• 18.10.2007 19:12

  • von Stracke / Hust

Heidfeld: "Sie haben Außergewöhnliches vollbracht"

Der BMW Sauber F1 Team Pilot spricht ausführlich über Sao Paulo, die Saison 2007, den Kampf um den WM-Titel und den Blick an die Spitze der WM-Wertung

(Motorsport-Total.com) - Nick Heidfeld gab sich am Donnerstag in Sao Paulo entspannt, er war bereits am Mittwochmorgen mit einem Direktflug in Brasilien angekommen.

Titel-Bild zur News: Nick Heidfeld

Nick Heidfeld hat zumindest noch ein Ziel für das Saisonfinale in Sao Paulo

Der BMW Sauber F1 Team Pilot ist immer wieder von der Stadt beeindruckt - und gleichzeitig schockiert: "Wir sind diesmal mit dem Bus einen etwas anderen Weg gefahren, es hat aber wie immer lang gedauert. Es ist immer wieder faszinierend zu sehen, wenn man aus dem Fenster schaut und den großen Unterschied zwischen Arm und Reich sieht."

"Die Leute", so der Deutsche weiter, "sind sehr freundlich": "Das habe ich gestern wieder gemerkt, als ich einen Sponsoren-Auftritt hatte. Ich weiß nicht, wie das bei den anderen ist, aber man kommt ja wohl immer mit etwas Angst hier her, weil hier des Öfteren etwas passiert. Den meisten ist noch nichts passiert, aber über zwei Ecken kennt man immer jemanden, der schon überfallen wurde."#w1#

"Man hat dennoch Angst, wenn man durch die Stadt läuft." Nick Heidfeld

Der 30-Jährige empfindet die Brasilianer als "sehr freundliche und lebensfrohe" Menschen - umso größer sei die Kluft zur Kriminalität: "Dann bewegst du dich durch die Stadt und die Leute sind immer sehr freundlich, das ist ebenfalls ein Gegensatz. Man erlebt eigentlich immer nur freundliche Leute und hat dennoch Angst, wenn man durch die Stadt läuft."

"Ich denke, dass man nicht nur als Formel-1-Pilot froh ist, wenn man das hier sieht, dass man in Europa geboren ist. Genauso haben die Leute Angst, dass sie hier überfallen werden. Aber ich kann das verstehen, wenn ich irgendwo hier in einem Slum wohnen würde, dann würde mir vielleicht auch nichts Besseres einfallen, als einen reichen Schnösel mal um eine Uhr zu erleichtern.

Trotz der Tatsache, dass fast jedes Jahr ein Autos des Formel-1-"Zirkus" angehalten und ausgeraubt wird, war "Quick Nick" nicht per Lufttaxi unterwegs: "Ich fliege vielleicht am Sonntag nach dem Rennen mit dem Helikopter, um den Flug noch zu bekommen. Ich habe das schon vor zwei Jahren einmal gemacht, das war sehr imposant. Von hier zum Flughafen fliegt man glaube ich über die ganze Stadt, da sieht man zehn Minuten nur Hochhäuser, das ist Wahnsinn."

Im Rennen erwartet sich Heidfeld "nichts Spannendes": "Ich denke nach wie vor, dass wir die dritte Kraft sind. Ferrari und McLaren-Mercedes werden aus denselben Gründen wie schon bei den vergangenen Rennen etwas davon ziehen: Weil wir für das diesjährige Auto nicht mehr entwickeln sondern nur für das nächstjährige und die Top-2-Teams natürlich weiterhin Gas geben."

"Ich hoffe nach wie vor, dass wir unsere 100-Punkte-Marke knacken können." Nick Heidfeld

Ein Ziel hat der Familienvater aber dann doch noch: "Ich hoffe nach wie vor, dass wir unsere 100-Punkte-Marke knacken können. Dazu müssen wir mit beiden Autos ein gutes Rennen hinbekommen, uns fehlen sechs Punkte. Als ich vor drei Rennen gesagt habe, dass es unser Ziel sein könnte, 100 Punkte einzufahren, da hatte ich gedacht, dass dies kein großes Problem darstellen sollte. Aber jetzt wird es dann doch noch einmal eng."

Beim Blick aauf die Spitze tippt Heidfeld nun auf Lewis Hamilton: "In den vergangenen Rennen hat es bei mir immer geschwankt zwischen Lewis und Alonso. Aber mit diesem Vorsprung muss er nichts riskieren. Wenn er einfach hinter Alonso ins Ziel fährt, wird er Weltmeister."

"Unser Ziel ist es, im kommenden Jahr ein Rennen zu gewinnen." Nick Heidfeld

Vom WM-Titel ist der Rennstall kommendes Jahr laut Planungen noch weit entfernt: "Unser Ziel ist es, im kommenden Jahr ein Rennen zu gewinnen. Der Zeitabstand nach vorn ist nicht klein. Wenn man im Mittelfeld ein paar Zehntelsekunden findet, kann man direkt ein paar Positionen gutmachen. Bei uns würden uns ein paar Zehntelsekunden im Moment nur näher heran aber nicht vorbeibringen."

Und war dieses Jahr der größte Schwachpunkt des BMW Sauber F1.07? "Wenn man versucht, den gravierendsten Punkt herauszufinden, dann ist es meiner Meinung nach die Zuverlässigkeit. Wir sind diesbezüglich nicht schlecht, aber McLaren-Mercedes ist auf diesem Gebiet dominant."

"Wir sind auf dem richtigen Weg." Nick Heidfeld

"Das wäre für uns sicherlich die einfachste Möglichkeit gewesen, in diesem Jahr noch ein paar weitere Punkte zu holen. Auf der anderen Seite steigern wir uns diesbezüglich ebenfalls, wir sind also auf dem richtigen Weg, auch wenn es noch nicht optimal ist, das ist klar."

Zuletzt hatte es in Shanghai massive Probleme gegeben, Nick Heidfeld blieb im Training mehrmals stehen, Robert Kubica erwischte es dann in Führung liegend im Rennen: "Das ist in München nun analysiert worden", verrät Heidfeld. "Das Entscheidende ist, dass man jetzt weiß, was es war. Es waren beides Probleme, die mehrfach aufgetaucht sind, und sie wurden für hier behoben."

McLaren-Mercedes hat dieses Jahr gezeigt, wie es geht. Vergangenes Jahr noch durch eine mangelhafte Zuverlässigkeit geplagt, hatten die "Silberpfeile" dieses Jahr bisher noch keinen technisch bedingten Ausfall zu beklagen: "Es ist nichts unmöglich, aber sie haben da schon Außergewöhnliches vollbracht", meint Heidfeld auf die Frage, ob man kommendes Jahr ebenfalls so zuverlässig sein kann.

"Klar dauert es zu lang." Nick Heidfeld

Neidisch auf Lewis Hamilton, der in seiner ersten Saison gleich die Weltmeisterschaft anführt, ist der Wahl-Schweizer übrigens nicht: "Natürlich denkt man daran, es ist für mich jedoch nicht mit Neid behaftet. Für mich sind es zwei unterschiedliche Dinge zu sagen, dass ich dies gern auch gehabt hätte und neidisch zu sein. Seine Leistung dieses Jahr rechtfertigt dies." Und was ist mit seinen Titelambitionen? "Klar dauert es zu lang, ich denke jedoch, dass ich auf dem richtigen Weg bin. Im Moment läuft alles nach Plan."

"Ich bin natürlich von Lewis beeindruckt, dass er in seiner ersten Saison schon um die Weltmeisterschaft fährt", meint Heidfeld. "Man muss natürlich daran erinnern, dass er eine sehr gute Ausbildung hat, es ist aber dennoch außergewöhnlich. Auf der anderen Seite hatte er die Chance, in seinem ersten Jahr zum Top-Team zu kommen, das ist sehr selten."

"Ich bin für mich selbst sehr glücklich, denn es wird die beste Position sein, auf der ich je eine Saison beendet habe", lacht Heidfeld. "Ich habe zudem das Gefühl, dass sowohl ich als auch das Team in vielen Rennen das Maximum erreicht haben, und das ist immer schön."

Und welche Vorstellungen würde er selbst hervorheben? "Es gibt in diesem Jahr viele starke Leistungen, vor allem meinen zweiten Platz in Kanada, der aus verschiedenen Gründen - natürlich vor allem wegen des Unfalls meines Teamkollegen - von den Medien nicht so gesehen wird."

"Letztendlich war ich an diesem Tag das zweitschnellste Auto." Nick Heidfeld

"Natürlich sehen die Leute die Leistung auch nicht, weil es ein chaotisches Rennen war. Aber letztendlich war ich an diesem Tag das zweitschnellste Auto, schneller als beide Ferrari und schneller als ein McLaren-Mercedes. Das war auch für mich ziemlich besonders."

Sowohl aus Sicht des Teams, als auch aus seiner eigenen Sicht ist Heidfeld "extrem zufrieden", wie die Saison verlaufen ist. "Ganz einfach deswegen, weil wir mehr erreicht haben, als ich erwartet hätte. Das Ziel war es in meinen Augen gewesen, in der Konstrukteurswertung Vierter zu werden. Das war schon ein recht hoch gestecktes Ziel, wenn man sich anschaut, wie im vergangenen Jahr die Punkte-Differenz war."

"Hätte mir aufgrund unserer Geschwindigkeit etwas mehr erwartet." Nick Heidfeld

"Nun sind wir in der WM Zweiter, von der Teamperformance her de facto Dritter und dies schon seit einigen Rennen sicher. Wir standen zweimal auf dem Podium, wobei ich sagen muss, dass ich mir da aufgrund unserer Geschwindigkeit etwas mehr erwartet hätte. Aber das Problem ist, dass die Top-Teams, speziell McLaren-Mercedes, nie ausfallen. Ich glaube, dass wir in anderen Saisons mehr Punkte hätten holen können."

"Was meine Saison betrifft, bin ich auch zufrieden. Es wird definitiv ein fünfter Platz, was für mich die vergangenen Rennen etwas langweiliger gemacht hat. Der letzte Kick hat gefehlt. Es ist schade, wenn man zum Rennen kommt, und dies weiß. Es macht einfach mehr Spaß, wenn man weiß, dass man noch einmal einen Platz gutmachen kann, wenn alles perfekt läuft."