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  • 28.01.2014 14:24

  • von Dieter Rencken & Dominik Sharaf

Effizienter als ein Diesel, komplizierter als Raumfahrt

Renault-Mann Rob White über die Herausforderung Turbo, die Gleichbehandlung von vier Kunden und einen Zyklus von sieben Jahren als "guter Kompromiss"

(Motorsport-Total.com) - In der Formel 1 hat es sich eingebürgert, den Teamnamen vor dem Motorenhersteller zu nennen. Gut möglich, dass in der kommenden Saison die Zulieferer der Turboherzen die Hauptrolle in der Königsklasse spielen. Selten zuvor standen Renault, Mercedes und Ferrari vor einer so großen Herausforderung wie der, V6-Aggregate mit beträchtlicher Hybridunterstützung fit für Renneinsätze zu machen. Schließlich handelt es sich um Technologie, die zuvor nicht existent war.

Titel-Bild zur News: Renault-Turbomotor

Ein Wunderwerk der Technik: Renaults Turbomotor treibt 2014 acht Autos an Zoom

Was die drei Konzerne binnen kurzer Zeit geschaffen haben, ist imponierend. Rob White staunt nicht schlecht über die neue Technik: "Es ist wirklich bemerkenswert, welches Niveau an Effizienz wir erreicht haben", sagt der Technische Geschäftsführer von Renault Sport F1 im Gespräch mit 'Motorsport-Total.com' und spricht von einem "Biest", das in Frankreich das Licht der Welt erblickt hat. Die Vorgaben waren komplex: "Um dieses Leistungsniveau zu erreichen, braucht es ein kompliziertes System."

White nennt es ein diffiziles System zur Energierückgewinnung und erwähnt "viele Facetten der Innovation". Schließlich will die Formel 1 nicht schneller werden, sondern "grüner". Sie will mit sparsamer Technik ein Zeichen setzten, das über die Grenzen des Motorsport hinaus verstanden und aufgegriffen wird. "Wir haben auf bestimmten Leistungsebenen einen Verbrauch, der besser ist als bei Straßenautos mit Dieselmotor. Es ist schwierig, eine Zahl zu nennen, da solche Dinge sehr sensibel sind."

Wer baut Technik, die es gar nicht gibt?

Natürlich durstet es einem Boliden auch weiterhin nicht nach vier oder fünf Litern, wie es bei schwächer motorisierten Serienfahrzeugen längst der Fall ist. Es geht um Verbrauchswerte im Verhältnis zu PS, Newtonmetern, Geschwindigkeit und Beschleunigung. Die Daten also, die Sebastian Vettel und Co. interessieren. "Wenn der Fahrer seinen Fuß auf das Gaspedal setzt, dann will er nicht über den Turbo und die Energierückgewinnungs-Systeme nachdenken. Er will einfach nur die Beschleunigung fühlen", weiß White.

Das eigentliche Technikwunder ist, dass der Motor selbst nur 600 PS aus seinen 1,6 Litern Hubraum generiert. Diese Marke zumindest schätzen die Verantwortlichen bei Renault als "konkurrenzfähig" ein. Den Rest besorgt die komplexe Elektronik. White streicht heraus, welchen Meilenstein das bedeutet: "Es ist alles relativ zum Benzinlimit zu betrachten, denn in vergangenen Jahren haben Motoren mit weniger Hubraum mehr Leistung entfacht. So ein Niveau gab es noch nie. Wir sollten bedenken, dass die Durchflussmenge gedeckelt ist."


Der neue Renault-Motor für 2014

Diese Herausforderung zu meistern, war und ist alles andere als ein Kinderspiel. Selbst wenn Renault als Mutterfirma personelle Unterstützung mit Experten aus dem Endverbrauchersegment leistete, musste in der Formel-1-Fabrik viel Pionierarbeit verrichtet werden. Wer also sollte als Zulieferer fungieren? "Bevor man sich darum kümmert, muss einem klar sein, dass die Technologie in dieser Form überhaupt nicht existent war", unterstreicht White. "Wie soll man Zulieferern dann Dinge abverlangen, die sich in unser System einfügen?"

Red Bull ist Renaults Lieblingskind

Die Natur des Problems hatte sich noch gar nicht erschlossen, auf dem Verbrauchermarkt beliefen sich die Erfahrungen auf wenige Jahre. Es brauchte andere Tests und andere Prüfstände. Die bereits vorhanden waren für sehr hohe Geschwindigkeiten ausgelegt. Plötzlich waren welche für niedrigere Bereiche nötig. "Am Ende bedeutet das mehr Personal mit einem größeren Anteil an Neuzugängen, als man sich das vorstellt - wegen den neuen Technologien", beschreibt White die Auswirkungen auf de Budgetplanung.

Das war noch nicht das Ende der Fahnenstange. Schließlich hatte Renault individuelle Wünsche von vier Kunden zu erfüllen: Red Bull, Lotus, Toro Rosso und Caterham. "Verdammt knifflig", grübelt der Geschäftsführer. Der Brite verweist auf unterschiedliche Konstruktionsweisen der Boliden und die verschiedenen Anforderungsprofile der Autos, die es nur auf dem Papier gab - wenn überhaupt. "Das kostet Kraft", pustet White durch. Er kann sich aber nicht vorstellen, in die Situation zu geraten, nicht alle Teams versorgen zu können.

Sebastian Vettel, Mark Webber

Mit Renault-Power startet Red Bull die Mission Titelverteidigung Zoom

Dennoch genießt eine Mannschaft Priorität. Klar, dass es sich dabei um die Weltmeister handelt. "Wir haben eine klare Verantwortung für Red Bull", tastet sich White vor, ohne von Kunden erster und zweiter Klasse zu sprechen. Er wird diplomatisch mit seinen Ausführungen und verweist auf die FIA-Bestimmungen: "Das ist das Team, mit dem wir am engsten zusammenarbeiten. Aber wir dürfen ja gar nicht andere Motoren an andere Kunden liefern. Wir wissen seit Jahren, wie man damit umgeht und würden nie die Fortschritte bei irgendwem einbremsen", so der 48-Jährige weiter.

Sieben-Jahres-Zyklus als gelungener Kompromiss

Nichtsdestotrotz scheint so etwas wie ein Vorkaufsrecht für die Österreicher zu bestehen: "Die neueste Version eines Teils, da ist es am wahrscheinlichsten, dass es an einem Red Bull verwendet wird." Mit welchem Team auch immer, Renault sollte sich schnellstmöglich auf den Turbo einstellen, schließlich bleibt er der Formel 1 in dieser Form sieben Jahre erhalten - mindestens. White gefällt das: "Jeder will Stabilität bei den Regeln und wissen, wie sie in Zukunft aussieht, damit sich Aktivitäten planen lassen."

"Sieben Jahre scheinen ein gelungener Kompromiss." Auch die Finanzabteilung scheint damit leben zu können, schließlich gilt bei innovativer Technologie: Die erste Saison ist immer das teuerste, jede weitere wird zusehends günstiger, weil sich die kostenintensive Entwicklung abträgt. Zu viel Buchhaltung und Statistik für White: "In nackten Zahlen rechnet man nicht Jahr für Jahr", winkt er ab und wehrt sich gegen einen Cashflow: "Die Ausgaben hören ja jetzt auch nicht auf. Man muss schon etwas davon verstehen, ehe man Ausgaben und Nutzen gegeneinander aufrechnet."


Sebastian Vettel besucht die Renault-Fabrik

Lieber hebt er den philosophischen Aspekt der Motorennovelle hervor, der in den kommenden sieben Jahren wohl weiter dem Zeitgeist entsprechen wird. Die Angst vor erschöpften Ölquellen wird fortbestehen, die Preise an den Zapfsäulen hoch bleiben, die mahnenden Worte der Umweltschützer so schnell nicht verstummen und die Jugend der Faszination Auto nicht in Massen erliegen wie noch in den siebziger oder achtziger Jahren: "Die Maßgabe, Sprit zu sparen, ist fundamental wichtig", betont White. Das leistet der Turbo.