Glock-Kolumne: Ins "Land der untergehenden Träume"
Virgin-Pilot Timo Glock berichtet in seiner neuesten Kolumne über die anstehende Reise nach Suzuka: Schlechte Erinnerungen und die Einreise als "Entertainer"
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Ich hoffe sehr, dass Japan 2010 wieder mehr Freude bringt als im Vorjahr
ich kann es einfach nicht lassen! Kaum aus Singapur zurück, musste ich doch gleich mal wieder bei der Kartbahn vorbeischauen und ein paar heiße Runden drehen. Das macht immer Laune. Außerdem ist es natürlich toll, wenn man dort mal wieder mit Material unterwegs ist, mit dem man auch vorne fahren kann. Das ist in der aktuellen Formel-1-Saison wirklich nur selten der Fall. In Singapur war das kurz mal so.
Dort habe ich im Freien Training eine Weile auf P1 gestanden - das tat mal richtig gut! Auf dem Stadtkurs habe ich mich schon in den vergangenen Jahren immer pudelwohl gefühlt. Dort kannst du als Fahrer wenigstens wirklich noch einen Unterschied ausmachen. Feingefühl, Mut und Konzentration sind gefragt. Genau das liebe ich.#w1#
Nun kommen wir am kommenden Wochenende auf eine Strecke, die man als Formel-1-Pilot eigentlich nur mögen kann. Suzuka hat wunderschöne schnelle Kurven, der Kurs ist herrlich flüssig zu fahren. Aber in diesem Jahr komme ich mit etwas gespaltenen Gefühlen dorthin. Wenn ich nämlich an das vergangene Jahr dort zurückdenke, dann kann ich nur mit dem Kopf schütteln.
Ihr müsst euch mal vorstellen, was damals alles passiert ist: Ich kam also nach dem superguten zweiten Platz aus Singapur nach Suzuka. Ich hatte dummerweise gerade erfahren, dass ich wohl nicht weiter mit Toyota zusammenarbeiten kann. Beim Flug nach Japan fing der Hals an zu kratzen, im Hotel bekam ich Fieber und musste am Trainingsfreitag passen.

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Die Streckenbesichtigung am Donnerstag ist fester Bestandteil des Plans Zoom
Mein Physiotherapeut Axel hat mich dann hochgepäppelt, sodass ich am Samstag wieder im Auto sitzen konnte. Dann folgte das Qualifying und der Crash - das vorzeitige Saisonende. Vielleicht könnt ihr nun verstehen, dass ich nicht unbedingt mit einem breiten Grinsen nach Suzuka fliege. Für mich ist das daher nicht das "Land der aufgehenden Sonne", sondern eher das "Land der untergehenden Träume".
Natürlich werden mich diese Erinnerungen nicht bremsen, sondern in diesem Jahr eher noch anstacheln. Ich freue mich schon auf die ersten Runden durch das Geschlängel nach Start und Ziel, oder auf das Erlebnis 130R. Das sind Passagen, die sind durch kaum etwas zu toppen, wenn du dort mit einem Formel-1-Wagen durchheizen darfst.
Und die Fans sind auch von der speziellen Sorte. Die Japanerinnen und Japaner bringen eine Leidenschaft mit wie ein bestens gelaunter Pizzabäcker beim Zubereiten einer Quattro Stagioni. Die sind echt verrückt, allerdings auf positive Art und Weise. Ich weiß wovon ich spreche, denn immerhin stand ich in den vergangenen beiden Jahren als Toyota-Pilot immer im Mittelpunkt des japanischen Hypes.
In diesem Jahr wird es diesbezüglich ruhiger zugehen. Mein Team Virgin bringt noch einmal kleine Verbesserungen der Aerodynamik mit an die Strecke. Wir hoffen, dass wir damit dann endlich Lotus hinter uns lassen können. Es war bisher ein heftiger Kampf gegen die Grün-Gelben, den wir jetzt aber mal endgültig für uns entscheiden wollen.
Lotus hat einfach ein Auto gebaut, dessen Basis wirklich stark ist. Wir müssen uns deshalb mit unserem VR-01 ganz schön strecken. In Singapur waren wir etwa auf Augenhöhe. Ich habe keine Ahnung, wie es in Suzuka aussehen wird. Wenn eines sicher ist in dieser Saison, dann ist es die Tatsache, dass nichts sicher ist. Das gilt bei unserem Zweikampf gegen Lotus genauso wie ganz vorne im Fight um den Titel.

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Vielleicht dürfen wir 2010 nochmal Regenreifen aufziehen - das könnte helfen Zoom
Wie gern würde auch ich zu den fünf Piloten zählen, die jetzt noch die Krone unter sich ausmachen. Aber natürlich ist das mit einem neuen Team wie Virgin nicht möglich. Ich denke, das wird auch im kommenden Jahr schwierig. Ich werde alles tun, damit Virgin für 2011 weitere wichtige Schritte machen kann. Vielleicht können wir dann wenigstens an den Punkten schnuppern.
Ein "Schnuppererlebnis" der besonderen Art hatte ich am vergangenen Wochenende. Mit meiner Freundin Isabell war ich bei den Filmfestspielen in Zürich. Das war nett und pompös - aber eben nicht ganz so meine Welt. Wir durften zwar viele Leute kennenlernen, aber mir kommt es immer komisch vor, wenn sich die Filmbranche selbst inszeniert. Nett war, dass wir Bob Geldof getroffen haben.
Wo wir gerade bei der Unterhaltungsbranche sind - ein lustiges Detail zur Suzuka-Reise: Auf den Visa von meinem Physio Axel und mir steht als Berufsbezeichnung "Entertainer". Da wollen wir also mal hoffen, dass wir den Fans in Japan und weltweit an den Fernsehschirmen eine gute Show präsentieren können. Drückt mir die Daumen!
Bis bald,

