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Head über den Williams-Crash: "Frank war beinahe dreimal klinisch tot"
Williams-Mitbegründer Patrick Head erinnert sich im exklusiven Interview an den folgenschweren Autounfall von Frank Williams nahe Le Castellet 1986
(Motorsport-Total.com) - Der 8. März 1986 sollte das Leben von Frank Williams nachhaltig verändern. Der Gründer des Formel-1-Rennstalls kam auf dem Rückweg von Testfahrten in Le Castellet von der Landstraße ab. Er saß am Steuer eines Ford Sierra, am Beifahrersitz nahm PR-Mann Peter Windsor Platz. Die beiden waren auf dem Weg zum Flughafen in Nizza.
© Motorsport Images
1985: Williams und Head ahnen noch nichts vom Schicksalsschlag Zoom
Beim heftigen Überschlag aufgrund von überhöhter Geschwindigkeit verletzte sich Williams schwer an der Wirbelsäule. Seither ist er auf den Rollstuhl angewiesen. "So wie ich fuhr, wusste ich, dass mein Unfall passieren würde", sagte der mittlerweile 77-Jährige später.
Im Vorfeld der Saison 1986 galt das neun Jahre zuvor von Williams (Sponsored Link: Die Williams-Story jetzt auf Amazon bestellen!) und Patrick Head gegründete Team als einer der Topfavoriten auf den WM-Titel, zumal neben Nigel Mansell nun der zweimalige Weltmeister Nelson Piquet ins Lenkrad des FW11 griff.
Doch noch bevor die Saison begonnen hatte, musste das Team den schweren Schicksalsschlag verkraften. Im exklusiven Interview mit 'Motorsport-Total.com' erinnert sich Team-Mitgründer Head an diese Zeit. Er schildert, wie er die Nachricht erfahren hat, wie sich der Unfall auf sein Leben und den Rennstall ausgewirkt hat und wie die Formel 1 darauf reagiert hat.
Ecclestone & Dennis boten ihre Hilfe an
Frage: "Herr Head, wie haben Sie vom Unfall erfahren?"
Patrick Head: "Das ist eine gute Frage. Ich glaube, Frank Dernie (Chefaerodynamiker; Anm. d. Red.) war an der Strecke und rief mich an. Er sagte, Frank befinde sich an Bord eines Krankenwagens und sei auf dem Weg ins Krankenhaus nach Marseille. Frank hatte bereits seine Frau Ginny Williams angerufen. Bernie (Ecclestone; Anm. d. Red.) war so nett, ein Flugzeug für Ginny und mich zu organisieren, damit wir am nächsten Morgen nach Marseille fliegen konnten."
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Silverstone 1986: Ginny Williams steht als erste Frau auf einem Formel-1-Podium Zoom
Frage: "Wann wurde Ihnen klar, wie ernst die Lage ist?"
Head: "Als wir am Krankenhaus in Marseille ankamen. In Wahrheit hatten die Ärzte davon gesprochen, dass Frank dem Tode geweiht sei. Ich glaube nicht, dass man von einer Genesung ausgegangen ist. Die ganze Stimmung in Marseille ging in die Richtung: Er wird ohnehin sterben. Als wäre es bloß eine Frage der Zeit."
"Deshalb wurde Frank ein paar Tage später mit einem speziellen Flugzeug für Krankentransporte ausgeflogen. Ginny wollte ihn von Professor Sid Watkins behandelt wissen. Er war einer der führenden Neurologen im Krankenhaus von London. Frank wurde dorthin überstellt und blieb gut drei Monate in dieser Einrichtung."
"Ich glaube, dreimal war er beinahe klinisch tot oder wäre beinahe gestorben, weil er auf dem Rücken lag und Flüssigkeit in seine Lunge kam."
Frage: "Das hatte wohl damit zu tun, dass Frank vor dem Unfall ein begeisterter Läufer war und sein Körper diesen Überlebenswillen zeigte, nicht wahr?"
Head: "Ja. Eigentlich hat ihn Ginny am Leben gehalten. Die Ärzte hatten ihr gesagt: 'Ginny, er wird eine furchtbare Lebensqualität haben. Lass ihn gehen, lass ihn einfach gehen.' Sie war hingegen fest entschlossen, genau das nicht zu tun. Ohne Ginny hätte er nach dem Unfall kein richtiges Leben mehr gehabt."
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Ron Dennis bot ebenso seine Hilfe nach Williams' Unfall an Zoom
Frage: "Ron Dennis soll ebenso seine Unterstützung beim Transport angeboten haben, mit einem Privatjet von McLaren-Teilhaber Mansour Ojjeh ..."
Head: "Da hat sicherlich jeder seine Hilfe angeboten. Doch das Flugzeug, mit dem Ginny und ich nach Marseille geflogen sind, hatte Bernie organisiert. Das Flugzeug für den Rücktransport war sozusagen ein fliegendes Krankenhaus - ein Privatjet, der entsprechend ausgestattet war."
Frage: "Wie haben die Williams-Piloten auf die Nachricht reagiert?"
Head: "Nelson (Piquet; Anm. d. Red.) machte sich sehr große Sorgen. Sobald sie davon erfahren hatten, fuhr Nelson zur Unfallstelle. Er sprach Französisch. Und das war entscheidend für die Kommunikation mit dem Krankenhaus. Man darf nicht vergessen: Es hatte sich fast genau zwei Wochen vor Saisonstart ereignet."
"Wir hatten erfahren, dass Keke (Rosberg; Anm. d. Red.) zu McLaren wechseln würde. Dann traf Frank mit Nelson auf dem Parkplatz beim Grand Prix in Österreich eine Vertragsvereinbarung. Ich hatte den aber nie gesehen. Später mal kam er mir in die Finger, aber zu jenem Zeitpunkt wusste ich nichts davon. Wir starteten also in die Saison und Nelson sagte mir, Frank habe zugestimmt ..."
"Frank ist gefahren wie ein Verrückter"
"Ich glaube nicht, dass Nelson erwartet hätte, dass Nigel (Mansell; Anm. d. Red.) so schnell sein würde. Irgendwann wurde deutlich: Nigel könnte zu einer Gefahr für Nelsons Titelkampf werden. Das waren zwei komplett unterschiedliche Fahrer. Nelson war ziemlich intellektuell und hatte Humor, Nigel hingegen eher ernst und nicht besonders intellektuell. Aber beide waren sehr schnell."
Frage: "Wie war das erste Wiedersehen mit Beifahrer Peter Windsor, der den Unfall unverletzt überstanden hatte?"
Head: "Ich glaube, Peter war höchst ungehalten darüber. Ich glaube, Frank ist gefahren wie ein Verrückter, viel zu schnell, und das Auto überschlug sich. Es war ein Ford Sierra. Das war eines der ersten Autos mit einer sehr flachen Windschutzscheibe. Es war nur ein Mietauto."
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Beifahrer Peter Windsor mit Frank Williams 2014 Zoom
"Ohne den Unfallhergang genau zu kennen, hat Frank wohl das Autodach getroffen. Peter musste die Heckscheibe eintreten, weil sich die Türen nicht öffnen ließen. So konnte er aus dem Auto aussteigen, während Frank noch drinnen saß. Offenbar begann dann Benzin aus dem Auto auszulaufen. Peter meinte, Frank aus dem Auto herausholen zu müssen. Und ich denke, das war die richtige Entscheidung."
"Die Ärzte wiederum sagten geradeheraus, dass es dieser Moment war, das Herausholen aus dem Auto, das Franks Rückenmark beschädigt habe. Ich kann mir gut vorstellen, dass Peter da ins Zweifeln gekommen ist. Aber ganz ehrlich, wenn Benzin aus einem Auto herausläuft, das auf dem Dach liegt, dann hast du eigentlich keine Wahl."
"Die Vergangenheit interessiert Frank nicht"
Frage: "Haben Sie jemals mit Frank Williams persönlich über den Unfall gesprochen?"
Head: "Nein, eigentlich nicht. Eigentlich war Frank ein sehr guter Fahrer. Doch er fuhr eben gern viel zu schnell. Das waren noch andere Zeiten."
"Das war vor über 30 Jahren, damals gab es noch nicht so viel Verkehr auf den Straßen. Die Reifen hatten nicht besonders viel Grip. Wir fuhren einfach herum wie die Verrückten. Wahrscheinlich wären Frank und ich gern selbst Formel-1-Fahrer geworden. Frank wäre vielleicht gut genug gewesen, ich sicherlich nicht."
"Das Auto geriet wohl ins Übersteuern und Frank korrigierte nicht früh genug. Dann brach das Auto aus und rutschte von der Fahrbahn. Ich bin mir sicher, daran erinnert er sich noch. Sein Kurzzeitgedächtnis hat nachgelassen, aber über die Vergangenheit redet er eigentlich kaum. Wenn etwas in der Vergangenheit liegt, dann interessiert es ihn eigentlich nicht."
Frank Williams: So kam es zu seinem Unfall
Frage: "Wie gestaltete sich die schwierige Zeit nach dem Unfall? Wie veränderte sich die Rolle von Frank Williams im Team?"
Head: "Vor dem Unfall war er ein sehr guter Renningenieur, ohne einen technischen Hintergrund zu haben. Was ich damit sagen will: Wenn sich das Auto bockig verhielt, dann wusste er eigentlich nicht, was zu tun ist. Wenn das Auto untersteuerte, ließ er mehr Frontflügel fahren. Wenn es übersteuerte, ließ er den Heckflügel steiler einstellen. Doch Frank war ein hervorragender Wettbewerbstyp."
"Er achtete peinlich genau darauf, dass das Auto immer genug Sprit im Tank hatte, dass die Reifen drauf waren, dass das Auto zur richtigen Zeit auf die Strecke ging. Sein technisches Wissen war dagegen nicht so groß. Ich würde sagen, nach dem Unfall, als er wieder etwas zu Kräften kam, spielte er 1986 gar keine Rolle."
Williams brachte "ausgeprägten Wettbewerbsgedanken" ins Team
"Nach dem Unfall oblag ihm eigentlich nur das Business. Er mischte sich nicht in den Einsatz der Autos oder in die Arbeit in der Fabrik ein, zumindest nicht so sehr. Frank war schon immer ein Optimist, stets positiv eingestellt - selbst nach dem Unfall. Er brachte dieses ausgeprägte Wettbewerbsdenken in unser Unternehmen. Aber alles, was über das reine Business hinausging, da spielte er keine Rolle."
Frage: "Lastete in der Saison 1986 daher mehr Verantwortung auf Ihren Schultern?"
Head: "Ja. Zu Jahresende war ich absolut ausgelaugt, denn die Autos waren sehr konkurrenzfähig. Um ehrlich zu sein: Ich hatte nicht erkannt, dass es im Vertrag von Nelson eine Klausel gab, die ihn bevorzugte. Ich machte den Fehler, beide Autos gegeneinander fahren zu lassen."
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Head: "Frank brachte dieses ausgeprägte Wettbewerbsdenken in das Team" Zoom
"Ich bestand immer darauf, dass sie ihre Nachbesprechungen gemeinsam abhalten mussten. Doch am Ende verloren wir die Fahrer-WM. Wir gewannen immerhin die Konstrukteurswertung haushoch überlegen. Der Fahrertitel aber ging aufgrund eines Reifenschadens an Alain Prost."
"Das war ein bisschen ärgerlich, weil wir schon zuvor Reifenschäden gehabt hatten. Wir hatten Goodyear gesagt, dass die Reifen nicht halten. Sie aber meinten: 'Nein, das liegt an eurem Auto. Nur ihr habt so große Probleme damit.' Später erfuhren wir: Auch Ferrari hatte Reifenschäden gehabt."
"Frank dachte, Nelson wird Nigel bügeln"
"Was die Leute nie gesehen haben: Wir hatten zwei Rennautos und ein einsatzbereites Ersatzauto. Wir hatten bei jedem Rennen drei Autos dabei. Wenn es Spitz auf Knopf stand zwischen Nigel und Nelson, dann hatten wir manchmal auch ein viertes Auto dabei mit einer kompletten Crew."
"Ich flog etwa 15 Mal pro Jahr zu Honda nach Japan. Ich setzte die Autos ein, besuchte die Tests, arbeitete am Auto für das Folgejahr und an der Entwicklung des aktuellen Autos. Am Jahresende war ich ziemlich erschöpft."
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Piquet und Mansell bei Williams' erste Besuch zurück an der Strecke Zoom
Frage: "Wie gestaltete sich der Umgang mit Nelson Piquet in dessen erstem Williams-Jahr?"
Head: "Mit Nelson gab es eigentlich kein Problem - abgesehen von seinem Vertrag. Darin stand nicht Schwarz auf Weiß niedergeschrieben, dass er die Nummer 1 im Team sein würde. Das hatte Frank wohl nur angenommen."
"Ich erinnere mich: Als dieser Vertrag 1985 unterschrieben wurde, hatte Nigel noch kein Rennen gewonnen. Er war erst in den letzten vier Rennen des Jahres 1985 siegreich. Daher glaube ich: Frank ging einfach davon aus, dass Nelson Nigel schlichtweg bügeln würde."
"Nelson meinte dann: 'So war das nicht mit Frank vereinbart.' Da schaute ich mir den Vertrag genau an. Es gab keinen Passus im Vertrag, dass wir Nigel zurückpfeifen müssten, sollte er einmal vor Nelson liegen. Nelson war unheimlich schnell, aber sehr berechnend. Er hatte in dieser Hinsicht etwas von Alain Prost. Er fuhr bis ans Limit, ging aber nur darüber hinaus, wenn es wirklich notwendig war."
Rückzug "mehr ins Private" nach dem Unfall
Frage: "Hat sich Frank Williams vor dem Unfall in Eigenregie um das Management der Fahrer gekümmert?"
Head: "Ich glaube nicht, dass es eine so scharfe Trennlinie gab, dass nur ihm das Management der Fahrer oblag und mir nicht."
Frage: "Wie hat sich Frank nach dem Unfall verändert?"
Head: "Ich glaube, er hat sich etwas mehr ins Private zurückgezogen. Er versuchte zu verstehen, wie schwerwiegend seine Verletzung ist, was er damit noch würde tun können und was nicht. Frank achtete auf einmal sehr diszipliniert darauf, was er trank und aß."
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2017: Williams und Head feiern 40-jähriges Williams-Jubiläum Zoom
"Ich würde sagen, er war danach nicht mehr so zugänglich. Sein Charakter hat sich kaum verändert. Der gute Sinn für Humor ist ihm geblieben. Er war auch schon immer sehr pragmatisch. 'Das habe ich gemacht, damit muss ich klarkommen. Ich mache einfach das Beste daraus.'"
Frage: "Wie hat die Formel-1-Community auf den Schicksalsschlag reagiert?"
Head: "Frank war sicherlich beliebt, aber es war schon immer ein Haifischbecken. Na klar: Jeder hat sein Bedauern zum Ausdruck gebracht. Aber ansonsten hieß es: 'Wir treten auf der Rennstrecke gegeneinander an.'"
"Binnen kurzer Zeit liefen die Planungen von Ron Dennis und Ayrton (Senna; Anm. d. Red.) an, wie sie die Honda-Motoren von uns weglotsen könnten. Honda war unsicher, wie es mit Williams weitergehen würde. Sie fühlten sich offenbar nicht wohl damit, Geschäfte mit einem Mann im Rollstuhl zu machen."
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