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Ferraris Baku-Erfolgsrezept: Vettel nimmt Taktik in eigene Hand

Sebastian Vettel sichert sich mit seiner mutigen Strategie-Entscheidung den zweiten Platz beim Grand-Prix von Europa: "Habe es gespürt"

(Motorsport-Total.com) - Ferrari gelingt beim Premieren-Rennen in Baku Platz zwei mit Sebastian Vettel. Beim Grand Prix von Europa fuhr der viermalige Weltmeister zwar mit großem Abstand zu Sieger Nico Rosberg im Mercedes über die Ziellinie (+16,696 Sekunden), hatte aber keine Bedrohung von hinten. Was so einfach aussah, könnte die Lösung für die Strategie-Probleme der Scuderia sein: Man lässt Vettel selbst entscheiden, wann er zum Reifenwechsel an die Box kommt. Dies schien am Sonntag in Aserbaidschan jedenfalls ein Schlüsselmoment gewesen zu sein.

Titel-Bild zur News: Sebastian Vettel

Sebastian Vettel entscheidet selbst, wann er neue Reifen braucht Zoom

"Ich habe ein bisschen mit dem Team diskutiert, was wir jetzt machen mit der Strategie", erklärt Vettel. "Ich hatte irgendwie das Gefühl, dass die Reifen länger halten und bin dann draußen geblieben. In Nachhinein hat das super funktioniert, denn wir sind noch vor dem Red Bull rausgekommen. Natürlich hinter Kimi, aber was das Team angeht, haben wir heute super zusammen funktioniert. Ich hatte es dann etwas einfacher."

Vettel war von Platz drei und wie die meisten auf den superweichen Reifen ins Rennen gegangen. Die Reihenfolge der ersten vier änderte sich auch nach dem Start nicht und so ordnen er sich zunächst hinter Daniel Ricciardo im Red Bull und vor seinem Teamkollegen Kimi Räikkönen ein. Als es zu einer Welle von frühen Boxenstopps kam, wurde auch er in Runde zehn an die Box gerufen. Aber Vettel widersprach.

"Wir waren uns dem Risiko bewusst, dass uns der Red Bull überholt", erklärt er. "Aber ich war mir ziemlich sicher, dass wir auf den frischeren Reifen gut vorbeikommen können. So weit kam es aber gar nicht. Kimi hat uns überholen können, weil er auf frischeren Reifen war."


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Denn der Red Bull hatte auf den anspruchsvollen Straßenkurs und bei den heißen Bedingungen größere Probleme und verabschiedete sich aus dem Kampf um die Spitze. Stattdessen kam es zu einer Ferrari-Teamorder, da man Vettel mit frischeren Reifen eher zutraute, die Lücke zum Führenden schließen zu können.

"Als Team haben wir dann versucht das beste Ergebnis für uns beide herauszuholen", so Vettel. "Zu dem Zeitpunkt, als Kimi uns durchgelassen hat, war noch nicht ganz klar wie viel Druck noch von hinten kommen würde. Ich konnte zu dem Zeitpunkt schneller fahren und bin dankbar, dass es so einfach geklappt hat. Ich habe mir selbst noch gedacht, dass ich ihn wieder vorbei lassen würde, wenn ich nicht die Pace gehabt hätte, davonzuziehen."

Kimi Räikkönen, Sebastian Vettel

Kimi Räikkönen musste für seinen Teamkollegen Platz machen Zoom

Räikkönen, der ohnehin eine Fünf-Sekunden-Strafe und am Ende noch Spritprobleme bekam, sah die Situation nicht ganz so gelassen: "Ich habe nichts gegen die Entscheidung, denn ich hatte ja die Strafe, da hätte das Endresultat ohnehin so ausgesehen. Aber ich denke, man hätten es wenig besser lösen können. Ich weiß nicht genau, wie, aber ich habe zweieinhalb Sekunden in dieser Runde verloren. Ich bin gegen Force India gefahren um sie fünf Sekunden auf Abstand zu halten."

Vettel tütete sein fünftes Podium in diesem Jahr ein und verteidigt sich: "Die Priorität war einfach, den Speed den wir hatten zu nutzen, und sicherzustellen, dass am Ende auch der zweite Platz dabei herausspringt", erklärt er. "Das hat funktioniert. Für uns ist das mehr, als wir am Freitag erwartet konnten. Es war ein unheimlich schwieriges Wochenende. Wir sind nicht gut reingekommen, haben uns dann stetig gesteigert. Heute war das Auto richtig gut."

Sebastian Vettel

Alles richtig gemacht: Vettel kam erst in Runde 19 an die Box Zoom

An andere Stelle redet der Ferrari-Pilot sogar von Stolz auf die Teamleistung. Dabei kann er sich die den Strategie-Coup auf die eigene Kappe schreiben. Die Scuderia hatte sich in diesem Jahr schon mehrere Male Patzer bei der Taktik geleistet, was sie in Melbourne, Barcelona und Montreal wahrscheinlich sogar um den Sieg brachte. "Es war eine ganz andere Situation", betont Vettel jedoch. "Ich denke, wir wussten wie gut die Reifen halten würden. Manche haben sich am Anfang schwer getan. Ich habe aber zu dem Zeitpunkt gespürt, dass der Speed noch da ist."

Noch mehr Speed hatte allerdings Mercedes, wie erwartet - auch wenn Lewis Hamilton sein problembeladenes Rennen nur auf Rang fünf zu Ende fuhr. "Ich weiß nicht, was der Nico gemacht hat, der ist da vorne weggezogen", rätselt Vettel. "Ihn habe ich dann das ganze Rennen nicht mehr gesehen." Ferrari musste schon das ganze Wochenende über das Fernglas herausholen, um die Silberpfeile am Horizont zu erblicken. Der Abstand in den Trainingseinheiten und im Qualifying lag stets über einer Sekunde.

"Es ist sicherlich nicht gut, dass sie das ganze Wochenende über schneller waren", räumt Vettel ein. "Im ersten Training am Freitag haben sie nach vier Runden schon Rundenzeiten hingelegt, für die wir den ganzen Tag gebraucht haben. Das Auto hat sich nicht schlecht angefühlt, wir waren nur nicht schnell genug." Doch er betont auch die Steigerung, die Ferrari über die Tage gelang: "Wir haben dann von Freitag auf Samstag viel verändert, haben vor dem Qualifying noch einmal viel verändert und haben es schließlich auf Platz zwei geschafft."

Auch Ex-Kollege und RTL-Experte Timo Glock ordnet die Leistung von Vettel in das derzeitige Kräfteverhältnis ein: "Mercedes müssen wir völlig ausklammern. Nico hat mit der Konkurrenz gespielt, wie er wollte. Aber Sebastian hat das Maximum rausgeholt und hat es dem Team wieder gezeigt. Da hat er den perfekten Job gemacht. Jetzt muss Ferrari schauen, dass man diesen Speed auch im Qualifying hinbekommt. Dann kann man Mercedes vielleicht mal in der einen oder anderen Situation mehr ärgern."

In der WM hält Ferrari mit den insgesamt 30 Punkten aus Baku jedenfalls Anschluss. Mercedes ist ihnen 81 Zähler voraus. Vettel bleibt mit jetzt 96 Punkten Gesamtdritter. Ihm fehlen 21 Punkte auf Hamilton und 45 auf Rosberg. "Die Freude über den zweiten Platz überwiegt", sagt er. "Ich denke, das war das Optimum. Ein paar Dinge fehlen natürlich noch, aber ich denke, wir haben hier und da schon eine guten Ansatz."