• 04.02.2015 21:06

  • von Rencken, Haidinger & Sharaf

Ferraris Wunderheilung: Muntermacher als Beruhigungspille?

Die Galavorstellung des Jerez-Test in der Analyse: Wieso Ferrari und Vettel der Auftritt sehr gelegen kommt, aber nur bei Niki Lauda die Alarmglocken schrillen

(Motorsport-Total.com) - Es passiert jedes Jahr wieder irgendwo in Spanien: Frisch oder gar nicht präsentierte Formel-1-Autos fahren bei Daunenjacken-Temperaturen auf die Rennstrecke, viele kommen auf einem Abschleppwagen zurück an die Box und am Ende will keiner dem Spektakel irgendwelche Relevanz beimessen - egal ob an der Spitze oder am Ende der Zeitentabelle. Trotzdem war der 2015er Testauftakt in Jerez ein Grund, sich die Augen zu reiben: Ist Ferrari wirklich so stark, wie es scheint?

Titel-Bild zur News: Sebastian Vettel

Sebastian Vettel: Wird er auch in Melbourne als Letzter lachen? Zoom

Drei von vier Tagesbestzeiten gingen an Sebastian Vettel und Kimi Räikkönen, dem Finnen gelang dazu der schnellste Umlauf der Woche (Jerez-Test 2015: Alle Ergebnisse & Rundenzeiten). Die hoch gewettete Mercedes-Konkurrenz fuhr über eine Sekunde hinterher und wurde mehrmals von der Defekthexe heimgesucht. Klar, dass die Scuderia die Euphorie bremst. Zu groß waren die Enttäuschungen der vergangenen Jahre, zu erdrückend die Dominanz der Silberpfeile. "Wir wollen sie jagen", begnügt sich Technikchef James Allison mit der Verfolgerrolle.

Der Brite betont, dass Ferrari Luft nach oben gehabt hätte: "Ein solider Start." Auch Neo-Teamchef Maurizio Arrivabene hält sich zurück. Er will "ermutigende Zeichen", neue Motivation und wiederbelebten Teamgeist erkannt haben. Von Grand-Prix-Erfolgen spricht niemand, obwohl die Tifosi nach einer sieglosen Saison nach den Pokalen nur so lechzen. Die Konkurrenz glaubt, dass Ferrari tiefstapelt. "Eine Überraschung auch für uns", sagt Niki Lauda dem 'Blick'. "Ferrari dürfte 2015 unser Hauptgegner sein."

Lauda gewarnt, Hamilton ganz cool

Der Mercedes-Aufsichtsratsboss schlüpfte in Jerez in einen roten Pullover und bemerkt: "Der Esel braucht immer eine Karotte vor dem Wagen, die ihn motiviert. So soll jetzt auch mein roter Pullover für den nötigen Ansporn sorgen!" Bei Lewis Hamilton scheint das nicht funktioniert zu haben. So richtig ernst nimmt der Champion Ferrari nicht und erklärt sich die Zeitdifferenzen mit einer unterschiedlichen Spritmenge: "Das waren vielleicht Qualifyingsimulationen, die wir eben nicht gemacht haben."

Bei Felipe Massa dürften die kommenden Nächte ebenfalls nicht schlaflos verlaufen. Der Williams-Oldie rechnet mit Mercedes als Platzhirsch. "Ferrari", spricht der Brasilianer seinen ehemaligen Arbeitgeber an, "scheint einen Schritt nach vorn gemacht zu haben. Ich bin aber zuversichtlich, dass auch wir wieder ein Wörtchen mitreden können." Angst und Schrecken verbreiten die Italiener im Paddock nicht. Dabei hatten ähnliche Ergebnisse 2014 dazu geführt, dass alle Welt die Mercedes-Monotonie witterte.


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Ferrari lässt lieber Rätselraten

Die Gelassenheit könnte damit zu tun haben, dass Ferrari unter massivem Druck steht. Nach dem Seuchenjahr 2014 sind so viele Köpfe gerollt, dass Chefsanierer Sergio Marchionne die Schuldigen ausgehen. Es kommt der Scuderia also zupass, mit einem Muntermacher als Beruhigungspille in die Saison zu starten. Klar war aber, dass ein Team mit diesem Potenzial nicht ewig den Formel-1-Statisten geben würde, zumal das Aushängeschild trotz aktueller Erfolge im Endverbraucher-Segment überlebenswichtig ist.

Kimi Räikkönen

Kimi Räikkönen scheint aus dem Schatten des Teamkollegen herauszufahren Zoom

Entsprechend hart wurde gearbeitet. "Nimmt man den Rückstand auf Mercedes, dann waren 60 Prozent auf den Antrieb und 40 Prozent auf das Chassis zurückzuführen, was im Wesentlichen aerodynamische Gründe hatte", analysiert Allison. "Es fehlte hinten an Abtrieb, deshalb haben wir die hinteren Flügelkonstruktionen neu erfunden - sie sind jetzt wesentlich stabiler, auf sie ist bei trockenen, nassen und windigen Bedingungen Verlass." Die steife Brise in Jerez bestätigt den Ferrari-Kurs.

Auch die hinteren Bremsschächte und die Freiflächen zwischen den Rädern und dem Unterboden wurden überarbeitet. Was das in Zeit ausgedrückt bewirken soll, behält Allison lieber für sich und hofft darauf, bei der Konkurrenz doch noch Unruhe zu stiften: "Leider darf ich das nicht sagen. Es wäre zu wertvoll für unsere Gegner. Ein Prozent Verbesserung bei der Aerodynamik bringt aber ein eine Zehntelsekunde pro Runde, ein Prozent bei der PS-Leistung bringt eineinhalb Zehntelsekunden pro Runde. Jetzt ratet mal selbst..."


Fotos: Ferrari, Testfahrten in Jerez