• 13.09.2016 14:18

  • von Gary Anderson (Haymarket)

Frag Gary Anderson: Sollte man Rückspiegel verbieten?

Formel-1-Experte Gary Anderson beantwortet in seiner Serie heute die Fragen, ob ein Rückspiegelverbot sinnvoll wäre und ob McLaren mit Vandoorne ein Risiko eingeht

(Motorsport-Total.com) - McLaren wird in der kommenden Saison auf Nachwuchstalent Stoffel Vandoorne statt Weltmeister Jenson Button setzen. Doch ist der Wechsel der richtige Schritt oder ein Risiko? Diese und weitere Fragen beantwortet der langjährige Formel-1-Designer Gary Anderson dieses Mal. Außerdem geht es heute unter anderem um eine mögliche Verbannung der Rückspiegel und die Auswirkung der Steifigkeit eines Autos.

Titel-Bild zur News: Romain Grosjean

Rückspiegel sind bei Gary Anderson heute eines der Themen Zoom

Henry Fraser (E-Mail): "Ist Stoffel Vandoorne wirklich die Zukunft für McLaren? Es muss doch ein Verlust sein, wenn man einen Weltmeister wie Jenson Button verliert und ihn durch einen Rookie ersetzt."
Gary Anderson: "Vandoorne scheint den Speed wirklich zu haben, und seine Ergebnisse zeigen, dass er weiß, wie man Meisterschaften gewinnt. Bei seinem einzigen Einsatz für McLaren in Bahrain im April holte er gleich einen Punkt, die für McLaren zu diesem Zeitpunkt rar gesät waren."

"Als Alonso Vandoorne damals anpries, meinte er, dass er nicht ewig fahren würde. Ich wäre nicht überrascht, wenn er seinen Helm am Ende von 2017 an den Nagel hängen würde. McLaren muss also in die Zukunft investieren, und sowohl Alonso wie auch Button sehen, dass Vandoorne dieser langfristige Fahrer sein könnte."

"Um irgendwo erfolgreich zu sein, musst du vollkommen an deine Talente glauben. Für Vandoorne ist es besser, wenn er in seinem ersten Jahr in der Formel 1 gegen Alonso fährt anstatt gegen einen unerprobten Fahrer - speziell mit den großen Regeländerungen im Chassisbereich. Was den Verlust für das Team angeht, bin ich mir da nicht so sicher, denn immerhin wird Jenson der teuerste Reservefahrer in der Formel 1."

Stoffel Vandoorne, Jenson Button

Stoffel Vandoorne wird Jenson Button bei McLaren 2017 ersetzen Zoom

"Jenson hat den Formel-1-Titel vor sieben Jahren gewonnen, und zu erwarten, dass das jetzt noch einmal passiert, ist ein wenig unrealistisch. Button wird ein Spitzenmentor für Vandoorne sein, und wenn McLaren und Honda ihr Programm wieder in die Spur gebracht haben, dann wird Vandoorne bereit sein, um die Meisterschaft zu kämpfen. Könnt ihr euch vorstellen, wie es sein würde, wenn Max Verstappen und Vandoorne die Fahrermeisterschaft unter sich ausmachen?"

Das Problem mit den Spiegeln

Roger Hick (E-Mail): "Wie sehen Sie Spiegel in der Formel 1? Könnte man sie komplett entfernen? Spiegel sind Verteidigungshilfen, aber ohne sie könnten Fahrer nicht kalkuliert blocken oder die Linie verändern, wodurch man die Regel für einmaliges Rüberziehen kippen könnte. Überrundete Fahrzeuge könnten über Teamfunk gewarnt werden. Motorräder kommen gut ohne aus, warum also nicht auch Formel-1-Autos?"
Anderson: "Diese Frage zeigt definitiv eine andere Sichtweise, wie Zuschauer und Fans auf die Probleme in der Formel 1 blicken."

"Es ist auch eine andere Art, ein Problem zu lösen, aber ich denke, dass Spiegel aus anderen Gründen notwendig sind. Zum Beispiel generell in Trainingssitzungen, wenn sich ein Fahrer auf einer Aufwärmrunde befindet oder aus irgendeinem Grund langsamer als die anderen Autos fährt. Bei den Motorrädern sieht man die Fahrer häufig nach hinten schauen, um zu sehen, ob jemand anderes schnell ankommt, oder einfach nur um zu wissen, wo die Gegner sind. Das ist in einem Auto nicht so einfach."

"Neben dem konstanteren Überwachen der überaggressiven Blockademanöver würde ich einen elektronischen Weg einschlagen. Es könnte eine Art Parksensor sein, aber es wäre ein rotes oder grünes Licht, das an jeder Seite des Cockpitdisplays beim vorausfahrenden Fahrzeug aufleuchtet, um vor einem anderen Auto zu warnen. Dabei würde ich zunächst auf folgende Spezifikationen setzen."


Fotostrecke: Die zehn denkwürdigsten F1-Regeländerungen

1. Jedes Auto hätte drei Sensoren: einen an der Nasenspitze und einen an jeder Seite des Rücklichts

2. Wenn das nachfolgende Auto innerhalb von drei Wagenlängen (was variabel sein kann) und direkt dahinter ist, dann würden beide roten Lichter angehen, um den Vorausfahrenden zu warnen, dass ein Auto nah dahinter ist.

3. Wenn das nachfolgende Auto auf weniger als eine halbe Autolänge (variabel) herankommt, dann wäre das Licht auf dieser Seite rot und auf der anderen Seite grün, sodass der Fahrer nicht vor das andere Auto ziehen könnte, das ein Überholmanöver versucht.

4. Es sollte einen Geschwindigkeitsmesser geben, der bei niedrigen Geschwindigkeiten ausschaltet, weil ein wenig Antäuschen und Reinziehen das Racing aufregend macht. Man könnte es nur bei Highspeed auf Streckenteilen wie der Kemmel-Geraden in Spa verwenden.

Max Verstappen, Kimi Räikkönen

Nähert sich ein Auto, dann könnten Sensoren Ausschlag geben Zoom

"So etwas Ähnliches ist im Grunde in jedem Parksensor und fahrerlosem Auto vorhanden, von daher würde man das Rad nicht neu erfinden. Aber wenn die Formel 1 so ein System adaptieren würde, dann würde es die Entwicklung enorm beschleunigen, was auch den Straßenwagen zugutekommen würde. Abgesehen davon: Lasst sie einfach weitermachen."

Eine Ära zum Glänzen für Professoren?

Al Gordon (E-Mail): "Wie würden sich die großartigen 'Professoren' wie Jackie Stewart oder Alain Prost mit der heutigen Formel-1-Technologie schlagen? Würden ihre Fähigkeiten durch die Computersysteme der Teams untergraben werden?"
Gary Anderson: "Es ist immer schwierig, die verschiedenen Ären zu vergleichen. Jackie und Alain waren zu ihrer Zeit erfolgreich, weil sie clever genug waren, um zu erkennen, was für den Erfolg notwendig war. Außerdem hatten sie ein angeborenes natürliches Talent, was das erste ist, was man im Motorsport für Erfolg benötigt."

"Von da aus kann ich nur annehmen, dass sie clever genug wären, um zu verstehen, was in der aktuellen Formel 1 für den Erfolg benötigt wird, und dann würden sie ihre Fähigkeiten daran anpassen. Ich schätze, dass sie Hand-in-Hand mit den Ingenieuren arbeiten würden. Sie würden sehen, wie die Daten interpretiert werden, wie potenzielle Performanceverbesserungen erreicht würden, wie der Reifenabbau reduziert werden kann oder wie man einen Weg findet, damit der Fahrer das Auto länger schneller fahren kann."

"Um irgendwo Erfolg zu haben, muss man die individuellen Komponenten kennen und sie umsetzen, um das bestmögliche Ergebnis zu erreichen. Viele Teams sind bei der Hälfte davon sehr gut, aber sie erkennen den Rest nicht oder stecken nicht genügend Anstrengungen hinein, um das für sie machbare Resultat zu erreichen. Jackie oder Alain hätten nie zugelassen, dass das passiert."

Esau Hernandez (Twitter): "Kennen Sie die Bedeutung der Lichter um das Cockpit herum?"
Gary Anderson: "Das blaue Licht auf dem Chassis vor dem Fahrer ist das medizinische Warnlicht und befindet sich an allen Autos. Es wird stets langsam heller und dunkler, um zu signalisieren, dass das System funktioniert. Wenn ein Einschlag registriert wird, der zu einem Schädel-Hirn-Trauma führen könnte, dann blinkt das Licht schnell und sehr hell."

"Der Lichtstatus wird über die Telemetrie auch an das Medical-Car geschickt, damit der Arzt auch vor dem Eintreffen am Unfallort weiß, wie heftig der Aufprall war. Wenn das System ausgelöst wurde, dann muss der Fahrer ins Medical-Centre gehen, ansonsten gibt es eine Strafe. Angetrieben wird es vom Systemdatenschreiber und funktioniert daher auch, wenn alle anderen elektrischen Systeme ausfallen sollten. In dieser Weise ist es ähnlich wie die Blackbox in einem Flugzeug und kann nur von der FIA gelöscht werden."

"Zudem gibt es ein ERS-Warnlicht vor dem Überrollbügel. Rot bedeutet dabei, dass man wegbleiben soll, gelb bedeutet, dass es vielleicht okay ist, und bei grün ist es definitiv okay."

Wenn Sponsoren wichtiger als Aerodynamik sind

Alex Ware (Twitter): "Dachten Sie jemals, dass ein schön designtes Auto durch eine schlechte Lackierung ruiniert wurde? Und hat ein Designer dabei etwas mitzureden?"
Gary Anderson: "Schon häufig hat ein Grafikdesigner die eigentlichen Designlinien des Autos ruiniert. Ich habe meine Nase öfters hineingesteckt, aber nicht immer hat man auf mich gehört. Ian Hutchinson ist derjenige, der die Lackierung für den Jordan 191 gemacht hat. Ich denke, dass sie mit dem Hervorheben der eigentlichen Linien des Autos das Beste aus dem Fahrzeug geholt hat. Viele würden sagen, dass es ein schönes Formel-1-Auto war."

"Für einen Grafikdesigner ist das ziemlich schwierig zu erreichen, besonders wenn die Sponsoren auf ihre eigene Logoidentifikation aus sind. Große Werbeflächen passen nun einmal nicht zu ästhetisch ansprechenden Rennwagen. 1998 hatten wir bei Jordan ein Beispiel dafür. Wir hatten ein Luftleitblech außen an der Frontflügelendplatte, das uns viel Abtrieb bescherte. In Rundenzeit ausgedrückt wären es rund 0,15 Sekunden, von daher war es das wert."

Ralf Schumacher

Genau hinschauen: An der Seite des Frontflügels ist ein Plexiglas-Stück Zoom

"Aber der Sponsor, der für diesen Bereich bezahlt hatte, beschwerte sich, dass man das Logo nicht gut genug sehen würde. Also waren wir gezwungen, das Teil zu entfernen. Aber gebt mir eine Herausforderung und ich komme hoffentlich mit einer Lösung. Wir haben eine transparente Variante aus Plexiglas gemacht. Der Sponsor war glücklich, das Geld auf dem Konto und der Abtrieb vorhanden."

Gary Debenham (E-Mail): "Hat man Autos auch in der vorherigen Ära des Nachtankverbots schon für den Start unterfüllt? Oder kam das erst 2010 auf, als die Teams noch mehr darauf geachtet haben, jeden Vorteil zu finden?"
Gary Anderson: "Man hat schon immer versucht, die Autos nicht zu überfüllen. Auf einem normalen Kurs machen zehn Kilogramm Gewicht - also rund 13 Liter Benzin - rund drei Zehntelsekunden pro Runde aus. Je leichter, desto besser."

"Das Problem vor der Nachtank-Ära war, dass die Benzinverbrauchsdaten nicht gut genug waren, um das ganze Rennresultat dafür zu riskieren. Wenn du einen Beleg dafür haben willst, wie knapp das Benzinlimit ausgereizt wurde, muss man nur auf Andrea de Cesaris schauen, der seinen Jordan 191 in Mexiko 1991 für Platz vier über die Ziellinie schieben wollte."

"Als dann Nachtanken eingeführt wurde, haben alle angefangen darauf zu schauen, wie viel Benzin in das Auto geht und wie viel es verbraucht. Das hat sich nun in der aktuellen Tankverbot-Ära fortgesetzt. Wenn man 0,3 Sekunden Zeitverlust pro zehn Kilogramm und Runde auf 50 Runden hochrechnet, dann ist es für Ingenieure enorm wichtig, das schnellste Rennen auszurechnen und dabei den Leistungsverlust mit der Benzinmenge abzuwägen."


Fotos: Ferrari Racing Days in Hockenheim


Wie steif ist steif?

David Mason (E-Mail): "Leute reden über weiche und steife Aufhängungen, aber was heißt das in der Realität und welche verschiedenen Charakteristiken bringt das mit sich? Ist der Unterschied zwischen einem weichen und einem steifen Set-up groß?"
Gary Anderson: "Die Steifigkeit der Aufhängung kann von Auto zu Auto dramatisch variieren, und das aus unterschiedlichen Gründen. Die generelle Steifigkeit des Autos muss mehr oder weniger zur Steife der Reifen passen. Man kann kein hartes Auto haben und den Reifen die ganze Arbeit machen lassen - oder umgekehrt."

"Wenn sich Fahrer über die unsinnig hohen Reifendrücke von Pirelli beschweren, dann ist ein Teil des Problems, dass die höheren Reifendrücke auch die Steifigkeit der Reifen erhöhen, was zu großem Gripverlust führt. Also muss die Aufhängungseinstellung so gewählt werden, um das zu kompensieren. Trotzdem wird man immer einen Gripverlust haben."

"Teil eins der Herausarbeitung der richtigen Steifigkeit sollte sein, dass man die vertikale Steifigkeit der Front an die vertikale Steifigkeit der Reifen anpasst. Wenn beide als Einheit funktionieren, dann bekommt man das Beste aus den Reifen. Dann geht es um die Front-Heck-Steifigkeit. Die aerodynamische Plattform ist der größte Knackpunkt, wenn es um die Front-Heck-Steifigkeit eines aktuellen Formel-1-Autos geht."

"Man kann sehen, dass Red Bull hinten meiste eine hohe Fahrzeughöhe wählt. Solange man ein Wirbelsystem schafft, das verhindert, dass der Luftstrom an der Seite des Unterbodens entweicht, erhöht man den potenziellen Abtrieb unter dem Auto. Weil man den Frontflügel niedriger macht, verbessert es auch die Frontflügel-Performance bei niedrigen Geschwindigkeiten und lässt ihn beim Ground-Effekt besser funktionieren."

"Wenn man ein Auto so fährt, dann benötigt man auch ein stabiles aerodynamisches Druckzentrum. In anderen Worten: Wenn das Auto schneller wird, möchte man, dass das Druckzentrum (wo die aerodynamischen Kräfte auf das Auto drücken) stabil bleibt oder leicht nach hinten wandert. Dadurch hat man in schnellen Kurven eine verbesserte Heckstabilität, wenn das Auto näher am Boden ist."

"Ich habe immer versucht, eine Aero-Plattform zu erreichen, die eine Front-Heck-Steifigkeit von drei zu eins ermöglicht. In andere Worten: Die vertikale Steifigkeit des Heck des Autos beträgt nur ein Drittel von der Front. Mit diesem Set-up kann man eine gute Traktion und gute Bremsstabilität bekommen. Dann kann man kleine Prozentschritte gehen, um die Balance zu verbessern - vermutlich maximal zehn Prozent steifer oder weicher."

Daniel Ricciardo

Bei Red Bull ist das Heck meist deutlich höher als die Front Zoom

"Wenn man näher an eine Zwei-zu-eins-Steifigkeit gehen muss, um Kontrolle über die Aero-Plattform zu bekommen, dann fängt man immer an, Kompromisse einzugehen - sei es bei der Traktion oder der Bremsstabilität. Geht man in Richtung eins zu eins, dann hat man einen echten Misthaufen. Man kann den Punkt kontrollieren, ab dem man die vertikale Bewegung des Autos reduzieren möchte. Dafür nutzt man den Zentralfedermechanismus, der die vertikale Steifigkeit des Autos in der Kurve nicht wirklich beeinträchtigt."