Ferrari-Analyse: Hat man noch eine Chance auf die Konstrukteurs-WM?

Ferrari-Teamchef Frederic Vasseur rechnet sich noch Chancen auf die Formel-1-WM 2024 aus, doch dafür muss die Scuderia nach der Sommerpause den Hebel umlegen

(Motorsport-Total.com) - Die Scuderia Ferrari ist in der Formel-1-Saison 2024 ohne Frage im Entwicklungsrennen zurückgefallen, doch laut Teamchef Frederic Vasseur haben vor allem die beiden Rennwochenenden in Ungarn und Belgien gezeigt, dass das Team auf dem Weg der Besserung ist. Zumindest scheint man die Ursache für das Bouncing in den Hochgeschwindigkeitskurven gefunden zu haben, sodass man sich nun wieder darauf konzentrieren kann, mehr Performance aus dem Paket herauszukitzeln.

Titel-Bild zur News: Charles Leclerc, Sergio Perez

Ferrari liegt in der WM nur 63 Punkte hinter Red Bull Zoom

"Zur Leistung des Autos würde ich sagen: Wenn man in Spa nach etwa 50 Runden weniger als zehn Sekunden hinter dem Sieger ins Ziel kommt, kann man sich vorstellen, dass die Pace anständig war", so Vasseur nach dem Rennen in Belgien. "Mit der Gesamtleistung bin ich recht zufrieden, nur über die Positionen bin ich etwas enttäuscht, denn das Ziel war nicht P4 und P7."

Durch die Disqualifikation von George Russell rückten sowohl Charles Leclerc als auch Carlos Sainz noch jeweils einen Platz nach vorne, doch nachdem Polesetter Leclerc zu Beginn des Rennens noch ziemlich konkurrenzfähig war, hat Ferrari im zweiten und dritten Stint immer mehr an Boden verloren, sodass sich der Monegasse in der Schlussphase gegen Max Verstappen und Lando Norris behaupten musste.

Belgien: Ferrari zwar nah dran, aber ...

Beim Blick auf die Rennpace mithilfe unseres Technologiepartners PACETEQ, fehlten Ferrari im Schnitt etwa dreieinhalb Zehntel pro Runde auf Mercedes. Im ersten Stint ging es auf dem Medium noch mehr um das Reifenschonen, weshalb der SF-24 einigermaßen mithalten konnte, doch da der harte Reifen in den beiden Stints danach kaum einen Verschleiß zeigte, kam es mehr auf die reine Performance der Autos an, wo man das Ferrari-Defizit erkennen konnte.

"Am Ende des Tages ist es so eng, dass wir von ein oder zwei Zehnteln pro Runde und zehn Sekunden über 50 Runden sprechen", weiß auch Vasseur. "Das heißt, wenn man ein kleines Problem beheben oder einen kleinen Schritt in Sachen Set-up oder was auch immer machen kann, macht das am Ende einen großen Unterschied in der Wertung aus."

"Und das ist wahrscheinlich das Gute an der heutigen Meisterschaft: Es gibt vier Teams, die um das Rennen [kämpfen]. Bei den Fahrern sind heute sechs Fahrer innerhalb von zehn Sekunden am Ende. Und das ist für mich in Spa einfach mega. Das hatten wir in der Vergangenheit auch schon mit dem Safety-Car, aber heute hatten wir kein Safety-Car."

Doch dass die Abstände der Topteams so brutal eng sind, bedeutet auch, dass Ferrari aktuell nur an Rang vier im Kräfteverhältnis liegt. Während bereits das große Update in Imola nicht so viel Rundenzeit wie gewünscht brachte, lief es beim nächsten große Paket in Spanien noch schlechter. Der eingeführte Unterboden brachte das Bouncing zurück und damit einhergehend eine Instabilität in schnellen Kurven sowie einen höheren Reifenverschleiß.

Vasseur: Ferraris Strecken kommen erst nach Sommerpause

Nach diversen Set-up-Test bei den Rennwochenenden in Österreich und Großbritannien, scheint Ferrari in Ungarn mit der Einführung eines weiteren Unterbodens auf eine Lösung gekommen zu sein, weshalb man die Tests beendet hat. Jetzt geht es darum, mit neuen Teilen und Set-up-Kniffen wieder mehr Rundenzeit zu finden.

Auf die Frage, wann man mit dem nächsten Ferrari-Update rechnen kann, meint Vasseur: "Wir arbeiten natürlich mit Hochdruck daran und wir werden es so schnell wie möglich tun. Aber die Lösung des Bouncings ist schon einmal ein Schritt in Richtung mehr Leistung. Außerdem haben wir mit Monza, Baku und Singapur bald eine gute Abfolge von Strecken für uns. Ich denke, das sind gute Strecken für die Eigenschaften des Autos."


Stopp verpatzt: Hätte Piastri sonst gewonnen?

Der Grand Prix von Belgien, analysiert mit den Tools unseres Technologiepartners PACETEQ: Kevin Hermann beantwortet die wichtigsten Fragen zum Rennen. Weitere Formel-1-Videos

"Das bedeutet, dass das Wichtigste ist, Punkte zu holen, und es war das Ziel, in Spa keine Punkte auf McLaren und Red Bull zu verlieren, und das haben wir geschafft, und es wird das gleiche Ziel in Zandvoort sein, denn ich bin überzeugt, dass die nächsten drei oder vier Wochen nach diesen beiden viel besser für uns sein werden."

Warum das Entwicklungsrennen so schwer ist

Jedoch einfach nur neue Teile ans Auto zu bringen, ist aber noch längst keine Garantie für Erfolg. Im Saisonverlauf konnte man bereits sehen, dass neben Ferrari auch Red Bull, Racing Bulls und allen voran Aston Martin viele neue Updates an die Strecke gebracht haben, die schlussendlich kaum eine Wirkung hatten oder das Auto sogar langsamer machten. Auch Mercedes hat in Belgien am Samstag auf einen alten Unterboden zurückgerüstet.

Vasseur erklärt: "Wir sind überzeugt, und es ist offensichtlich, dass ein Zehntel oder anderthalb Zehntel die Vision des Wochenendes komplett verändern. Das bedeutet, dass wir alle darauf drängen, Teile zu bringen, und wie man weiß, ist es nicht einfach, die Korrelation zwischen dem, was wir in der Fabrik tun, und das, was auf der Strecke mit dem Bouncing passiert, vorherzusagen."

"Es war nicht einfach für Mercedes, es war nicht einfach für uns, es war nicht einfach für andere Teams zu Beginn der Saison. Und wir sind auch an der Grenze der Entwicklung. Ich denke, dass wir seit drei Jahren das gleiche Reglement haben und es wird immer schwieriger, die letzten Zehntelsekunden zu jagen. Wir sind mehr am Limit, und das gilt für alle."

"Und wir müssen uns vor Augen halten, dass das Bouncing der Schlüssel zum Erfolg ist, denn es ist nicht nur eine Frage der Leistung, sondern vor allem eine Frage des Vertrauens der Fahrer. Das heißt, wenn man durch den Abtrieb ein Zehntel gewinnt, kann man vielleicht drei Zehntel durch das Vertrauen der Fahrer oder die Konstanz der Fahrer verlieren. Also ist am Ende des Tages das Ergebnis negativ."

Warum 2024 dennoch eine starke Saison ist

Und obwohl Ferrari in den letzten Rennen vielleicht nicht mehr so stark abschneiden konnte wie noch zu Saisonbeginn, sprechen die Fakten eine eindeutige Sprache, denn die Scuderia hat einen großen Schritt nach vorne im Vergleich zum Vorjahr gemacht. Nach 14 Rennen ist man aktuell nur 63 Punkte hinter Red Bull in der Konstrukteurswertung. 2023 waren es zu diesem Zeitpunkt 355.

Und auch, wenn man tiefer in die Daten geht, sieht man nur Verbesserungen. Im Schnitt fehlen Ferrari bei der Rennpace im Jahr 2024 nur 0,21 Sekunden pro Runde auf Red Bull. 2023 lag der Wert im Saisonschnitt bei 0,58. Somit hat man den Rückstand mehr als halbiert. Das Problem ist nur, dass mit McLaren und Mercedes auch der Konkurrenz große Schritte nach vorne gelungen sind.

"Der erste Teil der Saison war anständig und wir hatten wir eine gute Serie mit zwei Siegen", so der Ferrari-Teamchef. "Und dann war es McLaren und jetzt ist es Mercedes oder Mercedes und McLaren zusammen, die auftrumpfen. Insgesamt denke ich, dass die vier Teams einen ähnlichen Job gemacht haben."


"Es kommt nicht oft vor, dass man nach 12 oder 13 Rennen vier Teams in der Position hat, die Meisterschaft zu gewinnen. Ich bin kein großer Fan von Statistiken, aber wir haben nach 12 oder so Rennen etwa 60 Prozent mehr Punkte geholt als vor einem Jahr."

"Und ehrlich gesagt hätte ich am Freitagmorgen darauf gewettet, dass Max sogar von P11 aus gewinnt, und am Nachmittag war es für mich klar, dass es McLaren sein wird. Am Ende haben wir die Pole geholt und Mercedes hat das Rennen gewonnen. Das ist eine gute Zusammenfassung der Saison und eine gute Zusammenfassung der Meisterschaft in diesem Jahr."

"Ich denke, das Schwierigste in dieser Meisterschaft ist nicht, zu gewinnen, wenn man das beste Auto hat, sondern gute Punkte zu holen, wenn man das nicht hat. Und hier haben wir auch als Team in Großbritannien, Spanien und Kanada versagt. In diesem Teil der Saison hatten wir ein bisschen mehr zu kämpfen. Und manchmal haben wir als Team überreagiert und in dieser Phase zu viele Punkte verloren."