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  • 17.04.2009 17:26

  • von Fabian Hust

Doppelt schlecht: Diffusor-Kröte muss geschluckt werden

Norbert Haug, Mario Theissen und Christian Horner sprechen ausführlich über die Folgen der gescheiterten Berufungsverhandlung in der "Diffusor-Affäre"

(Motorsport-Total.com) - Das Berufungsgericht des Automobilweltverbandes FIA hat entschieden: die Doppeldecker-Diffusoren der Teams Brawn, Toyota und Williams entsprechen dem Reglement. Für die Konkurrenz bedeutet dies, schnellstmöglich ebenfalls eine solche Lösung zu entwickeln und einzusetzen, um auf die Konkurrenz aufzuholen.

Titel-Bild zur News: Christian Horner (Teamchef), Mario Theissen (BMW Motorsport Direktor), Norbert Haug (Mercedes-Motorsportchef)

Horner, Theissen, Haug müssen Millionen in den Doppeldecker-Diffusor stecken

"Für uns hat dies beträchtliche Auswirkungen, denn natürlich haben wir das Auto rund um das Reglement entwickelt, so wie wir glaubten, dass es interpretiert werden sollte", so Red Bull Racing-Teamchef Christian Horner. "Dabei ist uns ein sehr gutes Auto gelungen", so der Brite weiter. In der Tat, mit dem RB5 ist der Rennstall von allen Konkurrenten am dichtesten an den Doppeldecker-Diffusor-Autos dran.#w1#

"Den Vorteil, den dieser Diffusor bietet, ist beträchtlich", so der Brite weiter. "Wenn man ihn nicht von Beginn an in das Design des Autos integriert hat, dann ist dies etwas, das nur schwierig einfach anzuschrauben ist, besonders in unserem Fall. Denn als ein unabhängiges Team stellt dies beinahe ein Auto der B-Spezifikation dar. Es ist also eine beträchtliche Veränderung am Heck des Chassis'. Wir müssen versuchen, es zu optimieren und in unsere Design-Lösungen zu integrieren."

"Die Jungs, angeführt von Adrian Newey, haben dieses Jahr fantastische Arbeit geleistet, und die Entscheidung, das Auto spät auf die Strecke zu schicken, war die richtige, um die Zeit im Windkanal zu optimieren. Aber nun bekommen wir es mit einem Upgrade zu tun, dessen Umfang eine beträchtliche Herausforderung sein wird. Es ist schwierig, ein exaktes Datum zu nennen, wenn wir in der Lage sein werden, unsere eigene Lösung einzuführen. Aber es wird eines der ersten Europa-Rennen sein."

Die Folgen der Einführung einer Doppeldecker-Diffusor-Lösung sind umfangreich: "Das betrifft das gesamte Heck unseres Autos. Das einzige Loch, das dadurch hinterlassen wird, ist in unserem Budget. Damit sind beträchtliche Kosten in einem nicht gerade großartigen Klima verbunden. Aber wenn man sich die heutige Leistung anschaut, dann fahren sechs der acht Autos mit dieser Lösung. Wir müssen es aus diesem Grund tun, um unsere Konkurrenzfähigkeit zu erhalten."

"Wir müssen es aus diesem Grund tun, um unsere Konkurrenzfähigkeit zu erhalten." Christian Horner

Nichtsdestotrotz gibt sich Horner optimistisch: "Positiv ist die Tatsache, wenn man sich die bisherige Leistung unseres Autos anschaut. Ohne den Doppeldecker-Diffusor waren wir verdammt konkurrenzfähig. Wir sind heute das einzige Auto in der Top acht mit der Standard-Lösung. Hoffentlich können wir auf einen weiteren Schritt in Bezug auf die Konkurrenzfähigkeit hoffen, wenn wir ihn einführen."

Auch das BMW Sauber F1 Team wird umbauen: "Es ist definitiv nicht ausreichend und nicht möglich, einfach den Diffusor zu wechseln und mit einer neuen Lösung am Unterboden des Autos anzukommen", so BMW Motorsport Direktor Mario Theissen. "Wir müssen das Aerodynamik-Paket neu entwickeln, zumindest das Aerodynamik-Paket. Ich würde nicht so weit wie Christian gehen und sagen, dass es ein komplett neues Heck benötigt, aber das Aerodynamik-Paket wird komplett anders sein."

"Wir müssen das Aerodynamik-Paket neu entwickeln." Mario Theissen

"Wir haben begonnen, daran zu arbeiten, und werden für Barcelona ein Aerodynamik-Update haben. Aber ich kann heute nicht sagen, ob der Diffusor dabei sein wird oder nicht. Er ist Teil einer Menge Ideen und einer Menge Entwicklungen, die wir verfolgen. Das Finale Paket ist noch nicht entschieden. Und wenn ein solcher Doppeldecker-Diffusor dabei sein wird, dann wird definitiv das volle Potenzial noch nicht abgerufen. Wir werden im Verlauf der Saison mehr und mehr finden, wir werden definitiv mit dem Barcelona-Aerodynamik-Paket noch nicht fertig sein."

Gerade das McLaren-Mercedes-Team, das sich mit einem erheblichen Rückstand auf die Konkurrenz konfrontiert sieht, muss aufholen: "Wir müssen realisieren, dass sich jeder in Barcelona beträchtlich verbessern wird", so Mercedes-Motorsportchef Norbert Haug. "Die Jungs an der Spitze, die im Moment rund eine Sekunde schneller sind, werden sich verbessern, und sie befinden sich in einer besseren Position, um dies zu tun."

"Wir müssen realisieren, dass sich jeder in Barcelona beträchtlich verbessern wird" Norbert Haug

"Aber so ist es nun einmal, dies ist die Situation, und wir müssen schneller entwickeln als die Jungs an der Spitze, was nicht einfach ist. Ich kenne das aus der Vergangenheit, als es andersherum war, und es ist immer eine beträchtliche Herausforderung, im Verlauf einer Saison aufzuholen aber ohne Zweifel."

"Viele Leute sagen jedoch, dass dies für den Sport gut ist, dieser Tage ist es für uns jedoch nicht so gut. Es gibt jedoch in diesem Feld viele verschiedene Farben, und ich bin zumindest froh, dass die Brawn-Jungs unsere Motoren verwenden. Dies hilft ein wenig. Ich muss sagen, dass sie gute Arbeit leisten."

"Ob es nun notwendig war, diese Interpretation, A oder B, ist nun Geschichte. Wir müssen aufholen", so der Deutsche weiter. "So, wie das Mario und Christian schon gesagt haben, ist es ein Kostenfaktor, aber wir müssen unsere Köpfe aufrecht halten, hart arbeiten und mit einer besseren Lösung kommen, als wir sie im Moment haben."

"Wir müssen unsere Köpfe aufrecht halten, hart arbeiten und mit einer besseren Lösung kommen, als wir sie im Moment haben." Norbert Haug

Und wie schätzt Haug den Umfang der Veränderungen durch den Doppeldecker-Diffusor ein? "Das schlimmste Szenario wäre ein komplettes Redesing inklusive der Aufhängung, dem Getriebe-Gehäuse, was auch immer. Aber das hängt davon ab. Es könnte sein, dass dies von Auto zu Auto etwas unterschiedlich ist. Es ist nicht so, dass man einen Doppeldecker-Diffusor im Windkanal entwickelt, ihn an das Auto baut und dann losfährt. Das benötigt Zeit."

"Die Besten haben Monate und Monate investiert, mehr als ein halbes Jahr, ein Dreivierteljahr, und was andere Leute, die intelligent sind und gute Leute sind, innerhalb von neun Monaten geschafft haben, ist schwierig innerhalb von neun Wochen zu schaffen. Wir befinden uns in diesem Prozess, aber wir müssen weiter Druck machen und wir müssen hart arbeiten."

"Was andere Leute innerhalb von neun Monaten geschafft haben, ist schwierig innerhalb von neun Wochen zu schaffen." Norbert Haug

Dass sieben Teams nicht auf einen Doppeldecker-Diffusor gesetzt haben, ist laut Horner "kein Zufall": "Natürlich wurde in der Arbeitsgruppe Überholen eine Menge Arbeit erledigt, und innerhalb dieser Regeln gibt es natürlich einen Geist, welches Ziel diese Regeln erreichen sollen. Sicherlich war der Präzedenzfall von Löchern im Unterboden aus unserer Perspektive als illegal erachtet worden, aus diesem Grund entschieden wir uns, mit unseren Kollegen bei der ersten Möglichkeit gegen die Autos zusammen zu protestieren, um wirklich Klarheit zu erhalten."

"Die Rennleitung und die FIA stellten dort natürlich ihre Position dar, und dann hatten wir die Option, Einspruch dagegen einzureichen. Wir haben das Gefühl, dass wir eine faire Anhörung beim Einspruch hatten, wo die Fakten von beiden Seiten dargelegt wurden. Das Fazit war, dass es eine Menge Zweideutigkeiten im Reglement gibt, und dass man es eine clevere Interpretation nennen könnte - wenn man dies so mag -, die diese drei Teams genutzt haben."

"Das Fazit war, dass es eine Menge Zweideutigkeiten im Reglement gibt." Christian Horner

"Meiner Meinung nach war dies gegen den Geist, was innerhalb der Arbeitsgruppe Überholen festgelegt wurde, aber das Gericht befand, dass diese Diffusoren zugelassen sind. Wie ich schon sagte, wir hatten das Gefühl, dass es eine faire Anhörung war, wir präsentierten unseren Fall, der sorgfältig angehört wurde, aber nun befinden wir uns in einer Situation, in der wir keine andere Wahl haben, als ihn zu entwickeln und unsere eigene Lösung zu zeigen, da diese nun zugelassen sind."

"Das kostet natürlich Zeit und Geld und hier wurde ein großer Entwicklungskanal geöffnet, denn der Unterboden eines Autos ist natürlich das wichtigste Aerodynamik-Werkzeug eines Autos. Die Rundenzeiten werden aus diesem Grund beträchtlich fallen, wenn die Lösungen entwickelt worden sind."

"Die Rundenzeiten werden aus diesem Grund beträchtlich fallen." Christian Horner

Dass Motoren-Kunde Brawn nur wegen des Diffusor deutlich schneller ist als McLaren-Mercedes, glaubt Haug unterdessen nicht: "Das ist das gesamte Paket. Es wäre ein Einfaches zu sagen, dass man einen perfekten Diffusor an ein Auto baut und dann bei der Musik ist. So einfach ist es nicht."

"Wir müssen alle realisieren, dass dieses Auto über eine sehr lange Zeit entwickelt wurde. Andere Leute kämpften noch um die aktuelle Weltmeisterschaft. Dies ist keine Ausrede, aber es sollte eine Erklärung sein. Je früher man sich auf das nächstjährige Auto konzentrieren kann, desto mehr kann man in es aerodynamisch usw. investieren. Diese Jungs haben gute Arbeit geleistet. Sie verfügten über eine wirklich gute Ausrüstung, gute Leute - am Ende des Tages ist es das Gesamtpaket."

Die Entwicklungsarbeit wird den Teams durch die Tatsache erschwert, dass seit diesem Jahr während der Saison nicht mehr getestet werden kann: "Man kann etwas am Computer Unternehmen, man kann etwas im Windkanal unternehmen, aber besonders das Aerodynamik-Paket sollte auf der Strecke getestet werden, bevor man es im Rennen einsetzt", so Theissen.

"Das ist also definitiv ein Nachteil. Auf der anderen Seite lehnen sich jene Teams, die den Doppeldecker-Diffusor haben, nicht zurück. Sie entwickeln wie wir, ich gehe also nicht davon aus, dass wir in Barcelona plötzlich bei der Musik sein werden."

"Auf der anderen Seite lehnen sich jene Teams, die den Doppeldecker-Diffusor haben, nicht zurück." Norbert Haug

"Ohne Tests ist es eine große Herausforderung, ein Auto zu entwickeln", pflichtet Horner bei. "Das fordert das Team wirklich und wenn man eine Komponente an die Strecke bringt, dann benötigt man vier Exemplare davon, denn man muss beide Autos ausrüsten und auch Ersatzteile haben. Ich habe noch nie so viel Handgepäck gesehen, wie gestern, als ich am Flughafen in Schanghai ankam. Ich glaube, dass McLaren rund 18 Boxen hatte. Wir waren nicht weit davon entfernt und ich denke, dass dies für den Rest der Saison einen Trend darstellen wird."

"Heute kommen Komponenten an, die wir morgen verwenden werden, und es wird eine wahre Herausforderung sein, die Autos während der Saison ohne Tests lediglich durch Simulations-Werkzeuge zu entwickeln", so der Brite weiter. "Ob dies nun Windkanäle oder CFD ist, wir müssen der Korrelation mit der Strecke näher und näher kommen, so dass wir sicher sind, dass wir mit einem großen Prozentsatz an Teilen ankommen, diese an das Auto montieren und sicher sein können, dass wir einen Leistungsgewinn dadurch haben."

"Die Freitage werden noch wichtiger", so Haug. "Dies ist der einzige Weg, um etwas auszuprobieren. Natürlich kann man Geraden-Tests durchführen, aber die sind nur grundsätzliche Vergleichstests, wie die Aerodynamik-Arbeit korreliert. Aber in Realität wird der Freitag wichtiger, und man wird am Freitag mehr und mehr Fahrbetrieb sehen. Man wird seinen neuen Teile zur Rennstrecke mitbringen und diese dort testen."

"In Realität wird der Freitag wichtiger, und man wird am Freitag mehr und mehr Fahrbetrieb sehen." Norbert Haug

Unter dem Strich ist der Streit um den Doppeldecker-Diffusor auch eine Bewährungsprobe für die Teamvereinigung FOTA: "In der Summe ist es das", so Horner. "In den vergangenen paar Wochen ist eine Menge passiert. Die Teams befanden sich miteinander im Streit, ich denke jedoch, dass es wichtig ist, dass sich die FOTA in naher Zukunft zusammensetzt und die Probleme diskutiert. Aber mit Sicherheit ist dies unser größter Test im frühen Anfangsstadium. Es ist jedoch wichtig, dass diese Themen hinter verschlossenen Türen diskutiert und Lösungen gefunden werden."

"Ich würde vielleicht nicht Test sagen, aber mit Sicherheit wird man im Verlauf der Saison kontroverse Themen haben", pflichtet Haug bei. "Wir müssen sorgfältig sein, dabei zu unterscheiden und zu schauen, was die positiven Dinge sind, wo wir zusammen stehen, und was den negativen Dinge in solch einer Diskussion sind. Hierfür müssen wir gute Lösungen finden. Schlussendlich gibt es meiner Meinung nach nur eine Lösung."