige, der weiter hinten losfährt, hat keine Chance, auch wenn er schnell ist."

Frage: "David Coulthard war sehr lange Mitglied der Mercedes-Familie. Wäre für ihn auch weiter im Gesamtkonzept des Hauses Mercedes Platz?"
Haug: "Das kommt auf seine Wünsche an. Es muss Sinn machen und es muss ihn ausfüllen. Es gibt zwei Beziehungen, die wir haben: Erstens die Arbeitsbeziehung, das ist Leistungssport zu betreiben. Die andere Seite ist die freundschaftliche Beziehung, und ich bin mir sicher, dass die bestehen bleiben wird."

Frage: "Könnte es sein, dass wir irgendwann auch DC in der DTM sehen?"
Haug: "Da haben wir noch nicht darüber gesprochen, das ist ein Ansatz, den er wählen und diskutieren muss. Wir haben das nie diskutiert."

"Die Fahrer haben bei uns ein Familiengefühl"

Frage: "Montoya ist bekannt als ein emotionaler Typ, der auch eine warme Umgebung braucht. Das entspricht ja auch Ihrem Umgang mit Fahrern. Könnte er sich bei McLaren-Mercedes wohler fühlen als bisher bei BMW-Williams - und sich dadurch auch noch weiter
steigern?"
Haug: "Das hoffen wir. Aber auch da sollte man keine Vorhersagen machen. Ich kann das Verhältnis, das er zu BMW-Williams hatte, nicht beurteilen, und ich kann auch nicht sagen, wir können ihm eine bessere Heimat geben. Wir geben ihm unsere Heimat. Wir sind mit unseren Fahrern immer gut und vernünftig umgegangen. Vielleicht wirkt das nach außen, speziell von der McLaren-Seite her, manchmal ein bisschen cool, aber ich denke, dass die Fahrer bei uns wirklich ein Familiengefühl haben. "

Frage: "Die Zielsetzung für 2005: Wir fahren um den WM-Titel mit?"
Haug: "Das muss unser Ziel sein, ganz klar, und es muss unser Ziel sein, was wir in den letzten Rennen 2004 gezeigt haben, zu stabilisieren und einen weiteren Schritt zu machen. Prognosen zu geben, wer Weltmeister wird, ist unmöglich, aber wir wollen vorne dabei sein, wir wollen uns weiter steigern und wir haben die Substanz dazu, wie wir in der zweiten Saisonhälfte 2004 gezeigt haben."

"Mika wird seine Anpassungszeit brauchen"

Frage: "Noch ein Wort zu Mika Häkkinens Comeback in der DTM..."
Haug: "Das ist so wie vorher bei David angesprochen. Mika wollte das, hat sich interessiert, hat die DTM beobachtet, hat viel Zeit gehabt, sich viele Rennen angeschaut und fand den Sport gut. Wir haben gesagt, Du kannst testen, sofern du Lust hast - und jetzt hatte er Lust. Er konnte das Team so überzeugen, er hat seine Qualitäten, und ich glaube, wer ihn heute sieht, der weiß, dass er sich was vorgenommen hat."

"Er wird seine Anpassungszeit brauchen. Die DTM braucht Stars und junge Talente, und wenn das junge Talent dann den Star schlägt, dann ist es gut; wenn der große Star das junge Talent schlägt, dann ist es auch prima. Mika wusste natürlich ganz genau, dass in der DTM auch DTM-Gehälter bezahlt werden, das, was ein zweimaliger Weltmeister für uns, für die Serie und für die Sache wert ist, eben ein vernünftiger Preis für beide Seiten, der nicht den Bruchteil eines Formel-1-Niveaus erreichen kann."

"Die DTM wird der Formel 1 nie Konkurrenz machen"

Frage: "Trotzdem bekommt die DTM mit dem Superstar Mika Häkkinen eine weitere Attraktion - auch eine weitere Möglichkeit auf dem Weg, der Formel 1 zumindest publikumsmäßig immer mehr Konkurrenz zu machen?"
Haug: "Die DTM wird der Formel 1 nie Konkurrenz machen, die DTM hat ein ganz anderes Konzept, das lautet: Bring die ganze Familie mit, zahl 75 Euro für eine vierköpfige Familie. Das wird die Formel 1 nicht leisten können, dazu ist der Formel-1-Sport zu teuer. Ich wäre der Letzte, der versuchen würde, DTM mit Formel 1 zu vergleichen."

"Es gibt Elemente in der DTM, die Zugänglichkeit von Fahrern, den Service-Gedanken, das Publikum in den Mittelpunkt zu stellen - da kann sich die Formel 1 sicher hier und da ein Beispiel nehmen. Wir praktizieren das an den Mercedes-Tribünen in Hockenheim und am Nürburgring verstärkt, und das ist der richtige Weg. Für uns ist der Kunde König, der Zuschauer ist Kunde, wir werben darum, dass Menschen, die uns gut finden, die uns auf der Rennstrecke sympathisch finden, unsere Produkte fahren."

"Ich bin überhaupt nicht frustriert"

Frage: "Das könnte ja auch in der Formel 1 viel besser funktionieren, nur macht die dort herrschende Politik sehr vieles immer schwieriger. Wie frustriert sind sie von dieser Entwicklung?"
Haug: "Ich bin überhaupt nicht frustriert. Wer frustriert ist, der wird nichts bewegen. Man muss sich auf das einstellen, was Sache ist, und dann Wege finden, besser zu sein als die anderen und zwar in einem fairen Wettbewerb. Ich glaube, die Formel 1 braucht hier und da einen gewissen Leidensdruck."

"Die Formel 1 hat einen großen Boom erlebt, hat aber ihren größten Boom, wenn die Dinge richtig gemacht werden, noch vor sich. Insofern haben wir die Aufgabe, daran konstruktiv zu arbeiten und die Perspektiven aufzuzeigen, die möglich sind. Ich glaube, da gibt es sehr, sehr gute Ansätze, es gibt Unterschriften von neun Teamchefs unter ein Papier, das sehr vernünftig ist..."

Haug hofft auf Ferrari

Frage: "Haben sie Hoffnung, dass Ferrari da noch mitmacht?"
Haug: "Das hoffe ich wohl, obwohl ich die Ferrari-Position auch verstehen kann. Aber ich denke, wenn man die Zukunft der Formel 1 strukturiert: Wenn vier oder fünf Motoren vergleichbar konkurrenzfähig sind, dann können die möglicherweise mit einem vernünftigen Reglement auch für die Hälfte des Geldes dargestellt werden und das ist unser Credo."

"Dafür ziehen wir allerdings nicht schreiend in den Kampf, aber wir wollen zumindest gehört werden. Denn wir haben eine profunde, wohldurchdachte Meinung, akzeptieren aber auch, dass die Formel 1 in ihrem Abstimmungsprozedere keine Demokratie ist. Aber in der Meinungsbildung sollte die demokratische Basis allemal vorhanden sein, so dass jeder seine Meinung äußert und im Idealfall die bessere Meinung siegt. Was zum Beispiel in der DTM sehr gut funktioniert."

Frage: "Gibt es schon eine Entscheidung, ob Mercedes, BMW und Honda wegen der Beibehaltung der Drei-Liter-Motoren vor ein Schiedsgericht ziehen werden?"
Haug: "Das wird noch diskutiert. Wir müssen als erstes sehen, dass wir konkurrenzfähig sind und dass wir den Sport nach vorne bringen."