Exklusives Interview mit Giancarlo Fisichella

Locker und zuversichtlich stellte sich "Fisico" unseren Fragen - vom geplatzten Ferrari-Traum bis hin zu seinen WM-Hoffnungen

(Motorsport-Total.com) - Ins Klischee des italienischen Sunnyboys kann man Giancarlo Fisichella nicht einordnen. Der Römer hat an guten Tagen zwar für jeden ein sympathisches Lächeln parat, kann aber auch ganz andere Saiten aufziehen, wenn ihm nicht nach Freundlichkeit ist. Wir haben ihn im Rahmen der Tests in Monza am Donnerstag offenbar an einem guten Tag getroffen.

Titel-Bild zur News: Giancarlo Fisichella

So entspannt und locker wie gestern erlebt man Giancarlo Fisichella selten

Mit dem Renault-Vertrag im Rücken geht dem vielleicht am meisten unterschätzten Rennfahrer der Gegenwart alles leichter von der Hand als sonst. Sicher, mit dem Traum vom Wechsel zu Ferrari hat es wieder nicht geklappt, immerhin aber dürfte er 2005 zu jenem elitären Kreis gehören, der ernsthafte Chancen hat, Formel-1-Rennen zu gewinnen und vielleicht sogar ein Wörtchen um die Vergabe des WM-Titels mitzureden - für jeden Grand-Prix-Piloten das Höchste der Gefühle.#w1#

Fisichella wirkt im Interview entspannt wie selten zuvor

'F1Total.com' traf Fisichella im bescheiden eingerichteten Motorhome des Sauber-Teams. Mit einem zufriedenen Grinsen im Gesicht und einer Reihe signierter Memorabilia für Sponsor 'Credit Suisse' neben sich auf der Couch wirkte der Sieger von Brasilien 2003 irgendwie glücklicher als sonst - und man hatte sogar den Eindruck, er wolle die Kunde von der möglicherweise erfolgreichen Zukunft möglichst laut in die (Presse-)Welt hinausposaunen...

Frage: "Giancarlo, wenn du deine bisherige Saison mit den Erwartungen zu Saisonbeginn vergleichst, wie sieht dann deine Bilanz nach 14 Rennen aus?"
Giancarlo Fisichella: "Nicht so schlecht. Wenn ich mir anschaue, wie viele Punkte wir geholt haben und welche Resultate ich einfahren konnte, dann ist das ganz gut. Ausnahme ist natürlich der Beginn der Saison, wo das Auto einfach nicht gut genug war, aber dann hat das Team in Sachen Weiterentwicklung einen sehr guten Job gemacht, speziell im Windkanal. Seit Imola gab es bei jedem einzelnen Rennen ein paar neue Teile und das hat sich positiv auf die Performance ausgewirkt. Da ist uns schon ein Riesenschritt nach vorne gelungen, vor allen Dingen mit dem neuen Bodywork, das wir in Silverstone erstmals eingesetzt haben."

Frage: "Du hast gerade Mittagspause, bist aber an und für sich heute voll im Testbetrieb eingespannt. Probiert ihr hier in Monza auch neue Teile für das nächste Rennen aus?"
Fisichella: "Wir haben einige Heckflügelvarianten speziell für Monza dabei, aber im Moment sind die Reifen unser Hauptproblem, finde ich, denn wir haben nicht genügend Grip. Es fällt uns schwer, die Reifen auf die richtige Temperatur zu bekommen. Alles in allem sind wir nicht so konkurrenzfähig, wie wir gerne wären, aber für das nächste Rennen bin ich dennoch recht optimistisch."

Zum Abschied möchte Fisichella Sauber ein Podium schenken

Frage: "Was erwartest oder erhoffst du dir für die verbleibenden Saisonrennen? Sicher wirst du ab und an einen Regentanz aufführen..."
Fisichella: "Das ist wahr! Aber im Ernst, es wäre schön, noch ein paar Punkte zu holen. Das ganz große Ziel ist jedoch, einmal auf das Podium zu fahren."

Frage: "Ist dafür ein Regenrennen notwendig?"
Fisichella: "Zumindest würde es die Sache einfacher gestalten."

Frage: "Der Windkanal in Hinwil ist seit einigen Monaten in Betrieb. Hast du speziell dadurch spürbare Verbesserungen bemerkt?"
Fisichella: "Das Team hat im Windkanal wirklich fantastische Arbeit geleistet. Wie vorhin schon erwähnt, seit Imola bekamen wir für jedes Rennen einige neue Komponenten. Wir haben dadurch einen großen Schritt nach vorne gemacht. Das ist großartig. Sogar hier haben wir ein paar neue Heckflügel dabei und beim letzten Rennen gab es einige Änderungen. Für ein kleines Team wie Sauber ist es nicht einfach, in Sachen Weiterentwicklung so am Ball zu bleiben, wie das gerade geschieht."

Frage: "Bekommt ihr auch Motorenausbaustufen von Ferrari oder ist da alles noch auf dem Stand von Melbourne?"
Fisichella: "Da gibt es keine Veränderungen. Wobei, da fällt mir gerade ein, in Silverstone haben wir eine B-Version bekommen, glaube ich. Die werden wir jetzt aber bis Saisonende verwenden."

Fisichella versteht, dass Bridgestone primär auf Ferrari setzt

Frage: "Bridgestone hat mit Ferrari einen klaren Lieblingspartner. Bist du zufrieden mit der Weiterentwicklung der Reifen, mit der Zusammenarbeit mit Bridgestone?"
Fisichella: "Momentan bin ich recht happy mit der Performance von Bridgestone. Sie haben einen guten Job gemacht und sich seit Saisonbeginn extrem gesteigert. Andererseits haben sie es natürlich auch schwer mit uns, denn sie können uns nicht alle Wünsche erfüllen, weil wir ganz einfach nicht genug testen. In der Regel haben wir nur ein Auto bei jedem Test und wir sind auch nicht bei jedem Test dabei, daher ist es doch nur logisch, dass sie sich auf Ferrari konzentrieren und die Entwicklung mit Ferrari abstimmen."

Frage: "Du testest gerade hier in Monza, aber bist du auch noch in die Entwicklung des nächstjährigen Sauber-Fahrzeugs einbezogen?"
Fisichella: "Um ganz ehrlich zu sein, sind wir gerade ausschließlich damit beschäftigt, für die noch ausstehenden Rennen weiterzuentwickeln. Für nächstes Jahr arbeite ich eigentlich nicht."

Frage: "Und Felipe?"
Fisichella: "Das glaube ich nicht. Im Augenblick spielt sich das alles noch in der Fabrik ab."

Frage: "Man spricht immer von dieser familiären Atmosphäre bei Sauber. Du verlässt das Team bald. Ist das etwas, was dir fehlen wird, und stimmt dieser Eindruck überhaupt?"
Fisichella: "Ja, natürlich. Allerdings ist die Atmosphäre auch bei Renault fantastisch. Ich habe mich mit allen Mechanikern und Ingenieuren hier sehr gut verstanden. Das sind durchwegs freundliche und zurückhaltende Menschen. Irgendwie hatte ich nie das Gefühl, besonders unter Druck zu stehen. Das ist ein schönes Gefühl. Aber ich muss auch an meine Zukunft denken, und die liegt eben bei Renault. Ich schätze, da sieht es viel rosiger aus für mich."

Petronas verhinderte Fisichellas Test im neuen Ferrari

Frage: "Vor Saisonbeginn war einer der Gründe, weshalb du zu Sauber gegangen bist, ein verbindlich versprochener Ferrari-Test. Kannst du aufklären, warum es dazu nie gekommen ist?"
Fisichella: "Die Antwort darauf ist, dass es Probleme zwischen Petronas und Shell gegeben hat. Das ist, was ich weiß."

Frage: "Wollte dich Petronas nicht im Shell-Overall sehen?"
Fisichella: "Genau, Petronas war damit nicht glücklich."

Frage: "Frustriert dich das sehr oder nimmst du es jetzt leichter, wo du den Renault-Vertrag in der Tasche hast?"
Fisichella: "Es wäre sicher nett gewesen, den neuen Ferrari zu fahren, aber es ist nicht passiert und deswegen geht auch keine Welt für mich unter."

Frage: "Der Test ist also nicht zustande gekommen und du fährst für mindestens zwei Jahre für Renault. Ist damit dein Traum vom Ferrari-Vertrag ausgeträumt?"
Fisichella: "Naja, natürlich war das schon immer ein Traum von mir, aber es ist andererseits nicht wirklich ausschlaggebend. Jetzt will ich erst einmal mein Bestes in den restlichen Rennen für Sauber gehen, dann nehme ich voller Optimismus die neue Saison in Angriff."

Frage: "Als du Renault damals verlassen hast, konnte man den Eindruck haben, dass es zwischen dir und Flavio Briatore ein angespanntes Verhältnis gab..."
Fisichella: "Das stimmt nicht. Mit Flavio hatte ich nie ein Problem. Wir sind sehr gute Freunde. Ich war dieses Jahr schon ein paar Tage auf seinem Boot und auch sonst schon öfter, und in unseren Ferien haben wir uns einmal in seiner Diskothek getroffen. Das kommt daher, dass wir beide im Sommer recht gerne in Sardinien sind. Da gibt es wirklich keine Probleme zwischen uns."

Probleme mit dem neuen Teamkollegen erwartet Fisichella nicht

Frage: "Jeder weiß, dass Fernando Alonso so etwas wie Flavios Ziehsohn ist. Siehst du darin ein Problem für dich?"
Fisichella: "Nein, denn ich kann ja auf der Rennstrecke selbst die Antwort darauf geben."

Frage: "Wie kommst du mit Fernando aus?"
Fisichella: "Ich kenne ihn ganz gut, wir sind Kumpels. Fernando ist ein guter Fahrer, er hat sich bisher sehr gut geschlagen. Für mich spricht dafür meine Erfahrung, von daher glaube ich schon, dass ich auch schneller als er sein kann."

Frage: "Dein aktueller Teamkollege, Felipe Massa, genießt in Fachkreisen den Ruf als großes Talent. Ist es umso befriedigender, dass du ihn dieses Jahr relativ locker in Schach halten konntest?"
Fisichella: "Ich bin natürlich sehr glücklich darüber. Der Erste, an dem du gemessen wirst, ist immer dein eigener Teamkollege - klar, denn der hat dasselbe Auto. Ich halte Felipe für einen sehr guten Fahrer. Er ist schnell und steht unter Beobachtung von Ferrari und anderen Teams. Dieses Jahr war ich aber schneller als er und ich habe auch mehr Punkte gesammelt. Vielleicht ist das einer der Gründe, weshalb ich nächstes Jahr für Renault fahren werde."

Frage: "Hast du das Gefühl, dass du jetzt alles beisammen hast, um Weltmeister zu werden - vielleicht schon 2005?"
Fisichella: "Schwer zu sagen, weil Ferrari im Moment einfach in einer eigenen Liga fährt und man nicht absehen kann, wie es weitergehen wird. Renault verfügt aber über sehr viel Potenzial und ich traue mir schon zu, es zu schaffen. Man wird sehen."

Über den Renault-Motor: "Das wird schon klappen"

Frage: "Der Renault-Motor gilt als größter Schwachpunkt des Autos. Beunruhigt dich das?"
Fisichella: "Letztes Jahr hatte Renault mit Sicherheit einen der schwächsten Motoren der Formel 1, aber dieses Jahr haben sie sich für eine andere Architektur entschieden. Sicher, es ist nicht der beste Motor, den es gibt im Moment, aber so viel fehlt nicht mehr und für nächstes Jahr sind noch einmal große Verbesserungen geplant. Das wird schon klappen."

Frage: "Weißt du schon, wann du das Auto zum ersten Mal testen wirst?"
Fisichella: "Nein, noch nicht. Da muss ich erst noch abwarten."

Frage: "Du lebst derzeit in Rom. Gibt es durch deinen Wechsel zu Renault die Notwendigkeit, nach England zurückzukehren?"
Fisichella: "Nein, eigentlich nicht."

Frage: "Was gefällt dir am Leben in Italien am meisten?"
Fisichella: "Mir ist es inzwischen einfach wichtig, in der Nähe meiner Familie und meiner Kinder zu sein. Es ist nett, dass ich Zeit mit ihnen verbringen kann, wenn ich nach Hause komme. Was Rom im Besonderen angeht, fühle ich mich dort einfach wohl. Es ist schön dort, ich mag die Stadt."

Frage: "Nimmst du dir noch manchmal die Zeit, zu einem Spiel von AS Roma ins Stadion zu gehen?"
Fisichella: "Jetzt gerade eigentlich nicht, denn die Meisterschaft beginnt bei uns erst am Sonntag."

Erstaunliches Wissen über seinen Lieblingsklub AS Roma

Frage: "Vor einigen Jahren hat ein Österreicher, Herbert Prohaska, bei AS Roma gespielt. Kannst du dich an ihn noch erinnern?"
Fisichella: "Persönlich kenne ich ihn nicht, aber ich habe ihn im Fernsehen gesehen und aus den Medien einiges über ihn erfahren. Er war ein großer Star in Rom."

Frage: "Was hat dir am Rennfahren in Österreich am besten gefallen und was verbindest du heute noch mit dem Land?"
Fisichella: "Puh, da kommen mir auf Anhieb die Alpen in den Sinn, die vielen Berge. Die mag ich natürlich, weil ich wahnsinnig gerne Ski fahre."

Frage: "Verbringst du auch ab und zu deine Freizeit in Österreich?"
Fisichella: "Ich habe einmal in Österreich Urlaub gemacht und natürlich war ich bei den Rennen am A1-Ring, aber da wird ja nicht mehr gefahren."