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  • 24.03.2011 11:42

  • von Dieter Rencken

Hamilton: "Das mit den Knöpfen ist kinderleicht"

Lewis Hamilton im Interview: Wieso ihn die Knöpfe nicht ablenken, warum sein Fahrstil reifenschonend ist und was er sich vom Mclaren-Umbau verspricht

(Motorsport-Total.com) - Trotz der frustrierenden Wintertests wirkt Lewis Hamilton in Melbourne so gelöst, motiviert und eloquent wie nie zuvor. Der Brite geht in seine fünfte McLaren-Saison und hofft, dass ihn die kurzfristigen Änderungen an seinem MP4-26 doch noch in Schlagdistanz zur absoluten Spitze bringen. Warum die Bedienung der Überholhilfen KERS und Heckflügel für ihn "kinderleicht" ist, was am McLaren wirklich neu ist und warum er sich so gut wie nie zuvor in seinem Leben fühlt, erzählt er im ausführlichen Interview.

Titel-Bild zur News: Lewis Hamilton

Lewis Hamilton hat sich nach eigenen Angaben noch nie so gut gefühlt

Frage: "Lewis, wie groß ist die Aufregung vor dem ersten Rennen?"
Lewis Hamilton: "Ich fühle mich fantastisch, ehrlich. Ich kann mich nicht erinnern, dass ich mich schon einmal so gut gefühlt habe. Es gibt mehrere Gründe: Erinnerungen, als ich 2007 hier gestanden bin, es war mein erster Grand Prix, ich war höllisch nervös. Jetzt bin ich in meinem fünften Jahr und es ist immer noch das gleiche Gefühl. Ich fühle mich dieses Jahr aber fitter, fokussierter, entspannter und selbstsicherer. Ich weiß, wo ich im Leben stehe. So viel habe ich auch noch nie geredet, hoffentlich nervt es euch nicht. Und ich bin leichter, habe etwas abgenommen (lacht)."

Frage: "Das hört sich großartig an, denn deine Wintertests sind ja nicht gerade toll gelaufen. Wie fühlt es sich an, nicht mit dem schnellsten Auto ins erste Rennen zu gehen?"
Hamilton: "Die Psyche spielt in diesem Spiel eine große Rolle. Ich habe nicht das Gefühl, dass man im Leben Zeit damit vergeuden sollte, frustriert zu sein. Man muss den Stier bei den Hörnern packen und es so nehmen, wie es kommt. Man muss seinen Weg gehen. Wir sind nicht so konkurrenzfähig wie erhofft und wir hatten mit Sicherheit nicht den besten Winter."

"Die Jungs pushen trotzdem und haben ein Auto mitgebracht, das hoffentlich besser ist. Hoffentlich haben wir einen Schritt vorwärts gemacht. Dieses Rennen kann fantastisch werden, oder ein Desaster. Und auch wenn es großartig wird, werden wir weiter pushen, um beim nächsten Rennen noch besser zu sein. Das liebe ich an diesem Team - und das gilt auch für mich. Ich werde dieses Rennen fahren und ganz egal ob es gut wird oder nicht - ich werde weiter pushen, um besser zu sein als beim letzten Mal."

Frage: Du führst das Team mit Jenson an und willst unbedingt diesen zweiten Titel. Letztes Jahr hättest du es fast geschafft."
Hamilton: "Ich hatte das Gefühl, dass ich Lichtjahre davon entfernt war. Es hätte viel enger sein müssen. Ich will diesen Titel unbedingt. Ich bin jetzt schon so lange in diesem Team und wir haben noch keinen Konstrukteurstitel gemeinsam gewonnen. Jenson und ich haben eine große Rolle gespielt und es ist ein großes Ziel von mir, auch diese Konstrukteurs-WM zu holen. Außerdem will ich auch mein Ziel verwirklichen, Weltmeister zu sein. Wir werden alles dafür tun."

Was am McLaren neu ist

Frage: "Was ist am Auto neu?"
Hamilton: "Ganz allgemein ist es genau das gleiche Auto, das wir kennen. Manchmal verändert man aber Frontflügel, Heckflügel, den Unterboden. Wir haben hier einen neuen Unterboden, der an den Auspuff angepasst ist. Der Auspuff ist etwas vereinfacht. Das Auto wird sich komplett gleich anfühlen, hat aber mehr Abtrieb. Eigentlich wären wir, was den Grip angeht, mit dem gleichen Auto hierher gekommen wie beim Testen. Jetzt müssen wir die Daumen drücken, dass der Abtrieb morgen höher ist. Wir erwarten aber kein Wunder und wissen, dass wir viel Arbeit vor uns haben."

Frage: "Der zusätzliche Abtrieb würde die Performance verbessern."
Hamilton: "Genau. Abtrieb gibt dir generell mehr Grip, es lässt dich aber auch die Kurven besser attackieren und erlaubt es dir, mehr Geschwindigkeit durch die Hochgeschwindigkeits-Kurven und durch die mittelschnellen Kurven zu nehmen, früher aufs Gas zu steigen und all diese Dinge. Hoffentlich sind wir näher an den anderen dran als in Barcelona."


Fotos: Großer Preis von Australien


Frage: "In einem Interview hast du gemeint, dass ein WM-Titel nicht genug ist und hast darüber gesprochen, was du noch alles erreichen willst. Wie willst du das mit einem Auto schaffen, dass ihr nicht wirklich kennt und mit dem ihr bei den Wintertests keine guten Erfahrungen gemacht habt?
Hamilton: "Wir wissen, dass es eine Herausforderung ist, aber wir sehen es positiv. Mein Team hat nicht aufgegeben und sagt nicht: 'Das ist alles was wir haben'. Sie könnten auch das Handtuch werfen, aber sie haben jeden Versuch unternommen, um das Auto zu verbessern. Ich habe in jeder Saison ein Rennen gewonnen und wir hoffen, dass wir auch hier nicht allzu weit weg sind, damit auch der Titel noch in Reichweite ist. Hoffentlich fehlen uns eine halbe Sekunde oder acht Zehntel - und nicht mehrere Sekunden."

"Ich weiß, dass ich auf allen Strecken die Fähigkeit habe zu gewinnen, egal wie die Verhältnisse gerade sind. Vielleicht sind wir dieses Wochenende nicht in der ersten Reihe, das heißt aber nicht, dass wir nicht nach zwei, drei, vier Rennen um Siege fahren. Ich glaube, dass wir dieses Jahr mehr Rennen gewinnen können, auch wenn es nicht zu Beginn der Saison stattfinden wird."

Frage: "Ist es nicht zermürbend, wenn man..."
Hamilton: "Das ist das erste Rennen. Niemand weiß, wozu die anderen im Stande sind. Nicht einmal wir wissen, zu welchem Tempo unser Auto wirklich fähig ist. Grundsätzlich ist das Auto aber gleich, möglicherweise ist aber das Heck viel stabiler, was uns schneller machen würde."

Wie oft will Hamilton Weltmeister werden?

Frage: "Ein oder zwei Titel sind nicht genug - wieviele sind denn genug?"
Hamilton: "Ich habe da keine Zahl im Kopf. Es gibt kein Limit, der Himmel ist das Limit. Soviel wie möglich in der Zeit, die mir zur Verfügung steht."

Frage: "Acht?"
Hamilton: (lacht) "Ob Sebastien Loeb, Rossi oder Michael - das sind legendäre Rennfahrer in ihren Kategorien. Ich würde es nicht ausschließen, ich würde nicht sagen acht. Ich wollte immer das schaffen, was Ayrton Senna geschafft hat."

Frage: "Das wäre ein Anfang."
Hamilton: "Ja, genau. Aber den zweiten Titel zu gewinnen, ist schwierig genug. (lacht) Darauf werde ich mich jetzt erstmal konzentrieren."

"Der zweite Titel ist schwierig genug." Lewis Hamilton

Frage: "Bietet diese Strecke vielleicht Möglichkeiten, durch das Feld zu pflügen, weil andere Fahrer Fehler machen? Es ist keine Überholstrecke, aber kann man hier ein besseres Resultat einfahren als im Qualifying?
Hamilton: "Das Rennen ist hier immer großartig. Mir ist aufgefallen, dass hier viele Leute Probleme haben, weil es das erste Rennen ist. Dadurch macht man bei der Strategie, bei den Reifentemperaturen Fehler. Im Vorjahr bekamen wir das durcheinander, deshalb lagen wir im Qualifying viel weiter hinten als angenommen. Jenson hat dann im Rennen durch den Regen alles umgedreht."¿pbvin|512|3453|mclaren|0|1pb¿

"Nach ein paar Rennen spielt sich alles wieder ein, es wird viel normaler. Man weiß, welche Strategie die beste ist und all diese Dinge. Natürlich ist es auch ein Stadtkurs, letztes Jahr hat es auch viele Überholmanöver gegeben. Ich würde nicht sagen, dass es keine Überholstrecke ist, denn es gibt hier ein paar Möglichkeiten. Es ist eine der aufregenden Strecken im Kalender."

Frage: "Wenn es im Qualifying nicht so gut läuft, dann kann man vielleicht auch durch die Strategie nach vorne kommen."
Hamilton: "2009 bin ich als 18. gestartet. Nein, ich wurde 15., wurde dann bestraft und startete als 20. oder so. Da hatte ich einen Getriebewechsel. Ich war dann irgendwann Dritter. Das zeigt, dass es möglich ist. Ich freue mich auf das Wochenende. Ich bin zuversichtlich, dass wir nicht so weit hinten liegen, denn das Auto ist nicht annähernd so schlecht wie 2009."

Frage: "Bist du beunruhigt, dass euer Auto nicht so zuverlässig ist wie das der anderen Teams?"
Hamilton: "Uns ist das bewusst. Beim Wintertesten willst du alle Punkte abhaken, das ist uns aber nicht gelungen. Daher werden wir erst im Rennen einen Longrun fahren. Das Auto lief am Prüfstand aber sehr gut. Abgesehen vom Auspuffsystem war die Zuverlässigkeit auch beim Testen in Ordnung. Hoffentlich ist dieses Problem ausgeräumt."

Neues Reglement kein Problem

Frage: "Im Winter gab es viel Kritik an den Reifen und am Reglement. Rechnest du mit guten Rennen?"
Hamilton: "Es wird okay sein. Es wird vielleicht die aufregendste Saison seit langem. Sogar noch aufregender als letztes Jahr. Im Winter war die Strecke kalt und es war schwierig, die Reifen zu aktivieren. Man muss also warten, bis die Strecke die richtige Temperatur hat, was manchmal nicht passiert ist. Hoffentlich ist es morgen wärmer als heute."

Frage: "Das neue Reglement hat einiges auf den Kopf gestellt. Findest du, dass es zu viele Knöpfe gibt?"
Hamilton: "Ich habe überhaupt kein Problem. Manche Leute beschweren sich mehr als andere und in manchen Cockpits ist es vielleicht auch schwieriger als bei uns. Ich habe großen Einfluss auf das Design meines Cockpits. Ich habe mein Lenkrad so entwickelt wie ich es gerne hätte. Die Knöpfe sind dort, wo sie für mich am angenehmsten sind. Für mich ist das kinderleicht. Schwieriger ist es da schon, das Auto mit weniger Grip unter Kontrolle zu haben."

"Es wird vielleicht die aufregendste Saison seit langem." Lewis Hamilton

Frage: "Ist es schwieriger als letztes Jahr?"
Hamilton: "Jedes Jahr ist schwierig und kompliziert. Dieses Jahr geht es darum, diese Reifen zu verstehen. Manchmal halten sie nur neun Runden, dann wieder 15 bis 20 Runden. Es geht darum, wie man seinen Fahrstil anpasst, wie man gewisse Kurven attackiert - beschleunigen, bremsen. Manchen liegt das besser als anderen und ich hoffe, dass ich es besser als alle anderen hinkriege. Das Auto spielt aber sicher auch eine wichtige Rolle."¿pbvin|512|3533||0|1pb¿

Frage: "Du hast einen sehr aggressiven Fahrstil. Musst du daran was ändern?"
Hamilton: "Ich finde, dass die Leute ihre Wahrnehmung von meinem Fahrstil überdenken müssen. Ich bin definitiv ein aggressiver Fahrer, der versucht, alles aus dem Auto herauszuholen. Das mache ich und das liebe ich. Natürlich ist es auch schon vorgekommen, dass ich den Vorderreifen oder den Hinterreifen zu sehr belastet habe und kaputt gemacht habe. Ich glaube aber auch, dass ich seit meiner GP2-Zeit ein gutes Verständnis für die Reifen habe und sehr gut auf meine Reifen achte."

"Wenn man meine Longruns mit meinem Teamkollegen vergleicht, der den weichsten Fahrstil der Welt hat, dann ist mein Tempo sehr ähnlich, wenn nicht sogar gleich oder manchmal besser. Ich muss natürlich hart daran arbeiten, mich zu verbessern, da man ja nie perfekt ist. Ein noch besseres Gefühl für die Reifen zu entwickeln gehört da natürlich dazu. Hoffentlich gibt es irgendwann einen Zeitpunkt, an dem ihr sagen werdet: 'Dein Fahrstil ist aggressiv, aber du bist besser als dieser Kerl'"

Wie lange halten die Reifen?

Frage: "Wieviel Zeit verliert ihr zwischen Runde eins, Runde zwei, Runde drei und Runde vier?"
Hamilton: "Es hängt vom Benzingewicht ab. Wir fangen wahrscheinlich mit dem weichen Reifen an und 140 bis 150 Kilo. Die Reifen werden nicht komplett neu sein, man muss sie nach dem Qualifying wieder aufziehen. Es sieht so aus, als würden die Reifen recht lange halten. Die Schnellsten sollten 15 Runden herausholen können. Natürlich bauen sie stark ab. Beim Testen haben wir mit 1:28er Zeiten begonnen und man fällt dann sehr schnell in den Bereich von 1:30, 1:31. Aber irgendwann geht es dann wirklich bergab - und dann muss man schnell an die Box fahren."

Frage: "Was ist die beste Strategie: So schnell wie möglich zu fahren und einen zusätzlichen Boxenstopp einzulegen oder die Reifen zu konservieren und einen Stopp weniger als die anderen zu machen?"
Hamilton: "Ich bin noch keine Longruns gefahren. Der längste Run hat auf einem Reifensatz stattgefunden. Wenn du am Anfang richtig pushst - zumindest mit dem Auto, das wir hatten -, dann bauen die Reifen sehr stark ab. Man kann nichts dagegen tun, die Reifen verlieren die Temperatur und man muss an die Box kommen."

"Man wird versuchen, 15 Runden draußen zu bleiben, meine Reifen haben aber einmal nur neun Runden gehalten." Lewis Hamilton

"Natürlich will man weniger Boxenstopps machen. Je weniger, desto schneller bist du, denn man verliert dabei ja Zeit. Vieles deutet auf drei Boxenstopps hin, ich würde es aber auch nicht ausschließen, dass jemand fünf Stopps macht. Man will innerhalb des Zeitfensters dieser Stopps so schnell wie möglich sein. Natürlich versucht man auch, vor dem vor dir liegenden Kerl hereinzukommen."¿pbvin|512|3539||0|1pb¿

Frage: "Der erste Stint wird also sehr kurz werden."
Hamilton: "Man läuft natürlich Gefahr, vom Verkehr aufgehalten zu werden - von jemandem, der vielleicht Zehnter oder 15. ist und lange draußen bleibt. Dann gewinnt man gar nichts. Höchstwahrscheinlich wird man versuchen, 15 Runden draußen zu bleiben. Meine Reifen haben einmal neun Runden lang gehalten. Wenn sie kaputt sind, dann sind sie kaputt, dann muss man hereinkommen. Es wird interessant."

Frage: "Wenn deine Freundin Nicole bei den Rennen dabei ist, dann fährst du oft besonders gute Rennen. Wie sieht es hier aus?"
Hamilton: Nein, ich glaube... es könnte sein. Sie macht mich mit Sicherheit sehr glücklich. Natürlich bringt man bessere Leistungen, wenn man glücklich ist. Es ist schön, sie dabei zu haben. Sie hat hart an ihrem Album gearbeitet, das jetzt veröffentlich wurde. Da freut es mich, dass sie sich die Zeit nimmt und mich hier unterstützt."

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