• 03.07.2014 11:06

  • von Gary Anderson (Haymarket)

"Eine Frage, Mister Anderson!": Ein Experte erklärt die Technik

Technik-Experte Gary Anderson beantwortet Fragen zu einer möglichen Herstellerserie und verrät, welchem Fahrer ein einmal an den Kragen gegangen ist

(Motorsport-Total.com) - Die Formel 1 muss sparen, doch könnte sie das nicht am besten ohne Bernie Ecclestone in einer Serie der Hersteller? Auf Fan-Fragen wie diese antwortet Technik-Experte Gary Anderson. Der frühere Jordan-Designer erläutert außerdem die in dieser Saison aufgetretenen Bremsprobleme, spricht über den Nutzen der Formel-1-Technologie für die Serienproduktion und verrät, welchem Fahrer er vor Wut einmal an den Kragen gegangen ist.

Titel-Bild zur News: Gary Anderson

Experte Gary Anderson steht den Fans Rede und Antwort Zoom

Sasha Selipanov (Facebook): "Warum ziehen die Formel-1-Teams nicht wieder eine Herstellerserie in Betracht, anstatt ständig nach neue Ideen zur Kostenreduzierung zu suchen? So käme man von CVC und Bernie Ecclestone los, müsste den Sport nicht seiner selbst Willen betreiben sondern könnte in modernste Technologie investieren, würde mehr Interesse moderner Medien anziehen und könnte einen (aus der Sicht der Fans) besseren Kalender machen."
Gary Anderson: Sasha, ich bin seit langer Zeit in der Formel 1 und habe habe miterlebt, wie aus einer Veranstaltung, die kaum jemand kannte, das wurde, was es heute ist."

"1973 habe ich für Bernies Brabham-Team gearbeitet und bin zum ersten Mal nach Monaco gekommen. Ich bin mit einem Ford Transit dorthin gefahren und habe das Formel-1-Auto auf einem offenen Anhänger transportiert! Als ich in den 1990er Jahren mehr in die Management-Ebene gewechselt bin, ging ich zu einigen Treffen der FOCA (Vereinigung der Formel-1-Konstrukteure; Anm. d. Red.). Dort wurde immer darüber geklagt, dass Bernie zu viel Geld nimmt."

Herstellerserie würde nicht funktionieren

"Aber Bernie hat im Laufe der vielen Jahre eine Menge für die Formel 1 getan, und ich glaube wirklich, dass die Teams durch seine Organisation deutlich mehr Geld verdienen, als es bei einer Herstellerserie möglich wäre. Die Teams würden einfach nicht miteinander zusammenarbeiten, um so etwas zu organisieren, denn jeder würde seine eigenen Interessen verfolgen."

"Bernie hat im Laufe der vielen Jahre eine Menge für die Formel 1 getan." Gary Anderson

"Allerdings könnten die Einnahmen gerechter verteilt werden. Aber warum gewähren die großen Teams wie Ferrari oder Red Bull kleineren Rennställen wie Marussia und Sauber keine finanzielle Hilfe? Weil sie zu habgierig sind! Kannst du dir vorstellen, wie das ablaufen würde, wenn die Teams in einer Herstellerserie organisiert wären?"

Dion Barnes (Twitter): Profitieren auch Hersteller, die nicht an der Formel 1 teilnehmen, vom Technologie-Transfer, und wie viel von der Technik lässt sich überhaupt auf Straßenautos übertragen?"
Anderson: "Dion, die meisten Autohersteller arbeiten in der ein oder anderen Weise zusammen. Einige teilen sich Motoren, Getriebe oder sogar die Fahrgestelle, denn das ist der kostengünstigste Weg. Was aber den Antriebsstrang der Formel 1 betrifft, so glaube ich nicht, dass es einen großen Technologie-Transfer zwischen den Herstellern gibt."

Platz drei und vier für Williams das Maximum

"Ich kann mir nicht vorstellen, dass Mercedes bei einem solch komplizierten System beispielsweise eng mit BMW zusammenarbeiten wird. Ich bin mir aber sicher, dass sich einige BMW-Ingenieure die Formel-1-Reglen genau angesehen haben und Modelle entwickelt haben um zu sehen, was sie gemacht hätten, wenn sie noch in der Formel 1 wären. Diese würden sie dann mit der Installation und der Leistung der teilnehmenden Hersteller vergleichen um zu sehen, wo BMW stehen würde, wenn sie noch an der Formel 1 teilnähmen."

Felipe Massa, Valtteri Bottas

Die Williams konnten sich in Spielberg nicht lange vor den Mercedes halten Zoom

"Was die Technologie betrifft, so gibt es nur sehr wenig, was man direkt übernehmen kann. Aber die Formel 1 und das damit verbundene Budget erlaubt den Ingenieuren, neue Ideen und Systeme zu entwickeln. Nachdem diese aber kostengünstig sein müssen, kann man lediglich die Ideen, nicht aber die Bauteile übernehmen."

@Maxton_MS (Twitter): "Hätte Williams in Österreich gewinnen können, wenn sie besser auf die Boxenstopp-Strategie von Mercedes reagiert hätten?"
Anderson: "Die beiden Mercedes sind derzeit schneller als alle anderen. Daher haben die beiden Williams meiner Meinung nach in Österreich des bestmögliche Resultat erzielt. Wenn man allerdings in der Lage ist, dem anderen etwas näher am Getriebe zu hängen, ist alles möglich. Dann kann man Fahrer in einen Fehler zwingen, wie es bei Nico Rosberg in Kurve eins der Fall war. Sobald das einige Male passiert, ist der Sieg zum Greifen nahe. Wenn man das Ergebnis aber ins Verhältnis zur Konkurrenzfähigkeit setzt, kann Williams mit dem dritten und vierten Platz zufrieden sein."

Bremsen im Blickpunkt

Larry C (Twitter): "Wie sehr verändern die Teams je nach Strecke die Bremsen?"
Anderson: "Die Charakteristik der Strecke legt fest, was die Bremsen leisten müssen. Die Karbon-Bremsen arbeiten in einem Bereich zwischen etwa 350 und 700 Grad Celsius richtig gut. Sind sie zu kalt, hat man keine Bremskraft, sind sie zu heiß, steigt der Verschleiß dramatisch an. Wenn beim Bremsen schwarzer Staub aus den Rädern kommt, wird es Zeit etwas dagegen zu unternehmen."

"Die Bremsscheibe darf laut den Regeln maximal 28 Millimeter breit sein. Auf Strecken wie Montreal, wo hart gebremst wird, werden die Teams diese Breite voll ausschöpfen. Je breiter die Bremsscheibe aber ist, umso schwieriger bekommt man sie auf Arbeitstemperatur. Auf Strecken wie Silverstone, die für die Bremsen nicht so anspruchsvoll sind, verwenden die Teams Scheiben mit einer Breite von 22 Millimeter. Auf jeder Strecke kommt es darauf an, die Temperatur in dem beschriebenen Fenster zu halten. Wenn das nicht gelingt, kann man überall Probleme bekommen."

@EmmbrookKarting (Twitter): "Was macht den Fahrern mehr Spaß? Ein Auto, das einfach gut auf der Straße klebt oder eines mit weniger Grip und zu viel Leistung?"
Anderson: "Den Fahrern geht es nicht unbedingt um das Grip-Niveau, sondern mehr um die Herausforderung in den Hochgeschwindigkeitskurven, wo sie ein gut ausbalanciertes Auto spüren können. Dann können sie in jeder Runde etwas schneller fahren. Kurven wie Copse oder der Becketts-Komplex in Silverstone sind dafür gute Beispiele.

"Schwankt der Grip oder ist die Balance schlecht, muss der Fahrer entweder langsamer fahren oder er landet im Kiesbett. Was weniger Grip und zu viel Leistung betrifft: Wenn das für alle gleich wäre, hatten die Fahrer ihren Spaß. Aber um das zu erreichen, müsste man die Fahrzeuge grundsätzlich umgestalten."

Ubaid Parkar (Facebook): "In dieser Saison haben viele Fahrer Probleme mit den Bremsen. Sollten die Regeln vor dem Hintergrund der Probleme, die Teams wie Force India und Mercedes in Kanada hatten, nicht entsprechend verändert werden und aus Sicherheitsgründen serienmäßige (größere) Durchmesser vorgeschrieben werden?"
Anderson: "Die Regeln schreiben vor, dass die Bremsen auch bei einem Ausfall des elektrischen Systems angemessen funktionieren müssen. Hätten die Teams, wie im vergangenen Jahr, an der Hinterachse mehr oder weniger die gleiche Bremse wie an der Vorderachse montiert, würde keiner Probleme haben. Aber jeder reizt die Grenzen aus."

"Um Gewicht zu sparen, haben sie kleinere Bremsen montiert, da die Aufladung des ERS einen wesentlichen Anteil an der Bremsleistung der Hinterachse hat. Das Problem von Mercedes in Kanada hatte weniger mit den Bremsen an sich, sondern mit der fehlenden Aufladung des ERS zu tun. Was Sergio Perez und sein Bremsproblem betrifft, so mag das vielleicht seinen Anteil zur Kollision mit Felipe Masse beigetragen haben, aber im Grunde war das ein Rennunfall von zwei Rennfahrer, die auf der gleichen Stelle der Rennstrecke fahren wollten."


Fotostrecke: Triumphe & Tragödien in Großbritannien

Gute Erinnerungen an die Gründerzeit von Jordan

Gyimesi Brigitta (Twitter): "Welches war das unvergesslichste Wochenende Ihrer Karriere? Nicht nur das Rennen, sondern das gesamte Wochenende, inklusive der Partys."
Anderson:: "Das ist eine wirklicht schwierige Frage! Ich durfte in meiner Karriere glücklicherweise einige großartige Wochenenden erleben, habe mich dabei aber hauptsächlich um die Rennen gekümmert und war nie ein Partylöwe. Der Aufbau von Jordan, als kleines Team alles auf die Beine zu stellen und 1991 in Phoenix bei unserem ersten Grand Prix gegen die großen Jungs anzutreten, war einer der Höhepunkte."

"Du erkennst die Größe der Aufgabe erst dann, wenn du ankommst und die anderen Teams siehst, gegen die du fährst. Das Endergebnis entsprach aber nicht unseren Hoffnungen. Andrea de Cesaris schied wegen eines Problems in der Vor-Qualifikation aus, und Bertrand Gachot kam nicht ins Ziel. Wir hatten aber gezeigt, dass wir zu einer soliden Leistung in der Lage sind und eine gute Basis haben, von der aus wir arbeiten konnten."

Andrea de Cesaris

Andrea de Cesaris fuhr 1991 für das damals neue Jordan-Team Zoom

"Wichtiger war war, dass wir von Leuten, die schon seit vielen Jahren in der Formel 1 waren, akzeptiert wurden. Wir haben am Sonntagabend eine kleine Party gefeiert, aber ich glaube wir waren alle zu müde, sodass es nicht später als zehn Uhr wurde. Das ist zumindest meine Geschichte, und dabei bleibe ich..."

Tumult in der Jordan-Box...

Andrew Potter (Twitter): "Welche Erinnerungen haben Sie an Andrea de Cesaris, und wie gelang es Jordan, aus einem wilden Fahrer einen zuverlässigen Punktelieferanten zu machen?"
Anderson: "Andrew, ich habe gute Erinnerungen an Andrea. Er war genau der Fahrer, denn wir zu dieser Zeit brauchten. Als mir Eddie Jordan sagte, dass er mit Andrea verhandeln würde, dachte ich allerdings zuerst, beide wären verrückt. Im Fall von Andrea lag ich damit falsch, was den anderen betrifft, so habe ich noch kein endgültiges Urteil gefällt."

"Als mir Eddie Jordan sagte, dass er mit Andrea verhandeln würde, dachte ich zuerst, beide wären verrückt." Gary Anderson

"Wir brauchten jemanden mit Erfahrung, daher wurde er sehr schnell ein wichtiger Bestandteil unseres Teams. Wir wussten nichts über die Formel 1 und haben uns daher auf seine Erfahrung verlassen. Ich glaube, das war einer der Gründe, warum er gereift ist. Er fühlte sich verantwortlich. Er war und ist immer noch ein Charakterkopf, aber wir hatten 1991 eine Menge Spaß."

"In Barcelona hatte ich allerdings einmal eine kleine Unstimmigkeit mit ihm und bin ihm in der Box an den Kragen gegangen. Wir haben uns allerdings schnell wieder lieb gehabt und versöhnt. Aber man stelle sich vor, was die Zeitungen schreiben würden, wenn es ein Foto von Paddy Lowe gäbe, auf dem er Lewis Hamilton an die Gurgel geht..."