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  • 15.10.2004 09:45

Drei Schichten für den perfekten Formel-1-Asphalt

Anhand der Rennstrecke in Interlagos erklären wir die Zusammenhänge von Asphalt und Grip in der Königsklasse

(Motorsport-Total.com) - Darauf fährt die Formel 1 ab: Der Belag einer Rennstrecke ist entscheidend für den Grip und den Reifenverschleiß. Und er hat wegen seiner Auswirkungen auf das Setup der Boliden und die Rennstrategie auch beim Großen Preis von Brasilien einen großen Einfluss auf die Performance.

Titel-Bild zur News: Asphalt in der Formel 1

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Die Piste im 'Autodromo José Carlos Pace' vor den Toren von Sao Paulo unterscheidet sich kaum von den ganz normalen Straßen der Millionenmetropole, abgesehen davon, dass sie nicht so viele Schlaglöcher aufweist. Auch der Belag dieses Kurses ist, wie bei allen Rennstrecken, aus drei Schichten aufgebaut - der Tragschicht, der Binderschicht und der Verschleißschicht. Die Tragschicht ist eine dicke Lage groben, wasserdurchlässigen Asphalts. Darauf wird die Binderschicht aufgetragen, die nicht nur die natürlichen Unebenheiten der Tragschicht ausgleicht, sondern vor allem der auf ihr liegenden Verschleißschicht den nötigen Halt geben soll.#w1#

Für Bahrain wurden Steine aus Wales importiert

Der Asphalt ist eine Mixtur aus Steinen und Bitumen. Auf die Auswahl der Materialien wird vor allem beim Bau neuer Strecken größten Wert gelegt: "Wir gingen in verschiedene Steinbrüche in der Umgebung und suchten uns die besten Steine aus", sagt der Rennstreckenarchitekt Hermann Tilke, der die Kurse von Bahrain, Malaysia und Shanghai entworfen und gebaut hat. Im Versuchslabor wurden die Steine auf ihre Tauglichkeit getestet, wurden Abnutzung und Grip untersucht. Mit dem Ergebnis war der "Herr der Ringe" nicht immer zufrieden - die Steine für den 'Bahrain International Circuit' mussten deshalb für viel Geld aus Wales in den Wüstenstaat transportiert werden.

Die Belastungen, die auf einer Rennstrecke auf den Asphalt einwirken, unterscheiden sich wesentlich von denen auf einer normalen Straße. Das Bitumen wird deshalb mit Kunststoff verstärkt. Die größte Belastung für die Straße entsteht durch "heavy load", also das Gewicht, wenn zum Beispiel ein 30-Tonnen-Laster bremst. Auf der Rennstrecke ist das umgekehrt, da entwickeln die aufgeheizten Reifen der Boliden eine Klebewirkung und ziehen die Steine nach oben. Dazu kommen die hohen Geschwindigkeiten, die vor dem Reifen einen Überdruck und hinter dem Reifen einen Unterdruck erzeugen. Die Auswirkungen beschreibt Hermann Tilke so: "Für den Asphalt ist das, als würde man vorne mit dem Hammer draufschlagen und hinten den Staubsauger ansetzen." Kein Wunder, dass die Lebensdauer eines Rennstreckenbelags stark schwankt - je nach Witterung und Pflege hält er zwischen fünf und zehn Jahren.

Hermann Tilke setzt für die Formel 1 auf wenig Grip

Mit der Auswahl der Materialien und der Zusammensetzung des Asphalts bestimmen die Architekten auch die Gripverhältnisse auf der Strecke. Hätte Hermann Tilke die freie Wahl und würde die Strecke nur von der Formel 1 benutzt, würde er sich immer für wenig Grip entscheiden. "Die Fahrer haben das zwar nicht so gerne, die haben lieber richtig viel Grip", sagt er, "aber dafür gibt es spannende Rennen, weil die Bremswege länger werden und leichter überholt werden kann." Weniger Grip bedeutet geringere Haftung und niedrigere Kurvengeschwindigkeiten - und damit noch mehr Sicherheit. Für eine Strecke, auf der auch Motorradrennen ausgetragen werden sollen, wäre wenig Grip ein Desaster - in der Schräglage würden die Fahrer wegrutschen wie auf Schmierseife. "In den meisten Fällen", so der Architekt, "verständigen wir uns auf einen guten Kompromiss." Die vorausberechneten Gripverhältnisse, das zeigt die Erfahrung, stellen sich aber immer erst nach etwa einem Jahr ein.

"Auch die Haftung der Reifen im normalen Straßenverkehr ist in hohem Maße von der Straßenoberfläche abhängig", erläutert Dr. Christoph Lauterwasser vom 'Allianz' Zentrum für Technik. "Neben großen Schwankungen der Griffigkeit bei schlechten Wetterbedingungen spielt der Grip bei trockener Fahrbahn eine wesentliche Rolle für die Fahrsicherheit. Dabei sollte das Gripniveau überall annähernd gleich sein, denn eine plötzlich verminderte Griffigkeit kann zu schweren Unfällen insbesondere bei Motorradfahrern führen. Eine gezielte Erhöhung der Griffigkeit in sensiblen Bereichen kann Bremswege reduzieren und dadurch zur Verkehrssicherheit beitragen."

Geringster Reifenverschleiß der Formel 1 in Monaco

Ob ein Streckenbelag aggressiv gegen die Reifen ist oder die Gummis fast gar nicht abgenutzt werden, hängt in der Formel 1 neben den gefahrenen Geschwindigkeiten und der Zahl der Bremsvorgänge auch von der Mikrostruktur der verwendeten Materialien ab. Besonders hoch ist der Reifenverschleiß in Barcelona und Monza, wogegen die Belastung der Reifen auf dem Stadtkurs von Monaco vergleichsweise gering ist. Über besonders viel Grip freuen sich die Fahrer in Malaysia, Barcelona, Hockenheim und Suzuka, wenig Grip weisen die Kurse in Melbourne, Imola, Budapest sowie der Nürburgring auf.

Im Fall des 'Autodromo José Carlos Pace', Austragungsort des Großen Preises von Brasilien, bewegen sich sowohl Gripniveau als auch Reifenverschleiß im unteren Bereich. Das lässt, folgt man der Argumentation von Hermann Tilke, ein interessantes Rennen mit vielen Überholvorgängen erwarten.