• 05.09.2001 12:08

  • von Fabian Hust

Gustav Brunner im Interview

Der Chefdesigner von Toyota über die Fabrik in Köln, das Auto, das Team sowie die Probleme und Hoffnungen

(Motorsport-Total.com) - Mit seinem Wechsel Mitten in der Saison 2001 vom Minardi- zum Toyota-Formel-1-Team, hat Gustav Brunner viele kritische Töne einstecken müssen, denn er hatte all die Jahre dem Minardi-Team durch schwere Zeiten geholfen, dann aber die Italiener vor Ablauf der aktuellen Formel-1-Saison verlassen, als bei Toyota nicht nur das große Geld, sondern auch eine große Chance lockte. Nach Aussage des 50-jährigen Österreicher haben weder er noch Toyota einen Vertrag gebrochen, als er zu Toyota wechselte, um dort die Rolle des Chefdesigners zu übernehmen: "Es ist vielleicht mehr eine moralische Verpflichtung, die ich bei Minardi hatte, da ich dort sehr involviert war als eine rechtliche Pflicht, die mich zum Bleiben verpflichtet hätte."

Titel-Bild zur News: Gustav Brunner

Gustav Brunner in der Formel-1-Werkstatt von Toyota

Seit Februar 1998 hatte Gustav Brunner als Technischer Direktor bei Minardi gearbeitet, dem kleinsten Team in der Formel 1. Dort leistete der Österreicher angesichts des geringen Budgets eine hervorragende Arbeit. Bei jedem Rennen liefen zahlreiche Konstrukteure und Designer nach hinten zur Minardi-Box, um zu sehen, was dem Grazer wieder Neues eingefallen ist. In diesem Jahr schickte er den PS01 ins Rennen, ein Chassis, das kaum im Windkanal stand und vor dem Saisonstart nur 90 Testkilometer abgespult hatte. Trotz eines wesentlich geringeren Budgets und eines Motors Baujahr 1998 konnten die Autos von Gustav Brunner im Rennen zu Saisonbeginn oftmals beide Benetton-Renault hinter sich lassen.

Seit rund 22 Jahren arbeitet Brunner nun schon in der Formel 1. Brunner gilt dabei nicht als ein Aerodynamik-Talent wie zum Beispiel Adrian Newey. Vielmehr ist er ein unglaubliches Allroundtalent, das sich sowohl mit der Aerodynamik als auch mit der Mechanik der Autos bestens auskennt. 1978 begann er seine Karriere bei ATS, bevor er zwei Jahre später von Arrows verpflichtet wurde. Als das Team 1981 seinen Hauptsponsor verlor, kehrte Brunner zu ATS zurück. 1984 wechselte Brunner Alfa Romeo, wo er als Renningenieur von Ricardo Patrese arbeitete.

Nach einer kurzen Zeit bei March wurde er Ende 1985 von Ferrari engagiert, um ein Indy-Car zu bauen. Allerdings schmissen die Italiener das US-Projekt und Brunner wurde von der Formel-1-Abteilung übernommen, wo er den 87er-Ferrari baute.

Nach seiner Zeit bei Ferrari arbeitete Brunner noch bei Rial (1988), Zakspeed (1989) und Leyton House (1989-91). Im September 1992 wurde er Technischer Direktor bei Minardi, bevor er dem Team ein Jahr später den Rücken zukehrte und wieder zu Ferrari ging. Dort blieb er bis 1997 in der technischen Mannschaft. Seit Februar 1998 arbeitete Brunner wieder bei Minardi, im Mai 2001 wechselte er nun zu Toyota.

Vergangene Woche stellte das Team in Köln-Marsdorf der Presse die "heiligen Hallen" vor, in denen Motor und Auto entwickelt und zusammengebaut werden. F1Total.com-Chefredakteur Fabian Hust war vor Ort.

Frage: "Die Testzeiten, die sie momentan an den Tag legen, sind ja nicht gerade berauschend?"
Brunner: "Die Strecken, auf denen wir fahren, sind immer staubig und 'grün', wie man so schön sagt. Wir haben nicht das Ziel, schnell zu fahren. Wir wollen wirklich elektronische Systeme oder sonst irgendetwas testen."

Frage: "Wo würden sie sagen, steht Toyota im Moment?"
Brunner: "Auf keinen Fall sind wir vorne, wir sind sicherlich hinten und dort werden wir auch nächstes Jahr am Anfang sein, da die Formel 1 sehr schwierig ist. Das ist meine Einschätzung, aber genaueres wird sich erst nächstes Jahr zeigen."

Frage: "Mit welcher Taktik fahren sie im nächsten Jahr? So wie BMW damals angefangen hat, ein sicheres Auto zu bauen, mit dem man lange fahren kann oder ein Auto, das schnell ist?"
Brunner: "Wir bauen ein ganz konventionelles Auto, wir erfinden gar nichts. Unser Ziel ist es nur, uns für alle Rennen zu qualifizieren und möglichst viele Rennen zu Ende zu fahren. Lang zu fahren und Standfestigkeit, das ist unsere Priorität. Nicht der reine Speed, den wollen wir natürlich auch, aber er hat nicht höchste Priorität."

Frage: "Ein Platz in den Punkten wäre also eine Sensation?"
Brunner: "Ja, kann man so sagen."

Frage: "Sie decken ihre Flügel schon ganz professionell ab, haben sie Angst vor Spionage?"
Brunner: "Nein, das sind nicht die Flügel, die wir im nächsten Jahr haben, wir haben jetzt schon bessere. Bei uns gibt es nichts zu spionieren, aber auch umgekehrt nicht. Die wahren Geheimnisse kann man nicht sehen und das Abdecken bringt auch nichts. Ein guter Kameramann der bekommt alles rein, was soll das? Für die Formel 1 ist das Abdecken nicht gut."

Frage: "Gibt es schon einen festen Termin, wann Toyota erstmals mit anderen Teams zusammen auf einer Strecke testen wird?"
Brunner: "Das ist noch nicht entschieden. Dieser Tage wird das Testprogramm noch einmal ein wenig umgeschmissen. Es könnte sein, dass es aufgrund der Testpause erst im Januar so weit sein wird. Der letzte Testtag für die anderen Teams ist so viel ich weiß der 6. Oktober und das ist ja im Grunde genommen in ein paar Wochen."

Frage: "Das Testverbot ist ja gerade ein riesiges Thema in der Formel 1, gerade was Toyota anbelangt. Wird Toyota sich nun an das Testverbot halten oder nicht?"
Brunner: "Da wird momentan noch darüber diskutiert, in wie fern Toyota da Kompromisse eingehen will, denn rein vom Reglement her darf Toyota testen wann und wo sie wollen. Da die Konkurrenz damit nicht einverstanden ist, kann man vielleicht einen Kompromiss eingehen, das liegt dann aber an unserem Präsidenten."

Frage: "Wie gut arbeitet das Team bereits?"
Brunner: "Die Teamarbeit hat sich schon gewaltig verbessert. Es ist noch nicht top, natürlich muss da noch einiges optimiert werden. Aber nehmen wir zum Beispiel den Motorwechsel: Beim ersten Test hat der vier Stunden gedauert, inzwischen sind es nur noch eine Stunde. Mit anderen Sachen ist es ähnlich, es hängt ganz davon ab, welches Problem wir haben. Manche hat man schneller aussortiert, bei anderen dauert es länger - alles muss trainiert werden. Und ich sage ihnen ganz offen, je mehr Probleme uns das Auto macht, desto besser ist das Training. Es geht aber nicht nur um das Team an der Strecke, sondern um die ganze Mannschaft: Wie schnell reagiert die Produktion und die Konstruktion, wie funktioniert die Logistik, das heißt, welche neuen Teile erhalte ich, wie sehen diese aus? Dieses ganze Zusammenspiel ist das, was ein gutes Team ausmacht."

Frage: "Gibt es große Unterschiede bei der Arbeit im Vergleich zu Minardi?"
Brunner: "Klar, Minardi ist ein kleines Team aber leicht zu managen. Hier ist es die größte Schwierigkeit, das Team zu formen und es zum Zusammenarbeiten zu bewegen, da wir ein großes Team sind. Aber wir benötigen ein so großes Team, um langfristig erfolgreich zu sein."

Frage: "Wie zufrieden sind sie mit den Fahrern?"
Brunner: "Mika Salo bringt natürlich sehr viel Erfahrung mit sich, was für uns wertvoll ist. Allan McNish, unser Testfahrer, ist sehr geduldig, was sehr wichtig ist, denn wir haben viele junge Ingenieure, die noch viel lernen müssen."

Frage: "Was war ihr erster Eindruck von Toyota?"
Brunner: "Als ich das erste Mal hier herkam, war ich von den Anlagen hier sehr beeindruckt. Sie haben gute Anlagen, gute Leute und gute Ingenieure. Unser großes Problem ist es wirklich, die Leute zum richtigen Zusammenarbeiten zu bewegen und alle Möglichkeiten zu nutzen. Das Auto, was wir hier haben, ist möglicherweise nicht auf dem neusten Stand der Formel 1, besonders im Bereich der Aerodynamik, da diese Abteilung sich im Moment noch im Aufbau befindet. Das Auto ist aber dennoch sehr gut, weil es die Anforderungen absolut erfüllt, und das ist das Testen. Wir haben hier aber alles, was wir benötigen und machen gute Forschritte."

Frage: "Können sie sagen, wie viele Teile von diesem Testwagen hier im nächsten Jahr noch verwendet werden?"
Brunner: "Ich würde sagen, bis zum Jahresende werden vielleicht noch 30 Prozent übrigen bleiben, bis zum ersten Rennen 10 Prozent und bis Mitte nächsten Jahres Null. Aber dies ist der übliche Evolutionsfortschritt, den jeder in der Formel 1 hat. Das ist bei den anderen ähnlich. Formel-1-Autos sind im Prinzip Wegwerfprodukte. Kaum hat man sie konstruiert, hat man schon wieder etwas Neues gefunden. Wenn es um die Aerodynamik geht, dann ist dies alle zwei Wochen der Fall. Die Karosserie macht man vielleicht monatlich neu, die Mechanik hält vielleicht ein wenig länger."

Frage: "Sie arbeiten seit dem 9. Mai bei Toyota, haben sie auch noch am alten Auto gearbeitet oder konzentrieren sie sich ganz auf das neue Auto?"
Brunner: "Beides. Wir testen natürlich auch noch im alten Auto jede Menge Teile. Das dient aber nicht dazu, es noch schneller zu machen. Wir wollen nur Teile und Systeme testen, die wir planen, im nächsten Jahr einzusetzen."

Frage: "Hat ihr Auto im Moment einen Bereich, der besonders viele Probleme bereitet?"
Brunner: "Nein, gar nicht, das Auto läuft sehr gut. Es sind alles nur kleine Flüchtigkeitsfehler, wo wir unsere Arbeitsmethoden noch verbessern müssen. Zum Beispiel beim Kabelbaum, den Steckern - kein Kontakt, Hydraulik - Flüssigkeit tritt aus, ein Sensor funktioniert nicht. Aber nichts ernsthaftes, es ist ein Auto, das grundsätzlich funktioniert."

Frage: "Außer Sauber hat ja jedes Formel-1-Team eine Teststrecke praktisch vor der Haustüre, wo machen sie denn ihre Funktionstests?"
Brunner: "Wir haben keine eigene Teststrecke, aber wir haben ein Spezialabkommen mit Paul Ricard. Und das ist von uns die Heimstrecke, auf die wir zum Testen gehen."

Frage: "Das ist ja eine ganz schöne Strecke bis dort hin, wäre es denn denkbar, dass man in Köln eine kleine Teststrecke baut?"
Brunner: "Nein, unmöglich. Nicht nur, was uns betrifft, sondern auch die Umweltschützer, die Grünen, die würden uns erschießen! (lacht) Das geht in Deutschland nur, wenn im Umkreis von 300 Kilometern kein Mensch wohnt. Aber dann würden die mit den Tieren kommen uns sich darüber beschweren. Ja, so ist das! Unterirdisch vielleicht, wir könnten der Regierung den Stollen abkaufen, wo sich die Regierung verstecken wollte. Dann wäre das Testen auch wirklich geheim? (lacht)"

Frage: "Sie testen ja demnächst hinter verschlossenen Türen in Österreich, um ein komplettes Rennwochenende zu simulieren. Warum machen sie so einen Test?"
Brunner: "Wir wollen vor allem den Ablauf eines Wochenendes lernen, die Rundenzeit ist auch dort sekundär, die schaut sich wahrscheinlich gar keiner an. Wir kommen mit den LKWs an die Strecke, müssen die Garage im Zeitplan aufbauen, in der Garage hat es dann drei Autos, man hat also eingeschränkt Platz. Wir wollen auch den Druck für die Mechaniker simulieren, sie müssen wissen, dass um 9:30 Uhr das Training los geht und sie aus diesem Grund um 10 Uhr nicht mehr am Auto schrauben dürfen. Es ist mehr ein Training für das Team, weniger für das Auto. Wir wollen aber natürlich auch ein paar Runden fahren, so ist es natürlich auch wieder nicht."

Frage: "Wie viele Teile des Autos werden hier in der Toyota-Fabrik in Köln hergestellt, wie viele kommen von externen Zulieferern?"
Brunner: "Es wird natürlich auch mit Lieferanten zusammengearbeitet, aber die wichtigsten Teile machen wir hier. Wir machen zum Beispiel alle strukturellen Kohlefaserteile im Haus. Die Kohlefaserabteilung befindet sich noch im Aufbau, sie wird von der Größe her sogar noch verdoppelt. Das Monocoque ist hier gebaut, wir machen auch Querlenker und viele Maschinenteile hier. Was den Motor betrifft, wird mehr im Haus produziert, was das Auto betrifft etwas weniger, das ist auch der übliche Weg. Das hängt damit zusammen, weil man am Motor etwas langfristiger plant. Chassisteile sind immer etwas kurzfristiger, da baut man sich lieber ein gutes Lieferantennetzwerk auf. Das Getriebe- und Motorgehäuse gießen wir nicht selber, aber das macht ja auch sonst keiner selbst. Bei der Elektronik wird die Software im Haus geschrieben, die Hardware kommt von Magneti Marelli. Viele Teile sind Standardteile der Formel 1, da haben wir die gleichen Lieferanten wie andere Teams, zum Beispiel bei den Bremsbelägen. Wir haben hier im Umkreis Lieferanten, wir haben ganz Deutschland abgedeckt, wir haben in Italien Lieferanten. Britische Lieferanten haben wir eigentlich weniger, denn die haben mit den englischen Teams eigentlich genug zu tun."

Frage: "Sie haben bisher bei Minardi mit wenig Geld immer beachtliche Arbeit geleistet, jetzt können sie bei Toyota aus dem Vollen schöpfen. Das setzt einen aber auch unter Druck, oder?"
Brunner: "Klar steht man unter Druck, aber es ist im Grunde genommen auch toll, denn ich will ja etwas entwickeln, das irgendwann einmal besser ist als das, was die anderen haben oder auf das gleiche Niveau kommen, auch wenn es eine zeitlang dauert. Ich würde nicht sagen, dass es Druck ist. Es ist eher Verantwortung. Aber ich bin aus diesem Grund ja auch hier hergekommen, denn hier bekomme ich das, was ich gesucht habe."

Frage: "Wo muss Toyota am Auto bis zum Saisonstart 2002 am meisten aufholen?"
Brunner: "Am Motor am wenigsten - am Chassis mehr und hier besonders an der Aerodynamik, aber diese Abteilung ist noch am Wachsen."

Frage: "Wie groß ist die Zusammenarbeit mit dem Stammhaus in Japan?"
Brunner: "Wir haben gewisse Abkommen, besonders was den Bereich Materialforschung und -Entwicklung betrifft. Das betrifft vor allem den Motor, am Chassis geht es da langsam los. Im Chassisbereich haben wir schon ein kleines Projekt namens 'Kohlefaser', das werden wir aber noch ausbauen."