• 17.04.2010 14:47

  • von Christian Nimmervoll & Dieter Rencken

Die Hintergründe zum neuen Reifendeal

Exklusiv: Welche Forderungen Michelin stellt, wie Bernie Ecclestone mit Avon Geld verdienen könnte und was die Reifensituation mit KERS zu tun hat

(Motorsport-Total.com) - In weniger als neun Monaten werden die Wintertestfahrten für die Saison 2011 beginnen und die Teams arbeiten teilweise schon seit vielen Wochen an ihren neuen Autos, aber noch steht nicht fest, wer in der kommenden Saison die Reifen liefern oder um welche Reifen es sich dabei überhaupt handeln wird. Dementsprechend drängt die Zeit, die Nachfolge von Bridgestone zu klären.

Titel-Bild zur News: Bridgestone-Reifen

Die Formel 1 braucht dringend einen neuen Reifenhersteller für 2011

Bridgestone ist seit 2007 Monopolist und wurde von der FIA anschließend mit einem Dreijahresvertrag ausgestattet, der Ende 2010 ausläuft und seitens des japanischen Unternehmens nicht mehr verlängert wird. Nun bewerben sich mehrere Firmen um einen Formel-1-Einstieg, doch zuvor müssen noch zahlreiche Fragen geklärt werden. Das soll schon in den nächsten Wochen geschehen und wurde nach Informationen von 'Motorsport-Total.com' heute in Schanghai bei einem FOTA-Meeting in Angriff genommen.#w1#

Kleine Teams fordern Gratisreifen

Bestätigt ist, dass sich Michelin um den Formel-1-Reifendeal beworben hat, die Franzosen stellen jedoch Bedingungen: Erstens wollen sie nur zurückkehren, wenn die FIA Konkurrenz in Form einer anderen Reifenfirma zumindest nicht ausschließt, zweitens soll das Reifenformat auf 18-Zoll-Niederquerschnittsräder geändert werden und drittens würde man die Pneus wahrscheinlich nicht gratis zur Verfügung stellen. Genau das ist aber speziell den kleinen Teams besonders wichtig.

18-Zoll-Räder am Ferrari

So würden Niederquerschnittsreifen an einem aktuellen Formel-1-Auto aussehen Zoom

Dem Vernehmen nach hat die FOTA das Michelin-Angebot bereits akzeptiert. Unklar ist, ob die Franzosen aufgrund ihrer historischen Verbindungen beispielsweise Renault in einem separaten Arrangement finanzielle Zuschüsse anbieten würden. Fest steht: Die Herstellerteams wollen wegen etwaiger Synergien mit der Serienproduktion lieber eine Blue-Chip-Company wie Michelin, während solche Überlegungen für die kleinen Teams keine Rolle spielen.

Für die ist in erster Linie der Preis wichtig, also wurde Formel-1-Geschäftsführer Bernie Ecclestone bei der letzten Sitzung der Formel-1-Kommission das Mandat übertragen, die Reifenfrage raschestmöglich zu klären. "Niemand kann das besser als er", sagt Williams-Geschäftsführer Adam Parr. Apropos Williams: Die Briten wünschen sich weiterhin eine Monopolsituation, andere stehen auch dem von Michelin angestrebten Reifenkrieg durchaus aufgeschlossen gegenüber.

Geschäftsmöglichkeit für Ecclestone?

Unabhängig davon wird hinter vorgehaltener Hand gemunkelt, dass Ecclestone im Auftrag der Teams ungefähr vier Millionen Euro zur Verfügung stehen, um neue (oder: einen neuen) Reifenpartner zu finden. Gut möglich, dass das den Geschäftsinstinkt des 79-Jährigen weckt, der den Differenzbetrag eventuell in seine eigene Tasche stecken könnte, wenn er einen Deal aushandelt, der billiger als die kolportierten vier Millionen ist.

¿pbvin|512|473||0|1pb¿Gerüchten zufolge könnte Ecclestone für ein solches Geschäft die Marke Avon in Position bringen, eine Tochterfirma der amerikanischen Cooper Tire & Rubber Company. Das hat einen historischen Hintergrund, denn im Zuge des FISA/FOCA-Streits brachte der Brite Avon schon 1981 und 1982 kurzzeitig in die Formel 1. Dafür gründete er damals seine Firma International Racing Tyre Services (IRTS), die theoretisch wieder aktiviert werden könnte.

Avon soll jedoch daran interessiert sein, an den aktuellen 13-Zoll-Rädern festzuhalten, während viele Experten der Ansicht sind, dass die von Michelin gepushten 18-Zoll-Niederquerschnittsräder die Zukunft sein sollten. Das hat für Michelin den Vorteil eines Technologietransfers zwischen Formel 1 und den 24 Stunden von Le Mans, würde aber auch einen Schritt in Richtung der Serienproduktion bedeuten. Derzeit haben die Formel-1-Pneus mit herkömmlichen PKW-Produkten bis auf die Farbe überhaupt nichts gemein.

Die Geschichte der Niederquerschnittsreifen

Niederquerschnittsreifen hätten schon in den 1990er-Jahren eingeführt werden können, aber Goodyear hatte damals als Monopolist wenig Interesse an einer Änderung, die zusätzliche Entwicklungskosten verursacht hätte. Als Bridgestone (1997) und Michelin (2001) in die Formel 1 einstiegen, wollten sie ebenfalls von 13 auf mindestens 15 Zoll umstellen, scheiterten aber am jeweiligen "Platzhirsch", der klarerweise kein Interesse daran hatte, ein erprobtes Konzept für einen neuen Konkurrenten über den Haufen zu werfen.

Martin Whitmarsh und Bernie Ecclestone

Meeting in Schanghai: Martin Whitmarsh im Gespräch mit Bernie Ecclestone Zoom

Die Recherchen von 'Motorsport-Total.com' haben außerdem ergeben, dass die Teams auch die möglicherweise schon für 2011, spätestens aber für 2013 im Raum stehende KERS-Frage erst klären wollen, sobald das Reifenthema entschieden ist. Das hat technische Gründe, vor allem im Hinblick auf die Gewichtsverteilung. Schon morgen könnte aber etwas Licht ins Dunkel gebracht werden, denn FOTA-Chef Martin Whitmarsh wird sich vor dem Rennen mit Ecclestone an einen Tisch setzen.

Was KERS angeht, setzt sich offenbar mehr und mehr die Ansicht durch, dass aus Kostengründen auf eine Entwicklungsschlacht verzichtet und stattdessen ein Standardhersteller bestimmt werden soll. Ferrari-Präsident Luca di Montezemolo setzt sich hinter den Kulissen politisch dafür ein, dass jenes Hybridsystem für die Formel 1 ausgewählt wird, das Ferrari gemeinsam mit Magneti-Marelli entwickelt hat und im 599 GTB Fiorano auch im Serienbereich zum Einsatz kommt...

Folgen Sie uns!

Formel-1-Newsletter

Abonnieren Sie jetzt den kostenlosen täglichen und/oder wöchentlichen Formel-1-Newsletter von Motorsport-Total.com!