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  • 01.03.2011 18:33

  • von Sven Haidinger & Dieter Rencken

Hintergrund: Im mobilen High-tech-Labor von Shell

Warum Shell als einziger Spritlieferant auf ein mobiles Labor im Fahrerlager setzt und was passiert, wenn man Formel-1-Benzin auf die Haut bekommt

(Motorsport-Total.com) - Es ist der Stoff, aus dem die Träume sind: Ohne Benzin läuft in der Formel 1 gar nichts. Doch welcher Kraftstoff treibt die Formel-1-Boliden an? In der Indy-Car-Serie setzte man jahrelang auf Methanol, das im Fall eines Brandes unsichtbar ist. Ein Horrorszenario, wenn man in einem brennenden Boliden sitzt und das Feuer bloß spürt. In der Formel 1 verwendete man in den 1980er Jahren teilweise Raketen-Kraftstoff, der die Haut verätzte, wenn man damit in Berührung kam.

Titel-Bild zur News:

Viel Aufwand ist nötig, bis der Sprit tatsächlich im Boliden landet

Doch diese Zeiten sind längst vorbei, wie Shell-Wissenschaftler Gareth Lowe im Gespräch mit 'motorsport-total.com' bestätigt: "Unser Benzin verhält sich nicht wie eine Säure, wenn du es auf die Hände bekommst - der Kontakt damit ist vollkommen ungefährlich. Die FIA will, dass sich der Sprit nicht großartig von den europäischen Benzinstandards unterscheidet." Sprich: In der Formel 1 wird im Grunde Tankstellen-Benzin verwendet. Mehr als 99 Prozent entsprechen dem Sprit von der Zapfsäule.

Bloß die Handhabung unterscheidet sich: In einem acht Quadratmeter großen Labor hinter der Ferrari-Box wird nichts dem Zufall überlassen, schließlich kann der Kraftstoff auch Formel-1-Träume zerplatzen lassen. Kleine Abweichungen vom zu Saisonbeginn eingereichten Sprit-Fingerabdruck würden die Disqualifikation bedeuten. Lowe und zwei weitere Shell-Mitarbeitern sorgen dafür, dass dies nicht passiert - sie begleiten das Ferrari-Team zu allen Rennen.

Shell einziges Team mit Rennstrecken-Labor

"Wir überprüfen, ob das Benzin legal ist, wenn wir es in die Garage transportieren", erklärt Lowe. "Das machen wir mit einer Methode namens Gaschromatographie." Die FIA verwendet die gleiche Technik wie Shell, dadurch können Unregelmäßigkeiten durch die Überprüfungs-Methode ausgeschlossen werden. Die anderen Rennställe setzen auf das gleiche technische Equipment wie Shell, bestätigt Lowe. Dennoch gilt der Ferrari-Partner mit seinem eigens angerfertigten Labor als professionellster Spritlieferant.

"Bei den anderen Teams steht das Equipment in einer Ecke in der Garage", vergleicht Lowe. "Das ist nicht der ideale Ort dafür, denn es ist sehr sensibel." Aus diesem Grund muss der Ablauf, wie der Sprit zur Rennstrecke und daraufhin ins Auto gelangt, genauestens eingehalten werden. Ausgangspunkt ist das Shell Technology Center in Chester in Großbritannien. Von dort aus werden rund 250.000 Liter Benzin und 40.000 Kilo Schmierstoffe - neben Ferrari sind auch Toro Rosso und Sauber Shell-Kunden - geliefert. Allein bei Ferrari sind es 1.000 bis 2.000 Liter Sprit pro Rennen.

"Das Benzin darf sich beim Transport auf keinen Fall verändern." Gareth Lowe

Während die Fässer bei den Übersee-Rennen auf 50 Liter begrenzt sind, gestaltet sich der Transport bei den Europarennen bei weitem einfacher. Die 200-Liter-Fässer werden via DHL-Truck zu den Rennen befördert. Was dabei oberstes Gebot ist? "Das Benzin darf sich beim Transport auf keinen Fall verändern, das ist das letzte, was man will", erklärt der Wissenschaftler.

Stickstoff als "Konservierungsmittel"

Aus diesem Grund setzt man auf eine ausgeklügelte Vorgangsweise: "Im Fass gibt es über dem Benzin eine Luftschicht. Damit diese verdrängt wird, leiten wir Stickstoff hinein - das Fass wird sozusagen mit Stickstoff versiegelt. Dadurch wird gewährleistet, dass die Qualität erhalten bleibt - das Benzin kommt im gleichen Zustand wie bei der Versiegelung an der Rennstrecke an."

Um zu gewährleisten, dass auch dort keine Verunreinigung stattfindet, setzt Shell auf sündteure Laborgeräte. Beim Eintreffen an der Rennstrecke und beim Transfer vom Fass in die Garage wird das Benzin einmal mehr von Shell untersucht. Der Grund ist, dass auch in der Box eine Unregelmäßigkeit entstehen kann, zumal die FIA nach dem Qualifying und nach dem Rennen Stickproben nimmt.

"Wenn wir von der FIA überprüft werden, dann sind wir zu hundert Prozent sicher, dass unser Sprit legal ist." Gareth Lowe

Lowe lobt seinen Kunden, geht aber lieber auf Nummer sicher: "Ferrari ist ein sehr gründliches Team. Wir überprüfen aber eine Woche lang genau, was in der Box vor sich geht. Wenn etwas nicht stimmt, dann vergleichen wir es mit dem Referenzprodukt und können die entscheidenden Komponenten entfernen. Das ist der Grund, warum wir über das komplette Wochenende hinweg an unserem Ablauf festhalten. Wenn wir nach dem Qualifying oder dem Rennen überprüft werden, dann sind wir zu hundert Prozent sicher, dass unser Sprit legal ist."

Shell liefert auch KERS-Kühlflüssigkeit

Das war in der Formel 1 nicht immer der Fall: 1995 wurden die vom französischen Mineralöl-Konzern Elf belieferten Renault-Teams Williams und Benetton beim Saisonauftakt in Brasilien wegen Unregelmäßigkeiten beim Sprit disqualifiziert. Ferrari-Pilot Gerhard Berger wähnte sich damals kurzzeitig als WM-Leader, doch bei der Berufungsverhandlung wurde das Urteil der Stewards rückgängig gemacht. "Uns ist so etwas noch nie passiert", verteidigt sich Lowe.

Die Ferrari-Motorenkunden Toro Rosso und Sauber werden zwar ebenfalls von Shell mit Sprit und Schmierstoffen beliefert, in den Genuss des Ferrari-Services kommen sie allerdings nicht. "Wir haben eine exklusive technische Partnerschaft mit Ferrari und beschäftigen uns daher nicht auf einer täglichen Basis mit Sauber und Toro Rosso", erklärt der Brite. "Wenn Ferrari will, dass wir ein paar Proben von ihnen analysieren, dann machen wir das, bei den Rennen kümmern sich diese Teams aber selbst um unsere Produkte."

"Wir beschäftigen uns nicht auf täglicher Basis mit Sauber und Toro Rosso." Gareth Lowe

Darunter fallen dieses Jahr nicht nur Sprit und Schmierstoffe, sondern auch die Flüssigkeit für das Energie-Rückgewinnungs-System KERS. Dabei handelt es sich laut Lowe nicht um Wasser, sondern um ein "sehr leichtes Öl, das leichter als Wasser ist." Trotz des großen Aufwandes versucht man aber, die Kosten im Griff zu behalten. Aus diesem Grund kann Ferrari nur zwischen zwei oder drei Schmierstoffen pro Wochenende auswählen: "Der eine schützt den Motor besser, der andere ist eher auf Performance ausgelegt", erklärt Lowe die Unterschiede.