FIA-Motorsport-Gipfel in Manila: Rettung vor dem Aussterben?
Was Präsident Todt plant, um junge Menschen wieder für Motorsport zu begeistern - E-Kartsport, preisgüngstige Einsteiger-Klassen und Driftrennen im Fokus
(Motorsport-Total.com) - "Gestärkt in die Zukunft: die Entfesselung des Potenzial im Motorsport": Unter diesem Motto hielt der Automobil-Weltverband FIA Anfang Juni in der philippinischen Hauptstadt Manila die fünfte Globale Sportkonferenz in den 114 Jahren seines Bestehens ab. Präsident Jean Todt machte es sich und den Mitgliedern in seiner Eröffnungsrede zur Aufgabe, "so vielen Menschen wie möglich" Zugang zum Motorsport zu verschaffen. Dabei ginge es ihm insbesondere um die jüngere Generation.

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Macher des Motorsports der Zukunft: Chase Carey und Jean Todt Zoom
Todt will sie nach eigener Aussage "inspirieren, sich als Fans und als Teilnehmer in den Sport einzubringen". Ein Schlüsselprojekt auf dem Weg dorthin sind offenbar Wettbewerbe mit Elektrokarts. "Nicht nur eine neue Entwicklungsmöglichkeit für den Motorsport, sondern auch ein Beweis dafür, dass sich die Welt im Wandel befindet", nennt der Franzose sie. "Da müssen wir voranschreiten."
E-Kartsport wird bei den Olympischen Jugendspielen 2018 in Buenos Aires eine Demonstrations-Sportart sein - ein wichtiger Schritt in dem Bemühen, sich im Internationalen Olympischen Komitee (IOC), das die FIA erst seit 2012 anerkennt, zu positionieren. Und auch eine gemeisterte Etappe auf dem Weg zu dem Fernziel, Motorsport eines Tages zu den Olympischen Spielen zu bringen.

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Mit solchen Elektrokarts will die FIA eines Tages zu den Olympischen Spielen Zoom
Schließlich ging Skateboarding in den Neunzigerjahren einen ähnlichen Weg - begleitet durch den damaligen Jugendspiel-Chef Peter Beyer, der heute als FIA-Generalsekretär für Sport fungiert.
Obwohl die FIA den Kartsport als "demokratischste" Form des Motorports begreift, ist der Weg von der Formel 3 in die Formel 1 eine Mammutaufgabe. Dass Todt im Monoposto-Bereich ein Klassensystem beginnend mit der Formel 4 geschaffen hat und es analog im Rallye- sowie im Tourenwagen-Bereich (vielleicht auch im Drift-Fahren) aufgezogen hat, ist eine seiner größten Leistungen.
"Die FIA und die Formel 1 arbeiten zusammen, wenn es darum geht, die gleichen strategischen Ziele zu erreichen, um für mehr Spektakel und mehr Wettbewerb zwischen den Teams, mehr Sicherheit und mehr technologische Innovation zu sorgen", lobt Todt den neuen Mehrheitseigner Liberty Media und dessen Projektchef Chase Carey, der ebenfalls nach Manila reist und als Redner auftrat.
Todts Agenda für die Königsklasse: neue Entscheidungsstrukturen, Kostenkontrolle,, einfachere Technik. "Bis es soweit ist, stehen wir mit den Teams und Antriebszulieferern, die in der Formel 1 sind oder es in Erwägung ziehen, in intensivem Austausch", sagt er. Die Enthüllung des Formel-E-Autos der zweiten Generation - ausgestattet mit doppelter Batterielaufzeit - soll dabei helfen.
Carey sagt seine Unterstützung zu: "Uns verbindet mit der FIA eine tolle Partnerschaft. Wir lernen zusammenzuarbeiten und kommen zu der Erkenntnis, dass wir gemeinsame Ziele haben. Ganz sicher sind die Formel 2 und die Formel 2 ein Teil davon." Liberty wünscht mehr Möglichkeiten, Piloten aus allen Erdteilen eine Karriere zu ermöglichen - zum Beispiel aus Asien, wo großes Potenzial schlummert, aber kein belastbares Fördersystem besteht. "Es wäre auch ein Weg, auf dem Fans sich identifizieren können", gibt Carey mit Blick auf kommerzielle Perspektiven zu bedenken.

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Erpicht auf die Entwicklung in Asien. Formel-1-Boss Chase Carey Zoom
Dass Liberty weitere Asien-Rennen will, sofern sie Spektakel versprechen, ist ohnehin klar. Von Vietnam und einem zweiten China-Grand-Prix ist die Rede. Es geht längst nicht mehr nur darum, mit den Promotergebühren Kasse zu machen, wie es Bernie Ecclestone jahrzehntelang vorexerzierte.
Carey will den Sport in Erdteile bringen, in denen er bisher ein Schattendasein führte. Genau wie die FIA, die deshalb eine Arbeitsgruppe mit dem malaysischen Ex-Formel-1-Piloten Alex Yoong, dem philippinischen Formel-3-Fahrer Marlon Stöckinger und Davide de Gobbi, dem Promoter der regionalen Formel-3-Championate installiert hat. Ihre Mission: Nicht nur in Asien, sondern auch in Nord- und Südamerika, in Afrika und an allen anderen weißen Flecken die Werbetrommel rühren.
Ähnliche Ziele verfolgt auch Ex-Formel-1-Pilot Felipe Massa, der Kindern und Jugendlichen als neuer Kartsport-Chef der FIA den Weg in höhere Sphären ebenen soll - er, der im Alter von 14 Jahren fast den Helm an den Nagel gehängt hätte, weil sein Vater in finanzielle Schwierigkeiten geriet und ihn nicht mehr unterstützen konnte. "Die meiste Zeit meiner Karriere habe ich mit der Suche nach Sponsoren verbracht. Darüber habe ich praktisch jeden Tag gesprochen", weiß Massa.
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Die FIA und die Formel 1 setzten daher verstärkt auf eSports - eine kostengünstige Plattform für die Nachwuchsförderung, die der frühere Formel-3-Rennsieger Rupert Svendsen-Cook zu seinem Thema gemacht hat. Nachdem ihm das Geld ausging, sattelte er von der Rennstrecke auf die Konsole um und wurde eSports-Manager. "Die finanziellen Hürden sind in ganz jungem Alter der größte Stolperstein", sagt er. "eSports ist da eine großartige Lösung für zahlreiche dieser Probleme."
Seiner Meinung nach gibt es zwar keine bessere Schule als den Kartsport. Er sei aber teurer als andere Karriere-Möglichkeiten, die Talenten auch weiterhelfen würden. "eSports ist der am schnellsten wachsende Sport der Welt. 200 Millionen Menschen nehmen teil und es werden immer mehr", so Svendsen-Cook. "Zum Publikum zählen unglaubliche 380 Menschen. Wahnsinnige Zahlen." Es sei realistisch, dass sich die nächste Fahrergeneration aus eSports-Serien rekrutieren würde.

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Driftrennen sollen bald eine kostengünstige Einstiegsmöglichkeit bieten Zoom
Genauso im Aufschwung befindet sich der Driftsport, der mit der eSports-Szene verbunden ist. Der FIA-Beauftragte für Rundstrecken-Sport Marek Nawarecki nennt ihn einen idealen Einstieg, weil er auf unterstem Niveau mit Serien-Fahrzeugen möglich ist. Eine neue Kommission soll ihn innerhalb des Automobil-Weltverbandes besser positionieren und für den weiteren Vormarsch sorgen.
Rodi Basso - früher Formel-1-Ingenieur und NASA-Praktikant, heute Motorsport-Chef von McLarens Technologiezweig - sprach in Manila über die Datengewinnung im Motorsport und ihr Potenzial, um Fans zu rekrutieren: "Als Ingenieur bin ich leidenschaftlich an Technologie interessiert. Es haut mich noch immer vom Hocker, was Technologie im Leben alles ändern und verbessern kann."
Es sei ein Alleinstellungsmerkmal, große Datenmengen generieren zu können. Basso sieht "wahnsinniges Potenzial" und spricht von 100 Terabyte Informationen, die 20 Autos zusammen in einem Rennen liefern würden. "Mit neuer Technik kann es uns gelingen, die Show zu verbessern. Wir müssen die Daten einer Generation, die andere Bedürfnisse hat, Geschichten erzählen lassen."

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Cross-Cars bieten die Möglichkeiten, mit verschiedenen PS-Stufen Rennen zu fahren Zoom
Die FIA zeigte am Rande der Tagung Möglichkeiten, Motoren verschiedener Leistungsstufen in das gleiche Fahrzeug einzubauen, was den Sport für Talente eines Tages kostengünstiger machen könnte - beispielsweise ein sogenanntes Cross-Vehikel. Ein offroad- und straßentauglicher Buggy.
Auch um die Entwicklungsmöglichkeiten des Profisegments ging es beim FIA-Gipfel in Manila. Tatas Formel-1-Geschäftsführer Mehul Kapadia nennt die Veränderungen in der TV-Übertragungstechnik in den vergangenen sechs Jahren wegweisend - von 4K und Ultra-HD bis zu Live-Streams.
"Sie ist skalierbar", sagt Kapadia über die Entwicklung. "Es lässt sich weltweit umsetzen oder auch nur regional. Geographische Grenzen werden fallen. Ich möchte nicht davon sprechen, dass die TV-Sender rechts überholt werden, aber es wird möglich, die Zuschauer direkt zu erreichen."
Ex-BMW-Manager Burkhard Göschel, der sich für die FIA um die Themenfelder Elektromobilität und alternative Energien kümmert, betont: "Es geht überall um den Vormarsch von Elektroenergie. Für die Autoindustrie ist sie das hauptsächliche Entwicklungsziel. Die Formel E ist ein Beispiel für die Früchte, die unsere Aktivitäten tragen. Wir bereiten schon weitere Etappenziele vor - etwa Rallycross und Kartsport mit Elektromotoren." Eine Roadmap für die weiteren Projekte würde stehen.
Göschel denkt an neue Technik für Akkus, Ladegeräte und weitere Systeme. Auch mit Brennstoffzellen befasst sich sein Team schon. "Ich sehe Chancen für Langstrecken-Rennen. Wenn wir es schaffen, den Motorsport etwa bei den 24-Stunden-Rennen oder ähnlichen Events emissionsfrei zu gestalten, dann werden Brennstoffzellen meiner Meinung nach interessant", sagt Göschel.
Auch um den Behinderten-Sport - einem Bereich, dem sich die FIA neuerdings mit einer eigenen Kommission widmet -, den Umweltschutz und revolutinäre Helmstandards ging es in Manila.

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Jean Todt plädierte auf dem FIA-Gipfel in Manila dafür, an einem Strang zu ziehen Zoom
Todt beschloss die Konferenz, indem er Aufbruchsstimmung verbreitete. "Es geht voran", sagt er. "Wir werden den Motorsport weiterentwickeln und dabei in allen Erdteilen ehrgeizig sein. Es ist wichtig, dass wir gemeinsame Fortschritte verzeichnen und gleiche Werte vertreten. Ohne starke Werte sind wir keine starke Gemeinschaft. Frisches Blut ist absolut unerlässlich", so Todt weiter.
Das Vorankommen müsse auf dem Engagement junger menschen fußen: "Wir haben viele neue Mitglieder in den Kommissionen und neue Chefs, die jünger sind. Das ist sehr wichtig, meint der 72-Jährige. Zweifellos ändert sich die Motorsport-Landschaft derzeit gravierend - ob zum Guten oder zum Schlechten sei dahingestellt. Ohne Frage wird sich der Sport den gesellschaftlichen Gegebenheiten und dem demographischen Wandel anpassen müssen - oder er wird aussterben.
Die FIA scheint darauf mit ihrem Gipfel in Manila reagiert zu haben. Formel-1-Fans könnten argumentieren, Motorsport auf Einsteiger-Niveau interessiere nicht. Fakt ist, dass künftige Weltmeister auf diesem Level geformt werden und des die Königsklasse ohne ihren Unterbau nicht geben würde. Wer den Pfennig nicht ehrt, ist den Taler nicht wert. Die FIA scheint das Sparschwein mimen zu wollen.


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