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  • 29.07.2009 14:15

  • von Pete Fink

BMW steigt aus: Die Pressekonferenz im Wortlaut

Vorstandschef Norbert Reithofer, Entwicklungsvorstand Klaus Draeger und Motorsport Direktor Mario Theissen über die Gründe für den Ausstieg von BMW

(Motorsport-Total.com) - Vorstandschef Norbert Reithofer, Entwicklungsvorstand Klaus Draeger und Motorsport Direktor Mario Theissen begründeten heute Vormittag im BMW Hauptquartier in München den Formel-1-Ausstieg zum Saisonende 2009. Zentraler Gesichtspunkt ist zumindest offiziell eine strategische Neuausrichtung des Konzerns, in dessen Schema die Formel 1 nicht mehr passe. Hier der genaue Wortlaut der Pressekonferenz.

Titel-Bild zur News: Mario Theissen (BMW Motorsport Direktor)

Die BMW Führungsspitze begründete in München ihren Formel-1-Ausstieg

Frage: "Inwiefern hat die allgemeine Entwicklung beziehungsweise die Absatzkrise bei BMW zu dieser Entscheidung beigetragen? Und wie hoch war zuletzt das Formel-1-Budget?"
Norbert Reithofer: "Wir haben Formel-1-Budgets noch nie in der Öffentlichkeit kommuniziert und werden das auch heute nicht tun. Was das Formel-1-Budget der kommenden Jahre betrifft, müssen wir nun darüber nachdenken, was wir damit anfangen. Diese Entscheidung ist noch nicht gefallen."#w1#

"Die wirtschaftliche Entwicklung der letzten zwölf Monate hat bei dieser Entscheidung keine Rolle gespielt. Ebenso wenig die Performance des Teams 2009, weil wir mit der Performance 2006, 2007 und 2008 sehr zufrieden waren. Es waren ausschließlich strategische Gründe."

Klaus Draeger: "Wir haben in den vergangenen Jahren immer wieder das Formel-1-Budget im Vergleich zum Marketingwert aufgewogen. Wir kamen zu dem Ergebnis, dass dies ein Thema ist, welches sich rechnet, und das hat auch bisher für uns gegolten."

"Das heißt: Wir sprechen nicht über die Aufwendungen, die wir dort hineinstecken, sondern wir bekommen entsprechende Marketingwerte auch zurück. Vorausgesetzt, wir fahren erfolgreich.

Über 700 Mitarbeiter vom Ausstieg betroffen

Frage: "Wie viele Stellen hängen bei BMW an den drei Standorten München, Landshut und Hinwil an der Formel 1?"
Draeger: "Wir haben derzeit in Hinwil etwa 420 Mitarbeiter beschäftigt, in München sind es 250, in Landshut 70. Die Entscheidung wurde gestern im Vorstand getroffen. Wir werden jetzt selbstverständlich die verschiedenen Alternativen, die sich ergeben, bewerten. Wir sind uns unserer Verantwortung gegenüber den Mitarbeitern in Hinwil, München und Landshut bewusst und suchen nach einer Lösung."

BMW Vorstandsschef Norbert Reithofer will den Konzern strategisch neu ausrichten Zoom

Frage: "Kann man schon sagen, was diesen Mitarbeitern angeboten wird? Oder wird man sich im großen Umfang von diesen Mitarbeitern trennen? Gibt es noch andere Möglichkeiten und welchen Zeitrahmen sieht man für diese Lösung vor?"
Draeger: "Über die unterschiedlichen Möglichkeiten wollen wir derzeit noch nicht sprechen und bitten an dieser Stelle um Verständnis. Wir werden in den nächsten Wochen, also bis September, eine Klärung herbeiführen, um mit den Mitarbeitern dann auch im Detail zu sprechen."

Frage: "Sie haben ihre Strategie Number ONE 2007 auf den Weg gebracht. Warum kommt die Entscheidung zur Formel 1 erst zwei Jahre später?"
Reithofer: "Die aktuelle Entscheidung hat natürlich auch damit zu tun, dass die Unterschrift unter ein neues Concorde-Agreement in dieser Woche ansteht. Wir haben uns in den letzten Wochen die Frage gestellt: Wollen wir uns drei weitere Jahre, also 2010, 2011 und 2012, an die Formel 1 binden?"

"Ich möchte aber betonen, dass man sich an ein solches Thema auch als Vorstand erst annähern muss. Hier findet ein Prozess statt, über den man intensiv und ernsthaft nachdenkt. Wir haben nun gesagt: Nein, über einen solchen Zeitraum wollen wir uns nicht mehr binden und zwar aus strategischen Gründen. Deshalb die gestrige Entscheidung."

Tourenwagen-Engagement bleibt

Frage: "Sie haben davon gesprochen, dass BMW gerne in Rennserien beteiligt sein will, die Innovationen zulassen. Heißt das im Umkehrschluss, dass die Formel 1 in ihrer jetzigen Form aus ihrer Sicht keine Daseinsberechtigung mehr hat?"
Mario Theissen: "Wir haben das Thema KERS von Anfang an unterstützt, weil wir gerade hier ein Thema sehen, das sich mit der Entwicklungsrichtung der Serie deckt. Woraus wir also sehr viel lernen können, gelernt haben und jetzt auch sehr intensiv transferieren können."

Mario Theissen (BMW Motorsport Direktor)

BMW Motorsport Direktor Mario Theissen zeigte sich "persönlich enttäuscht" Zoom

"Ich will nicht sagen, dass so etwas in der Formel 1 nicht existiert, im Gegenteil. Aber es gibt vielleicht Rennserien, in denen solche Innovationsschritte noch näher am Produkt sind und noch schneller umsetzbar sind. Das ist das Ziel."

Frage: "Sie sprechen vom Tourenwagensport, aber nicht von der WTCC. Kann es sein, dass dort auch eine Umorientierung erfolgt?"
Draeger: "Wir haben ganz bewusst von einem Tourenwagen-Engagement im weiteren Sinne gesprochen."

Theissen: "Die WTCC ist ein Bestandteil der Tourenwagenszene. Es ist kein Geheimnis, dass wir mit den Entwicklungen im letzten und in diesem Jahr nicht sonderlich zufrieden sind. Aber hier ist keine Entscheidung gefallen. Wir sprechen mit den Organisatoren und wir sprechen mit der FIA. Hier ist derzeit offen, was wir im nächsten Jahr tun. Aber wir werden auf jeden Fall im Tourenwagensport vertreten sein, sowohl mit werksunterstützten Engagements als auch in der freien Kundenszene, die wir ja ohnehin haben."

Frage: "Ist beim Thema Tourenwagen auch die DTM eine mögliche Option? Ist im Bereich GT-Sport ein verstärktes Engagement denkbar?"
Theissen: "Vielleicht ist der Begriff Tourenwagen etwas zu eng, man sollte besser Produktionswagen sagen und da fällt sowohl die klassischen Tourenwagen als auch die GT-Kategorie darunter. Wir haben in den USA bereits ein GT-Engagement mit dem M3 GT2. Das sehen wir auch unter diesem Dach. Wir können uns aber auch andere künftige Engagements vorstellen, die aber derzeit nicht spruchreif sind."

Auch keine Formel-1-Motoren mehr

Frage: "Sind sie selbst von dieser Entscheidung gestern auch überrascht worden? Sehen sie ihre persönliche Zukunft im Tourenwagensport oder können sie sich eine Neuorientierung vorstellen?"
Theissen: "Auch ich habe diese Information erst diese Woche bekommen. Wir arbeiten also in der Tat gerade daran, die notwendigen Konsequenzen zu entwickeln. Was mich persönlich angeht: Machen sie sich keine Sorgen. Ich kümmere mich nun darum, was aus dem Team wird, und dann sehen wir weiter."

Entwicklungsvorstand Klaus Draeger: "2010 auch keine Formel-1-Motoren" Zoom

Frage: "Wenn jemand so lange wie sie dieses Formel-1-Projekt gelebt hat, welche Gefühle löst dieser Ausstieg dann aus?"
Theissen: "Ich bin persönlich über diese Entscheidung enttäuscht. Das ändert aber nichts daran, dass zehn Jahre Formel 1 eine fantastische Zeit waren. Es war eine tolle Herausforderung und eine super Aufgabe sowohl für mich als auch für das Team."

"Als ich vor zehn Jahren antrat, war mir klar, dass das eine Aufgabe mit vielen Fragezeichen und mit vielen externen Einflüssen ist, dass man nicht alle Fäden immer in der Hand haben kann und dass jederzeit etwas eintreten kann, was eben jetzt, nach zehn Jahren, eingetreten ist."

"Ich möchte diese Zeit nicht missen. Sie war toll für das Team und ich glaube, sie war auch für BMW toll. Insofern verknüpfe ich damit nur positive Gedanken. Natürlich ist dies nur eine Seite. Die andere Seite sind die nächsten Monate, in denen es vor allem darum gehen wird, Lösungen für die Mitarbeiter zu finden."

Frage: "Wie tief sitzt der Stachel, dass ausgerechnet Mercedes am vergangenen Wochenende auf dem Hungaroring den ersten Sieg mit KERS errungen hat?"
Draeger: "Jede sportliche Niederlage ist ein Stachel. Wir wollen gewinnen und wir haben gesagt, dass wir auch für 2009 ein Ziel haben: Wir wollen uns 2009 erhobenen Hauptes aus der Formel 1 zurückziehen und das gilt nach wie vor."

Frage: "Ist es denkbar das BMW als Motorenhersteller der Formel 1 erhalten bleibt?"
Draeger: "Wir werden in der kommenden Saison nicht als Motorenhersteller zur Verfügung stehen."

Frage: "Wie schätzen sie die Lage innerhalb der FOTA ein? Ist dies der Auftakt einer ganzen Ausstiegswelle anderer Hersteller, die ihr Engagement angesichts des anstehenden Concorde-Agreements auf den Prüfstand stellen?"
Theissen: "Wir haben uns zuletzt am Wochenende in Budapest unterhalten. Dabei habe ich nicht bemerkt, dass ähnliche Entscheidungen bei anderen Teams oder Herstellern bevorstehen. Aber dazu können natürlich nur die Teams selbst etwas sagen."

Langfristige strategische Neuausrichtung

Frage: "Wenn das Stichwort Nachhaltigkeit als der wichtigste Punkt für den Ausstieg genannt wird, bedeutet dies dann, dass die Formel 1 generell nicht mehr zeitgemäß ist?"
Reithofer: "Wenn man als Unternehmen sagt, wir schauen in der Automobilindustrie zehn Jahre in die Zukunft, dann wird Nachhaltigkeit in der Automobilindustrie eine immer größere Rolle spielen. Wenn sie etwa an das Jahr 2015 denken, wo in der europäischen Automobilindustrie ein bestimmtes Limit in Bezug auf den CO2-Ausstoss steht."

"Unsere Hauptstoßrichtung ist die, dass wir dieses Geld in diese Technologien stecken und eben nicht mehr in die Formel 1." Norbert Reithofer

"Wenn sie sehen, was jetzt unter Präsident Obama in den USA auf den Weg gebracht wurde, wenn sie in das Jahr 2020 gehen, wo 95 Gramm CO2 pro Kilometer als Limit stehen, dann sehen sie, dass diese Veränderungen nicht mehr nur in unseren Gedanken existieren, sondern dass sich dahinter reale Zahlen und Jahreszahlen stehen."

"Wenn sie einen Konzern in diese Richtung ausrichten, weil sie sagen, ich muss diesen Konzern darauf einstellen, weil ich als Unternehmen in zehn Jahren noch existieren will, dann müssen sie sich natürlich auch auf der Ressourcenseite die Frage stellen: Verwende ich dieses Geld weiterhin für die Formel 1 oder wechsle ich und stecke dieses Geld in diese Technologien?"

"Wir haben ganz klar gesagt: Unsere Hauptstoßrichtung ist die, dass wir dieses Geld in diese Technologien stecken und eben nicht mehr in die Formel 1. Das war unsere Entscheidungsbasis."

Frage: "In welche konkreten Projekte soll dieses eingesparte Geld fließen? Was hat diese Entscheidung für Konsequenzen hinsichtlich der gesamten Modellpalette? Werden wir bei BMW auch erleben, dass man weggeht von den Begriffen groß und stärker und mehr Betonung auf kleiner, sparsamer und weniger Verbrauch legt?"
Reithofer: "Auf der IAA in Frankfurt wird ein neues Fahrzeugkonzept zu sehen sein, wo ein absolut dynamisches Auto mit großer Effizienz verbunden ist. Ich möchte jetzt nicht näher auf das Fahrzeug eingehen, aber das kann für den Automobilhersteller BMW ein möglicher Weg in die Zukunft sein. Dass das realistischerweise ein Übergangsprozess ist, der eine Dekade in Anspruch nimmt, das ist selbstverständlich."


Fotos: Pressekonferenz: BMW steigt aus der F1 aus


Draeger: "Zum Thema Nachhaltigkeit ist unsere Strategie ein ganz wesentlicher Punkt. Wenn man sich ansieht, welche Erfolge wir mit dieser Strategie in Bezug auf die Verbrauchsreduzierung, sowohl bei Benzin als auch bei Diesel, und der damit verbundenen CO2-Reduzierung erreicht haben, dann ist das schon ein wesentlicher Schritt in die richtige Richtung."

"Wenn sie das Concept-Car auf der IAA in Frankfurt gesehen haben, dann werden wir gemeinsam darüber diskutieren, mit wie wenig Benzin und mit wie wenig CO2-Ausstoß man durchaus ein sportliches Auto fahren kann."

Honda-Szenario möglich

Frage: "Wie haben Nick Heidfeld und Robert Kubica das Ganze aufgenommen? Hat sie das blitzartig getroffen oder waren sie schon seit Wochen darauf vorbereitet?"
Theissen: "Die Fahrer waren natürlich nicht seit Wochen darauf vorbereitet, weil die Entscheidung erst gestern gefallen ist. Sie sind so enttäuscht wie alle. Aber die Fahrer sind blitzartige Entscheidungen gewohnt."

"Die Fahrer waren natürlich nicht seit Wochen darauf vorbereitet, weil die Entscheidung erst gestern gefallen ist" Mario Theissen

Frage: "Kam der Druck zum Formel-1-Ausstieg in Zeiten der Kurzarbeit auch aus den Seiten der Belegschaft?"
Draeger: "Unsere Mitarbeiter werden sicher unterschiedliche Meinungen haben. Wir sind aber fest davon überzeugt, dass unsere Mitarbeiter, wenn sie unsere Argumentation insgesamt hören, auch verstehen und nachvollziehen können, warum wir aus der Formel 1 aussteigen."

Frage: "Wie wollen sie die nun wegfallende Werbewirksamkeit kompensieren?"
Draeger: "An diese Stelle wird zum Beispiel unser neues Concept-Car treten. Dazu Forschung und Entwicklung von neuen Antriebstechnologien und Fahrzeugen zum Thema Nachhaltigkeit. Aber einen kleinen Teil werden wir auch weiterhin in unser Motorsport-Engagement stecken."

Frage: "Ist es denkbar, dass es ein ähnliches Szenario geben wird wie beim Honda-Ausstieg?"
Theissen: "Wir haben wie gesagt erst gestern damit begonnen, die Szenarien aufzumalen, die jetzt möglich sind, sowie die einzelnen Optionen zu bewerten und zu prüfen, ob sie eine echte Option sind. Natürlich ist das auch ein solches Szenario."

Keine Kompensationszahlungen an die FOTA

Frage: "Wenn BMW in dieser Saison um den Titel mitgefahren wäre, hätte man dann diese Entscheidung auch getroffen?"
Reithofer: "Wir waren zwischen 1980 und 1986 auch in der Formel 1 involviert. Wir wurden Weltmeister und sind dann aus strategischen Gründen aus der Formel 1 ausgestiegen, also auf dem Höhepunkt unserer Erfolge. Ich möchte noch einmal betonen: Das hat nichts mit unserer Teamperformance zu tun, denn so eine Entscheidung fällt man nicht vor dem Hintergrund von sieben oder acht Monaten. So eine Entscheidung fällt man langfristig und man stellt sich die Frage: Passt das noch zu dem, was der Konzern vorhat, oder passt es nicht mehr?"

"Unser Ausstieg aus der Formel 1 ist eine langfristige, strategische Entscheidung und hat daher einen komplett anderen Hintergrund als das Thema FOTA." Klaus Draeger

Frage: "Stehen durch diese Entscheidung nun Kompensationszahlungen in Richtung FOTA an?"
Theissen: "Nein, weil sie nie vereinbart wurden."

Frage: "Es ist also keine Rede davon, ihre Mitspieler in der Teamvereinigung im Stich zu lassen?"
Theissen: "Ich glaube es nicht. Ich habe heute Morgen mit allen Teamchefs in einer Telefonkonferenz gesprochen. Wir haben dieselbe Situation ja vor einem Dreivierteljahr erlebt. Es ist zu spüren, dass die FOTA in so einer Situation zusammenrückt und ich mache mir da überhaupt keine Sorgen, dass die FOTA dadurch geschwächt wird."

Draeger: "Wir müssen die Zukunft der Formel 1 und die strategische Neuausrichtung unterscheiden. Im Rahmen der FOTA haben wir gemeinsam mit den anderen Teams für eine kurzfristige Zukunft, für einen Zusammenhalt der Teams und für stabile Regeln gekämpft. Das ist meiner Meinung nach für eine Rennserie ein wichtiger Punkt. Insofern war ein gemeinsames Engagement FOTA dabei auch zielführend."

"Unser Ausstieg aus der Formel 1 ist eine langfristige, strategische Entscheidung und hat daher einen komplett anderen Hintergrund als das Thema FOTA."

Frage: "Wie wird es mit der Formel BMW weitergehen?"
Theissen: "Sie wird weitergehen. Die Formel BMW hat sich weltweit als die Top-Einsteigerserie etabliert. Sie fährt mittlerweile im Rahmenprogramm der Formel 1 und das soll so bleiben. Wir haben aus der Formel BMW viele Formel-1-Fahrer gewinnen können, einige weitere sind auf dem Weg. Aus unserer Sicht ist die Formel BMW die perfekte Nachwuchsförderung und wir werden dieses Konzept fortsetzen."