• 19.10.2007 14:08

Haug und Theissen im großen Doppel-Interview

Die Motorsportchefs von Mercedes und BMW über die Saison 2007, schöne und bittere Momente, Michael und Ralf Schumacher, Budgets und Ecclestone

(Motorsport-Total.com/sid) - Frage: "Wie fällt Ihre ganz persönliche Saisonbilanz aus?"
Norbert Haug: "Positiv. Wir haben bisher mit unseren Fahrern mehr Punkte als jedes andere Team gemacht und unsere Punktebilanz wird beim letzten Grand Prix nicht egalisiert werden können."

Titel-Bild zur News: Mario Theissen und Norbert Haug

Mario Theissen und Norbert Haug erlebten 2007 beide Höhen und Tiefen

"Zum Vergleich: Der Weltmeister von 2006 schaffte weniger als ein Viertel unserer Zahl. Bei schwierigsten Bedingungen hat unsere Mannschaft am besten und erfolgreichsten von allen gearbeitet, und dafür bedanke ich mich bei jedem einzelnen Teammitglied."

Mario Theissen: "Wir sind sehr zufrieden und können stolz auf das Erreichte sein - sowohl was die Entwicklung über den Winter als auch was das Entwicklungstempo während der Saison angeht. Wir haben es in den beiden Aufbaujahren jeweils geschafft, unsere Ziele zu erreichen."#w1#

"Wir sind von WM-Platz fünf in die Saison gegangen - mit 36 WM-Zählern aus unserem Debütjahr. Platz vier mit deutlich mehr Punkten war Pflicht, Platz drei die Kür. Am grünen Tisch haben wir sogar Platz zwei zugesprochen bekommen. Doch das bedeutet uns nicht wirklich etwas. Denn wir wissen: Es sind noch vier Autos schneller als wir, und die wollen wir auf der Strecke schlagen."

"Es war überraschend, dass wir uns von Anfang an als dritte Kraft präsentiert haben und diese Position praktisch in jedem Rennen unter Beweis stellen konnten. Gelegentlich ist es uns gelungen, in die Phalanx der beiden Top-Teams einzubrechen, und so haben wir auch die angestrebten Podiumsplätze aus eigener Kraft erzielt. Wir sind auf dem richtigen Weg."

Frage: "Was war für Sie der schönste Moment in dieser Saison?"
Theissen: "Herausragend war eindeutig das Rennen in Montreal. Dort hat Nick Heidfeld mit Platz zwei das bisher beste Resultat für unser Team eingefahren. Dass Robert Kubica seinen schweren Unfall dort praktisch unverletzt überstanden hat, war auch ein Beleg für die Stabilität und hervorragende Bauweise des Autos. Insofern war dieses Wochenende für uns ein gefühlter Doppelsieg."

Haug: "Der Aufstieg von Lewis Hamilton vom Neuling zum Weltmeister-Aspiranten und Tabellenführer seit einem halben Jahr. Dieser Moment fing beim ersten Rennen im März in Australien an und hält immer noch an. Ich weiß, dass es vielen Formel-1-Interessierten in der ganzen Welt ganz genauso geht. Das soll nicht von Fernando Alonsos guten fahrerischen Leistungen ablenken. Aber von einem Doppel-Weltmeister erwartet man schließlich, dass er ganz vorne fährt, von einem Formel-1-Lehrling nicht."

Frage: "Was war für Sie und das Team die bitterste Stunde?"
Haug: "Der Verlust des sicher geglaubten Titels des Konstrukteurs-Weltmeisters und die Bestrafung durch die FIA. Beides will ich hier nicht weiter kommentieren, wir haben mit dem Thema abgeschlossen."

Theissen: "Natürlich der Schreck, der uns bei Robert Kubicas Unfall in Montreal in die Glieder gefahren ist. Die Minuten bis zur erlösenden Nachricht, dass er praktisch unverletzt davongekommen war, waren quälend lang."

Frage: "Der befürchtete Einbruch im Jahr eins nach Michael Schumacher ist in Deutschland ausgeblieben. Überrascht Sie das?"
Theissen: "Nein, denn das Produkt Formel 1 ist stark genug. Sicherlich haben Michael Schumacher viele Fans am Anfang der Saison noch vermisst."

"Doch der Titelkampf und die vielen - vor allem deutschen - Talente, die mit Vehemenz nachdrängen, sorgten frühzeitig für viel Gesprächsstoff. Der Zuschauer fragt sich: Wer hat das Zeug dazu, in der Formel 1 ein Großer zu werden? Michaels Karriere ist und bleibt einzigartig. Aber jetzt bestimmen andere starke Fahrer, andere Persönlichkeiten und Charaktere die Formel 1."

Haug: "Der Sport hat große Qualität und enorme Spannung geboten, auf der politischen Bühne war mehr los denn je und - ob man das mag oder nicht - auch dies schaffte immer mehr Interesse für die Formel 1. Unser Team stand dabei von Anfang bis Ende im Blickpunkt, hat im Wechsel höchstes Lob und härteste Kritik erfahren und das höchste Medien-Interesse auf sich gezogen."

"Und wir haben neue Bestwerte gesehen: Den Sieg von Lewis Hamilton beim Grand Prix der USA in Indianapolis beispielsweise verfolgten bei einer Live-Quote von 7,7 Millionen Zuschauern in Deutschland bei 'RTL' über fünf Prozent mehr als den Sieg von Michael Schumacher im Vorjahr."

Frage: "Deutsche Fahrer sind begehrt wie lange nicht. Timo Glock hängt als nächster in der Warteschleife. Wie erklären Sie sich diesen Trend?"
Haug: "Das kommt durch die Leistung Michael Schumachers und die positive und erfolgreiche Präsenz der Premium-Marken Mercedes-Benz und BMW. In Deutschland werden die besten Autos der Welt gebaut. In Deutschland gibt es sehr kompetente Autofahrer, und unser Anspruch sollte stets sein, Rennfahrer der absoluten Spitzenklasse zu entwickeln."

Theissen: "Michael Schumacher hat durch seine unzähligen Erfolge Motorsport hierzulande salonfähig gemacht und ins Rampenlicht der Öffentlichkeit gerückt. Er hat einen regelrechten Boom ausgelöst. Viele junge Menschen wollten ihm nacheifern. Sie begannen frühzeitig mit dem Kartsport und folgten seinen Spuren."

"Viele landeten anschließend in der Formel BMW, einige von ihnen nutzen unsere Nachwuchsserie für den Sprung in die Königsklasse. Allen voran natürlich Sebastian Vettel, Nico Rosberg, Adrian Sutil, Christian Klien und eben Timo Glock. Sie alle haben eine erstklassige Ausbildung genossen und kommen bestens vorbereitet in die Formel 1. Das zahlt sich aus."

Frage: "Ralf Schumacher hat seinen Abschied von Toyota zum Saisonende verkündet. Hat er sich verzockt oder glauben Sie, dass er noch eine Formel-1-Zukunft hat?"
Theissen: "Sowas ist aus der Entfernung schwer zu beurteilen. Ich wünsche Ralf jedenfalls, dass er auch im nächsten Jahr in der Formel 1 vertreten ist. Von seinem Leistungsvermögen gehört er in die Formel 1."

Haug: "Das kann ich nicht beurteilen. Aber ich mische mich sicher nicht in den Kreis der hämischen Ralf-Kritiker. Es ist nicht so lange her, da hat er an zwei aufeinanderfolgenden Wochenenden zwei Grand Prix gewonnen. Sein Team und er haben nicht zum Erfolg gefunden - und nichts passiert in der Formel 1 leichter als das."

Frage: "Fahrer wie Nick Heidfeld halten Regenrennen wie zuletzt in Fuji für unverantwortlich und viel zu gefährlich. Man hätte nie starten dürfen, heißt es. Was sagen Sie dazu?"
Haug: "Es ist die Verantwortung der FIA und nicht der Hersteller, ein Rennen für durchführbar zu erklären. Wer dann nicht mitmachen will, hat die Wahl, nicht an den Start zu gehen. Fuji war grenzwertig, aber kein Harakiri."

Theissen: "Wir können die Situation vom Kommandostand aus nicht wirklich beurteilen, das können nur die Fahrer auf der Strecke. Deshalb wünschen wir uns, dass die Rennleitung eine Entscheidung über Rennabbruch oder -freigabe in direkter Abstimmung mit den Fahrern trifft."

Frage: "Wie viel Kritik darf ein Fahrer öffentlich am Arbeitgeber üben? Ab wann riskiert er eine Abmahnung oder sogar die Kündigung?"
Theissen: "Pauschale Schuldzuweisungen lehne ich ab. Kritik soll sich auf konkrete Vorgänge beziehen und immer darauf abzielen, Fehler oder Defizite gemeinsam abzustellen."

Haug: "Es gibt fundierte und unfundierte Kritik, ehrliche und unehrliche Aussagen. Der Arbeitgeber muss für sich entscheiden, was er wie lange zulässt und was nicht. Der Vertrag mit einem Fahrer ist in solchen Punkten in aller Regel überaus präzise."

Frage: "FIA-Präsident Max Mosley will sparen, doch die Etats der Teams steigen. Toyota gibt angeblich 400 Millionen Euro pro Jahr aus. Ist die Formel 1 zu teuer? Und wie kann man in Zukunft Geld einsparen?"
Haug: "Das Formel-1-Budget von Mercedes-Benz steigt keineswegs, es ist vielmehr in den letzten drei Jahren deutlich geschrumpft. Wir sind entschiedene Promotoren der Kostenreduktion und arbeiten hier mit der FIA Hand in Hand. Alle Formel-1-Teams müssen sich in diesem Punkt weiter anstrengen, dafür setzt sich Mercedes-Benz mit allem Nachdruck ein. Aber dass in der Formel 1 nicht zwingend der gewinnt, der das meiste Geld ausgibt, ist kein Geheimnis."

Theissen: "Für unser Team kann ich nicht bestätigen, dass die Budgets steigen. Im Gegenteil: Wir geben heute für das BMW Sauber F1 Team deutlich weniger aus als vor ein paar Jahren für die Zusammenarbeit mit Williams. Und auch gegenüber 2006 ist das Budget weiter gesunken. Testbeschränkungen, Verlängerung der Laufleistung von Motoren und homologierte Technik haben dazu beigetragen."

"Im Übrigen sehen wir das F1-Projekt nicht nur als ideale Plattform, die Stärken der Marke BMW zu demonstrieren. Wir nutzen es auch sehr gezielt als Technologiebeschleuniger für die Serie und als Motivations- und Ausbildungsinstrument für junge Mitarbeiter. Dafür ist der getriebene Aufwand gerechtfertigt."

Frage: "Bernie Ecclestone geht auf die 80 zu. Mit seinen Einschätzungen hat er zuletzt oft daneben gelegen. Hat er die Zügel noch in der Hand oder ist er zu alt für diesen Zirkus?"
Haug: "Dass Bernie Ecclestone mit seinen Einschätzungen daneben gelegen hat, kann ich keineswegs bestätigen. Wir arbeiten sehr konstruktiv mit ihm zusammen, er ist kreativen Ideen stets aufgeschlossen. Wenn ich andere Meinungen habe, diskutiere ich diese mit ihm alleine und nicht in der Öffentlichkeit. Es gibt hier nichts zu klagen, die Kooperation klappt einwandfrei, und ich schätze Bernie."

Theissen: "Bernie Ecclestone hat die Formel 1 zu dem gemacht, was sie heute ist. Nach meinem Eindruck ist er nach wie vor sehr rege."

Frage: "Wie sähe Ihrer Meinung nach der ideale Nachfolger für Ecclestone aus?"
Theissen: "Wie er aussieht, ist mir egal. Wichtig ist, dass er das Produkt Formel 1 weiterhin exzellent entwickelt und vermarktet."

Haug: "Das Thema steht nicht an und ist sicher keines, das in den Medien zu diskutieren ist."