Haug: "Massa war nicht unschlagbar"
Mercedes-Sportchef Norbert Haug analysiert den Grand Prix von Europa und wundert sich über die Pfiffe der Fans gegen Lewis Hamilton
(Motorsport-Total.com/Premiere) - Weltmeister wird aufgrund des aktuellen Punktesystems nicht immer der, der am meisten Rennen gewinnt, sondern eher der, der seine Chancen am besten maximiert. McLaren-Mercedes konnte heute in Valencia nicht gewinnen, nahm aber dank Lewis Hamilton (2.) und Heikki Kovalainen (4.) 13 wertvolle Zähler mit nach Hause - sehr zur Zufriedenheit von Mercedes-Sportchef Norbert Haug. Wenige Minuten nach dem Zieleinlauf analysierte er das Geschehene.

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Norbert Haug kann mit Lewis Hamilton wieder einmal zufrieden sein
Frage: "Herr Haug, heute nur Platz zwei für Lewis, keine Chance gegen Felipe Massa, aber WM-Punkte gesammelt. Wie haben Sie das Rennen gesehen?"
Norbert Haug: "Absolut stark! Das Rennen ist sehr vorentschieden, wenn man Erster oder Zweiter im Qualifying ist, wenn man nicht auf der richtigen Seite steht. Das haben wir schon oft gesehen. Das soll gar keine Entschuldigung sein, aber ich glaube, mit einem gewonnenen Start ist da schon viel erreicht - siehe Ungarn, siehe hier."#w1#
Hat Ferrari ein Motorenproblem?
"Massa war gut, aber sicher nicht rundherum unschlagbar. Das möchte ich gar nicht sagen, denn wenn man vorne fährt, sieht das Spiel anders aus, wenn man Druck machen kann. Er hat verdient gewonnen, aber Ferrari ist sicherlich unter Druck. Ihnen ist zweimal hintereinander im zweiten Rennen der Motor kaputt gegangen. Das zweite Rennen wird für Massa Spa sein. Ich will überhaupt nicht unken, aber das gehört in die Saisonplanung mit dazu. Mir tut es leid für die Kollegen, aber man muss technisch perfekt sein. Wir bekommen neue Motoren für Spa und Spa ist die Motorenstrecke schlechthin. Auch uns kann was passieren, um Gottes Willen, nur da ist sicherlich Druck in der Partie."
"Wir haben dreimal 14 Punkte gemacht und jetzt 13. Damit haben wir den Abstand in der Konstrukteurs-WM auf acht Punkte verkürzt. Das waren schon mal 24. Der Wagen fährt in die richtige Richtung, sage ich mal. Ich finde es toll, dass so viele Fahrer überhaupt keinen Fehler gemacht haben. Wir hatten die größten Ersatzteilkisten dabei und haben 0,0 gebraucht. Das ist wirklich sehr erfreulich. Jeder hat mit dem Safety-Car gerechnet. Es war eine grandiose Premiere, es ging nichts kaputt und es war wunderbar und schön. 18 Punkte sind das Maximum. Die hat man lieber, aber wenn man dreimal 14 und einmal 13 hat, dann ist man in diesem kompetitiven Feld sicherlich gut unterwegs. In diesen vier Rennen waren wir am besten von allen."
Frage: "Bewundernswerte Zahlenspiele..."
Haug: "Es ist besser, wenn man die Facts nennt. Das ist wie bei einem Bankkonto: Wenn man regelmäßig auch nur kleine Beträge einzahlt, dann wird die Summe größer. Am Schluss wird zusammengezählt. Ich weiß, wie es ist, wenn ein Punkt fehlt, denn das haben wir im letzten Jahr gleich bei zwei Fahrern erlebt."
Frage: "Lewis Hamilton hat jetzt sechs Punkte Vorsprung und scheint sehr gut in Form zu sein. Haben Sie das Gefühl, dass schon eine Vorentscheidung gefallen sein könnte?"
Haug: "Überhaupt nicht. Kimi (Räikkönen) ist da auch noch mittendrin und es ist auch zu Kubica nicht weit. Ich glaube sowieso, dass Kubica echte Zeiten setzt in der Formel 1. Er hat seinen Marktwert enorm gesteigert. Nick (Heidfeld; Anm. d. Red.) ist kein Fahrer, der es langsam angehen lässt, aber vom Speed her war Robert Kubica heute in einer anderen Liga. Ich kenne die Gründe dafür nicht."
"Wir haben insgesamt einen tollen Grand Prix gehabt. Viele werden sagen, dass es nicht spannend genug war, aber wir haben Vettel auf dem sechsten und Glock auf dem siebten Platz mit einer guten Strategie, Rosberg auf dem achten. Wir sind mit zwei Autos - auch deutsch - dabei, BMW mit einem Auto. Der Toyota wird auch in Köln gebaut. Die deutschen Fans dürfen sich da nicht beklagen, da gibt es immer tolle Themen."
"Ich als Sportfan muss sagen, dass ich mich für Toro Rosso und für Sebastian (Vettel; Anm. d. Red.) freue. Man kennt ihn, seit er in der Formel BMW gefahren ist. Er hat einen Aufstieg gemacht und fährt hier voll mit den großen Buben mit, hat rundenlang mit Kimi Räikkönen mitgehalten. Da muss man Gerhard Berger, Franz Tost, Giorgio Ascanelli und all den Leuten, die dahinter stehen, ein Kompliment machen."
Großes Lob für Toro Rosso
"So ein Team sollte auch mal ordentlich Sponsorgeld bekommen, denn die sind aus dem Nichts, vom 18., 20. Platz, in einem halben Jahr aufgestiegen. Sie haben Adrian Newey als Konstrukteur, den ich aus unserer Zusammenarbeit gut kenne. Das ist toll, so etwas zu sehen. Wenn sie mal vor uns fahren, ist meine Begeisterung wahrscheinlich ein bisschen kleiner, aber bisher ist es wirklich toll."
Frage: "Für Lewis hat es bei der Siegerehrung von den Spaniern ein paar Pfiffe gegeben..."
Haug: "Die blamieren sich doch selbst! Das ist Sport. Er hat Alonso in den meisten Fällen geschlagen. Wenn man das nicht akzeptieren kann, dann kann ich darüber nicht mal grinsen. Die sollen pfeifen, aber das ist peinlich."
Frage: "Lewis war nicht ganz fit, ist das richtig?"
Haug: "Ja, er hatte Rückenbeschwerden. Gestern war es ganz übel, da hätte er fast nicht fahren können. In der Früh haben wir schon darüber nachgedacht, aber wir haben natürlich keine Geräusche deswegen gemacht. Nach dem Rennen kann man es ja sagen. Er hatte einen Nerv eingeklemmt und hatte ganz üble Schmerzen, aber die Physiotherapeuten haben einen Superjob gemacht. Es ging heute schon. Das soll auch keine Ausrede sein, aber das war gestern vor dem Qualifying natürlich nicht ideal als Rennvorbereitung. Wenn man nicht Erster werden kann, dann muss man versuchen, die acht Punkte zu machen. So kann man Weltmeister werden."
Frage: "Am Start geriet er unter Druck von Robert Kubica."
Haug: "Ja, aber da hat er seine große Klasse gezeigt. Der Dritte hat natürlich einen Vorteil auf der Griplinie gegen den Zweiten. Kubica war schon daneben, aber Lewis hat seinen Punkt verteidigt und dann war die Sache gegessen. Kubica hat in der Ecke dann viel verloren, weil er nicht das ganze Momentum mitnehmen konnte."
Frage: "Dann war der Boxenstopp von Felipe Massa, wo er fast mit Adrian Sutil kollidiert wäre. Wie haben Sie das gesehen, erwarten Sie eine Strafe?"
Haug: "Wir möchten so nicht Rennen gewinnen, das ist ganz klar. Mit der Pole und dem gewonnenen Start hätten wir das Rennen gewinnen können, aber so nicht. Ich denke, das Ergebnis wird schon so bleiben. Wir sind mal vorsorglich deutlich weniger als zehn Sekunden drangeblieben. Ich glaube nämlich nicht, dass es eine Fünf-Sekunden-Strafe gibt."
Frage: "Ihr Fazit im Hinblick auf die Weltmeisterschaft?"
Haug: "Vor dem letzten Rennen waren wir fünf und acht Punkte vor unseren Verfolgern, jetzt sind es sechs und 13. Es ist gut gelaufen. Wir haben uns glaube ich sehr gut verkauft hier. Es war eine grandiose Premiere in Valencia."

