Die große Bahrain-Analyse mit Marc Surer

Marc Surer erklärt im Interview, warum die "Formel Überholverbot" kein Dauerzustand bleiben muss, und analysiert das derzeitige Kräfteverhältnis

(Motorsport-Total.com) - 'Motorsport-Total.com'-Experte Marc Surer ist als Kommentator für den Pay-TV-Sender 'Sky' bei allen Formel-1-Rennen dabei und genießt als Szenekenner im Fahrerlager einen hervorragenden Ruf. Der ehemalige Grand-Prix-Pilot analysiert die Ergebnisse des Saisonauftakts, das Comeback von Michael Schumacher und findet vor allem nicht, dass die "Formel Langeweile" zu sofortigen Regel-Schnellschüssen führen sollte.

Titel-Bild zur News: Surer

Marc Surer gilt als einer der fachkundigsten Kenner der F1-Szene

Frage: "Marc, wie viel Kaffee haben du und Jacques Schulz beim Kommentieren für 'Sky' gebraucht, um bei dem Rennen nicht einzuschlafen?"
Marc Surer: "Das Problem war natürlich, dass die Erwartungshaltung viel zu hoch war. Man hat gedacht, durch die neuen Regeln kommt es zu vielen Problemen mit Reifen und Bremsen, es wird überholt, aber das ist alles nicht passiert. Alle waren sehr vorsichtig. Ich finde, die Fahrer sind alle sehr zurückhaltend gefahren, keiner hat wirklich attackiert. Somit war es ein Rennen wie schon gehabt. Ich kann mich an Rennen auf dieser Strecke erinnern, wo es überhaupt keine Überholmanöver gegeben hat. Im Hinterfeld hat es ja welche gegeben."#w1#

Kein Fan eines zweiten Pflichtboxenstopps

Frage: "Es wird jetzt heiß diskutiert, was man kurzfristig machen könnte. Da steht zum Beispiel ein zweiter Pflichtboxenstopp im Raum. Glaubst du, dass das etwas ändern würde?"
Surer: "Mit den Boxenstopps kann man natürlich das Überholen verhindern! Mit anderen Worten: Dann wird wieder an der Box überholt. Ich finde die Situation gar nicht so schlecht. Ein Button, der das ganze Rennen hinterherfährt, oder ein Webber, der hinterherfährt, aber eigentlich schneller ist als der Vordermann, die wissen jetzt für die Zukunft, dass sie angreifen müssen. Wir wollen doch nicht wieder Überholmanöver an der Box haben, denn wer zuerst wechselt, hat gewonnen. Das haben wir schon gesehen."

Frage: "Der Saisonauftakt fand zum ersten Mal seit 2006 in Bahrain statt. Melbourne war immer eine Party im Park, sehr stimmungsvoll, alle sind da gerne hingefahren. Verstehst du die Gründe für die Entscheidung, nach Bahrain zu gehen?"
Surer: "Ich denke, der Hauptgrund ist, dass wir dadurch einfach mehr Publikum hatten, weil die Sendezeiten von Melbourne natürlich extrem schlecht sind - in den frühen Morgenstunden. Dadurch hatten wir jetzt einfach mehr Zuschauer - extrem viele, wie wir festgestellt haben. So war das eigentlich eine gute Entscheidung, allerdings hätte es natürlich auch ein super Rennen sein müssen. Das war es nicht."

Frage: "Sebastian Vettel fuhr einem relativ sicheren Sieg entgegen, denn wenn man dem Team Glauben schenken darf, hat er schon Reifen und Material geschont, hatte alles unter Kontrolle. Ist der Red Bull deiner Meinung nach im Moment das schnellste Auto im Feld?"
Surer: "Ich würde ihn auf gleiches Niveau stellen wie die beiden Ferraris. Ich glaube, dass Red Bull und Ferrari gleichauf sind. Ich denke nicht, dass der Red Bull wirklich so viel schneller ist - das müssen wir abwarten, ob das dann auf jeder Strecke so passt. Im Rennen waren die Ferraris extrem stark."

¿pbvin|512|2537||0|1pb¿Frage: "Glaubst du, dass Fernando Alonso auch ohne die Probleme von Vettel eine realistische Chance gehabt hätte?"
Surer: "Nein. Wir haben ja gesehen, dass Überholen nach wie vor schwierig ist in der Formel 1. Ich wüsste nicht, wo er hätte vorbeifahren können."

Frage: "Alonso kam kurz vor den technischen Problemen von Vettel mal näher ran, musste dann aber sofort zurückstecken, weil seine Reifen überhitzten. Wäre so gesehen nicht ein Zweistopprennen möglich gewesen? Denn dann kann man ja länger aggressiv fahren. Es spricht ja auch Bände dafür, wie sehr sich alle eingebremst haben, wenn man sieht, dass die schnellste Runde von Alonso um eine Sekunde schneller war als alle anderen. Wäre der zweite Boxenstopp also ein Thema gewesen?"
Surer: "Das Problem ist: Wo fällst du zurück, wenn du an die Box fährst? Das sind 20 Sekunden, die draufgehen. Wenn du hinterher drei Leute überholen musst, nützt dir der ganze Speed nichts. Das ist nicht einfach. Aber grundsätzlich glaube ich schon, dass damit in Zukunft laboriert wird, weil man doch gesehen hat: Wenn man wirklich überlegene Reifen hat, könnte man auch angreifen."

Abwartende Haltung kein Dauerzustand

Frage: "Hattest du den Eindruck, dass sich die Teams zurückgehalten haben, um beim ersten Rennen nichts zu riskieren und die Erfahrung mitzunehmen?"
Surer: "Ich denke, dass Fahrer und Teams unglaublich auf Abwarten gemacht haben, gewusst haben: Neues Reglement, keiner weiß Bescheid, also nichts riskieren und erstmal die Punkte nach Hause fahren! Ich glaube nicht, dass es auch beim nächsten Rennen so sein wird."

Frage: "Hinter Red Bull und Ferrari kamen die britischen und deutschen Silberpfeile, McLaren und Mercedes. Wie weit siehst du die beiden Teams im Rückstand und welches der beiden Teams siehst du Silberpfeil-intern vorne?"
Surer: "Für mich ist der englische Silberpfeil auf jeden Fall der schnellere. Das hat man schon bei den Tests gemerkt. So viel fehlt denen gar nicht. Wir müssen mal abwarten, denn das war jetzt eine Strecke, eine hohe Asphalttemperatur. Wie es aussieht, wenn es ein bisschen kühler ist oder wenn es schnelle Kurven gibt wie in Malaysia, könnte neue Kräfteverhältnisse zeigen. Ich muss sagen: Es ist sehr eng zusammen an der Spitze."

Frage: "Glaubst du, dass Mercedes den Rückstand, den sie momentan haben, während der Saison aufholen kann? Und wenn ja, wie lange wird das mindestens dauern?"
Surer: "Wenn ich dran denke, wie McLaren letztes Jahr dreieinhalb Sekunden Rückstand aufgeholt und zum Schluss Rennen gewonnen hat, dann kann man ganz klar sagen, dass das aufholbar ist. Einige haben halt von Anfang an schon das Maximum herausgeholt und die anderen werden noch aufschließen. Dieses Kräfteverhältnis ist noch nicht gegessen."

"Dieses Kräfteverhältnis ist noch nicht gegessen." Marc Surer

Frage: "Am Thema Michael Schumacher kommen wir nicht vorbei. Das weniger fachkundige Publikum hätte erwartet, dass er als siebenfacher Weltmeister sofort wieder gewinnt, die meisten Experten sagen aber, dass das ganz in Ordnung war, was er gezeigt hat. Wie beurteilst du seine Leistung?"
Surer: "Ich bin froh, dass es so rausgekommen ist! Er hat nicht schlecht ausgesehen, aber er hat auch nicht gleich alle in Grund und Boden gefahren. Das wäre verheerend gewesen für die anderen Fahrer, wenn einer nach drei Jahren kommt und gleich wieder schneller ist. So gesehen war es für alle gut: Die zwei Zehntel, die Michael gefehlt haben, sind aufholbar. Er war dabei. Auf der anderen Seite haben die anderen Fahrer gezeigt, dass sie keine Nasenbohrer sind."

Frage: "Ich stelle eine bewusst banal formulierte Frage: Ist Nico Rosberg so gut oder hat Schumacher in den drei Jahren ein bisschen was verlernt?"
Surer: "Er ist in den letzten drei Jahren sicherlich nicht schneller geworden. Wir dürfen nicht vergessen: Auch ein Massa hat ihn in seinem letzten Jahr im Qualispeed oft geschlagen. Michael Schumacher ist also nicht unschlagbar."

Sutil die Überraschung des Wochenendes

Frage: "Insgesamt waren sechs Deutsche am Start, über drei davon haben wir schon gesprochen. Ich bitte dich um eine kurze Einschätzung auch zu den anderen. Beginnen wir mit Adrian Sutil."
Surer: "Irgendwie klebt das Pech an ihm. Er war sehr gut unterwegs - eigentlich der Beeindruckendste von den Mittelfeldteams. Dass er locker unter den ersten Zehn mitfährt, hat man nicht erwartet. Das geht auf seine Kappe, natürlich auch auf das Auto. Dummerweise wurde er wieder in eine Kollision involviert, aber das ist die Geschichte seines Lebens..."

Frage: "Er ist auch die zweitschnellste Rennrunde gefahren. Kann Force India dieses Jahr eine richtig große Überraschung werden?"
Surer: "Es sieht ganz danach aus. Das war jetzt nicht einmal ein typisches Rennen für dieses Auto, denn es ist ein Auto, das eigentlich auf schnellen Strecken sehr gut geht."

Frage: "Nico Hülkenberg hatte in Bahrain seine Formel-1-Premiere. Wie bewertest du seine Performance?"
Surer: "Okay für einen Newcomer. Natürlich hat er nicht so beeindruckt wie 2006 Nico Rosberg. Das ist vergleichbar, weil Nico auch im Williams fuhr. Aber ich finde, er hat einen guten Job gemacht."

"Hülkenberg hat nicht so beeindruckt wie 2006 Nico Rosberg." Marc Surer

Frage: "Der Letzte im Bunde war Timo Glock, der im Virgin für dich wahrscheinlich schwierig zu beurteilen ist..."
Surer: "Er hat mit dieser Kiste das Maximum herausgeholt. Es war herrlich, ihm dabei zuzuschauen, wie er gefightet hat. Er ist und bleibt halt der 'Kampfdackel'!"

Frage: "Womit wir bei den neuen Teams wären. Das war ein eigener Grand Prix am Ende des Feldes. Bis auf Lotus scheinen auch alle unzuverlässig zu sein. Ist das der Formel 1 würdig?"
Surer: "Da gibt es offensichtlich ein Getriebeproblem, habe ich festgestellt, was nicht unbedingt vom Team abhängig ist, sondern eher vom Zulieferer. Das sind Probleme, die man sicherlich lösen kann. Ansonsten wäre es eine Schande, wenn die alle kommen und gleich mitmischen könnten, denn dann würde es heißen, dass es einfach ist, Formel 1 zu machen. Die Formel 1 ist schwierig und die Teams, die seit Jahren dabei sind, haben ganz einfach einen Erfahrungsvorsprung. So soll es auch sein."