Große Analyse: Die F1 auf dem Weg in eine neue/alte Zeit
Der Umfang der beschlossenen Reglementänderungen für die Saison 2006 und 2007 ist überraschend und ermutigend zugleich
(Motorsport-Total.com) - Monate befanden sich die Formel-1-Teams, Formel-1-Boss Bernie Ecclestone und FIA-Präsident Max Mosley in Bezug auf viele Reglement-Fragen im Clinch, doch am Montag einigten sich die Mitglieder der Formel-1-Kommission in London für viele Insider überraschend auf zahlreiche, zum Teil radikale Änderungen am Reglement, die 2006 und 2007 in Kraft treten werden.

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Das neue Flügel-Konzept verändert den Luftstrom hinter dem Auto extrem
Neben den Vertreter der zehn Formel-1-Teams waren natürlich auch Formel-1-Boss Bernie Ecclestone und FIA-Präsident Max Mosley als Mitglieder der Formel-1-Kommission vor Ort. Zusätzlich waren sieben Promoter der Formel-1-Rennen (Brasilien, Kanada, Japan, Monaco, Italien, Spanien und Deutschland), zwei Vertreter von Formel-1-Sponsoren ('Vodafone' und 'Gallaher'), ein Vertreter der Motorenhersteller (Cosworth) und ein Reifenvertreter (Bridgestone) anwesend.#w1#
Ausscheidungs-Qualifying mit voller Zustimmung

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Im Qualifying soll es 2006 wieder richtig zur Sache gehen Zoom
Verabschiedet wurde bei dem dreistündigen Treffen im 'Knightsbridge'-Hotel ein neues Qualifying-Format, das das 2003 eingeführte, mehrfach modifizierte aber auch am Ende der abgelaufenen Saison umstrittene Einzelzeitfahren ablöst. Die Idee hinter der damaligen Einführung: Die kleinen Teams sollten eine garantierte Übertragungszeit im TV erhalten, denn früher richteten sich die Kameras natürlich immer auf die Top-Teams.
Bei diesem Modus musste jeder Fahrer alleine auf die Strecke und durfte nur eine gezeitete Runde fahren. Zudem war es nach dem Abschlusstraining nicht mehr erlaubt, Reifen zu wechseln oder aufzutanken. Somit konnte auch nicht festgestellt werden, welche Fahrer-Auto-Reifen-Kombination wirklich die schnellste ist.
Mit dem Absegnen des neuen Formats - das übrigens einstimmig erfolgt sein soll - kommt man dem Wunsch der Fans und TV-Stationen nach. Das Einzelzeitfahren brachte zu wenig Spannung und sorgte für deutlich zurückgehende Einschaltquoten. Somit war die erhöhte Aufmerksamkeit für die "kleinen" Teams letztendlich ein Schuss ins eigene Bein.
Verrückte Startaufstellungen kann es auch 2006 noch geben

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Verrückte Startaufstellungen und damit Action, soll es auch 2006 geben Zoom
Einzig die teilweise durcheinander gewürfelten Startaufstellungen sorgten in den Rennen für Spannung - die positive Seite des unberechenbareren Einzelzeitfahrens, das Fahrfehler gnadenlos bestrafte und durch Wetterkapriolen oftmals zu einer Lotterie wurde.
Doch unkonventionelle Startaufstelslungen könnte es auch - in abgeschwächter Version - in Zukunft geben. Es ist also nicht zu befürchten, dass es wie bei den älteren Qualifying-Formaten nur noch "Prozessions-Rennen" gibt, weil die schnellsten Autos sowieso alle vorne stehen, auch wenn die Wahrscheinlichkeit hierfür deutlich höher ist.
15 Minuten haben die Fahrer in Zukunft Zeit, im ersten Teil des Qualifyings eine schnelle Runde zu fahren. Die fünf langsamsten Piloten scheiden aus und nehmen die Startplätze 16 bis 20 ein. Sollte ein Top-Fahrer in den ersten 15 Minuten von der Strecke rutschen oder ein anderes Problem haben, müsste er also ebenfalls das Feld von hinten aufräumen.
Auch an die TV-Stationen wird gedacht

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Das neue Qualifying-Format kommt auch auf Druck der TV-Stationen Zoom
Nach einer fünfminütigen Pause, in der die TV-Stationen in die Werbung gehen können, wird erneut mit den verbleibenden 15 Autos eine viertel Stunde lang gefahren, wobei zuvor gefahrene Zeiten gestrichen werden - ausruhen auf seinen Lorbeeren kann sich also niemand. Somit muss also selbst bei schlechter werdenden Streckenbedingungen, zum Beispiel durch Regen, gefahren werden.
Übrigens dürfen die Fahrer vor dem zweiten Teil des Qualifyings Reifen wechseln und ihre Benzinmenge wie schon vor dem ersten Teil frei wählen. Erneut scheiden am Ende des zweiten Durchgangs die fünf langsamsten Fahrer aus, die entsprechend ihrer im zweiten Teil gefahrenen Zeiten die Startpositionen 11 bis 15 einnehmen.
Das letzte Qualifying-Drittel ist ein Kompromiss
Die letzten zehn Piloten haben noch einmal 20 Minuten Zeit, um um die Pole Position zu kämpfen, müssen hier allerdings bereits mit jener Menge Benzin fahren, mit der sie auch ins Rennen gehen wollen. Somit ist nicht davon auszugehen, dass man wirklich weiß, welches Paket das schnellste ist, denn die Top-Fahrer müssen im ersten und zweiten Teil des Qualifyings wohl nicht an das absolute Limit gehen, um sich für die Top-10-Endausscheidung zu qualifizieren.

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Die Teams dürfen im 3. Qualifying-Teil verbrauchten Sprit wieder nachfüllen Zoom
Damit die Fahrer wegen der Tatsache, dass sie mit der Rennbenzinmenge in den letzten Qualifying-Teil gehen müssen, nicht langsam an die Box zurückfahren, um Benzin zu sparen - was ein gewaltiges Sicherheitsrisiko darstellen würde - werden die Fahrzeuge vor dem Herausfahren von der Rennleitung gewogen und dürfen anschließend wieder um die verbrauchte Benzinmenge aufgetankt werden. Gleichzeitig soll dies die Piloten ermutigen, weitere Versuche zu starten, die Bestzeit zu unterbieten.
Unklar ist, wann die zuvor ausgeschiedenen Teams ihre Strategie für das Rennen festlegen müssen. Ebenfalls ist die Frage, ob die zuvor ausgeschiedenen Fahrer ebenfalls vor dem letzten Abschnitt die Rennbenzinmenge festlegen müssen. Falls nein, dann hätten sie einen strategischen Vorteil gegenüber den schnellsten zehn Fahrern, die sich vor dem letzten Qualifying-Teil für ihre Startspritmenge entscheiden müssen.
Der Druck der Fans und TV-Sender zeigte Wirkung
"Alle haben realisiert, dass das Fernsehen und die Zuschauer vor Ort ein besseres Spektakel brauchen und das bekamen sie nicht", so Mosley. Man habe mehrere Möglichkeiten diskutiert, der neue Modus würde jedoch auf jeden Fall garantieren, "dass die Autos auch auf die Strecke fahren". Bei den früheren Qualifying-Formaten mit 60 Minuten Fahren und maximal 12 Runden verstrichen regelmäßig 20-30 Minuten, bis sich ein Top-Fahrer auf der Strecke zeigte, das kann sich nun niemand mehr leisten.
Ist der Modus zu kompliziert für die Fans?
Die Frage ist, ob das Publikum ein solches Format mit drei verschiedenen Einheiten und unterschiedlichen Benzinmengen - die Fahrer, die vorher ausgeschieden sind, werden somit teilweise schneller sein als die Fahrer, die vorne stehen - verstehen kann. Doch Max Mosley macht sich in diesem Zusammenhang keine Sorgen, spricht von einem Qualifying, das mit einem echten Showdown zu Ende gehen wird.
Das Comeback von Reifenwechseln
Da im Qualifying der Wechsel von Reifen erlaubt sein wird, dürfen in Zukunft auch wieder in den Rennen bei den Boxenstopps Reifen gewechselt werden. Damit kehrt man quasi auf das Reglement der vorletzten Saison zurück.
Erneut stehen den Piloten 28 Trockenreifen des gleichen Typs für den Trainingssamstag, das Qualifying und das Rennen zur Verfügung, nachdem freitags beide Reifentypen miteinander verglichen werden können und bis Sonntag vor dem 3. Freien Training der Rennleitung die Wahl eines Typs mitgeteilt werden muss.

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Nach diversen Reifenprobleme darf 2006 im Rennen wieder gewechselt werden Zoom
Möglich wurde dieses Umdenken erst durch die Einführung von V8-Motoren mit 2,4 Litern Hubraum ab dem kommenden Jahr. Die FIA ist der Meinung, dass die Boliden dadurch ausreichend eingebremst werden, da die neuen Motoren rund 200 PS weniger leisten werden.
Mehr Reifen als 2005 müssen die Reifenhersteller kaum an die Strecke bringen, sodass die Kosten im überschaubaren Rahmen bleiben, zumal jetzt für Reifentests keine Distanzen von mehr als 300 Kilometern mehr abgespult werden, sondern 150-Kilometer-Stints überwiegend ausreichen.
Vorteil Bridgestone?
Für Reifenhersteller Bridgestone stellt die Reglementumstellung eine große Erleichterung dar, denn durch die langlebigen Reifen hatte man massiv Problem bekommen und war gegen Michelin plötzlich nach jahrelanger Dominanz chancenlos. Es kann - muss aber nicht - sein, dass es kommendes Jahr also wieder zu einem völlig anderen Bild auf dem Reifensektor kommen wird.
Im "Kombipaket" kehren die Slicks zurück

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Zuletzt fuhr die Formel 1 1997 mit Slicks (hier Schumacher im Ferrari) Zoom
In der Saison 2007 wird man dann sogar auf Slicks zurückkehren, wie sie letztmals in der Formel-1-Saison 1997 zum Einsatz kamen, als die Formel-1-Autos auch noch 200 Zentimeter breit waren (heute 180 Zentimeter). Um die Geschwindigkeit dennoch kontrollieren zu können, wird es 2007 nur noch einen Reifenhersteller in der Formel 1 geben.
Nach der klaren Aussage von Michelin, sich in seinem solchen Fall aus dem Sport zurückzuziehen, wird dies Bridgestone sein. Die Japaner haben bereits erklärt, dass sie auch in diesem Fall in der Formel 1 bleiben möchten.
Die Abstimmung über das Reifenmonopol erfolgte wenig überraschend nicht einstimmig, dennoch reichte die Anzahl der Ja-Stimmen für die notwendige Mehrheit. Es soll aus dem Lager der Teams fünf Nein-Stimmen gegeben haben - ebenso viele Michelin-Teams dürfte es 2006 geben.
"Aerodynamik-Revolution" als Ideallösung?

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Von der Idee des 'CDG-Flügels' war die Formel-1-Kommission begeistert Zoom
FIA-Präsident Max Mosley präsentierte zudem mit dem CDG wing ein revolutionäres Konzept, das auf den Gefallen der Formel-1-Kommission fiel.
Man einigte sich sogar darauf, den Heckflügel, der Überholmanöver deutlich erleichtern soll, schon 2007 einzuführen - wenn das Novum auch von der Technischen Arbeitsgruppe der Formel 1 ('TWG') abgenickt wird. Hierzu müssen mindestens acht Teams für die Einführung stimmen. Die Sponsoringbeauftragten dürften sich wenig darüber freuen, denn damit gibt es eine gut nutzbare Werbefläche weniger am Auto.
FIA-Präsident Max Mosley zeigte sich nach dem Meeting überzeugt davon, dass das Konzept die Hürde der 'TWG' locker nehmen wird, da sich die Mitglieder der Formel-1-Kommission sehr angetan von dieser Idee zeigten.
Die Einführung wäre nach Aussage des Briten gegenüber 'Autosport-Atlas' "die radikalste Änderung in der Formel 1 seit Einführung der Flügel. Alle Aerodynamiker können erkennen, dass dies die Idee eines radikalen Autos ist, das gut die Antwort auf alle Überholprobleme sein könnte".
Radikaler Heckflügel wirft Fragen auf
Doch die Teamchefs haben auch ihre Bedenken, denn es könnte sein, dass der Vorteil für den Hintermann so groß wird, dass Überholmanöver zu einem Kinderspiel werden, wie das in den 60er-Jahren der Fall war. Das wäre erstens nicht im Sinn des Sports und würde auch den Reiz der Überholmanöver massiv schmälern, wenn man weiß, dass der Hinterherfahrende am Ende der folgenden Gerade sowieso vorne liegen wird.
Mosley erklärte am Montag, dass der neue Flügel dafür sorgen wird, dass das hinterherfahrende Auto über mehr Abtrieb verfügt als der Vorausfahrende und: "Zudem wird er weniger Luftwiderstand haben - was nicht erwartet wurde - und das wird im Extremfall dazu führen, dass ein langsameres Auto mit einem schnelleren mithalten kann, da es einen Vorteil haben wird."
Wird der Vorteil des Flügels zu groß?

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Mosley ist sich selbst nicht sicher: Wird der Vorteil vielleicht zu groß? Zoom
Mosley glaubt, dass man in Zukunft mit einem Auto, das um 0,5 Sekunden pro Runde langsamer ist, ein schnelleres Auto überholen kann, was derzeit nur möglich sei, wenn man ein um 2 Sekunden schnelleres Auto habe: "Klar wird es eine Debatte darüber geben, ob dies das ist, was wir wollen. Aber dies ist eben die Lösung des Problems."
Die Zeit drängt...
Minardi-Teamchef Paul Stoddart glaubt hingegen nicht, dass man sich bis Jahresende einig werden wird und somit das Konzept erst 2008 eingeführt werden kann. Der Australier würde Geld darauf verwetten, dass nicht acht der zehn Teams einer Einführung für 2007 zustimmen werden: "Zudem ist das Reifenmonopol daran geknüpft und es könnte sowieso sein, dass es 2007 nicht einen einzelnen Reifenlieferant geben wird."
Auch Teamchef Frank Williams macht sich Sorgen, dass "es nur noch zwei Monate von Morgen bis Weihnachten sind, wo wir uns geeinigt haben müssen", auch wenn der Brite die geplante Änderung sehr begrüßt. Den neuen Look der Autos wird Williams wohl "hassen, aber ich würde mich daran gewöhnen." Auch die modernen, schmalen Autos mit hoch gesetzten Frontflügeln kommen kaum noch jemandem fremd vor...
Ungeklärte Probleme und abgelehnte Vorschläge...
Nicht diskutiert wurde übrigens über den Formel-1-Kalender 2006, der am Mittwoch als Entwurf verabschiedet werden soll. Abgelehnt wurde von der Formel-1-Kommission am Montag die Abschaffung der dritten Autos an den Grand-Prix-Freitagen für die sechs schlechtesten Teams des Vorjahres (Williams-Cosworth, Honda, Red Bull Racing, BMW, MidlandF1 und Squadra Toro Rosso). Auch Ersatzautos wird es in Zukunft weiterhin geben. Nicht zugestimmt wurde auch der Idee, das Verwenden von Reifenwärmern zu verbieten.
Noch sind die Änderungen am Reglement übrigens formal nicht beschlossen, sie müssen erst am Mittwoch in Rom die letzte Hürde überwinden, wenn der FIA Weltmotorsportrat die Einführung absegnen muss - dies dürfte jedoch eine reine Formalität sein.

