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Gillan: Es gibt kein Mapping-Schlupfloch

Die Aufregung um Schlupflöcher im Auspuff-Reglement ist laut Williams-Ingenieur Mark Gillan unbegründet - Mercedes meldet Entdeckung bei der FIA

(Motorsport-Total.com) - Viel wurde in den vergangenen Wochen darüber spekuliert, wie die Teams und Motorenhersteller versuchen werden, das Verbot der auspuffangeströmten Diffusoren zu kompensieren. Das ist gar nicht so einfach, schließlich hat die FIA nicht nur die Position des Auspuffs festgeschrieben, sondern auch experimentelle Motoreneinstellungen, sogenannte Mappings, verboten.

Titel-Bild zur News: Auspuff am McLaren-Mercedes MP4-27

Viele Teams versuchen, die Auspuffgase weiterhin zu nutzen (Bild: McLaren)

Die festgeschriebene Position des Auspuffs soll verhindern, dass die Auspuffgase dorthin gelenkt werden, wo sie am meisten aerodynamischen Anpressdruck generieren würden. Allerdings versuchen die Teams jetzt schon, die Gase umzulenken, um diesen Effekt weiterhin zu nutzen, wenn auch in deutlich geringerem Ausmaß. Auch in Sachen Mappings wurde versucht, die Grenzen des Erlaubten auszuloten.

Was hat Renault entdeckt?

"Obwohl sich die Regeln geändert haben, haben wir zusammen mit Red Bull eine Lösung gefunden, um den Performance-Verlust auszugleichen", wurde Renault-Geschäftsführer Jean-Francois Caubet kürzlich von 'Auto Bild motorsport' zitiert. "Es ist nicht dasselbe, aber eine clevere Entwicklung, die den Unterschied ausmachen kann." Auch Mercedes wurde von manchen verdächtigt, eine Möglichkeit gefunden zu haben, die Auspuffgase weiterhin zu beschleunigen.

Doch der Wirbel um vermeintliche Schlupflöcher ist ein Medienthema: "Die Technischen Direktiven zum Thema Motorenmapping sind eindeutig", findet Mark Gillan. "Auch wo man die Auspuffgase hinlenken darf, ist eindeutig. Es gibt in der Boxengasse verschiedene Varianten, die wir uns natürlich alle anschauen, um herauszufinden, welche am besten ist. Man kann da immer noch Performance rausholen, aber bei weitem nicht mehr in dem Ausmaß wie im Vorjahr."

Frage an den Williams-Chefingenieur: Habt ihr Bedenken, dass eines der großen Teams ein Schlupfloch gefunden haben könnte? "Nein", antwortet Gillan, und auf die Frage, ob also seiner Einschätzung nach alles ganz normal sei, entgegnet er: "Ja." Aber: "Wir schauen uns in der Boxengasse um und sehen, dass die Teams die Auspuffposition sogar von Test zu Test verändern. Es liegt auf der Hand, dass da sehr schnell reagiert wird, um die Auswirkungen festzustellen."

Doch der Brite findet nicht, dass es einer weiteren Regel-Klarstellung seitens der FIA bedarf: "Nein. Ich finde, das ist eindeutig", stellt er klar und spricht für Williams: "Wir haben eine klare Meinung, was erlaubt ist und was nicht. Es gibt ein paar Technische Direktiven, die präzisieren, was erlaubt ist und was nicht, aber die sind im Vergleich zu dem, was vergangenes Jahr veröffentlicht wurde, nur geringfügiger Natur."

Entdeckung der Mercedes-Ingenieure?

Ganz unbegründet waren die Sorgen von manchen Experten im Fahrerlager aber nicht. Zwar haben sich Renault und Mercedes keinen unlauteren Vorteil verschafft, wie von manchen vermutet wurde, doch es stimmt tatsächlich, dass die FIA von einem Motorenhersteller auf ein mögliches Schlupfloch hingewiesen wurde. Daher hat die FIA nun entschieden, für den Saisonauftakt eine neue Microsoft-MES-Standardelektronik vorzuschreiben.

Denn Mercedes-Ingenieure hatten laut 'auto motor und sport' entdeckt, dass die Elektronik bisher erlaubte, das Benzingemisch im Schleppbetrieb auf vier Zylindern um 50 bis 200 Prozent anzureichern. 'Autosport' vermutet, dass man auf diese Weise künstliche Fehlzündungen herbeiführen kann, die dazu führen würden, die Energie der Auspuffgase beim Austritt aus dem Motor dramatisch zu erhöhen und damit aerodynamischen Anpressdruck zu gewinnen.

Die FIA schreibt nun vor, dass das Benzingemisch im Schleppbetrieb nur noch um 75 bis 125 Prozent angefettet werden darf. Damit sollte das von Mercedes entdeckte Schlupfloch gestopft sein. Der FIA wäre ein erneutes Einschlagen dieses Wegs ein großer Dorn im Auge gewesen - nicht nur, weil sie angeströmte Diffusoren schon seit dem Vorjahr unterbinden will, sondern auch, weil damit der Benzinverbrauch enorm gestiegen wäre. Das passt nicht zur "grünen" Formel 1.

Doch auch wenn die Auspuffposition festgeschrieben und die Mappings sehr restriktiv sind, bleibt die aerodynamische Nutzung von Auspuffgasen ein Entwicklungsthema - laut Gillan sogar "fast sicher, denn da ist noch was zu holen", so der Williams-Techniker. "Aber es gibt auch noch den Frontflügel, den Heckflügel und so weiter. Wir konzentrieren uns auf die Updates, die uns am meisten Performance bringen. Ob das nun der Auspuff ist oder der Frontflügel, ist uns dabei egal."

Technologie erst kürzlich genutzt

Warum Auspuffgase jahrelang nur als notwendiges Übel betrachtet und erst in den vergangenen Jahren von den Aerodynamikern entdeckt wurden, liegt seiner Meinung nach auf der Hand: "Die meiste aerodynamische Arbeit wird in den Windkanälen erledigt. Im Windkanal ist es aber sehr schwierig, realistische Streckenbedingungen zu simulieren. Erst seit ein paar Jahren lässt die Technologie das zu. Das gilt auch für CFD. Jetzt kann man das alles analysieren", so Gillan.

Bestes Beispiel dafür waren die ersten Gehversuche von McLaren mit einem auspuffangeströmten Diffusor, denn Lewis Hamilton und Jenson Button hatten bei der Premiere in Silverstone 2010 zwar deutlich mehr Anpressdruck, wenn sie auf dem Gas standen, aber im Schleppbetrieb war ihr Auto wegen des plötzlichen Verlusts von Anpressdruck nahezu unfahrbar. Es dauerte nur ein Jahr, bis das Topteam die Technologie in den Griff bekam.

Dass es davor mehr als 60 Jahre dauerte, bis Auspuffgase aerodynamisch genutzt wurden, ist eigentlich verwunderlich, schließlich weiß man schon seit jeher, dass ein Motor im Grunde genommen ein Kompressor ist, der auch Druckluft produziert. Die Idee, diese auf aerodynamische Teile zu leiten, gab es auch schon früher, damals war es aber unmöglich, dies gleichmäßig zu tun. Dafür mussten erst spezielle Motorenmappings entwickelt werden.

Auch die Simulationstechnologie hat zuletzt große Schritte gemacht: "Früher war es sehr schwierig, das Strömungsverhalten aus dem Auspuff zu entwickeln und dann auf der Strecke tatsächlich zu reproduzieren", schildert Gillan. "Angeströmte Diffusoren waren in der Vergangenheit eine sehr sensible Angelegenheit. Mit den modernen Technologien konnten die Teams diese Sensibilität verringern. Daher kommt der große Fortschritt."