Ferrari-Ersatzfahrer Bearman auf P7: "Da kann man nur gratulieren"
Fahrer und Verantwortliche der Formel 1 verneigen sich vor Oliver Bearman und dessen Leistung bei seinem Grand-Prix-Debüt anstelle von Carlos Sainz bei Ferrari
(Motorsport-Total.com) - "Es fühlte sich überraschenderweise an wie jedes andere Rennen", sagt Oliver Bearman. Doch genau das war es nicht: Bearman bestritt beim Grand Prix von Saudi-Arabien 2024 in Dschidda als Ersatzmann von Ferrari-Fahrer Carlos Sainz sein erstes Rennen in der Formel 1 - und erzielte von Startplatz elf kommend als Siebter gleich seine ersten WM-Punkte.
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Formel-1-Rekordsieger Lewis Hamilton mit Ferrari-Nachwuchsfahrer Oliver Bearman Zoom
"Mein Ziel war, an diesem Wochenende eine gute Leistung zu zeigen. Ich glaube, ich habe meine Sache ordentlich gemacht. Mehr kann ich nicht tun", meint Bearman.
Die Formel-1-Fans hat der 18-jährige Brite auf jeden Fall überzeugt: Sie wählten ihn zum "Fahrer des Rennens". Doch das war nicht die einzige Ehrung, die Bearman nach seinem Grand-Prix-Einstand erfahren hat.
Ferrari-Teamchef Frederic Vasseur etwa sagte bei Sky, Bearman habe die Erwartungen übertroffen und sich in einer schwierigen Situation mit nur einem Freien Training vor dem Qualifying achtbar geschlagen. "Das war sehr solide", meint Vasseur. "Im Rennen hat er sich keinen einzigen Fehler erlaubt und seine Sache insgesamt fantastisch gemacht."
Sogar die Konkurrenz zollt Respekt: Mercedes-Teamchef Toto Wolff schwärmt bei Sky vom "Niveau der Jungen, die durch die toughe Formel 3 und Formel 2 hochkommen" und sagt: "Ich glaube, das ist auf so einem hohen Niveau, weil die Konkurrenz einfach so stark geworden ist. Und das sieht man."
Red-Bull-Sportchef Helmut Marko äußert sich ebenfalls bei Sky ähnlich und sieht in Bearman "ganz klar" den Mann der Stunde in der Formel 1. Obwohl ihn Ferrari "ins kalte Wasser geworfen habe" und Dschidda "keine einfache Strecke" sei, habe Bearman seine Aufgabe "tadellos oder sensationell" gelöst. "Da kann man nur gratulieren", sagt Marko.
Leclerc war schon nach drei Runden überzeugt
In die lange Reihe ebendieser Gratulanten stellt sich ausdrücklich auch Ferrari-Stammfahrer Charles Leclerc, der den Grand Prix vier Positionen vor Bearman auf P3 beendete. Doch nicht so sehr sein eigener Podestplatz, sondern Bearmans Debüt sei "herausragend", meint Leclerc. Bearman verdiene das Lob, mit dem er jetzt überschüttet werde, du zwar "vollkommen".
"Er hat es schon ab dem dritten Freien Training großartig gemacht. Er war im Qualifying sofort bei der Musik und ist nur haarscharf an Q3 vorbeigeschrammt. Im Rennen war er unglaublich. Siebter im ersten Formel-1-Grand-Prix, nachdem er [zur Vorbereitung] nur das dritte Training gehabt hat. Und das in einem für ihn neuen Auto. Das ist mega-beeindruckend."
Ihm selbst hätten "die ersten drei Runden" im Training gereicht, um zu wissen, dass Bearmans Einstand ein Erfolg werden würde, sagt Leclerc: "Ich habe das von der Box aus verfolgt. Ich dachte mir: 'Oh Gott, es ist nur die dritte Runde, und er ist schon voll dabei!' Er war schon so dicht an den Mauern dran und hat wie verrückt gepusht. Er konnte von Anfang an gut mit dem Auto umgehen."
Bearmans Weg in die Punkteränge
So gut, dass er sich über die Renndistanz von nichts irritieren ließ, auch nicht von den deutlich erfahreneren Kollegen um sich herum. Es sei zwar in der Formel 1 "ein bisschen anders" als in der Formel 2, meint Bearman, aber "da konzentriert man sich" und dann gehe es schon. "Wir haben es ja ziemlich gut hingekriegt."
Das kann man so sagen: Bis zum frühen Boxenstopp in Runde sieben hatte Bearman bereits eine Position gewonnen, rang nach der Safety-Car-Phase erst Guanyu Zhou im Sauber und dann Nico Hülkenberg im Haas nieder. Anschließend profitierte er von seiner Reifenstrategie und kam bei den späten Stopps von Lando Norris im McLaren und Lewis Hamilton im Mercedes auch an diesen beiden noch vorbei.
Wie es ist, mit den Idolen Rennen zu fahren
Bearman selbst beschreibt es als "klasse Rennen" und meint: "Ich wusste fünf Runden vor Schluss, wenn ich fehlerlos bleibe, dann kann ich die Position halten."
"Wir hatten das schnellere Auto. Das hilft. Das Auto ist praktisch geflogen. Das ist natürlich ein großer Bonus. Aber wir sind auch sauber durch das Rennen gekommen, ohne Fehler. So hatte ich mir das vorgestellt. Deshalb bin ich zufrieden mit meiner Leistung."
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Nico Hülkenberg im Haas VF-24 und Oliver Bearman im Ferrari SF-24 Zoom
Und es sei natürlich "schon cool" gewesen, im gleichen Rennen mit den Männern zu fahren, zu denen er seit Jahren aufgeschaut habe, so Bearman. Bei Hamiltons erstem WM-Titelgewinn 2008 etwa war er noch nicht einmal im Kindergarten-Alter gewesen. Nun kam Hamilton als siebenmalige Formel-1-Weltmeister direkt nach der Zieldurchfahrt zum Gratulieren vorbei.
"Lewis hat mich praktisch aus dem Auto gezogen, weil mir das schwerfiel", sagt Bearman. "Es war ein körperlich wirklich anspruchsvolles Rennen auf einer Strecke mit sehr geringem Reifenverschleiß, aber mit ziemlich hohen g-Kräften. Man fährt hier im Prinzip 50 Qualifying-Runden." Da sei es umso schöner, am Ende die Anerkennung der Kollegen zu erfahren.
Leclerc fordert neue Chance für Bearman
Für Ferrari-Stammfahrer Leclerc ist das selbstverständlich: "Alle haben gesehen, wie talentiert er ist. Und ich schätze, es ist nur eine Frage der Zeit, bis Oliver [dauerhaft] in die Formel 1 kommt. Er hat eine strahlende Zukunft vor sich. Und er sollte so bald wie möglich seine Chance kriegen in der Formel 1."
Tatsächlich ist Bearman bereits bei Ferrari-Kundenteam Haas gebucht: Er wird 2024 insgesamt sechs Freitagstrainings für den US-Rennstall bestreiten, also vier mehr als per Reglement vorgegeben. "Hoffentlich öffnet sich so eine Türe für mich", sagt Bearman. "Das wäre fantastisch. Denn ich weiß nicht, was ich sonst noch tun kann."
Doch das weitere Programm steht auch schon fest: Bearman fährt in diesem Jahr in der Nachwuchsklasse Formel 2 und steht parallel dazu als Ferrari-Ersatzfahrer zur Verfügung. Darüber hinaus seien "viele Sachen geplant mit Ferrari" abseits der Rennwochenenden: Bearman wird im Simulator sitzen und mit älteren Formel-1-Autos von Ferrari echte Testfahrten bestreiten.
Ist Bearman der Haas-Stammplatz 2025 schon sicher?
Um dann 2025 einen Haas-Stammplatz zu erhalten? Teamchef Ayao Komatsu jedenfalls gibt an, Bearman "auf jeden Fall" auf dem Radar zu haben. Ist das Haas-Cockpit also der nächste Schritt? "Ja, vielleicht", sagt Ferrari-Teamchef Vasseur.
Er will den Blick aber nicht zu weit in die Zukunft richten: "Das Ergebnis aus Dschidda wird in ein paar Wochen schon wieder hinter uns liegen. Dann muss sich Oliver auf die Formel 2 konzentrieren."
"Da hat er eine große Aufgabe vor sich. Denn das Wochenende hat ihn einiges gekostet: Er wäre in der Formel 2 von der Poleposition losgefahren. Sich wieder in den Titelkampf einzuklinken, das dürfte eine Herausforderung werden."
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Oliver Bearman im Ferrari SF-24 beim Rennwochenende in Dschidda Zoom
Das sieht auch Bearman selbst so: "Ich habe jetzt sogar mehr Punkte in der Formel 1 als in der Formel 2! Also habe ich noch einiges zu tun. Es wird eine harte Saison ab jetzt, denn die anderen haben mir nun praktisch zwei Rennwochenenden voraus. Aber ich konzentriere mich jetzt wieder auf die Formel 2."
Jetzt erst mal was zu essen!
Oder wird Bearman beim nächsten Formel-1-Rennen in Melbourne etwa nochmals als Sainz-Ersatz gebraucht? "Wahrscheinlich treffen wir die Entscheidung erst in Melbourne", sagt Vasseur.
Letztlich hängt es von Sainz' Genesung nach der Blindarm-Operation ab. Doch Sainz war bereits am Rennsamstag wieder im Fahrerlager zu Besuch. "Er scheint sich gut zu erholen", sagt Bearman. "Das freut mich. Denn natürlich ist es sein Auto. Ich schätze, er wird [für Melbourne] in Ordnung sein. Und das hoffe ich auch für ihn."
Er selbst werde jetzt erst einmal alles sacken lassen - sobald die Nachbesprechung mit den Ferrari-Ingenieuren abgeschlossen sei. "Das wird gegen Mitternacht sein", meint Bearman. "Dann gibt es ein schönes, großes Abendessen mit einem großen Nachtisch. Vielleicht wird es auch Fast-Food, ein Burger. Aber ich glaube, das habe ich mir verdient."
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