Die große Sieger-PK mit Lewis Hamilton
Lewis Hamilton zeigte sich in der FIA-Pressekonferenz nach seinem Heimsieg in Silverstone erleichtert - Triumph am Ende einer schwierigen Woche
(Motorsport-Total.com) - Angefangen hat alles mit der Geburtstagsparty zum 90er von Nelson Mandela, aufgehört hat es heute auf dem Siegerpodest in Silverstone: Briten-Darling Lewis Hamilton sprach in der FIA-Pressekonferenz nach dem Rennen über seinen schwierigsten und bisher größten Sieg, aber auch über all die mentalen Belastungen im Vorfeld.

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So sieht Erleichterung aus: Lewis Hamilton nach seinem Sieg in Silverstone
Frage: "Lewis, was für ein toller Sieg! Eine Minute Vorsprung, großartige Szenen, aber auch viele schwierige Momente. Reden wir über einige davon, zum Beispiel den Druck von Kimi Räikkönen zu Beginn, die Entscheidung zwischen Full-Wets und Intermediates, als es zu regnen begann, und generell die Streckenbedingungen mit dem Überrunden. Rubens Barrichello hat sich ja sogar zurückgerundet..."
Lewis Hamilton: "Ich hatte große Probleme mit meinem Visier, konnte nichts sehen - speziell die rechte Seite war beschlagen. Also musste ich zwischen Kurve eins und zwei immer das Visier hochklappen, es innen reinigen und wieder zuklappen - und vor Stowe das gleiche Spiel. Ich musste das fast jede Runde machen, um etwas sehen zu können, vor allem als es zu regnen begann."#w1#
Gehör fast wichtiger als die Augen
"Dass mich Rubens überholt hat, bekam ich nicht einmal mit. Ich konnte ihn nicht im Rückspiegel sehen, sondern ich hörte nur zwei Geräusche: meinen Motor und einen zweiten. Da dachte ich für eine Sekunde: Oh mein Gott, geh einfach vorbei! Ich blieb innen und bremste früh und er kam außen vorbeigeflogen. Es war so rutschig, so schwierig - mental eine Riesenherausforderung."
Frage: "Was war euer Gedanke dahinter, auf Intermediates zu bleiben und nicht auf Full-Wets zu wechseln, als es stärker zu regnen begann?"
Hamilton: "Wir starteten auf neuen Intermediates und hatten einen angefahrenen Satz zur Verfügung, den wir verwenden wollten, aber es wurde dann ziemlich knifflig. Zum Glück hat das Team richtig entschieden. Ich habe mich nur darauf konzentriert, keinen Fehler zu machen, während das Team einen großartigen Job gemacht und das Wetter richtig analysiert hat. Sie haben sichergestellt, dass wir auf dem richtigen Weg sind. Ein großes Dankeschön dafür!"
Frage: "Wie viel musstest du heute persönlich, körperlich und mental investieren, um dieses Rennen zu gewinnen?"
Hamilton: "Es war unglaublich viel Energie notwendig, um konzentriert zu bleiben. Ich musste immer 100 Prozent geben, nicht mehr und nicht weniger. Im Qualifying habe ich wirklich einen furchtbaren Job gemacht, aber ich habe mir trotzdem nicht vorgenommen, heute alles schon in der ersten Runde zu zerreißen, sondern ich wollte nur Punkte sammeln. Ich wäre auch mit dem achten Platz zufrieden gewesen. Also bin ich ruhig und gelassen geblieben."
"Es war wirklich wichtig, die drei Cs zu haben: cool, calm und collected (cool, ruhig und gesammelt; Anm. d. Red.). Das hat mir geholfen. Es war mental eine unglaubliche Herausforderung. Ich konnte die Fans sehen, die so aufgeregt waren. Die Streckenbedingungen änderten sich nonstop und ich konnte durch das verdammte Visier nichts sehen, also musste ich es ständig abwischen, es zuklappen, wieder aufklappen, wieder abwischen - Runde für Runde. Dadurch war es wirklich schwierig, denn die Bedingungen waren nicht überall gleich, sondern es konnte der erste Sektor trocken sein, der zweite wieder verregnet. Vor Abbey stand so viel Wasser, dass sich fast alle gedreht haben. Es war ungemein schwierig. Ich bin nur froh, dass es vorbei ist."
Zwei Schrecksekunden im Rennen
Frage: "Wir haben eine Schrecksekunde von dir gesehen - oder gab es die in jeder Runde?"
Hamilton: "Nein, nur die eine. Eigentlich waren es zwei, eine davon eingangs Brooklands. Ich trat zu hart auf die Bremse, blockierte die Räder und rutschte dahin. Da dachte ich, ich würde ins Kiesbett schlittern - und dieses Kiesbett ist schrecklich, keine Chance, dort je wieder rauszukommen. Aber zum Glück konnte ich es abfangen."
"Das in Abbey passierte, als es gerade zu regnen begann. Ich konnte nichts sehen, ganz ehrlich, speziell durch die rechte Seite des Visiers - keine Ahnung also, auf welcher Linie ich war. Ich war schon in Kurve neun und zehn neben der Linie. Ich konnte die weiße Linie nicht sehen, das Auto rutschte überall durch die Gegend, aber ich blieb cool, denn ich hatte ja 40 Sekunden Vorsprung, also musste ich nichts mehr riskieren. Ich habe es einfach locker angehen lassen."
Frage: "Inwiefern hattest du dein Auto für solche Bedingungen abgestimmt?"
Hamilton: "Gar nicht. Das Auto war für das Qualifying abgestimmt. Vor dem Rennen darfst du nichts mehr verändern, auch wenn es regnet, also stellten wir nur den Frontflügel etwas steiler, aber damit hatte es sich. Das Auto war großartig. Es neigte manchmal ein bisschen zum Übersteuern, aber das Team hat die richtigen Reifen gewählt und ich habe diese Reifen besser gemanagt als je zuvor, um sie nicht zu sehr zu beanspruchen. Zu Beginn des Rennens war das ziemlich schwierig. Ich konnte Kimi nicht sehen, aber er verkürzte den Rückstand. Ich musste einfach cool und ruhig bleiben."
Frage: "Die ersten Runden, als du versucht hast, an Heikki Kovalainen vorbeizugehen, waren auch erstaunlich..."
Hamilton: "Ja, das war enger Rennsport. Ich hatte einen großartigen Start, aber ehrlich gesagt habe ich vor der ersten Kurve zu früh gelupft. Heikki war außen und hatte damit mehr Grip, während ich innen ein bisschen ins Rutschen kam. Ich konnte ihm nicht mehr ausweichen, wir haben uns leicht berührt, aber es war glaube ich kein Problem für ihn. Dann hatte ich ausgangs der letzten Kurve noch einmal eine Chance, aber dort kann man eigentlich nicht überholen. Wir waren fast Seite an Seite, aber ich hatte leichtes Übersteuern und wollte auf keinen Fall meinen Teamkollegen abräumen, also konzentrierte ich mich lieber darauf, das Auto auf der Strecke zu halten."
Keine körperliche, sondern eine mentale Challenge
Frage: "Du hast kühlen Kopf bewahrt, während sich die meisten anderen Fahrer ein paar Mal gedreht haben. Was ist dein Geheimnis?"
Hamilton: "Es gibt kein bestimmtes Geheimnis, ich bin einfach so. Wie gesagt hatte ich heute viel Energie und ich konnte die Situation kontrollieren und die Energie einsetzen, wenn ich sie brauchte. Heute war es aber keine körperliche Herausforderung, sondern nur eine mentale. Ich weiß nicht, wie ich es geschafft habe, aber ich habe es geschafft. Das ist am allerwichtigsten."

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Die Hoffnungen der Fans wollte Lewis Hamilton auf keinen Fall enttäuschen Zoom
Frage: "Dein Vorbild Ayrton Senna war ein Meister im Regen. Hast du beim Studium seiner Videos etwas gelernt oder ist es einfach dein natürliches Talent, das im Regen so zur Geltung kommt?"
Hamilton: "Ich konnte mir nicht wirklich viel von Ayrton abschauen. Ich wusste nur, dass er im Regen sensationell war, und als ich aufwuchs, wollte ich das auch können. Er hat gezeigt, dass man alles erreichen kann, wenn man im Regen stark ist, dass Topfahrer sich immer durchsetzen. Also habe ich im Verlauf meiner Karriere sehr hart gearbeitet, um dort hinzukommen, wo ich heute bin. Aber das kommt ganz natürlich. Ich fühle mich im Regen einfach wohl, weiß, wo ich attackieren kann, wo ich mich einbremsen muss. Das führte heute zu diesem Resultat."
Frage: "Vor 24 Jahren - vor deiner Geburt - ist Nigel Mansell einmal im Regen von Monaco abgeflogen. Du warst phasenweise um mehrere Sekunden pro Runde schneller als der Rest. Hast du dann von dir aus langsamer gemacht oder war das eine Anweisung vom Team?"
Hamilton: "Das Team hat mir gesagt, dass ich 48 Sekunden vorne liege, fünf bis acht Sekunden pro Runde schneller bin als mein nächster Verfolger. Da dachte ich mir: 'Moment mal, was ist da los? Ich pushe ja noch nicht einmal!'"
"Ich fuhr eine komfortable Pace und wollte nicht verlangsamen, denn sobald du verlangsamst, verlierst du möglicherweise die Konzentration. Also habe ich dem Team gefunkt: Ich fühle mich wohl mit dieser Pace. Selbst da war ich noch schneller als alle anderen. Ich musste aber sehr, sehr vernünftig fahren. Stell dir vor, du bist eine Minute vorne und wirst es weg! Keine Chance, das zu überleben - das wäre unglaublich peinlich. Da kannst du auch gleich zurücktreten."
Die Kunst des Langsamfahrens
"Ich habe das Team gefragt, wie viel langsamer ich fahren kann. Sie gaben mir einen Spielraum, mit dem ich einverstanden war, aber das waren immer noch 1:36er-Zeiten - schneller als im Stint davor. Damit fühlte ich mich sicher. Das Auto fühlte sich gut an. Ich habe einige überholt. Ich hätte noch mehr zurückstecken können, aber als ich Heikki überrundet hatte, wollte ich nicht mehr langsamer machen, um nicht eine Kollision mit ihm zu riskieren. Also orientierte ich mich nach vorne."
Frage: "In den vergangenen Wochen hattest du einige Schwierigkeiten. Wie hart war das und ist das heute alles vergessen?"
Hamilton: "In den vergangenen Wochen war ich am Anschlag. Ich habe sehr hart gearbeitet, musste viel reisen und viele verschiedene Dinge erledigen. In meinem Leben gab es verschiedene Emotionen. Wir hatten ein paar schlechte Grands Prix - da war es wünschenswert, beim Heim-Grand-Prix einfach bei Null zu beginnen und gute Punkte oder sogar einen Sieg zu holen. Das Land und die Zuschauer verdienen das, das Team auch."
"Ich habe im Vorhinein einen Doppelsieg für möglich gehalten. Es war ein großartiges Wochenende für uns. Alles lief in die richtige Richtung. Es gab keine Negativität, sondern alles war sehr positiv für mich und dafür bin ich sehr dankbar. Solche Dinge geschehen immer aus einem bestimmten Grund. Ich bleibe meinem Glauben treu. Nichts passiert einfach so. Ich bin dankbar."
Frage: "Du hast deine Familie, deinen Vater Anthony und deinen Bruder Nicholas, immer an deiner Seite. Wie haben sie es geschafft, dich heute richtig auf dieses Rennen einzustellen, und was haben sie dir nach dem Rennen ins Ohr geflüstert?"
Hamilton: "Ich denke, ich war immer richtig eingestellt, ich hatte nur viel zu erledigen. Da war auch was im Privatleben - nichts Ernstes, aber so ist das Leben halt. Ich will gewinnen und arbeite sehr hart dafür, also gab es nie irgendwelche Zweifel an meinem Können. Man muss es nur erwarten können, hart arbeiten und es dann auf den Punkt umsetzen."
Bruder Nicholas als Inspiration
"Vor dem Rennen habe ich mich mit meinem Bruder unterhalten. Er kam auf mein Zimmer und ich habe ihm gesagt: 'Hoffentlich kann ich das Auto auf der Strecke halten.' Er hat gesagt: 'Du bist der Regenmeister!' Und ich habe mich dafür bedankt. Er ist immer da, meine ganze Familie, mein Dad. Er würde nie ein Rennen versäumen und war vom ersten Tag an immer an meiner Seite."
"Wir geben uns vor jedem Rennen immer noch die Hand, was mir sehr viel bedeutet. Das ist genau wie bei meinem ersten Kartrennen. Das ist eben Familie, das kennt ja jeder. Die Familie ist immer für einen da - es gibt nichts, was sie davon abhalten könnte, zu einem zu stehen."
Frage: "Du warst vergangene Woche ziemlich beschäftigt, hast Nelson Mandela getroffen, warst bei einem Segeltermin. Machst du dir keine Sorgen, dass all das mal zu viel werden könnte? Warst du besorgt, dass dich das Energie kosten könnte?"
Hamilton: "Nein. Da musste man nicht besorgt sein, darum ging es doch gar nicht. Nelson Mandela zu treffen, war eine überwältigende Erfahrung. Es hat mich einiges gekostet, überhaupt zu verstehen, was da vor sich ging. Dann hatte ich Aufgaben zu erledigen, die ich immer bestmöglich erledigen will - nicht nur im Auto, sondern auch außerhalb."
"Die größte mentale Belastung war aber ehrlich gesagt der Wunsch, die Fans nicht zu enttäuschen. Ich weiß, wie viel Support ich habe, ich weiß, wie sehr das Team an mich glaubt - und ich habe einen Teamkollegen, der mich ständig antreibt. Diese ganze Vorbereitung - man versucht es im Zaum zu halten, aber es ist so viel Aufregung da, dass man sich der Emotionen nicht verwehren kann. Man muss versuchen, da das Gleichgewicht zu halten."
"Dann habe ich noch diese Schnittwunde im Gesicht, da wäre ich Anfang der Woche fast bewusstlos geworden. Man macht sich Gedanken darüber, dass man eine geschwollene Lippe hat und ständig fotografiert wird. Ich musste mit all dem umgehen. Ich glaube, ich habe das hinbekommen. Jetzt bin ich einfach nur glücklich."
Auf den Spuren von Martin Luther King
Frage: "Es heißt, dass man in schwierigen Zeiten am meisten über sich selbst lernt. Du hattest wirklich schwierige Wochen. Wie sehr werden dir diese bei deiner Entwicklung helfen und was hast du genau gelernt?"
Hamilton: "Das stimmt. Martin Luther King hat einmal so oder so ähnlich gesagt: 'Es sind nicht die Zeiten, in denen wir triumphieren und erfolgreich sind, die uns zu dem machen, was wir sind, sondern es sind die schwierigen Zeiten, in denen wir wachsen und die uns definieren.'"

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Der Meister bei der Arbeit: Lewis Hamilton geht an seinem Teamkollegen vorbei Zoom
"Ich kann mich an das genaue Zitat nicht mehr erinnern, aber ich habe es einmal gelesen. Ich halte das für sehr wichtig. Diese Woche war sehr schwierig, auch heute, aber wenn du alles aufsaugst, dann lernst du daraus. Sogar im Rennsport ist es so, dass man durch Niederlagen mehr lernt, weil man dann herausfindet, was man verbessern muss."
Frage: "Du hast die Weltmeisterschaft in diesem Jahr schon zweimal angeführt und die Führung jeweils wieder verloren. Werden nun aller guten Dinge drei sein?"
Hamilton: "Schwer zu sagen. Ich glaube nicht, dass aller guten Dinge drei sein werden, sondern ich denke, dass es harte Arbeit wird. Wir machen einen guten Job - auf den müssen wir einfach aufbauen. Ich hätte mich wie gesagt schon über einen Punkt gefreut heute, denn das wäre eine gute Basis für das nächste Rennen gewesen, aber jetzt ist die Ausgangslage wirklich gut. Der Wettkampf ist hart. Wir müssen weiter Punkte sammeln."
Frage: "Was sagst du dazu, dass der britische Grand Prix ab 2010 von Silverstone nach Donington wechselt?"
Hamilton: "Diese Frage habe ich an diesem Wochenende schon so oft gehört, aber ich habe noch nie eine Antwort gegeben! Silverstone ist eine phänomenale Strecke. Natürlich bin ich traurig, dass wir hier nicht mehr fahren werden, denn jeder Fahrer hat einige Lieblingsstrecken und diese gehört zu meinen. Aber die Zeiten ändern sich und auch Donington ist eine fantastische Strecke. Ich hatte dort in den Nachwuchsformeln einige schöne Momente. Wenn sie die Sicherheit gewährleisten, dann wird es bestimmt eine großartige Veranstaltung. Ich hoffe aber, dass wir eines Tages nach Silverstone zurückkehren werden."

