• 31.03.2016 08:07

  • von Gary Anderson (Haymarket)

Frag Gary Anderson: Formel 1 wird nicht auf die Fahrer hören

Formel-1-Experte Gary Andreson beantwortet wieder einmal Leserfragen zum Thema GPDA-Brief, den schlechten Mercedes-Starts und der Bremskühlung

(Motorsport-Total.com) - Nach dem Saisonstart der Formel 1 ergeben sich viele Fragen, und Experte Gary Anderson beantwortet einige von ihnen. So erklärt der langjährige Formel-1-Designer, warum der offene Brief der Formel-1-Fahrer seiner Meinung nach mehr geschadet als genutzt hat und beschreibt, welche Bremsprobleme Nico Rosberg in Australien hatte und wie er sie gelöst hat. Anderson analysiert auch das grandiose Debüt von Haas und erläutert, warum Überholen auch 2017 mit den neuen Autos nicht einfacher werden dürfte.

Titel-Bild zur News: Gary Anderson

Gary Anderson steht den Lesern wieder einmal Rede und Antwort Zoom

David Hales (E-Mail): "Was hältst du vom Brief der GPDA über die Führung der Formel 1?"
Gary Anderson: "Der war lange überfällig, aber leider wird niemand, der in der Formel 1 etwas zu sagen hat, davon Notiz nehmen. Er hat vielleicht sogar geschadet, denn er wird einen Keil zwischen die Fahrer und die Entscheidungsträger getrieben haben. Das haben wir in all den Jahren immer wieder erlebt."

"Letztendlich wurde jede Gruppe, die sich gebildet hatte und deren Wort ein gewisses Gewicht hatte, früher oder später auf die schwarze Liste gesetzt und dann aufgelöst. Wenn sich die Fahrer zusammensetzen und einen offenen Brief an die Mächtigen schreiben, dann untergräbt das jede Beziehung, die vorher eventuell vorhanden war. Dass sich Bernie Ecclestones Antwort vor allem auf die Grammatik und weniger auf den Inhalt des GPDA-Briefs bezieht zeigt, wie ernst er diese Gruppe nimmt."

Wieso Mercedes in Australien schlecht gestartet ist

@eggry (Twitter): "Glaubst du, dass das Funkverbot und die Rückkehr zu nur einer Kupplungswippe die Starts von Mercedes beim Australien-Grand-Prix beeinflusst hat? Die waren ja schrecklich!"
Anderson: "Das Funkverbot und die Rückkehr zu nur einer Kupplungswippe wurden aus genau diesem Grunde beschlossen: um die Starts schwieriger zu machen. Die Fahrer bekamen viel zu viel Hilfe von den Ingenieuren, und dran haben in Wahrheit auch diese Regeln nichts geändert."

"Ich erwarte aber nicht, dass sich das Problem von Mercedes oft wiederholen wird, denn die für die Kontrollsysteme zuständigen Ingenieure werden seit AustralienTag und Nacht daran gearbeitet haben, es zu lösen. Wir können nur hoffen, dass Mercedes das in den nächsten Rennen nicht geregelt bekommt, denn sie haben immer noch das beste Auto. Ohne schlechte Starts wird Mercedes genau wie 2014 und 2015 davonziehen."

Rob Watts (Twitter): "Was ist die Schwachstelle des Pakets von Manor? Sie waren in Melbourne viel zu langsam, obwohl sie einen Motor von Mercedes und ein Getriebe von Williams haben?"
Anderson: "Rob, die Antwort ist einfach: Geld. Leider braucht man ein entsprechendes Budget, um die besten Leute anzustellen und ihnen die richtigen Werkzeuge für ihre Arbeit zu geben. Ein konkurrenzfähiges Formel-1-Auto zu bauen ist keine einfache Sache und erfordert gewaltige Ressourcen, vor allem im Bereich der Aerodynamik. Manors langsame Rundenzeiten kommen durch zu wenig Abtrieb zustande."

"Sie haben aber nicht genügend Geld, um in das zu investieren, was für ein besseres Aerodynamik-Pakete benötigt wird. Wenn dein Budget begrenzt ist, musst du es sorgfältig einsetzen. Die Einsatzkosten bei den Rennen sind für Manor ähnlich hoch wie für Mercedes, da kann man nur wenig sparen. Man muss dann entscheiden, wo man den Rotstift ansetzt."

"Normalerweise verstehen die Erbsenzähler in den Teams nicht wirklich viel vom Rennsport und kürzen die Mittel für die Forschung, worunter die Performance leidet. Bei alledem darf man aber nicht vergessen, dass Manor im Vergleich zum vergangenen Jahr Fortschritte gemacht hat. Es liegt allerdings noch ein langer Weg vor ihnen."

Unabhängige Gruppe sollte die Regeln entwerfen

@diegtristan (Twitter): "Wäre die Formel 1 nicht viel besser, wenn die Teams bei den Regeln nichts zu sagen hätten, sondern einfach machen würden, was man ihnen sagt?"
Anderson: "Da hast du Recht, für die Formel 1 wäre es besser, wenn die Teams viel weniger mit den Regeln zu tun hätten. Die Teams haben viele talentierte Ingenieure und einige sehr erfahrene Piloten. Sie werden wissen, was man tun muss, um die Probleme zu lösen. Ich glaube, dass man diesen Erfahrungsschatz braucht, um die Regeln zu schreiben. Der Knackpunkt ist, dass die Teams, vor allem die Teamchefs, allen Veränderungen zustimmen müssen."

Und da jeder einen Vorteil gegenüber seinen Konkurrenten haben will, stimmt nie jemand für das, was für die Formel 1 insgesamt am Besten wäre. Die Gruppe, welche die Veränderungen ersinnt, müsste aus erfahrenen Ingenieuren und einigen Fahrern bestehen, die unabhängig von der FIA, FOM oder einer anderen Interessengruppe sind, welche die Ausrichtung der Formel 1 beeinflusst. Sie müssen die möglichen Fallstricke aus den Vorschlägen der Teams aussortieren und dann ein Paket zusammenstellen, welches den Anforderungen entspricht. Genau das passiert im Moment aber nicht."

Ben Eaton (E-Mail): "Man hat mitbekommen, dass Nico Rosberg in Australien Bremsprobleme hatte. Welcher Art waren sie und wie bekommt der Fahrer das in den Griff? Wenn es ein Problem mit der Kühlung war, warum baut man diese dann nicht absichtlich größer, damit man bestimmt nicht in Probleme gerät?"
Anderson: "Rosbergs Bremsen haben überhitzt. Wenn das passiert, steigt zum einen der Verschleiß der Kohlefaser-Bremsscheibe dramatisch an. Zum anderen können sich die Bremszylinder so stark erhitzen, dass die Bremsflüssigkeit zu kochen beginnt. Wenn das passiert, heißt es game over."


Fotostrecke: FIA-Fast-Facts Bahrain

"Das Team überwacht den Verschleiß und die Temperatur permanent. Früher, als die Funkkommunikation noch völlig offen war, hätte man ihn über das Problem informiert und ihm gesagt, wie er am besten aus dieser Situation herauskommt. Durch die Einschränkungen des Funkverkehrs liegt es nun am Fahrer, dass Problem zu erkennen und zu lösen. Was konnte er also tun?"

"Die Bremsbalance wird auf alle vier Räder verteilt, Rosberg wird also gespürt haben, dass die Bremsleistung an einem Fahrzeugende nachlässt. Die Verzögerung an einer Achse wäre geringer gewesen, wodurch er früher als bisher hätte bremsen müssen. Auch hätte er vielleicht die Räder blockiert. Er hätte dann entscheiden müssen, wie er die Bremsbalance verstellt. Er hätte auch früher vom Gas gehen können, damit der Luftwiderstand das Auto abbremst, bevor er auf die Bremse steigt. Manche Fahrer kommen damit zurecht, und Rosberg ist einer von ihnen. Andere wären mit dem Problem einfach weitergefahren, bis sie ausgefallen wären."

"Dann fragst du, warum man das Auto nicht mit größeren Bremskühlern versieht, um das Risiko zu verringern. Nun, das ist sehr einfach: Luft, die man für die Kühlung verwendet, kann man nicht nutzen, um Abtrieb zu erzeugen. Je größer die Kühler für Bremsen und/oder Motor sind, umso weniger Luft hat man, um Abtrieb zu erzeugen. Und Abtrieb ist Performance. Wenn wir eine umgekehrte Startaufstellung hätten, würde das Aerodynamik-Set-up völlig anders als heute aussehen. Die Teams müssten sich auf dieses Problem einstellen und das Design so verändern, dass die ultimative Performance im Verkehr und nicht in sauberer Luft erzielt wird.

"Haas hat die Messlatte gelegt"

Benjamin Parkinson (E-Mail): "Das Debüt von Haas war das beeindruckendste, das wir seit langer Zeit gesehen haben. Es wurde aber viel darüber geredet, dass es ein Ferrari-B-Team ist. Denkst du, dass der Weg von Haas der richtige für die Formel 1 ist, und sollte es möglich sein, echte Kundenautos zu fahren?"
Anderson: "Haas hat ohne Zweifel fantastische Arbeit geleistet. Man darf aber nicht vergessen, dass der Teambesitzer seit vielen Jahren in Amerika im Motorsport aktiv ist. Gene Haas weiß genau, was es braucht, um ein schlagkräftiges Team aufzubauen. Zusammen mit der Erfahrung von Günther Steiner in Europa war das eine gute Ausgangsposition."

Romain Grosjean

Das starke Debüt von Haas nötigt auch Andreson Respekt ab Zoom

"Und ein Team mit der Hilfe von Ferrari aufzubauen, entspricht dem Wortlaut der Regeln. Wenn Haas dadurch zu einem Ferrari-B-Team wird, ist das für die Formel 1 nur gut. Wir dürfen auch Haas' Zusammenarbeit mit dem italienischen Hersteller Dallara nicht vergessen. Das ist eine tolle, kleine italienische Firma, und dieses Mal haben sie genug Zeit und Geld für das Projekt eines Formel-1-Autos bekommen. Viele andere neue Teams sind diesen Weg nicht gegangen, weil sie zu stolz waren oder meinten, sie könnten es selber besser oder billiger machen."

"Haas hat die Messlatte für alle anderen gelegt, die in die Formel 1 einsteigen wollen. Der beste Weg steht nun eindeutig fest. Wir alle wollen einen engeren Wettbewerb, und wenn man das auf diesem Weg erreicht, ist das für uns Zuschauer und Fans besser. Und wenn es für uns besser ist, dann ist es für die Formel 1 als Ganzes besser."

Überholen dürfte auch 2017 nicht einfacher werden

Phil Restas (E-Mail): "Für die Autos wird es immer schwieriger, anderen Fahrzeugen zu folgen, weil sie dafür konstruiert wurden, in 'sauberer' Luft zu fahren. Würde dieses Problem möglicherweise dadurch gelöst, wenn alle Teams im Windkanal ein von der FIA definiertes Musterauto vor ihre Modell stellen und bei den CFD-Simulationen etwas vergleichbares machen müssten?"
"Phil, seit mindestens sechs Saisons ist es doch folgendermaßen: Hat man ein Auto, das schnell genug ist um sich vorne zu qualifizieren und kommt am Start gut weg, ist die Chance groß, dass man davon fährt und gewinnt."

"Als Red Bull dominierte, waren sie auf der Geraden 20 km/h langsamer als einige ihrer Rivalen. Aber sie hatten genug Grip um eine Rundenzeit zu fahren, die gut für die Pole war. Nur wenn ihr Plan schief ging, hatte Red Bull Probleme. Bei Mercedes ist es jetzt noch extremer. Ihr Auto hat die Performance, gehört aber auch zu den schnellsten auf der Gerade. Daher stehen ihre Autos vorne, und wenn sie nicht wie beim vergangenen Rennen den Start vermasseln, haben die anderen keine Chance."

"Wir hören ständig, dass sich Fahrer darüber beschweren, dass sie das Auto vor ihnen nicht angreifen können. Daher hast du Recht, es sollte etwas getan werden. Was aber für 2017 geplant ist, wird dieses Problem nicht lösen. Die breiteren Reifen sind zwar eine Verbesserung, aber durch den höheren Abtrieb wird das wieder kompensiert. Es ist also möglicherweise wieder einmal eine Veränderung, durch die sich nichts ändert. Und wie immer wird jeder, der damit zu tun hatte, hinterher sagen: 'Ich habe es ihnen gesagt, aber sie wollten nicht hören.'"

"Sie, und ich weiß ehrlich gesagt gar nicht, wer mit 'sie' gemeint ist, müssen schnell aufhören, die Köpfe in den Sand zu stecken. Andernfalls drohen den ohnehin schon am Hungertuch nagenden Mittelfeldteams weitere hohe Kosten für nichts. Und wenn die Mittelfeldteams wegfallen, haben die wohlsituierten Werksteams niemanden mehr, den sie schlagen können."