• 19.06.2004 02:56

Ferrari-Boss Jean Todt im ausführlichen Interview

Im Rahmen der Bridgestone-Pressekonferenz sprach Jean Todt verschiedenste Themen an, auch die Zukunft Ferraris

(Motorsport-Total.com) - Frage: "Jean, du bist jetzt Geschäftsführer von Ferrari, dein Aufgabenbereich ist gewachsen. Außerdem unterstützt du das Projekt für Gehirn- und Rückenmarksforschung. Wie hältst du da die Balance?"
Jean Todt: "Ich trage bei Ferrari jetzt die Verantwortung für die gesamte Firma, was sehr interessant und herausfordernd ist. In der Rennabteilung haben wir fantastische Leute, denen ich folglich jetzt mehr Aufgaben übertragen werde. Auch die Leute in der Straßenabteilung sind sehr gut und Ferrari baut die besten GT-Fahrzeuge auf dem Markt. Wir haben sehr entschlossene Mitarbeiter und es liegen interessante Programme vor uns, zu denen ich beitragen werde. Es ist keine firmeninterne Revolution. Luca di Montezemolo ist jetzt neu Präsident der Industriellenvereinigung und Präsident der Fiat-Gruppe und zusätzlich weiterhin Präsident von Ferrari. Es ist nur eine Umverteilung der Rollen. Es stimmt außerdem, dass ich mich mit einem medizinischen Projekt für Gehirn- und Rückenmarkforschung auseinandersetze und ich widme einen Teil meiner Zeit - übrigens genau wie Michael - dieser Sache. Dort gibt es einige fantastische Ärzte und fantastische Menschen, die wirklich etwas bewegen wollen."

Titel-Bild zur News: Schumacher und Todt

Jean Todt im Gespräch mit seinem Starschützling Michael Schumacher

Frage: "Bridgestone und Ferrari arbeiten schon seit Jahren erfolgreich zusammen. Wie sehr hat die Stabilität auf diesem Sektor zu eurem Erfolg beigetragen?"
Todt: "Es ist einfach entscheidend. Ohne die Unterstützung von Bridgestone wären wir weit von den Erfolgen der letzten Jahre entfernt. Wir haben mit Bridgestone auf menschlicher und technischer Ebene eine fantastische Partnerschaft aufgebaut. Wir haben unsere Strukturen gegenseitig integriert und gemeinsam einen unglaublichen Schritt vorwärts gemacht. Zusammen sind wir sehr stolz, eine nette Seite in Ferraris Geschichtsbuch zu schreiben."#w1#

Kooperation mit Bridgestone funktioniert perfekt

Frage: "Wie stark ist die Zusammenarbeit zwischen Ferrari- und Bridgestone-Ingenieuren, wenn es um das Design des nächstjährigen Autos geht?"
Todt: "Wir arbeiten jetzt schon seit einigen Jahren mit Bridgestone zusammen und hatten gemeinsam schöne Erfolge. Wir haben gelernt, wie wir miteinander arbeiten müssen und wir haben uns kennen gelernt. Der Informationsaustausch ist tief und geht sehr ins Detail. Wir haben eine eigene Gruppe, die mit Bridgestone unter der Leitung von Herrn Hamashima zusammenarbeitet. Die Verbindung zwischen Auto und Reifen ist in der Formel 1 heutzutage von immenser Bedeutung. Man muss dafür eine Menge testen. Wir spulen bei Reifentests jedes Jahr 35.000 Kilometer ab, was viel ist. Dabei probieren wir Mischungen und Konstruktionen aus und wir arbeiten an Trocken- und Regenreifen. Natürlich arbeiten wir auch für die Zukunft vor, denn Entwicklung dauert eben. Bevor die finale Konfiguration verfügbar ist, kann es oft Wochen oder Monate dauern. Wir beginnen mit dem Bau des Autos für 2005 und natürlich sind die Bridgestone-Leute involviert. Die Kommunikation ist sehr ausgeprägt. Wir schicken oft Leute von uns nach Tokio und oft kommt auch jemand aus Japan zu uns nach Maranello."

Frage: "Bis auf ein Rennen hat bisher immer Ferrari gewonnen, selbst in Kanada, wo ihr im Qualifying nur Sechster und Siebter wart. Glaubst du, dass ihr dieses Jahr 15, 16 oder 17 Rennen gewinnen könnt?"
Todt: "Nein. Ich wünschte, wir würden jedes Rennen gewinnen, aber jedes Rennen ist ein harter Fight, ein Kampf, denn wir haben es mit starken Gegnern zu tun. Wir müssen bescheiden bleiben, denn es ist keine leichte Aufgabe. Die größten Automobilhersteller der Welt sind in der Formel 1 und sie sind da, um zu gewinnen. Daher lastet gewaltiger Druck auf uns. Ich kann nicht sagen, wie viele Rennen wir gewinnen werden, hoffe aber, dass wir noch weitere gewinnen werden und auch in der Weltmeisterschaft siegreich bleiben. Natürlich stimmt es, dass wir in der Meisterschaft eine sehr gute Position haben, aber es sind noch zehn schwierige Rennen zu fahren. Indianapolis markiert erst die Hälfte der Saison. Es kann noch so viel passieren. Wir müssen vorsichtig und konzentriert bleiben."

Frage: "Es ist fraglich, wie lange die kleinen Teams wie Minardi und Jordan noch Formel 1 betreiben können. Müssten dann notfalls Teams wie Ferrari drei Autos einsetzen?"
Todt: "Wir fahren unter dem momentanen Concorde Agreement und das sieht vor, dass bei jedem Rennen mindestens 20 Fahrzeuge am Start sein müssen. Es stimmt, dass wir, wenn so ein Fall eintreten würde, entscheiden müssten, wer ein drittes Auto einsetzt, auch wenn dieses Auto quasi außer Konkurrenz fahren würde und keine Punkte bekommen könnte. Das kann natürlich passieren, aber wir hoffen es nicht, denn wir sind der Ansicht, dass es mit zehn Teams eine sehr ausgewogene Meisterschaft ist. Wir glauben, dass es wichtig ist, Teams wie Minardi und Jordan zu haben. Sie machen einen guten Job. Uns ist klar, dass die Formel 1 teuer ist, daher diskutieren wir im Moment, wie wir die Einnahmen steigern und gleichzeitig die Kosten senken können. Die Kosten sind explodiert und das hat hauptsächlich mit dem Wettbewerb zwischen den großen Herstellern zu tun."

Todt hält sich hinsichtlich Mosleys Pläne recht bedeckt

Frage: "FIA-Präsident Max Mosley will die Kosten auch über eine Testbeschränkung senken. Wie steht Ferrari dazu, wenn man bedenkt, dass ihr dafür eine eigene Infrastruktur errichtet habt und sogar über eine eigene Teststrecke verfügt?"
Todt: "Wir hatten in der Vergangenheit Diskussionen über die Zukunft der Formel 1, die noch weitergehen. Uns muss bewusst sein, dass die Lösungsansätze die Probleme wirklich aus der Welt schaffen müssen, denn oft ist es so, dass Veränderungen nicht viel bringen, wenn man überhastete Entscheidungen aus dem Bauch heraus trifft. Ein gutes Beispiel dafür ist das Qualifying. Mit Ende der Saison 2002 sollte das Qualifying unberechenbarer gemacht werden, weil Ferrari zu dominant war. Ich erinnere daran, dass Ferrari 2002 15 von 17 Rennen gewonnen hat. Um so etwas nicht wieder vorkommen zu lassen, hat man sich etwas einfallen lassen. Das Qualifying gehörte dazu. Ab Silverstone gehen wir jetzt wieder fast zum selben Format wie früher über. Wir stehen voll hinter den geplanten Änderungen für das Chassis, für den Motor, für die Tests, wenn das, was beschlossen wird, wirklich etwas bringt. Man muss solche Entscheidungen sehr sorgfältig überdenken, aber wenn die Richtung stimmt, unterstützen wir die Reformen gerne."

Frage: "Müsst ihr die Organisation ein wenig schlanker machen, falls es zur Kostenreduktion kommen sollte?"
Todt: "Solange das erreicht wird, was erreicht werden soll, sind wir froh, wenn die Kosten reduziert werden. Wir sind nicht glücklich damit, viel Geld auszugeben - weniger wäre uns lieber."

Frage: "Wärst du also glücklich damit, das Personal zu kürzen, die Stunden im Windkanal, die Ausstattung und die Zeit auf der Teststrecke?"
Todt: "Du erwähnst so viele Dinge in 15 Sekunden, aber welche Regel soll bitte die Zeit im Windkanal beschränken können? Es gibt keine Regel, die dich davon abhält, fünf Windkanäle zu betreiben, wenn man das möchte. Das ist immer die Gefahr. Wenn man die Testkosten reduziert, geben wir eben mehr Geld für Simulationstechnologie aus und es kann kein Mensch kontrollieren, welche Simulatoren man zur Verfügung hat."

Frage: "Gehen die Vorschläge, die Max Mosley kürzlich veröffentlicht hat, in die richtige Richtung?"
Todt: "Ein Teil der Vorschläge ist sehr interessant. Wir werden das jedenfalls überdenken."

Was passiert nach dem Stichjahr 2006 mit Ferrari?

Frage: "In der europäischen Presse wird spekuliert, was nach 2006 passieren wird, wenn die wichtigsten Ferrari-Verträge auslaufen. Kannst du Aufklärung verschaffen?"
Todt: "Ich habe einen Vertrag bis Ende 2006 und möchte daran erinnern, dass ich schon seit fast elf Jahren, seit dem 1. Juli 1993, für Ferrari tätig bin. Ich hatte erst einen Vertrag bis Ende 1995, der dann bis 1998, 2001, 2004, 2006 und so weiter verlängert wurde. In unserem Geschäft haben Verträge eine bestimmte Laufzeit. Niemand vor mir hat je so lange in dieser Position für Ferrari gearbeitet und das stimmt mich glücklich. Ich glaube, die Firma ist auch happy. Das ist eine gute Kombination. Wir leben in einer Welt voller Spekulationen. Damit muss man umgehen, aber ich bin in solchen Dingen immer vorsichtig - besonders, wenn es um mich selbst geht."

Frage: "Irgendwann wird Michael Schumacher seine Karriere beenden. Siehst du schon einen Fahrer seines Formats am Horizont?"
Todt: "Michael ist ein außergewöhnlicher Fahrer und eine außergewöhnliche Person. Er hat den Fahrertitel schon sechsmal gewonnen. Er ist 35 und motivierter denn je. Nichts deutet darauf hin, dass er mit der Formel 1 Schluss machen will, aber es steht fest, dass es eines Tages soweit sein wird. Unsere Aufgabe ist, uns umzusehen und zu evaluieren, wer sein Nachfolger werden könnte, wer die Position von Rubens übernehmen könnte, meine Position, die Rollen des Schlüsselpersonals. Natürlich machen wir uns Gedanken über die Zukunft, aber heute ist das noch keine dringende Frage."

Frage: "Natürlich ist es schwer, Äpfel und Birnen miteinander zu vergleichen, aber hältst du diese Periode für die erfolgreichste Ära Ferraris in der Formel 1?"
Todt: "Ferrari ist die größte Marke im Motorsport. Es ist sehr schwierig, eine Periode neben eine andere zu stellen. Wenn man diese Frage auf die letzten zehn Jahre bezieht, ist meine Antwort sicher ja. Auch für die letzten 20 Jahre. Seit Anbeginn haben aber fantastische Fahrer mit Ferrari gewonnen, Ascari, Fangio, Surtees, Lauda. Das war eine fantastische Periode für Ferrari. Ich bin mir nicht sicher, welche Periode am besten war, genauso wenig kann man sagen, wer der beste Fahrer aller Zeiten ist. Wie kann man Fangio mit Michael vergleichen? Das sind unterschiedliche Epochen."