Horner erklärt den gewonnen Taktik-Krimi

Red Bull und Lotus spielten auf dem Nürburgring ein Schachspiel auf höchstem Niveau - Christian Horner erklärt die entscheidenden Züge für den Erfolg

(Motorsport-Total.com) - Der Grand Prix von Deutschland auf dem Nürburgring war bis zum Zielstrich ein Taktik-Krimi zwischen Red Bull und Lotus. Hätte das Rennen eine Runde länger gedauert, wäre es vielleicht anders ausgegangen. Da nach 60 spannenden Runden Schluss war, war die Strategie von Red Bull perfekt. Sebastian Vettel setzte die Vorgaben auf der Strecke perfekt um und holte sich seinen ersten Heimsieg. Die Kommandostände hatten im Laufe der etwas mehr als eineinhalb Rennstunden viel zu tun. Die Köpfe rauchten und die Finger flogen über die Tasten der Taschenrechner.

Titel-Bild zur News: Sebastian Vettel

Bis zum Zielstrich spürte Sebastian Vettel den heißen Atem von Kimi Räikkönen Zoom

Entscheidend für das Rennen war die Safety-Car-Phase in Runde 24. Red Bull holte Vettel sofort an die Box und montierte wieder die harte Reifenmischung. "Es war eine schwierige Entscheidung", blickt Teamchef Christian Horner zurück. "Das Safety-Car kam auf die Strecke, als der gestrandete Marussia ein Eigenleben entwickelte. Das war ein blöder Zeitpunkt im Rennen, denn es war noch zu weit, um mit dem harten Reifen durchfahren zu können."

"Deshalb entschieden wir uns für eingefahrene harte Reifen bei Sebastians Auto, da wir nur noch einen frischen Satz für den letzten Stint hatten. Deshalb entschieden wir uns für den Stopp. Wir dachten uns aber auch, dass Lotus versuchen könnte durchzufahren." Von da weg war es ein Schachspiel zwischen Lotus und Red Bull um den Sieg. Lotus hatte mit Romain Grosjean und Kimi Räikkönen noch zwei heiße Eisen im Feuer.


Fotos: Sebastian Vettel, Großer Preis von Deutschland


Red Bull konnte nur mit Vettel reagieren. In Runde 40 holte Lotus Grosjean für seinen letzten Stopp an die Box. Es wurden wieder die harten Reifen aufgezogen. Red Bull reagierte und holte Vettel eine Runde später an die Box. Es wurden ebenfalls harte Reifen montiert. "Als Grosjean dann stoppte, machte es für uns Sinn, dass wir an die Box kommen, selbst wenn das bedeutete, dass wir Kimi die Führung überlassen. Zu diesem Zeitpunkt sah er noch in guter Form aus."

Sebastian Vettel, Christian Horner

Christian Horner lobt die taktische Meisterleisung seines Teams Zoom

Lotus splittete die Strategie und ließ Räikkönen auf der Strecke. In Runde 49 bog schließlich auch der Finne zu seinem letzten Service ab und nahm für den Schlusssprint gebrauchte weiche Reifen mit. "Nach dem Stopp hatten wir Grosjean unter Kontrolle und versuchten dann, dass der Rückstand auf Kimi kleiner bleibt als für einen Boxenstopp nötig ist, damit Sebastian dann genug Vorsprung hat, um Kimi nach seinem Stopp auf weiche Reifen kontrollieren zu können", sagt Horner über die entscheidende Schlussphase.

"Lotus war zu Beginn des Rennens sehr schnell mit dem weichen Reifen. Sebastian hatte für die letzten Runden genug Vorsprung, um Kimi hinter sich zu halten." Es passte bis ins Ziel, doch es ging zwischen diesem Trio sehr eng zu. Bevor Vettel in Runde 41 seinen zweiten Stopp machte, war nicht sicher, ob er vor Grosjean herauskommen würde. "Laut unserer Kalkulation wäre er eine halbe Sekunde vor Grosjean wieder auf die Strecke gekommen", unterstreicht Horner wie eng es war.

Es ging extrem eng zu

"Deshalb haben wir Sebastian auf der Runde in die Box angefeuert. Sein Ingenieur sagte, dass er alles geben soll, was er hat. Das hat er auch gemacht. Er hat darauf reagiert und den nötigen Vorsprung herausgeholt. Trotz des Problems beim Boxenstopp heute (Radverlust bei Webber; Anm. d. Red.), haben sie dann alles richtig gemacht. Wir konnten den Vorsprung sogar etwas vergrößern. Es war ohnehin sehr knapp, aber wir haben richtig reagiert."

Sebastian Vettel

Zum ersten Mal regierte der berühmte Vettel-Finger in Deutschland Zoom

Im Ziel feierte Vettel seinen Sieg ausgelassen mit den deutschen Fans. Es war nicht nur sein erster Sieg auf heimischem Boden, sondern auch sein erster Sieg überhaupt im Monat Juli. "Mir war nicht bewusst, dass er noch nie ein Rennen im Juli gewonnen hat, bevor man ihn in der Pressekonferenz daran erinnert hat", sagt Horner unwissend. "Das Heimrennen zu gewinnen ist etwas ganz Besonderes. Er ist sicher sehr stolz darauf."

"Er sieht aber immer das große Gesamtbild. Vor dem Rennen haben wir gesagt, dass wir versuchen werden das Beste herauszuholen. Wenn das der zweite Platz ist, dann wird man eben Zweiter. Man bekommt hier genau so viele Punkte wie bei den anderen 18 Rennen. Man geht es Rennen für Rennen an." Der Sieg war nach dem Ausfall ein weiterer kleiner Schritt Richtung viertem WM-Titel. Vettels Vorsprung auf Fernando Alonso ist auf 34 Punkte angewachsen.

WM-Titel ist noch weit weg

Trotzdem will Horner noch lange nicht an den WM-Titel denken. "Es ist ein Vierkampf um die WM. Man darf niemanden abschreiben. Wir sind erst bei Halbzeit und es kann sich noch viel ändern. Dass wir vier Grands Prix in der ersten Saisonhälfte gewonnen haben, ist sehr schön, aber es garantiert nichts. Wir sehen an jedem Wochenende, dass die Teams unterschiedlich konkurrenzfähig sind. Das wird sich auch bei den nächsten Rennen fortsetzen."

"Es ist ein Vierkampf um die WM. Man darf niemanden abschreiben." Christian Horner

Red Bull ist derzeit konstant stark. Dafür wechseln sich Woche für Woche die Gegner ab. Ist Horner von der schwächelnden Mercedes-Form überrascht? "Ja, weil sie am Freitag sehr stark ausgesehen haben. Die hohen Temperaturen haben sie heute wahrscheinlich stärker betroffen. Lotus war heute sehr schnell. Wir waren überrascht, dass Fernando im ersten Stint so früh an die Box gekommen ist. Ich weiß nicht, was bei ihm das Problem war. Es war aber sehr früh klar, dass Grosjean nach seinem langen ersten Stint mit den weichen Reifen unser Hauptgegner ist. Dann mischte sich auch Kimi ein. Sie waren heute sehr stark."

Nach 60 Runden ging Red Bull als Sieger aus dem Taktik-Krimi hervor. Horner behält sich eine Sache in Erinnerung: "Sebastian hatte nach dem Rennen einen großen Grinser im Gesicht. Als er die Ziellinie überquerte, war er sehr aufgeregt. Dazu kommt die Art, wie er diesen Sieg herausgefahren hat. Er hat nichts falsch gemacht. Wenn er pushen musste, dann hat er gepusht. Es war absolut perfekt von ihm."