• 21.11.2003 14:50

  • von Florian Haasper

Dupasquier: "Ferrari hat uns sehr enttäuscht"

Michelin-Sportdirektor Dupasquier über den "Reifenskandal" der Saison 2003 und über die Gerüchte um einen Vertrag mit BAR

(Motorsport-Total.com) - Michelin erlebte 2003 die erfolgreichste Saison seit dem Formel-1-Comeback 2001. 408 WM-Punkte gingen auf das Konto der Franzosen, Konkurrent Bridgestone holte nur 216 Zähler. 'F1Total.com' traf Sportdirektor Pierre Dupasquier in München. Im Interview klärt der 66-Jährige über den aktuellen Verhandlungsstand mit BAR-Honda auf und geht wegen des Reifenstreits in der vergangenen Saison hart mit Ferrari ins Gericht.

Titel-Bild zur News: Pierre Dupasquier

Pierre Dupasquier empfindet Ferraris Verhalten als unsportlich

Frage: "Herr Dupasquier, auf welchen Reifen wird BAR in der kommenden Formel-1-Saison an den Start gehen?"
Pierre Dupasquier: "Es ist sehr, sehr wahrscheinlich, dass BAR auf Michelin-Reifen fahren wird. Es gibt zwar noch keinen unterschriebenen Vertrag, aber es sieht gut aus. Wir bereiten uns schon darauf vor, unsere Kapazität zu erhöhen. Ich freue mich, in Zukunft auch mit Honda zusammenzuarbeiten."

Frage: "Welche Konsequenzen hat der Wechsel von BAR für Bridgestone?"
Dupasquier: "Was Bridgestone macht, interessiert mich ehrlich gesagt nicht. Es soll da irgendwelche vertraglichen Ansprüche von deren Seite geben, aber das ist nicht meine Sache. Wir konzentrieren uns darauf, einen weiteren Kunden mit guten Reifen zu beliefern."

"Das war schon eine merkwürdige Sache"

Frage: "Nach dem Ungarn-Grand-Prix 2003 interessierte sich die Konkurrenz aber sehr genau dafür, was Michelin macht..."
Dupasquier: "Sie spielen auf den Reifenstreit an. Das war schon eine merkwürdige Sache. Ich erinnere mich, wie Charlie Whiting (Sicherheitsdelegierter der FIA; d. Red.) und Jo Bauer (Technischer Delegierter der FIA; d. Red.) in Ungarn mit einem Messinstrument in der Hand vor mir standen. 'Die Laufflächen eurer Reifen sind breiter als 270 mm. Das sollten sie aber nicht sein', meinten sie zu mir. Ich machte sie darauf aufmerksam, dass wir schon 2001 auf die Schwierigkeiten beim Messen hingewiesen hatten. Was genau ist die Lauffläche? Welcher Teil des Reifens ist permanent mit dem Asphalt in Kontakt? Charlie wollte die Sache überdenken, am Mittwoch kam dann das FIA-Statement."

Frage: "Plötzlich sollten die 270 mm auch nach dem Rennen eingehalten werden. Stellte das für sie einen Eingriff ins Regelwerk dar?"
Dupasquier: "Eindeutig ja. Max Mosley stritt dies zwar ab, aber es änderte sich doch ganz klar etwas. Die Regel hatte sich vorher deutlich auf eine Messung vor dem Rennen bezogen. Plötzlich hatte die FIA dann ihre Erleuchtung."

In der Formel 1 muss jeder ans Limit gehen"

Frage: "Wie haben sie reagiert?"
Dupasquier: "Wir konnten natürlich bis Monza keinen neuen Reifen konstruieren. Das brauchten wir aber auch gar nicht zu tun. Eine kleine Modifikation an der Schulter unserer Reifen hat genügt. Dort haben wir eine Art Kante eingebaut, um die Lauffläche deutlicher hervorzuheben. Das hat schon genügt. Natürlich hatten wir unsere Reifen zuvor mit dem Ziel konstruiert, 269,8 mm breit zu sein. In der Formel 1 muss jeder ans Limit gehen."

Frage: "Ferraris Technischer Direktor Ross Brawn hat zugegeben, dass Ferrari die FIA auf dieses Problem hingewiesen hat. Wie verärgert sind sie noch darüber?"
Dupasquier: "Ferrari hat uns sehr enttäuscht. Wenn der Erfolg da ist, dann wird immer überschwänglich gefeiert. Eigentlich sollte man auch fair weiter kämpfen, wenn es mal nicht so gut läuft. Es gibt aber Leute, die einfach alles dafür tun, um zu gewinnen. Sie versuchen, dich zu zerstören und machen damit die Meisterschaft gleich mit kaputt. Ich weiß nicht, wo diese Einstellung herkommt."

"Bei Ferrari war das Geschrei groß"

Frage: "Haben sie wirklich keine Idee?"
Dupasquier: "Ich glaube, dass Ferrari einen Fehler bei der Konstruktion ihres Autos gemacht hat. Als Aerodynamiker hasst du die Vorderräder. Sie vermiesen dir die Performance. Darum haben wir auch für McLaren-Mercedes Reifen hergestellt, deren Lauffläche nur 250 mm breit war. Aber es hat nicht funktioniert. Bridgestone hat bestätigt, dass Ferrari die breiteren Reifen abgelehnt hat. Dieses Vorgehen war ein Eigentor. Bei allen negativen Auswirkungen auf die Aerodynamik, ein Vorderreifen mit vollem Potenzial ? also mit 270 mm ? ist unerlässlich. Das hat Ferrari gemerkt, und dann war das Geschrei groß."

Frage: "An der Performance der Michelin-Teams hat die Modifikation der Reifen ohnehin nicht viel geändert."
Dupasquier: "Richtig. Kimi Räikkönen hat ab Monza genauso viele Punkte geholt wie Michael Schumacher. Die Änderungen an unseren Reifen haben ihn nicht langsamer gemacht. Im Gegenteil. Den Titel hatte er aber schon viel früher verloren."

Strategiefehler hat Räikkönen den Titel gekostet

Frage: "Wann genau?"
Dupasquier: "In der Phase, in der sich McLaren-Mercedes voll auf den MP4-18 konzentrierte. Hätte das Team konsequent am MP4-17D weiterentwickelt, dann hätte Kimi nicht so viele Punkte zur Saisonmitte verloren. Irgendwann haben sie dann gemerkt, dass da noch eine Chance ist und sich wieder dem Vorjahres-Auto gewidmet. Plötzlich kamen die guten Resultate zurück."

Frage: "BMW-Williams hatte gerade zu Saisonbeginn große Probleme."
Dupasquier: "Ja, das lag aber nicht an uns, sondern an der Aerodynamik. Das war allen Beteiligten auch klar. Stück für Stück wurde es besser. Als Ralf Schumacher in Barcelona bei Tests 1:15er-Zeiten fuhr war es mir fast unheimlich. Dann folgte ein Doppelsieg nach dem anderen. Ein tolles Comeback."

"Wir sind auf jeden Fall zuversichtlich"

Frage: "2004 fährt dann aber auch der Weltmeister auf Michelin-Reifen?"
Dupasquier: "Wir sind auf jeden Fall zuversichtlich. 2003 konnten wir uns auf allen Gebieten verbessern. Für nächste Saison muss uns vor allem der Anschluss an die Bridgestone Intermediates gelingen. Auch an der Konstanz unserer Reifen müssen wir noch arbeiten. Dann haben wir noch bessere Karten. Aber: Bitte sagen sie Michael Schumacher nichts davon..."